Hegel, Marx, Engels und die Ursprünge des Marxismus

Marx after Marxism: The Philosophy of Karl Marx, von Tom Rockmore, 224 Seiten, Oxford, Blackwell Publishers 2002

Tom Rockmore, Professor für Philosophie an der Duquesne University im US-Bundesstaat Pennsylvania, beginnt sein Werk Marx after Marxism: The Philosophy of Karl Marx mit folgender Feststellung:

"Es ist klar oder sollte zumindest klar sein, dass der Marxismus als politischer Ansatz daran gescheitert ist, eine historische Alternative zum liberalen Kapitalismus zu bieten. Mit dem schnellen Zerfall des Ostblocks im Jahre 1989 und dem Aufbrechen der Sowjetunion 1991 schwand der Gegensatz zwischen totalitärem Marxismus und liberalem Kapitalismus, der das zwanzigste Jahrhundert über weite Strecken geprägt hatte. Infolgedessen ging die moderne industrialisierte Welt unfreiwillig eine Pascalsche Wette auf wirtschaftsliberale und liberal-demokratische Prinzipien ein. Zu dem Zeitpunkt, da diese Zeilen geschrieben werden, hat der moderne Wirtschaftsliberalismus keinen echten Rivalen in der industrialisierten Welt." (S. XI)

Mit diesem Abgesang auf den "politischen Marxismus" äußert Rockmore die in akademischen Kreisen gängige Auffassung, dass das Ende der UdSSR das Ende des Marxismus bedeutet habe. Einzige Grundlage dieser Annahme ist die unausgesprochene Prämisse, dass die Politik der alten Sowjetbürokratie den Marxismus repräsentierte. Diese Prämisse gibt weitaus mehr Aufschluss über die gesellschaftlichen und politischen Anschauungen der Professorenschaft als über den Marxismus. Auf welcher Grundlage setzen die Akademiker die reaktionäre nationalistische Politik des Kremls mit der international ausgerichteten wissenschaftlichen Weltanschauung des Marxismus gleich? Im Allgemeinen setzen sie sich über diese Frage einfach hinweg. Die realen politischen Kämpfe, die revolutionäre Marxisten über viele Jahrzehnte hinweg gegen die Kreml-Oligarchie führten, erscheinen ihnen von ihrem Elfenbeinturm aus als bloße "sektiererische Zänkereien", für die karrierebeflissene Professoren keine Zeit haben. Ihnen genügte stets der Augenschein, dass die Kremlbürokratie zumindest bis 1991 über reale Macht verfügte. Immerhin regierte sie einen mächtigen Staat und entschied über die Vergabe von Fördermitteln, die unter anderem in internationale Symposien flossen, an denen schicke linke Akademiker gerne teilnahmen.

Als theoretische Grundlage eines revolutionären sozialistischen Programms und der damit verbundenen Praxis spielte der Marxismus in der Politik des Sowjetregimes seit den späten 1920er Jahren keine Rolle mehr - er verschwand mit dem formalen Ausschluss Leo Trotzkis und seiner Anhänger, der Linken Opposition, aus der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. In den 1930er Jahren besiegelte der Kreml den Bruch mit den marxistischen Wurzeln der Sowjetunion mit einem politisch motivierten Massenmord an allen verbliebenen Vertretern der marxistischen, revolutionären Intelligenz und Arbeiterklasse in der UdSSR. Die Moskauer Prozesse und die damit verbundenen Säuberungen, bei denen Hunderttausende revolutionäre Sozialisten umgebracht wurden, stellten die Speerspitze des Programms der internationalen Konterrevolution dar, das Stalin und seine Verbündeten vom Kremls aus betrieben

Bereits 1933, nachdem Stalins Verrat an der deutschen Arbeiterklasse Hitlers Machtübernahme ermöglicht hatte, rief Trotzki zum Sturz der Kremlbürokratie durch eine politische Revolution auf. Es ging Trotzki nicht um Rache, sondern um den Erhalt der UdSSR. Er warnte immer wieder, dass die Politik des stalinistischen Regimes zum Zusammenbruch der Sowjetunion führen werde, wenn die Arbeiterklasse es nicht zuvor zu Fall bringe. Trotzki betonte, dass der Stalinismus ein Krisenregime darstelle, dass das nationalistische Programm der Kremlbürokratie sowohl wirtschaftlich als auch politisch aussichtslos sei, dass die auf Autarkie ausgerichtete Wirtschaftspolitik langfristig die UdSSR nicht von dem Druck abschirmen könne, den eine vom Kapitalismus beherrschte Weltwirtschaft ausübte, und dass das Schicksal der Sowjetunion vom Sieg der sozialistischen Revolution in den entwickelten Staaten Westeuropas und Nordamerikas abhinge. Dies waren zugleich die wesentlichen Bestandteile des marxistischen Programms, das die Vierte Internationale vertrat.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 bestätigte auf tragische Weise die Einschätzung der Vierten Internationale und ebenso den Marxismus als Wissenschaft der politischen Perspektive. Angebliche sozialwissenschaftliche Experten, für die es größtenteils unvorstellbar war, dass die Sowjetunion quasi über Nacht verschwinden würde, hätten nun durchaus anerkennen können, dass die marxistische Analyse, die die trotzkistische Bewegung vertrat, sich als außerordentlich weitsichtig erwiesen hatte.

