Am 26. September bestätigten die Aufsichtsräte des deutschen Siemens- und des französischen Alstom-Konzerns einstimmig eine Absichtserklärung, die Zugsparten beider Konzerne im Rahmen einer „Fusion unter Gleichen“ bis Ende 2018 zusammenzulegen. Der neue Konzern mit 62.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von etwa 15 Milliarden Euro steigt damit zum weltweit zweitgrößten Unternehmen für Bahntechnik auf.
Seit Jahren findet auf dem Weltmarkt für Schienenfahrzeuge ein erbitterter Konkurrenzkampf statt. Als sich Mitte 2015 ein nord- und ein südchinesischer Produzent zur China Railway Rolling Stock Group (CRRC) zusammenschlossen, verdrängten sie mit über 180.000 Beschäftigten sowie Niederlassungen und Produktionsstätten in über hundert Ländern den bisherigen Marktführer Bombardier Transportation vom ersten Platz. Mit einem Umsatz von 34,5 Mrd. US-Dollar übertraf CRRC den gemeinsame Umsatz der nachrangigen Hersteller Bombardier, Siemens und Alstom deutlich.
Seitdem arbeiten diese drei Hersteller daran, ein europäisches Gegengewicht zum Branchenriesen herzustellen. Fusionen, Rationalisierungen, Ersparnisse durch eine Steigerung des Produktionsvolumens und Umstellung von Design und Produktion auf Plattformbauweise, bei der ähnlich wie in der Automobilindustrie gleiche Komponenten in verschiedenen Modellen eingesetzt werden, sollen die Wettbewerbsfähigkeit steigern.
Mitte 2014 bot Siemens dem französischen Konkurrenten Alstom seine Zugsparte Siemens Mobility an, um im Gegenzug das Energiegeschäft von Alstom, den profitableren Bereich mit den Sparten Power und Grid, zu übernehmen. Das Geschäft platzte, als der US Konzern General Electrics das Rennen um die Energiesparte gewann.
Danach begann Siemens Geheimverhandlungen mit Bombardier Transportation, einer Tochtergesellschaft von Bombardier Inc., dem kanadischen Hersteller von Flugzeugen. Dieser hatte hohe Verluste im Bereich Bombardier Aerospace eingefahren, worauf der Vorstand ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm beschloss. Insgesamt sollen 8.500 Stellen gestrichen werden, davon 5.000 im Bereich Transportation. Schon 2016 wurden 1.430 Stellen in den deutschen Standorten abgebaut, weitere 2.200 Stellen sollen im Jahr 2018 vor allem in den Werken Hennigsdorf und Görlitz entfallen.
Noch bis Mai 2017 hieß es, die Joint-Venture-Vereinbarungen zwischen Siemens und Bombardier stünden kurz vor dem Abschluss. Doch Siemens, dessen Mobility-Abteilung als Branchenführer in der Signaltechnik und Netzwerkinfrastruktur gilt und höhere Gewinnmargen einfährt als die Herstellung von Schienenfahrzeugen, konnte sich den Fusionspartner aussuchen.
Nachdem der amerikanische Flugzeughersteller Boeing dem kanadischen Konkurrenten Bombardier wegen staatlicher Unterstützung bei der Herstellung von Flugzeugen der C-Serie Wettbewerbsverzerrung vorwarf, waren weitere Finanzprobleme bei Bombardier absehbar. Diese stiegen dramatisch an, als die Trump-Regierung im September eine Einfuhrsteuer von 219 Prozent auf kanadische Flugzeuge erhob. Die jahrelangen Sondierungen ermöglichten dem Siemensvorstand eine schnelle Umorientierung auf Alstom.
Als die Chefs von Siemens und Alstom dann am 20. September vor die Presse traten, um die Fusion ihrer Zugsparten bekannt zu geben, ließen sie deutlich erkennen, dass es dabei nicht nur um eine wirtschaftliche, sondern auch um eine politische Entscheidung ging. „Wir setzen die europäische Idee in die Tat um“, erklärte Siemens-Chef Joe Kaeser, „und schaffen gemeinsam mit unseren Freunden bei Alstom auf lange Sicht einen neuen europäischen Champion der Eisenbahnindustrie.“
Die Fusion ist Bestandteil der deutschen und französischen Pläne, Europa zu einer Weltmacht aufzubauen, die es wirtschaftlich und politisch mit den USA und China aufnehmen kann. Siemens-Chef Kaeser hatte noch vor der Bundestagswahl Bundeskanzlerin Merkel in dieser Sache konsultiert, die wiederum mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron Rücksprache nahm, wie verschiedene Tageszeitungen berichteten.
