Gestern veröffentlichte die Zentrale Nordkoreanische Nachrichtenagentur (KCNA) ein empörtes Statement gegen das gemeinsame Luftwaffenmanöver „Max Thunder“, das Südkorea und die USA am 11. Mai begonnen haben. Es handele sich, so die KCNA, um eine „offene Infragestellung“ der Friedensgespräche vom vergangenen Monat und um eine „grobe und bösartige Provokation“.
Die KCNA bezog sich auf einen „Kommentar“, in dem die USA die „Max-Thunder“-Kriegsspiele ausdrücklich in den Rahmen des „maximalen Drucks und der Sanktionen“ gegen Nordkorea stellen. Die Trump-Regierung hält daran fest, dass die USA ihre militärischen Drohgebärden und ihr Wirtschaftsembargo erst einstellen, wenn Nordkorea dem „vollständigen“ und „überprüfbaren“ Abbau seines geringfügigen Atomwaffenarsenals zustimmt.
Die KCNA gab bekannt, dass Pjöngjang als Vergeltung die für gestern auf höchster Ebene geplanten Gespräche mit Südkorea „aussetzt“. Sie ermahnte Washington, „das Schicksal des für den 12. Juni geplanten Gipfels“ zwischen Kim Jong-un und US-Präsident Donald Trump „sorgfältig zu überdenken“. Pjöngjang werde „das Verhalten der USA und der südkoreanischen Behörden genau beobachten“.
Die scharfe Reaktion Nordkoreas auf die seit langem geplante jährliche Militärübung scheint sowohl die Regierung Trump als auch die südkoreanische Regierung etwas überrascht zu haben. Erst am 9. Mai hatte Pjöngjang nach Gesprächen mit US-Außenminister Mike Pompeo drei amerikanische Gefangene freigelassen. Am 10. Mai – einen Tag vor Beginn von „Max Thunder“ – hatten Pompeo und der südkoreanische Außenminister Kang Kyung-wha auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Washington erklärt, Nordkorea habe die Bedingungen der USA für die „Denuklearisierung“ weitgehend akzeptiert.
In Medieninterviews hatten Pompeo und andere Regierungsmitglieder am Wochenende die Erwartung geschürt, dass sich Pjöngjang den Forderungen Washingtons unterwerfen werde. Allerdings wurde Pompeos Optimismus in den USA einhellig als „naiv“ und „blauäugig“ kritisiert und sogar verspottet. Überall in der US-amerikanischen, südkoreanischen und internationalen Presse wurde der ehemalige nordkoreanische Botschafter in Großbritannien, Thae Yong-ho, der 2016 nach Südkorea übergelaufen war, mit den Worten zitiert, dass Nordkorea seine Atomwaffen „niemals“ aufgeben würde.
Die Trump-Regierung hat sich und Nordkorea in eine Sackgasse manövriert.
Um Gegner und Kritiker in der amerikanischen herrschenden Klasse zu besänftigen, hat Trump geschworen, die Gespräche abzusagen, wenn Nordkorea sich nicht bereiterklärt, „die Massenvernichtungswaffen unverzüglich dauerhaft, überprüfbar und irreversibel abzubauen“, wie Pompeo sich ausdrückte.
Um seine einheimischen Kritiker und die US-Militärgeheimdienste sowie Japan und Teile des südkoreanischen Establishments zu beschwichtigen, hat Trump einen Rückzug der amerikanischen Streitkräfte aus Südkorea ausgeschlossen. Doch an eben diese Bedingung knüpft Nordkorea seit jeher die Zustimmung zur Aufgabe seiner Waffenprogramme und zur Unterzeichnung eines Friedensvertrags, mit dem der Koreakrieg von 1950-1953 offiziell beendet würde.
Mit seinem jüngsten Statement macht Nordkorea deutlich, dass es bessere Bedingungen für die bevorstehenden Verhandlungen herausschlagen möchte. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Erklärung kurz nach den gestrigen Gesprächen Nordkoreas mit Spitzenbeamten in China abgegeben wurde. Für China steht auf der koreanischen Halbinsel viel auf dem Spiel, und es betreibt eine eigene diplomatische Offensive, um seine dortigen Interessen zu wahren.