Auf solche Zeugnisse wissenschaftlicher Bescheidenheit wartete man allerdings vergeblich. Stattdessen führte die Auflösung der UdSSR zu einer wahren Flut von Veröffentlichungen, in denen der Tod des Marxismus verkündet wurde. Diese Werke lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen. In die erste Kategorie fallen die Erzeugnisse der unverhohlenen ideologischen Verteidiger des Kapitalismus auf der politischen Rechten (wie beispielsweise Fukuyama und Pipes), für die das Ende der UdSSR lediglich bewies, dass es keine Alternative zur bestehenden bürgerlichen Ordnung geben kann. In der zweiten Kategorie findet sich ein breites Spektrum linker Akademiker, die immer noch die vage Möglichkeit sozialer Veränderung zu irgendeinem unbestimmten Zeitpunkt in ferner Zukunft offen halten, gleichzeitig aber darauf beharren, dass keineswegs der Marxismus die theoretische Substanz für zukünftige Veränderungen bieten kann.

Pseudo-Hegelianismus gegen Marxismus

Worin besteht demnach die Alternative zum Marxismus? Eine beträchtliche Menge an neuerer akademischer Literatur redet einer Wiederbelebung verschiedener Formen vormarxistischer Philosophie und Politik das Wort. Das Erscheinen des jungen Dr. Marx in den frühen 1840er Jahren habe der Entwicklung von alternativen links-progressiven philosophischen und sozialen Bewegungen ein Ende gesetzt. Da sich Marx' Werk auf der Grundlage einer vernichtenden Kritik Hegels entwickelte, so die Argumentation, müsse der Schaden behoben werden, den Marx angerichtet habe. Nachdem Marx ihn auf die Füße gestellt habe, heißt es bei diesen Autoren, sei es nun an der Zeit, den alten idealistischen Philosophen wieder auf den Kopf zu stellen. Hegels Werk biete genug Substanz für die Entwicklung einer progressiven Gesellschaftstheorie und einer damit verbundenen Praxis im heutigen politischen Kontext. Einige der Werke, die entlang dieser Linien argumentieren, stehen dem Marxismus offen feindlich gegenüber; andere behaupten, Marx habe Hegel wenig hinzuzufügen gehabt oder seine eigene Originalität übertrieben; und wieder andere möchten Hegelianismus und Marxismus miteinander versöhnen, im Allgemeinen auf Kosten des Letzteren.

Professor Errol Harris schreibt in seinem Werk Spirit of Hegel (New Jersey 1993), dass "nicht Hegel auf dem Kopf steht, sondern Marx und Engels, die den Kopf abtrennten und sich dann einbildeten, dass der enthauptete Torso der Dialektik noch lebens- und bewegungsfähig wäre" (S. 11). Er fügt hinzu: "Niemand würde behaupten, dass Marx' eigene Doktrinen lächerlich waren, aber seine Kritik an Hegel war oft beschränkt und engstirnig, da sie auf einem völlig falschen Verständnis des Hegelschen 'Idealismus' beruhte."

In dem Buch Hegel's Philosophy of Freedom (New Haven/London 1999) argumentiert Professor Paul Franco, dass bei Hegel und nicht bei Marx Antworten auf die Probleme der heutigen Welt zu finden seien: "In den letzten 30 Jahren ist das Interesse an Hegels gesellschaftlicher und politischer Philosophie in gewaltigen Ausmaß zurückgekehrt. Dahinter stand zunächst die Suche nach den Ursprüngen des Marxschen Projekts, doch dieses wiederauflebende Interesse begann Hegel als Denker selbst in den Mittelpunkt zu stellen, der vielleicht etwas Tieferes zu bieten hat als Marx" (S. IX). Was Letzteren betrifft, so bezeichnet Franco Marx als "Epigone" Hegels (S. 77).

