Der Streik beim Autozulieferer Neue Halberg Guss (NHG) geht weiter. Aber die Streikenden sind mit einem ernsten Problem konfrontiert. Anders als die Beschäftigten fordert die IG Metall nicht die Verteidigung aller Arbeitsplätze an den bedrohten Standorten Leipzig und Saarbrücken, sondern einen „sozialverträglichen“ Abbau der Arbeitsplätze.
Die Tatsache, dass die IG Metall nicht bereit ist, den Arbeitskampf auszuweiten und die prinzipielle Verteidigung aller Arbeitsplätze durchzusetzen, ermutigt die Unternehmensleitung zu immer schärferen Attacken auf die Streikenden.
Am gestrigen Freitag wies das Arbeitsgericht Frankfurt eine einstweilige Verfügung des Unternehmers zurück, das den Arbeitskampf verbieten lassen wollte. Damit spitzt sich der Streik von über zweitausend Arbeitern in Leipzig und Saarbrücken gegen die Vernichtung von tausend Arbeitsplätzen und die Schließung des Leipziger Werks zu.
Die Neue Halberg Guss beliefert die Autoindustrie, vor allem VW, aber auch Daimler und Opel, mit Motorblöcken, Zylinderköpfen und Antriebswellen. Das Unternehmen wurde Anfang des Jahres von der Prevent-Gruppe der Familie Hastor aufgekauft, und diese streitet sich mit dem Großkunden VW um Preise und Lieferkonditionen. Nachdem der VW-Konzern seinem Zulieferer NHG wichtige Aufträge entzogen hatte, beschloss deren Management kurzerhand, Ende 2019 das Werk in Leipzig mit 700 Beschäftigten zu schließen und im Stammwerk Saarbrücken 300 von 1500 Arbeitsplätzen zu streichen.
Darauf traten am 14. Juni die „Halberger“ in beiden Werken in Streik. Seither genießt der Arbeitskampf in der Bevölkerung breite und wachsende Unterstützung. Die Autos hupen beim Vorbeifahren, und täglich treffen Solidaritätsdelegationen bei dem über 100-jährigen Werk und ehemaligen VEB in Leipzig, wie auch bei der Gießerei in Saarbrücken-Brebach ein, wo auch französische Kollegen arbeiten.
Der Streik könnte zum Kristallisationspunkt für einen gemeinsamen Kampf zehntausender Autoarbeiter werden, denn es geht dabei um zentrale Fragen, die die gesamte Autoindustrie betreffen. Das hat indirekt der Deutz-Chef Frank Hiller am Freitag bestätigt. Der Chef des Kölner Motorenwerks, das Komponenten von NHG bezieht, appellierte in einem Video an die „Verantwortung des Managements, der Gewerkschaftsführer und der Politiker“, den Streik rasch zu beenden, und bezeichnete ihn als „Wahnsinn“ und „in Deutschland einzigartige Ausnahmesituation“.
In Wirklichkeit brodelt es in der gesamten Autoindustrie. Bei VW, dem größten NHG-Kunden, werden Leiharbeiter entlassen, Zulieferer unter Druck gesetzt und die Probleme aus der Dieselaffäre auf den Rücken der Beschäftigten abgeschoben. Auch bei Opel stehen tausende Arbeitsplätze und die Löhne auf der Kippe. In ganz Europa und weltweit wächst die Kampfbereitschaft unter Autoarbeitern. In der Slowakei und in Rumänien kam es vor Monaten schon zu spontanen Streiks gegen VW und Ford.
Für sie alle könnte der Streik der Halberg Guss-Arbeiter ein wichtiges Signal sein. Aber genau das will die IG Metall verhindern. Die Streikenden müssen der Realität ins Auge blicken und dürfen sich von den hohlen Phrasen und leeren Versprechungen der Gewerkschaftsfunktionäre nicht täuschen lassen. Die IG Metall hat die Arbeitsplätze und das Werk in Leipzig längst aufgegeben. Ihr Ziel ist es einen Sozialvertrag zu vereinbaren und den Streik rasch abzuwürgen. Sie vertritt nicht die die Interessen Arbeiter, sondern die der deutschen Autoindustrie, vor allem des VW-Konzerns, in dessen Aufsichtsrat und Management hochbezahlte IG Metall-Funktionäre sitzen.
Am Donnerstag, 12. Juli, fanden in Frankfurt Verhandlungen mit der NGH-Geschäftsführung statt. Sie wurden von Protesten und einer Demonstration in der Bankenmetropole begleitet. Hier wurde deutlich, dass die IG Metall nicht um die Arbeitsplätze kämpft, sondern in Wirklichkeit hinter dem Rücken der Arbeiter die Bedingungen für die geplanten Entlassungen und Werksschließungen aushandelt.
Der Hauptslogan, den die Gewerkschaft ausgegeben hatte und unzählige Male wiederholen ließ, lautet: „Sozialtarif wollen wir / darum sind wir heute hier!“ Schon der erste Redner, der Frankfurter IGM-Beauftragte Michael Erhardt, sprach beim Auftakt vor dem Hauptbahnhof über „die zweitbeste Lösung“ und sagte, wenn der Prevent-Konzern das dicke Geld machen wolle, dann müsse er auch bei den Entlassungen ordentlich in die Tasche greifen.
