Auf der Aufsichtsratssitzung des Zugherstellers Bombardier Transportation stimmten Unternehmens- und Arbeitnehmervertreter am Mittwoch geschlossen dem Abbau von 2200 Arbeitsstellen zu, fast einem Viertel der Belegschaft der sieben deutschen Standorte. Damit akzeptieren IG Metall und Betriebsrat nach zweijährigem Hinhalten der Belegschaft fast vollständig den Umstrukturierungsplan des Konzernvorstands.
Mit ihrer Zustimmung zu der massiven Stellenvernichtung unterstützen IG Metall und Betriebsrat das Diktat des kanadischen Herstellers von Schienenfahrzeugen. Die Darstellung des Ergebnisses als „Erfolg“ durch Olivier Höbel, den IG Metall Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen, ist eine zynische Verdrehung der Fakten.
„Die ursprünglichen Pläne des Unternehmens, Standorte zu schließen und Beschäftigte zu entlassen, konnte nur durch den gemeinsamen Widerstand aller Belegschaften verhindert werden“, erklärte Höbel nach der Aufsichtsratssitzung. Nichts ist ferner von der Wahrheit. Die spärlichen Details des Verhandlungsergebnisses, die am Mittwoch nach zweijährigen Verhandlungen hinter den Kulissen mitgeteilt wurden, ergeben folgendes Bild:
In der Summe werden 2200 Arbeitsstellen entfallen, darunter die von 700 Leiharbeitern, deren Verträge einfach auslaufen. Die Standorte werden völlig neu strukturiert.
In Hennigsdorf wird die Serienproduktion von Zügen beendet und nach Bautzen verlagert. Hennigsdorf soll ein Zentrum für Forschung und Entwicklung werden und nur noch Prototypen bauen. Außerdem wird eine Service-Abteilung verbleiben.
Der neue Betriebsratsvorsitzende des Werks, Volkmar Pohl, berichtete der Presse, dass die Produktionskapazität bis 2020 auf 480.000 Stunden pro Jahr reduziert wird. Das ist weniger als die Hälfte der heutigen Kapazität. Für die 800 derzeit in der Produktion beschäftigten Arbeiter bedeutet das einen Verlust von mehr als 400 Stellen.
Das Werk im sächsischen Görlitz wird Kompetenzzentrum für den Bau von Wagenkästen aus Aluminium und Stahl und verliert somit die bisherige Kompetenz der Herstellung von kompletten Zügen. Auch hier sind Hunderte Stamm- und Leiharbeiter betroffen. Angeblich sollen Arbeitsplatzverluste durch zusätzliche Produktion von Wagenkästen für Straßenbahnen gemindert werden.
Die Ankündigung einer Investition von acht Millionen Euro in diesen Standort durch Vorstandschef Michael Fohrer ist nichts als blauer Dunst, denn im gleichen Atemzug erwähnte er die Absicht, das Werk in Görlitz zu verkaufen. Man sei noch auf der Suche nach einem „seriösen Partner“, der den Betrieb „im Sinne der Vereinbarung mit den Arbeitnehmern“ weiterführen werde.
Bombardier hat erst vor zwei Jahren eine neue Produktionshalle im 145 Kilometer entfernten polnischen Wrocław (Breslau) in Betrieb genommen, wo ebenfalls Wagenkästen hergestellt werden. Die Zukunft des Betriebes in Görlitz ist also nach wie vor höchst unsicher.
Bautzen soll zum Zentrum für die Großserienproduktion von Schnell- und Regionalzügen, U-Bahnen und Straßenbahnen ausgebaut werden. Dazu sind Investitionen von 30 Millionen Euro vorgesehen, unter anderem für den Bau einer „digitalen Produktionshalle“ und eines Testzentrums. Durch die erhöhte Automatisierung und Rationalisierung der Produktion wird nicht mit einer nennenswerten Erhöhung der Arbeitsstellen gerechnet.
Der Betrieb in Mannheim soll sich auf die Entwicklung von Lokomotiven konzentrieren, die dann im Werk Kassel gebaut werden. Siegen bleibt Kompetenzzentrum von Drehgestellen. Auch in diesen Betrieben wird mit Stellenabbau gerechnet.
Welche Auswirkungen dieses Programm auf die Bombardier-Betriebe der benachbarten europäischen Länder hat, wurde weder vom Konzernvorstand noch von der IG Metall mitgeteilt. Denn Lokomotiven werden auch im italienischen Vado Ligure bei Savona produziert, in Wien baut Bombardier Straßenbahnen, in Crespin/Frankreich und Matranovak/Ungarn werden Drehgestelle hergestellt. Auch für den Schweizer Bombardier-Standort Villeneuve und den britischen Betrieb in Derby können sich Rationalisierungsmaßnahmen ergeben.