Der kanadische Akademiker David MacGregor hat mehrere Bücher verfasst, um den Hegelianismus als wichtigstes theoretisches Fundament des demokratischen und sozialen Fortschritts zu verankern. In The Communist Ideal in Hegel and Marx (Toronto/Buffalo 1990) behauptet MacGregor, dass "Marx' falsches Verständnis des Hegelschen Ideals ihn gegen Hegels Staatstheorie Stellung beziehen ließ und ihn womöglich davon abhielt, die zeitgenössische Wirklichkeit der liberalen Demokratie völlig zu begreifen, mit der seine späten Anhänger (die viel von Hegel lernen könnten) erst heute ernsthaft konfrontiert sind. Dieses Buch bemüht sich um ein Verständnis des liberal-demokratischen Staates, das Marx' Kritik mit den Einsichten der politischen Theorie Hegels aufwiegt" (S. 3f). MacGregor gibt freimütig zu, sein Ziel bestehe darin, "Hegels Denken vor der Interpretation zu retten, die Marx ihm aufzwang. Ich werde mich gegen Marx' Behauptung wenden, man müsse die Hegelsche Dialektik 'umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken'" (S. 11).

In seinem späteren Werk Hegel, Marx and the English State (Toronto/Buffalo/London 1992) weitet MacGregor seine Kritik an Marx aus und wirft ihm vor, er habe "einen wesentlichen Bestandteil des Hegelschen Erbes falsch behandelt. Er ersetzte Hegels Begriff des Privateigentums, das das Recht des Arbeiters auf das Produkt seiner Arbeitskraft einschließt, durch den Begriff des Mehrwerts und die Negation des Privateigentums unter dem Kommunismus. Das bedeutete, dass Marx' idealer Gesellschaft nicht nur der Staat fehlte, sondern auch nahezu sämtliche Einrichtungen der Bürgergesellschaft, mit denen die Freiheit des Einzelnen gewährleistet und die Willkürherrschaft einer dominanten Elite verhindert wird" (S. 7).

In einem weiteren Werk, Hegel and Marx after the Fall of Communism (Cardiff 1998), tritt das gesellschaftlich-politische Wesen von MacGregors Kritik an der allseits bekannten Marxschen Konzeption der Beziehung Hegel-Marx sogar noch klarer hervor: "Der Begriff des Privateigentums bildet den Streitpunkt in der Beziehung zwischen Hegel und Marx. [...] Hegel wollte die Institution des Privateigentums bewahren, während Marx auf seine Abschaffung drängte. [...] Ich bleibe dabei, dass Hegel mit Marx' Kritik am kapitalistischen Eigentum übereingestimmt hätte. Doch anders als Hegel untersuchte Marx nicht die positive Seite der Eigentumsrechte, stattdessen befürwortete er die Abschaffung des Eigentums zugunsten des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln" (S. 116ff). Für MacGregor ist Hegels politische Theorie der Anstoß für eine gangbare Alternative zu den revolutionären sozialistischen Bestrebungen von Marx - für eine Wiederbelebung des Sozialstaats, in dem eine eklektisch zusammengewürfelte soziale Marktwirtschaft von einer edelmütigen und die öffentlichen Interessen vertretenden Bürokratie verwaltet wird.

Professor Warren Breckmans Marx, the Young Hegelians, and the Origins of Radical Social Theory (Cambridge 1999) argumentiert ähnlich. Er stellt fest, der Untergang der Sowjetunion und der mit ihr ihr verbündeten Regimes in Osteuropa habe dazu geführt, dass die Gesellschaftswissenschaftler an den Universitäten Marx' kompromisslose Opposition gegen den Kapitalismus und die bürgerliche "Zivilgesellschaft" nicht länger teilen konnten. Breckman schreibt: "Allgemeine Einigkeit herrscht darüber, dass Karl Marx' vollständige Ablehnung der Bürgergesellschaft nicht geeignet ist, das demokratische Leben in komplexen Gesellschaften zu verbreitern. Das Neue in Bezug auf diese Frage ist der Konsens, nicht die Einsicht an sich. Denn die Mängel an Marx' Kritik der Bürgergesellschaft werden nun auch von jenen offen eingestanden, die einigen sozialistischen Gedanken weiterhin aufgeschlossen gegenüberstehen, Elemente der marxistischen Kapitalismuskritik beibehalten oder sich zumindest, wie Jacques Derrida, von einem bestimmten Geist des Marxismus inspirieren lassen" (S. 2). Breckman bemerkt weiterhin: "Wenn die derzeitige Debatte wie selbstverständlich davon ausgeht, dass über den Marxismus hinaus gegangen werden muss, so bestand doch einer ihrer charakteristischen Züge darin, in der Zeit vor Marx nach Inspiration und theoretischer Orientierung zu suchen. [...] Dieses postmarxistische Interesse an prämarxistischer Gesellschaftstheorie erhöhte maßgeblich die Relevanz von und Erwartungen bezüglich Hegel, dessen Überwindung sich der junge Marx rühmte " (S. 3).

