Der gescheiterte Versuch des südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol, das Kriegsrecht zu verhängen, hat die autokratischen Grundlagen des südkoreanischen Staates offenbart, die sich unter dem Schleier der vermeintlich „blühenden asiatischen Demokratie“ verbergen.
Der gescheiterte Militärputsch vom 3. Dezember ist für die Arbeiter in Südkorea und weltweit eine Warnung, dass die herrschenden Klassen zu diktatorischen Methoden greifen, um ihre Kriegs- und Sparpolitik durchzusetzen.
Yoon verhängte am späten Dienstagabend (3.12.2024) das Kriegsrecht und beschuldigte die oppositionelle Demokratische Partei, sie bestehe aus Sympathisanten und Agenten Nordkoreas, die seinen Haushalt sabotieren und das Land „in den Abgrund des nationalen Ruins“ treiben würden. Das Militärregime unter der Führung von General Park An-soo verbot umgehend jede politische Betätigung und alle Streiks, verhängte eine allgemeine Zensur, genehmigte Verhaftungen ohne richterliche Anordnung und wies streikende Ärzte an, ihre Arbeit wieder aufzunehmen.
Tausende versammelten sich vor dem Gebäude der Nationalversammlung in Seoul. Soldaten und Polizisten gelang es nicht, die Einberufung des Parlaments zu verhindern und den Parlamentspräsidenten, die Führer der oppositionellen Demokratischen Partei (DP) und auch Yoons eigener People Power Party (PPP) zu verhaften. Die Versammlung, in der die DP die Mehrheit hat, trat zusammen und beschloss mit Unterstützung der anwesenden PPP-Mitglieder einstimmig, die Aufhebung des Kriegsrechts zu fordern.
Yoon gab nach stundenlangem Lavieren nach. Ein Festhalten am Kriegsrecht hätte gegen die verfassungsmäßige Bestimmung verstoßen, dass das Kriegsrecht nach einem Mehrheitsbeschluss der Nationalversammlung aufgehoben werden muss. Vorrangig war jedoch die Befürchtung in den herrschenden Kreisen, dass der Militärputsch Massenopposition und Streiks auslösen würde. Yoon machte einen Rückzieher und gab im nationalen Fernsehen bekannt, dass das Kriegsrecht aufgehoben werde und die Soldaten in die Kasernen zurückkehren würden.
Damit ist die Krise jedoch nicht gelöst. Das Patt zwischen dem Präsidenten und der von der Demokratischen Partei kontrollierten Nationalversammlung hält an. Die DP strebt ein Amtsenthebungsverfahren gegen Yoon an. Ihre Verbündeten im Koreanischen Gewerkschaftsbund (KCTU) haben zu begrenzten Streiks und Protesten aufgerufen, um den Rücktritt des Präsidenten zu fordern. Ihre zögerliche Reaktion wird nur zu weiteren Versuchen führen, die politische Krise mit diktatorischen Mitteln zu lösen.
Der Putschversuch in Südkorea geht nicht einfach auf Yoon als Person zurück, sondern spiegelt internationale Prozesse wider, die durch den Zusammenbruch des globalen Kapitalismus angetrieben werden. Die herrschende Klasse reagiert mit Krieg und Sozialkürzungen, was zu Massenwiderstand, Streiks und einer breiten politischen Radikalisierung der Arbeiter und Jugendlichen führt.
In den Vereinigten Staaten, dem Zentrum des Weltimperialismus, wird in Kürze der Faschist Donald Trump die Regierung übernehmen, der offen angekündigt hat, dass er wie ein Diktator regieren will. Er plant Sozialkürzungen in Billionenhöhe, die militärische Ausweisung von Millionen Einwanderern und polizeistaatliche Maßnahmen gegen politische Gegner und die Arbeiterklasse. Trump wird nicht nur den Krieg gegen Russland in der Ukraine und den Krieg im Nahen Osten fortsetzen, sondern auch die wirtschaftliche Kriegsführung, insbesondere gegen China, verschärfen und die Welt in Richtung eines nuklearen Holocaust treiben.
Europa ist keine Ausnahme. Rechtsextreme und offen faschistische Kräfte sind entweder an der Macht, wie in Italien, oder spielen in der Politik eine immer dominierende Rolle, wie in Deutschland und Frankreich, wo die Regierung kurz vor dem Zusammenbruch steht. Alle europäischen imperialistischen Mächte rüsten auf und mischen aggressiv im Krieg gegen Russland mit, um ihre strategischen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Den Preis dafür soll die Arbeiterklasse bezahlen. Eine solche Agenda kann nicht mit demokratischen Mitteln durchgesetzt werden.