Nordkorea dient China seit dem Koreakrieg als Puffer zwischen seiner Grenze zur koreanischen Halbinsel und den USA bzw. den mit ihnen verbündeten Streitkräften in der Region. In den letzten zehn Jahren haben die Spannungen zugenommen, da Pjöngjangs Streben nach Atomwaffen Washington einen Vorwand geliefert hat, Umfang und Ausrüstung der US-Streitkräfte in der Region massiv zu erhöhen. Auch der japanische Imperialismus hat Pjöngjangs Haltung ausgenutzt, um seine Militärausgaben und -kapazitäten zu steigern und die pazifistischen Verfassungsklauseln auszuhebeln, die nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt wurden, um Angriffskriege grundsätzlich zu unterbinden.
China stört vor allem die Stationierung moderner Raketenabwehrsysteme durch die USA und Japan. So wurde vergangenes Jahr das THAAD-System in Südkorea installiert, das weit in chinesisches Territorium hineinreichen kann.
Der Raketenschutzschild wird als Abwehrreaktion auf die angebliche Bedrohung durch Nordkorea dargestellt, ist jedoch in Wirklichkeit Teil der US-Vorbereitungen auf einen nuklearen „Erstschlag“ gegen China im Kriegsfall. Die Atomkriegsstrategie der USA sieht vor, so viele chinesische Waffen wie möglich zu zerstören, bevor sie gestartet werden können, und mit den Abwehrbatterien alle Raketen, die als Vergeltung abgefeuert werden, abzuschießen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
In der nationalen Verteidigungsstrategie der USA von 2018 wird China offen als der größte „strategische Konkurrent“ der USA bezeichnet. Das Pentagon müsse „die Kriegsbereitschaft priorisieren“, indem es sein ohnehin riesiges Atomwaffenarsenal weiter ausbaue.
Peking hat gemeinsam mit der Trump-Regierung die härtesten Wirtschaftssanktionen aller Zeiten gegen Nordkorea verhängt und verlangt die Einstellung seiner Waffenprogramme. Dabei verfolgt China jedoch das Ziel, sowohl den USA als auch Japan einen ihrer Vorwände für die militärische Aufrüstung in der Region zu nehmen.
Längerfristig geht Peking davon aus, dass die Öffnung Nordkoreas für eine Flut von Investitionen zu einer noch größeren wirtschaftlichen Verflechtung zwischen China und Südkorea führen und den Flügel des südkoreanischen Establishments stärken würde, der das militärische Bündnis mit den USA als unnötig und sogar schädlich für seine Interessen ansieht.
Mit Sicherheit übt Peking enormen Druck auf Nordkorea aus. Beispielsweise dürfte es substanzielle Wirtschaftshilfen an die Bedingung knüpfen, dass kein Abkommen mit Washington geschlossen wird, das chinesischen Interessen zuwiderläuft. China dürfte darauf drängen, dass Pjöngjang zumindest den Abzug des THAAD-Systems, die Einbeziehung Chinas und Russlands in jede „Überprüfung“ der Denuklearisierung sowie eine Garantie verlangt, dass sich die amerikanischen und südkoreanischen Streitkräfte nicht nördlich der bestehenden Grenze bewegen.
Auch innerhalb des nordkoreanischen Regimes könnte es große Meinungsverschiedenheiten geben, womöglich gibt es Fraktionen, die jegliche Zugeständnisse an die USA und Südkorea ablehnen.
Auch die Trump-Regierung, die ihrerseits innenpolitisch unter Druck steht und den Handelsstreit ebenso anheizt wie die strategischen Spannungen mit China, könnte die Gespräche absagen oder abbrechen. Ihre einzige Alternative zur Entwaffnung Nordkoreas ist die „völlige Vernichtung“ des Landes: eine implizite Drohung mit einem massiven militärischen Angriff, möglicherweise mit Atomwaffen.