Wären die politischen und wissenschaftlichen Motive weniger suspekt, so wäre ein neu auflebendes Interesse an Hegel sicherlich zu begrüßen. Doch der Versuch, in der Gesellschaftstheorie und politischen Theorie unter Umgehung (oder Verfälschung) von Marx und Engels - deren Werk historisch aus der soziökonomischen Umwälzung Europas und aus den bedeutenden wissenschaftlichen Entdeckungen nach Hegels Tod im Jahr 1831 hervorging - an Hegel oder einen anderen bedeutenden Vertreter des klassischen deutschen Idealismus aus der Zeit vor 1840 anzuknüpfen, stellt in theoretischer und intellektueller Hinsicht einen großen Schritt zurück dar und kann nur reaktionären politischen Zwecken dienen.

Historische Fälschung und Falschdarstellung

Ähnlich wie in den oben zitierten Werken behauptet auch Rockmore in seinem Buch, ein neues Konzept für radikalen gesellschaftlichen Wandel gefunden zu haben, indem er die theoretischen Errungenschaften des Marxismus für nichtig erklärt. Doch seine Herangehensweise unterscheidet sich ein wenig von den anderen Werken. Während die anderen Autoren Hegel dem Marxschen Griff entwenden wollen, meint Rockmore, dass Marx selbst aus der ideologischen Gefangenschaft des Marxismus befreit werden müsse! Der echte Marx war laut Rockmore ein devoter hegelianischer Idealist. Dass Marx beinahe universell als Materialist gilt, ist laut Rockmore das Ergebnis einer grotesken Fälschung und Täuschung, die niemand anderes als Friedrich Engels verbrochen hat. Dieser sei ein philosophischer Einfaltspinsel gewesen, dem die akademische Bildung für ernsthafte theoretische Arbeit fehlte und der alle hegelianischen Feinheiten entfernte, die im wahren Marxschen Denken vorhanden gewesen seien, und das ideologische Ungetüm des Marxismus schuf!

"Der Marxismus, der von Engels stammt", schreibt Rockmore, "verweist zur Stärkung der eigenen Position auf die Beziehung von Marx zu Hegel, was wiederum zu der Sicht geführt hat, Marx habe Hegel hinter sich gelassen. Ich denke, dass die marxistische Sicht auf Marx sowohl ihrer Substanz nach inakkurat ist wie auch eine bessere Sicht auf Marx' Position, auch sein philosophisches Schaffen, behindert. Um Marx 'wieder zu entdecken' müssen wir ihn meiner Ansicht nach soweit wie möglich vom Marxismus befreien und damit von Engels, dem ersten Marxisten" (S. 1).

Rockmore ist nicht der erste, der Differenzen zwischen Marx und Engels postuliert. Das Gleiche behaupteten zu verschiedenen Zeiten so unterschiedliche Autoren wie Georg Lukács, Lucio Colletti, Jean Hyppolite, George Lichtheim, verschiedene Vertreter der Frankfurter Schule, Leszek Kolakowski und in jüngster Zeit Terrell Carver. Die bloße Tatsache, dass Engels Marx um 12 Jahre überlebte, gab Behauptungen Auftrieb, der Überlebende habe seine Stellung als Verwalter von Marx' literarischem Erbe ausgenutzt, um seine eigenen Ansichten auf Kosten des ehemaligen Weggefährten durchzusetzen. Die angeblichen Abweichungen zwischen den Ansichten von Marx und Engels haben mittlerweile einen mystischen Status erreicht. Keine einzige Behauptung der oben aufgeführten Autoren hält einer sorgfältigen Analyse stand, und Lukács korrigierte später selbst seine Haltung in dieser Frage. Aber bei allen Einwänden, die man gegen die Argumente dieser Autoren erheben kann, muss man doch feststellen und anerkennen, dass sie mit der gebotenen wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit an die Werke von Marx, Engels und Hegel herangegangen sind. Das lässt sich von Rockmore nicht gerade sagen.

Der allgemein flapsige und zynische Ton, der das ganze Werk durchzieht, zeigt sich charakteristisch in Rockmores "Antwort" auf diejenigen, die aus der lebenslangen Zusammenarbeit von Marx und Engels auf eine gemeinsame philosophisch-theoretische Anschauung schließen.

"Ein Hauptgrund für die Ansicht, dass Marx und Engels die gemeinsamen Autoren einen einzigen, gemeinsamen Doktrin sind", schreibt Rockmore, "liegt in der engen Verbindung des Erstgenannten zum Letzteren. Das ist ein bisschen so, als würde man sagen, dass Leute, die in ihrer Freizeit zusammen herumhängen, auch gleich denken müssen" (S. 8).