Die Washington Post hat den gescheiterten Staatsstreich in Südkorea zum Anlass genommen, die Stärke der bürgerlichen Demokratie zu preisen: „Glücklicherweise hat Südkorea den Test überstanden, und seine Demokratie ist nicht nur unversehrt, sondern auch gestärkt daraus hervorgegangen. In einer Zeit, in der die Demokratie weltweit auf dem Rückzug zu sein scheint – und viele Amerikaner sich Sorgen um ihre Zukunft in den Vereinigten Staaten machen – sollten diese Ereignisse den Glauben daran stärken, dass demokratische Institutionen widerstandsfähig sind und der Wunsch der Menschen nach Freiheit universell ist.“
Ganz ähnlich hatte sich die Post auch nach Trumps gewaltsamem Putschversuch vom 6. Januar 2021 geäußert, als seine Anhänger das Kapitol stürmten. Trump scheiterte, schmiedete jedoch präzise Pläne für einen erneuten Anlauf im Jahr 2024. Ein gewaltsames Vorgehen erwies sich letztlich als unnötig, weil der politische Bankrott der Demokraten ihm den Wahlsieg bescherte. Die Regierung Biden hat nun versprochen, einen reibungslosen Übergang zu einer rechtsextremen Trump-Regierung zu ermöglichen.
Möglicherweise war es die Aussicht auf Trumps Regierungsübernahme, die Yoon zu dem Versuch ermutigte, sich selbst zum Diktator aufzuschwingen. Tatsächlich erinnert Yoons antikommunistische Hetze gegen „nordkoreanische Agenten“ an Trumps Demagogie vom „inneren Feind“' – womit er vor allem der Arbeiterklasse meint.
Zweifellos wusste die Regierung Biden über die Putschvorbereitungen in Südkorea Bescheid oder drückte zumindest ein Auge zu. Die Kommandostrukturen der 28.500 in Südkorea stationierten US-Soldaten sind eng mit dem südkoreanischen Militär verzahnt. Nachdem Yoon einen Rückzieher gemacht hatte, zog das Weiße Haus nach und behauptete, es sei vorab nicht offiziell über den Staatsstreich informiert worden.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Yoon hat die Regierung Biden bei ihren Kriegsvorbereitungen gegen China, bei der Formalisierung enger militärischer Beziehungen zu Japan und beim Krieg gegen Russland in der Ukraine aktiv unterstützt.
Der Putschversuch in Südkorea entlarvt den Mythos, dass Washington die in den 1980er und 1990er Jahren entstandenen „blühenden Demokratien“ Asiens gegen das autokratische China verteidige. Die Militärdiktaturen in der gesamten Region, die der US-Imperialismus im Kalten Krieg großzügig ausgehalten hatte, wurden – mit Unterstützung Washingtons – erst abgeschafft, als sie ein Hindernis für die Integration der „Tigerstaaten“ in die globalisierten Produktionsketten darstellten.
Südkorea ist ein typisches Beispiel. Die Teilung der koreanischen Halbinsel durch den US-Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg war nur durch die Einsetzung des Marionettenregimes unter Syngman Rhee möglich. Die Opposition wurde gewaltsam unterdrückt, und die Diktatur Rhees durch den Koreakrieg verteidigt, der viele Millionen Menschen das Leben kostete. Zwar wurden 1987 nach Massenstreiks und Protesten Wahlen abgehalten und der Anschein von Demokratie erzeugt, doch der Staatsapparat der Diktatur blieb weitgehend intakt. Die People Power Party von Yoon ist ein direkter Nachfahre der Partei der südkoreanischen Diktatur und knüpft an deren bösartige antikommunistische Ideologie an.
Ein ähnliches Muster findet sich in ganz Asien, wo die von den USA unterstützten und installierten Diktaturen nominell durch Demokratien ersetzt wurden, die nun unter enormen Spannungen stehen oder bereits zusammengebrochen sind. In Indonesien ist der Schwiegersohn des Diktators Suharto, Prabowo Subianto, mittlerweile Präsident und hat sich unzähliger Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht, was Washington ihm natürlich nicht verübelt. Auf den Philippinen regiert der Sohn des Diktators Ferdinand Marcos, Präsident Ferdinand Marcos Jr., und fungiert als Kettenhund der USA gegen China. In Thailand wurde das durch den Putsch von 2014 errichtete Militärregime durch eine nominell gewählte Regierung ersetzt, in der das Militär die Peitsche in schwingt.
In jedem Fall hat die sogenannte bürgerlich-demokratische Opposition – ob in den USA, in Europa oder in Asien – den Übergang zu Faschismus und Diktatur begünstigt. Diese Entwicklung unterstreicht eine grundlegende Aussage von Leo Trotzkis Theorie der permanenten Revolution: In der Epoche des Imperialismus ist die Bourgeoisie insgesamt organisch unfähig, demokratische Rechte zu verteidigen. Sie fürchtet das Proletariat und die von ihm ausgehende Bedrohung des kapitalistischen Systems weit mehr als die Aussicht auf eine Diktatur.
Das einzige Mittel zur Verteidigung demokratischer Rechte ist die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse im Rahmen des internationalen Kampfs für den Sozialismus. Nur so kann verhindert werden, dass die Menschheit in einem Weltkrieg und einer immer tieferen gesellschaftlichen Krise versinkt.