Macron forderte am Tag der Bekanntgabe der Siemens-Alstom Fusion eine „entschlossene und konkrete deutsch-französische Initiative“, um neue europäische Projekte zu entwickeln. Die EU müsse als „Konkurrent gegenüber China und den USA“ aufgebaut werden. Da der französische Staat einen Fünftel der Alstom-Aktien hält, hätte der Fusionsbeschluss ohne Zustimmung Macrons nicht über die Bühne gehen können.
Alstom-Chef Poupart-Lafarge erklärte den Zusammenschluss zu einem „Schlüsselmoment“ in der Geschichte seines Unternehmens. Er werde „Wertschöpfung für Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre schaffen“.
Welche Werte tatsächlich geschöpft werden, zeigte sich bei Bekanntwerden der Fusionsabsichten an den Aktienkursen beider Unternehmen: Der Kurs von Siemens stieg innerhalb weniger Tage um zwei und der von Alstom um 18 Prozent. Der Zusammenschluss soll durch sogenannte „Synergieeffekte“ in den Bereichen Forschung, Entwicklung, Vertrieb und Produktbereinigung nach einer Umwandlungsperiode von vier Jahren Einsparungen von jährlich rund 470 Millionen Euro erbringen. Bis dahin wollen beide Unternehmen den Erhalt von Standorten und Arbeitsplätzen garantieren.
Der Standort der Konzernzentrale von „Siemens Alstom“ wird im Großraum Paris liegen, wie auch die Unternehmenszentrale für Schienenfahrzeuge, während die Zentrale für Mobilitätslösungen und Signaltechnik in Berlin verbleibt. Vorstandschef des Konzerns wird der derzeitige Alstom-Chef Poupart-Lafarge, während Siemens-Chef Joe Kaeser den Vorsitz im elfköpfigen Aufsichtsrat übernimmt, wo insgesamt sechs Siemens-Vertreter die Mehrheit halten werden.
Siemens wird 50 Prozent plus eine der an der Pariser Börse notierten Aktien erhalten mit der Option, nach vollendeter Fusion zwei weitere Prozent zu kaufen. Damit liegt die eigentliche Macht über das fusionierte Unternehmen tatsächlich bei Siemens, das kann durch wiederholtes Betonen von „gleichwertigen Partnern“ nicht verdeckt werden.
Da die Fusion von den Regierungen unterstützt wird, werden ihr kartellrechtlich wohl kaum Hindernisse in den Weg gelegt. Kartellrechtler Martin Gramsch erklärte gegenüber der WirtschaftsWoche, die Entscheidung der europäischen Kartellwächter hänge von der geographischen Marktdefinition ab. Wenn sich Kunden weltweit bei Herstellern orientierten und Hersteller weltweit Produkte anböten, könnte die Fusion von Siemens Alstom ohne große Einschränkungen abgesegnet werden.
Der Zusammenschluss ganzer Branchen zu zwei oder drei weltmarktbeherrschenden Monopolen hat sich vor allem seit der Finanzkrise 2008 enorm beschleunigt. So erreichte die Summe aller Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions, M&A) im Jahr 2016 mit weltweit 3,6 Trillion US Dollar den zweithöchsten Wert nach der Finanzkrise. 2015 hatte er sogar noch 17 Prozent höher gelegen.
Historisch niedrige Zinssätze und gewaltige Geldmengen, die die Notenbanken in die Wirtschaft pumpen, sind ein Grund dafür. „Viele Unternehmen stehen vor schlechten organischen Wachstumsaussichten, die sie zwingen, den Kauf von Konkurrenten zu erwägen oder in neue Gebiete zu expandieren“, kommentierte dies ein M&A-Experte der Investitionsbank JPMorgan Chase.
Immer häufiger sind die Fusionen aber auch mit der Herausbildung von Handels- und Wirtschaftsblöcken verbunden. Sie finden nicht mehr kontinentalübergreifend statt, wie etwa die Übernahme von Chrysler durch Fiat, sondern dienen der Herausbildung „nationaler Champions“, die sich mit Rückendeckung der Regierung einen erbitterten Kampf um Weltmarktanteile liefern, der an einem bestimmten Punkt auch gewaltsame, militärische Formen annimmt. Donald Trumps „America first“-Politik ist nur der konsequenteste Ausdruck dieser Entwicklung.