"Zusammen herumhängen"? Diese Wortwahl trifft womöglich das Verhalten von Professor Rockmore und seinen Kumpanen an der Philosophiefakultät der Duquesne University. Für die Beziehung zwischen Marx und Engels ist sie schwerlich angemessen. Die enge geistige und politische Zusammenarbeit von Marx und Engels erstreckte sich über 39 Jahre, von 1844 bis zu Marx' Tod im Jahre 1883. In dieser Zeit hielten sie durch Briefe oder Besuche direkt und tagtäglich Verbindung zueinander. Der Briefwechsel zwischen Marx und Engels füllt nicht weniger als zehn Bände (à 500 bis 600 Seiten) der aktuellen Ausgabe ihrer Gesammelten Werke. Anhand dieser Briefe kann der Leser die geistige Entwicklung und Beziehung zwischen diesen zwei außergewöhnlichen Männern über vier Jahrzehnte hinweg verfolgen. Die philosophische Übereinstimmung, moralische Verbundenheit und persönliche Freundschaft, die aus ihnen spricht, dürfte in der Geschichte ohne Beispiel sein. Die Meinungsverschiedenheiten, die dabei auftraten - ob über theoretische, politische oder persönliche Angelegenheiten - sind hier ausnahmslos dokumentiert.

Abgesehen davon, dass sie die maßgeblichen philosophischen Werke des Marxismus - insbesondere Die deutsche Ideologie, die erste detaillierte Ausarbeitung der materialistischen Geschichtsauffassung - gemeinsam verfasst haben, äußerte sich Marx auch schriftlich ausführlich über Engels' Beitrag zur Entwicklung ihrer gemeinsamen theoretischen Weltanschauung. Rockmores Versuch, Engels als hinterlistigen Antihegelianer darzustellen, der Marx' anhaltende Ergebenheit gegenüber dem deutschen Idealismus vertuschte, wird schon allein durch das widerlegt, was Marx selbst 1859 zu diesem Thema im Vorwort zur Kritik der Politischen Ökonomie zu sagen hatte:

"Friedrich Engels, mit dem ich seit dem Erscheinen seiner genialen Skizze zur Kritik der ökonomischen Kategorien (in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern) einen steten schriftlichen Ideenaustausch unterhielt, war auf anderm Wege (vergleiche seine Lage der arbeitenden Klasse in England) mit mir zu demselben Resultat gelangt, und als er sich im Frühling 1845 ebenfalls in Brüssel niederließ, beschlossen wir, den Gegensatz unsrer Ansicht gegen die ideologische der deutschen Philosophie gemeinschaftlich auszuarbeiten, in der Tat mit unserm ehemaligen philosophischen Gewissen abzurechnen. Der Vorsatz ward ausgeführt in der Form einer Kritik der nachhegelschen Philosophie. Das Manuskript, zwei starke Oktavbände [ Die deutsche Ideologie ], war längst an seinem Verlagsort in Westphalen angelangt, als wir die Nachricht erhielten, daß veränderte Umstände den Druck nicht erlaubten. Wir überließen das Manuskript der nagenden Kritik der Mäuse um so williger, als wir unsern Hauptzweck erreicht hatten - Selbstverständigung. Von den zerstreuten Arbeiten, worin wir damals nach der einen oder andern Seite hin unsre Ansichten dem Publikum vorlegten, erwähne ich nur das von Engels und mir gemeinschaftlich verfaßte Manifest der Kommunistischen Partei und einen von mir veröffentlichten Discours sur le libre échange. Die entscheidenden Punkte unsrer Ansicht wurden zuerst wissenschaftlich, wenn auch nur polemisch, angedeutet in meiner 1847 herausgegebenen und gegen Proudhon gerichteten Schrift Misère de la philosophie etc " (MEW Bd. 13, S. 10).

Dass Marx in nur einem Absatz die Formulierungen "mit mir zu demselben Resultat gelangt", "unsrer Ansicht", "mit unserm ehemaligen philosophischen Gewissen", "als wir unsern Hauptzweck erreicht hatten - Selbstverständigung", "unsre Ansichten" und schließlich "die entscheidenden Punkte unsrer Ansicht" benutzt, zeigt deutlich das sehr hohe Maß an theoretischer Übereinstimmung zwischen ihm und Engels.