Vor dem Verhandlungsort, einem Büroturm am Opernplatz, erklärte Jürgen Kerner, Mitglied des IG Metall-Hauptvorstands: „Wir lassen nicht zu, dass der Laden leergeräumt wird und ihr mit leeren Taschen dasteht. Deshalb fordern wir eine Qualifizierungsgesellschaft und hohe Abfindungen.“ Die Arbeiter müssten zu den „gierigen Investoren“ sagen: „Eigentlich wollen wir arbeiten, aber wenn ihr die Arbeit kaputt macht, dann zahlt wenigstens anständig.“
All das zielt darauf ab, die geplanten Massenentlassungen durchzusetzen und die Arbeiter mit ein paar Almosen abzuspeisen. Wie der zweite Betriebsratsvorsitzende des Brebacher Werks, Mario Vangelista, deutlich machte, hat die IG Metall „anständige“ Löhne und Bedingungen längst aufgegeben. „Wir haben für unsere Arbeitsplätze immer alles gegeben, mit Überstunden, mit Urlaubsgeld und mit Weihnachtsgeld“, gab der Streikführer zu. Aber jetzt sei einer gekommen, „der uns kaputtmachen will“.
Auch das Saarbrücker Werk hat in Wirklichkeit nur eine Gnadenfrist erhalten. Was nach 2019 passiert, steht völlig in den Sternen, denn im Vertrauen auf die IG Metall verfolgt das Unternehmen eine Salamitaktik.
Am Donnerstag jedenfalls verhandelten die IGM-Beauftragten keine Sekunde lang über die Zukunft des Leipziger Werks oder die tausend Arbeitsplätze, die akut bedroht sind, sondern allein um „Abfindungen“, „Auffanggesellschaften“ und einen „Sozialtarifvertrag“. Sie wären am liebsten schon an diesem Tag zum Abschluss gekommen. Dazu sagte Uwe Schütz, IGM-Verhandlungsführer der Bezirksleitung Mitte: „Es scheinen ausschließlich wir zu sein, die eine schnelle Lösung des Konfliktes anstreben. Die Arbeitgeberseite hat dazu heute nichts beigetragen.“
„Die IG Metall hat kein Interesse an einem Dauer-Arbeitskampf“, bestätigte IGM-Bezirksleiter Jörg Köhlinger am Freitag im Frankfurter Arbeitsgericht.
Die Gewerkschaft will unter allen Umständen verhindern, dass der Kampf auf andere Belegschaften übergreift und zum Auslöser einer breiten politischen Mobilisierung wird. Bereits zu Beginn des Jahres hatte die IG Metall die Streiks von hunderttausenden Arbeitern in der Metall- und Elektroindustrie ausverkauft, um der arbeiterfeindlichen und militaristischen Politik der Großen Koalition den Weg zu ebnen.
Ermutigt durch das Vorgehen der IG Metall hat die Unternehmerseite ihr Angebot in den Verhandlungen am Donnerstag nicht verbessert, sondern verschlechtert. Die NHG will den Arbeitern, die sie entlässt, nur einen Bruchteil dessen bezahlen, was die IG Metall fordert. Die Höhe der Abfindung soll sich wie folgt berechnen: Pro Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit sollen sie 40% ihrer Bruttomonatsgehälter bekommen, also 0,4 Monatslöhne mal die Arbeitsjahre bei NHG.
Nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ haben die Manager am 12. Juli den verbleibenden Arbeitern versprochen, wenn sie den Streik sofort beendeten, dann seien sie bis Ende 2019 vor Entlassungen geschützt und könnten zu den Regelungen des IG-Metall-Flächentarifvertrags mit 35-Stundenwoche und Weihnachts- und Urlaubsgeld zurückkehren. Obwohl dies ein mehr als fadenscheiniges Manöver ist, strebt die IG Metall weiterhin eine rasche Verhandlungslösung an und bereitet einen Ausverkauf auf dem Rücken der Beschäftigten vor.
Viele Arbeiter nahmen am Donnerstag die Erklärung der World Socialist Web Site zur „Verteidigung aller Arbeitsplätze bei Halberg-Guss“ mit. Darin ruft die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) die Arbeiter auf, mit den Gewerkschaften zu brechen und unabhängige Fabrikkomitees aufzubauen. „Kein einziger Arbeitsplatz darf dem Profitstreben geopfert werden. Dem Preiskampf und Handelskrieg von Unternehmen und Gewerkschaften müssen die Beschäftigten die internationale Einheit der Arbeiter entgegensetzen. Die Fabrikkomitees müssen sofort Kontakt zu den Kollegen bei VW, Opel, Daimler und Zulieferern auf der ganzen Welt aufnehmen und einen gemeinsamen Kampf organisieren.“
Und weiter heißt es dort: „Ein solcher Kampf bringt die Arbeiterklasse unweigerlich in Konflikt mit den Gewerkschaften, den Unternehmen und der Regierung. Er kann nur mit einer sozialistischen Perspektive erfolgreich geführt werden, die sich gegen das kapitalistische System selbst richtet.“
Das WSWS-Flugblatt löste heftige Diskussionen und Reaktionen aus. Während IG Metall-Funktionäre wütend und feindselig reagierten, stieß der Aufruf bei Arbeitern auf Interesse und Zustimmung. Zum Beispiel sagte Jean-Marie aus dem Elsass auf die Frage nach seiner Meinung zur IG Metall: „Sie ist Teil dieser ganzen Kompromisskultur. Die Arbeitnehmer werden durch den DGB und alle diese Gewerkschaften nicht richtig verteidigt. Sie stecken mit dem Arbeitgeber unter einer Decke.“