Der Stellenabbau soll auf „freiwilliger Basis“, mit „Interessenausgleich“ und „Sozialplan“ „sozialverträglich“ erfolgen. Bis Ende 2019 – also für weniger als zwei Jahre – seien betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. „Das vereinbarte Freiwilligenprogramm, das einen maximalen Personalabbau von bis zu 1513 Beschäftigten [der Stammbelegschaft] vorsieht, war angesichts der wirtschaftlichen Lage der Bombardier Transportation Deutschland nicht zu vermeiden“, rechtfertigte Olivier Höbel die Zustimmung der Gewerkschaft gegenüber der Presse.
Gerd Kaczmarek, Betriebsratsvorsitzender in Bautzen und zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Ostsachsen, gab nur spärliche Details bekannt. Man werde älteren Kollegen bei freiwilligem Ausscheiden eine Abfindung oder eine Brückenfinanzierung bis zur Rente anbieten.
Im Klartext bedeutet dies die Erpressung der älteren Arbeiter: ‚Wenn Du nicht freiwillig unser Angebot einer nicht näher bezifferten Abfindung akzeptierst, kannst Du nach 2019 mit Kündigung rechnen.‘ Ein Sozialplan für solche betriebsbedingten Kündigungen nach 2019 wurde zwar vereinbart, aber nicht bekanntgegeben, was darauf schließen lässt, dass er sehr dürftig ist.
Jüngere Arbeiter der betroffenen Betriebsteile sind vor die Wahl gestellt, sich neue Arbeitsplätze zu suchen, was oft mit Umzügen, einer enormen Beeinträchtigung für ganze Familien und meist auch mit Lohnsenkungen verbunden ist.
Mit Unterstützung der IG Metall und der Betriebsräte kann Bombardier seinen auf fünf Jahre angelegten „Turnaround-Plan“ auf Kosten der Arbeiter durchsetzen. Mitte Februar dieses Jahres teilte Alain Bellemare, der Präsident und CEO des kanadischen Mutterkonzerns Bombardier Inc., die Geschäftszahlen für das vergangene Jahr mit. Demnach stieg der betriebliche Gewinn (EBIT) der Sparte Transportation im Geschäftsjahr 2017 auf 8,4 Prozent.
Der Weltmarkt für die Produktion von Schienenfahrzeugen durchläuft einen radikalen Konzentrationsprozess. Im Jahr 2015 fusionierten die beiden größten chinesischen Hersteller zu dem Giganten CRRC mit einem Umsatz von 37,8 Mrd. US-Dollar, der den gemeinsamen Umsatz der drei nächstgrößten Hersteller Siemens, Alstom und Bombardier übertrifft. Seither ist der internationale Konkurrenzkampf zu einem Verdrängungskampf geworden.
Als Reaktion haben sich Siemens Mobility und der französische Hersteller Alstom zusammengeschlossen. Beide Unternehmen unterzeichneten am Freitag der vergangenen Woche einen Vertrag über die Fusion ihrer Zugsparten, die sie im letzten Jahr beschlossen hatten. Dadurch entsteht ein neuer europäischer Konzern mit 62.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von etwa 15 Milliarden Euro. Der Bestätigung dieser Fusion durch das europäische Kartellamt und die Aktionäre von Alstom wird erwartet.
Bombardier, mit einem Umsatz von 8,5 Mrd. US-Dollar im Jahr 2017, reagiert darauf mit immer schärferen Rationalisierungsmaßnahmen, zumal die Fusionspläne mit Siemens Mobility im letzten Jahr gescheitert sind.
Die Gewerkschaften und Betriebsräte stehen in diesem weltweiten Vernichtungskampf, der auf dem Rücken der Arbeiter ausgetragen wird, uneingeschränkt auf der Seite ihres jeweiligen Unternehmens. Sie spielen die Belegschaften eines Konzerns, eines Landes und eines Standorts gegen die jeweils anderen aus, spalten so die Arbeiterklasse, organisieren Entlassungen und Lohnsenkungen und steigern die Profite der Aktionäre und Kapitalbesitzer.
Sie tun dies stets mit demselben Argument wie Olivier Höbel: Angesichts der wirtschaftlichen Lage des Betriebs seien Einsparungen „nicht zu vermeiden“.
Tatsächlich lassen sich Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen vermeiden. Aber dazu müssen die Arbeiter mit den Gewerkschaften brechen, unabhängige Komitees aufbauen, Kontakt zu den Kollegen in anderen Betrieben und Ländern aufnehmen und die Verteidigung der Arbeitsplätze mit einem sozialistischen Program verbinden. Der archaische Kampf um Weltmarktanteile muss durch rationale Planung im Interesse der internationalen Arbeiterklasse ersetzt werden.