Auf dem Markt für Passagierflugzeuge, wo Airbus und Boeing um die Vorherrschaft kämpfen, herrschen seit langem solche Zustände. In dieselbe Richtung geht nun die Entwicklung in der Eisenbahnindustrie, nur dass hier der Rivale des „europäischen Champions“ Siemens Alstom nicht in den USA, sondern in China sitzt. Auch der Kauf des Autoherstellers Opel durch Peugeot und die Fusion des Stahlbereichs von ThyssenKrupp und Tata gehen in diese Richtung.
Alstom hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnte systematisch andere Bahntechnik-Unternehmen einverleibt: 1994 den Schienenfahrzeughersteller Linke-Hofmann-Busch (LHB) in Salzgitter; 1999 den französischen Schienenfahrzeughersteller De Dietrich Ferroviaire; 2000-2002 den italienischen Hersteller FIAT Ferroviaria; 2014 den französischen Leit- und Sicherungstechnik-Hersteller Areva Command & Control und die britisch-irische Signalling Solutions Ltd.; und 2015 GE Signalling von General Electric. Der Zusammenschluss mit Siemens Mobility ist der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung.
Unterstützt wird der Kurs auf Handelskrieg und Krieg von den Gewerkschaften, die die wirtschaftliche Entwicklung ganz wie die Konzernbosse und Aktionäre aus der Sicht nationaler Wirtschaftsinteressen betrachten.
Die französischen Gewerkschaften und die deutsche IG Metall haben die Fusionspläne von Siemens und Alstom begrüßt. „Wenn man eine ausreichende Schlagkraft will, ist eine Neuordnung unumgänglich“, sagte der Gewerkschafts-Koordinator Claude Mandart von der wichtigsten Alstom-Gewerkschaft CFE-CGC.
Industriepolitisch mache die Fusion der beiden Zugsparten Sinn, kommentierte Elisabeth Mongs, die Zweite Bevollmächtigte der IG Metall in Erlangen, die Fusion. Damit entstehe eine starke europäische Allianz, die man brauche, um gegen die Konkurrenz aus China bestehen zu können.
Heinz Spörk, der Vorsitzende des Betriebsrates von Siemens in Krefeld, sagte der Westdeutschen Zeitung: „Alstom und wir schaffen derzeit 7,3 Prozent [Umsatzrendite]. Da geht sicher noch was, im neuen Unternehmen werden weit geringere Overhead-Kosten zu betrachten sein.“
„Diese Fusion wurde ebenso von der Bundesregierung gewollt und befördert“, fuhr Spörk fort. „Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Kartellbehörden in Europa grünes Licht geben werden. Wir brauchen eine starke europäische Bahnindustrie, um dem Weltmarktführer aus China Paroli bieten zu können. Auch die Bahnsparte von Siemens wäre auf Dauer zu klein gewesen.“
Die Herren Gewerkschaftsfunktionäre sehen ihre Aufgabe ebenso wie die Manager darin, die „Schlagkraft“ und „Konkurrenzfähigkeit“ ihres Unternehmens auf Kosten der Belegschaft zu erhalten und dafür zu sorgen, dass die „Synergieeffekte“ – sprich Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkung – widerstandslos über die Bühne gehen.
Das gilt nicht nur für die Belegschaften von Siemens und Alstom, sondern umso mehr für die des Verlierers des Fusionswettrennens, Bombardier Transportation, wo der Stellenabbau vermutlich in betriebsbedingte Kündigungen oder die Schließung ganzer Werke umschlagen wird. „Durch den Zusammenschluss von Siemens und Alstom nimmt der Druck auf Bombardier zu. Ich sehe das mit einer gewissen Sorge“, sagt Olivier Höbel, Leiter des IG-Metall-Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen, der Welt am Sonntag.
Arbeiter können ihre Errungenschaften nur verteidigen und der Entwicklung von Krieg und Handelskrieg entgegentreten, wenn sie mit den reaktionären Gewerkschaftsapparaten brechen. Die Verteidigung von Arbeitsplätzen, Arbeitsbedingungen und Löhnen stellt sie vor politische Aufgaben – den Aufbau einer sozialistischen Bewegung, die die Arbeiterklasse im Kampf gegen Krieg und Kapitalismus vereint. Nur so können die Voraussetzungen geschaffen werden, das enorme Potential der globalisierte Wirtschaft zum Nutzen der Weltbevölkerung geplant zu organisieren.