Obwohl sich Rockmore auf Marx' Vorwort zur Kritik der Politischen Ökonomie bezieht, zitiert er diese höchst bedeutende Passage nicht. Wie wir zeigen werden, ist dies nicht die einzige Gelegenheit, bei der Rockmore Äußerungen von Marx, die seiner eigenen These zuwiderlaufen, derart eklatant übergeht, dass man sich des Eindrucks der Unredlichkeit nicht erwehren kann.

In seinem Eifer, Engels zu diskreditieren, macht Rockmore geltend, dass Marx' lebenslangem Mitarbeiter einfach die nötige Bildung gefehlt habe, um Marx richtig verstehen zu können. Engels sei lediglich ein "philosophischer Autodidakt" gewesen, der "sich nicht um philosophische Feinheiten scherte" (S. 9). Rockmore erinnert seine Leser daran, dass "Marx Philosophie studierte und in diesem Fach seinen Doktor an der Universität machte. Engels dagegen erreichte keinen Hochschulabschluss. Er studierte Philosophie nur sporadisch und ihm fehlte einfach die erforderliche Schulung, ganz zu schweigen vom philosophischen Talent, um selbstständig hochwertige philosophische Arbeit zu leisten. Ihm fehlte auch die kultivierte Wertschätzung philosophischer Grundsätze und reine philosophische Erfindungsgabe von Marx. Als Philosoph war er bestenfalls ein talentierter Amateur mit Interesse am Thema" (S. 10).

Was für eine schale Mischung aus professoraler Arroganz und aufgeblasener Selbstgefälligkeit! Wenn auch Professor Rockmore offenbar großen Wert auf akademische Titel legt, dürfte es nicht leicht sein, anhand der Geschichte des philosophischen Denkens einen Zusammenhang zwischen der Befähigung zu ernsthafter philosophischer Tätigkeit und einem Doktortitel oder gar einer Stelle an der Philosophiefakultät einer Universität nachzuweisen. Wollte man die Philosophen nach Rockmores Maßstäben in die Kategorien ernsthaft und nicht ernsthaft unterteilen, so müssten wohl etliche bekannte Namen aus der Geistesgeschichte des Abendlands gestrichen werden - unter anderem Spinoza und Descartes. Wie wir der ausgezeichneten neuen Biografie über den Begründer des kartesischen Rationalismus von Desmond M. Clarke entnehmen können, war "Descartes' formale Bildung eng scholastisch und diente sicherlich nicht als Basis für die grundlegende Neugestaltung des menschlichen Wissens, die er schließlich vornahm" (Descartes: A Biography, Cambridge 2006, S. 37). Und wenn Rockmore den Begriff "Autodidakt" hier abwertend benutzt, möchte man hinzufügen, dass viele der größten Denker und Autoren in der Geschichte in diese Kategorie fallen.

Rockmores Darstellung von Engels intellektuellen Voraussetzungen, ganz zu schweigen von der Breite und Tiefe seines Wissens, insbesondere im Bereich der Philosophie, ist einfach falsch. Bereits als Engels das Elberfelder Gymnasium abschloss, hatte er einen Bildungsgrad erworben, den - wenn ich einen Tipp ins Blaue abgeben darf - Professor Rockmore unter seinen Doktoranden vermutlich sehr selten antrifft. Laut seinem Schulzeugnis vom September 1837 (als er noch nicht ganz 17 Jahre alt war), hatte Engels folgenden hohen Stand im Lateinischen erreicht: "Das Verständnis der betreffenden Schriftsteller, prosaischer wie poetischer Diction, namentlich des Livius und Cicero, des Virgilius und Horatius, wird ihm nicht schwer, so daß er mit Leichtigkeit in den Zusammenhang größerer Ganze einzugehen, den Gedankengang mit Klarheit aufzufassen und mit Gewandtheit das Vorliegende in die Muttersprache zu übertragen versteht." Im Bezug auf das Griechische heißt es im Zeugnis, Engels habe sich "eine genügende Kenntnis der Formenlehre und der syntaktischen Regeln, insbesondere aber eine gute Fertigkeit und Gewandtheit im Übersetzen der leichteren griechischen Prosaiker, wie des Homer und Euripides erworben, und wußte den Gedankengang in einem platonischen Dialog mit Geschick aufzufassen und wiederzugeben." Der Verfasser des Zeugnisses drückte ebenfalls seine Hochachtung für Engels Leistungen im Bereich der Mathematik, Physik und "Philosophischen Propädeutik" aus (MEGA I/2, S. 480f).

Rockmores zentrale Aussage lautet, Engels sei wegen mangelnder Bildungsvoraussetzungen und Begabungen nicht zu ernsthafter philosophischer Arbeit fähig gewesen. Angesichts dieser Behauptung ist es schockierend, dass er mit keinem Wort auf jene Episode in Engels früher Laufbahn eingeht, die ihn noch vor seinem ersten Zusammentreffen mit Marx zu einer herausragenden Figur des deutschen Geisteslebens machte - nämlich seiner Widerlegung von Friedrich Schelling. Als Schelling 1841 nach Berlin gerufen wurde, um den Einfluss des Hegelianismus unter radikal-demokratischen Studenten einzudämmen, sorgte das Eintreffen dieses in die Jahre gekommenen Philosophen in der preußischen Hauptstadt für Furore. Seine Vorlesungen galten als große philosophische Ereignisse und zogen ein zahlreiches Publikum an, zu dem auch der junge Kierkegaard, Bakunin und Engels zählten. Schelling, der in seiner Jugend mit Hegel ein Zimmer geteilt und zeitweise zu seinen engsten Freunden gezählt hatte, wies nun Hegels objektiv idealistisches System zurück und wandte sich stark dem philosophischen Subjektivismus und Irrationalismus zu. Darüber hinaus war Schellings frühes Renommee von Hegel überschattet worden, als dieser zur prägenden Gestalt der deutschen Philosophie heranwuchs. Doch nach Hegels Tod im Jahre 1831 sorgten sich die preußischen Staatsautoritäten zunehmend wegen der revolutionären Schlüsse, die die Studenten aus dem Spätwerk des Philosophen zogen. Schelling wurde die Aufgabe erteilt, der Ausbreitung der radikalen hegelianischen Seuche Einhalt zu gebieten.

Niemand anderes als Engels trat im Kampf zur Verteidigung von Ruf und Erbe des Hegelianismus als wichtigste Figur hervor. Drei Werke, die Engels zur Jahreswende 1941/42 schrieb - Schelling über Hegel, Schelling und die Offenbarung und Schelling, der Philosoph in Christo - wurden von der linkshegelianischen Jugend als durchschlagende Widerlegung Schellings vom hegelianischen Standpunkt aus gefeiert. Diese Texte würden Rockmores Behauptung, dass "Engels sich weder mit Philosophie noch mit Hegel auskannte" (S. 162), sofort ad absurdum führen. Er ignoriert sie aus purer theoretischer Unredlichkeit. Ereignisse oder Texte, die Rockmores dürftige These unterhöhlen, werden von ihm einfach übergangen oder flüchtig abgehandelt.

Rockmore erklärt wiederholt, Engels sei "Positivist" gewesen und habe der Überzeugung angehangen, dass die Philosophie vollkommen von der Naturwissenschaft abgelöst worden sei und jede intellektuelle Bedeutung verloren habe. Laut Rockmore behandelt Engels "Hegel ständig so, als ob die Philosophie des Letzteren vorwissenschaftlicher Unsinn sei" (S. 15). Bei der Lektüre solch himmelschreiender Unwahrheiten gewinnt man den Eindruck, dass Rockmore sich im vorherrschenden antimarxistischen Klima politischer und intellektueller Reaktion von allen traditionellen Maßstäben der akademischen Forschung und Darstellung befreit fühlt. Ob eine Feststellung wahr oder falsch ist oder ob sie auf der Grundlage schriftlicher Dokumente und historischer Aufzeichnungen belegt werden kann, ist von keinerlei Bedeutung. Er strebt nicht nach Klärung und theoretischer Exaktheit, sondern spult einen vorgefassten ideologischen Plan ab.

Man könnte mit Leichtigkeit dutzende Seiten mit Zitaten von Engels füllen, in denen er Hegels Genie hervorhebt und ihn in berühmt gewordenen Worten als "universellsten Kopf seiner Zeit" bezeichnet (MEW Bd. 20, S. 23). Engels Hochachtung für Hegel fand ihren plastischsten Ausdruck in seiner brillanten Schrift Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie. Hier bezog sich Engels auf Hegel als den "olympischen Zeus", der "einen Reichtum des Gedankens zu entwickeln [imstande war], der noch heute in Erstaunen setzt. Phänomenologie des Geistes (die man eine Parallele der Embryologie und der Paläontologie des Geistes nennen könnte, eine Entwicklung des individuellen Bewußtseins durch seine verschiedenen Stufen, gefaßt als abgekürzte Reproduktion der Stufen, die das Bewußtsein der Menschen geschichtlich durchgemacht), Logik, Naturphilosophie, Philosophie des Geistes, und diese letztere wieder in ihren einzelnen geschichtlichen Unterformen ausgearbeitet: Philosophie der Geschichte, des Rechts, der Religion, Geschichte der Philosophie, Ästhetik usw. - auf allen diesen verschiednen geschichtlichen Gebieten arbeitet Hegel daran, den durchgehenden Faden der Entwicklung aufzufinden und nachzuweisen; und da er nicht nur ein schöpferisches Genie war, sondern auch ein Mann von enzyklopädischer Gelehrsamkeit, so tritt er überall epochemachend auf. Es versteht sich von selbst, daß kraft der Notwendigkeiten des 'Systems' er hier oft genug zu jenen gewaltsamen Konstruktionen seine Zuflucht nehmen muß, von denen seine zwerghaften Anfeinder bis heute ein so entsetzliches Geschrei machen. Aber diese Konstruktionen sind nur der Rahmen und das Baugerüst seines Werks; hält man sich hierbei nicht unnötig auf, dringt man tiefer ein in den gewaltigen Bau, so findet man ungezählte Schätze, die auch heute noch ihren vollen Wert behaupten" (MEW Bd. 21, S. 269f).

Wie kann Rockmore angesichts dieser und zahlloser anderer Passagen aus Engels Feder behaupten, Engels habe Hegels Werk als "vorwissenschaftlichen Unsinn" abgetan? Rockmore geht offenbar davon aus, dass weder seine Verleger noch die akademische Welt, in der er an seiner Karriere bastelt, an diesen groben Fälschungen Anstoß nehmen. Bei Werken über den Marxismus scheinen alle Ansprüche an wissenschaftliche Genauigkeit und Disziplin aufgehoben. Das vorherrschende Motto lautet: "Alles ist erlaubt!"

Rockmores Behauptung, Engels sei ein Positivist gewesen, in dessen Augen die Entwicklung der Naturwissenschaft die Philosophie überflüssig gemacht habe, ist nicht weniger falsch. In Wirklichkeit schrieb Engels genau das Gegenteil. Er warnte wiederholt, dass die Arbeiten selbst der brillantesten Naturwissenschaftler insofern beschränkt seien, als ihnen die Geschichte des begrifflichen Denkens, wie es in der Entwicklung der Philosophie zum Ausdruck kommt, nicht hinreichend vertraut sei. Die "Kunst" des begrifflichen Denkens sei eine wesentliche Voraussetzung für die richtige Interpretation empirischer Forschungsergebnisse, betonte Engels, und könne nur durch das sorgfältige Studium der Philosophiegeschichte erworben werden. In einer zentralen Passage schrieb Engels:

"Die empirische Naturforschung hat eine so ungeheure Masse von positivem Erkenntnisstoff angehäuft, daß die Notwendigkeit, ihn auf jedem einzelnen Untersuchungsgebiet systematisch und nach seinem innern Zusammenhang zu ordnen, schlechthin unabweisbar geworden ist. Ebenso unabweisbar wird es, die einzelnen Erkenntnisgebiete unter sich in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Damit aber begibt sich die Naturwissenschaft auf das theoretische Gebiet, und hier versagen die Methoden der Empirie, hier kann nur das theoretische Denken helfen. Das theoretische Denken ist aber nur der Anlage nach eine angeborne Eigenschaft. Diese Anlage muß entwickelt, ausgebildet werden, und für diese Ausbildung gibt es bis jetzt kein andres Mittel als das Studium der bisherigen Philosophie." (MEW Bd. 20, S. 330)

Ich möchte noch eine weitere Passage zitieren, in der Engels der Philosophie genau die entgegengesetzte Bedeutung zuschreibt, die Rockmore ihm unterstellt:

"Die Naturforscher glauben sich von der Philosophie zu befreien, indem sie sie ignorieren oder über sie schimpfen. Da sie aber ohne Denken nicht vorankommen und zum Denken Denkbestimmungen nötig haben, diese Kategorien aber unbesehn aus dem von den Resten längst vergangner Philosophien beherrschten gemeinen Bewußtsein der sog. Gebildeten oder aus dem bißchen auf der Universität zwangsmäßig gehörter Philosophie (was nicht nur fragmentarisch, sondern auch ein Wirrwarr der Ansichten von Leuten der verschiedensten und meist schlechtesten Schulen ist) oder aus unkritischer und unsystematischer Lektüre philosophischer Schriften aller Art nehmen, so stehn sie nicht minder in der Knechtschaft der Philosophie, meist aber leider der schlechtesten, und die, die am meisten auf die Philosophie schimpfen, sind Sklaven grade der schlechtesten vulgarisierten Reste der schlechtesten Philosophien." (MEW Bd. 20, S. 480)

Mittlerweile müssen sich die Leser eine Frage stellen: Wie kann Rockmore angesichts der umfangreichen Schriften von Engels Behauptungen aufstellen, die so offenkundig falsch sind? Die Antwort lautet: "Willkommen in der Welt des professionellen akademischen Antimarxismus, wo alles erlaubt ist!"

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