Frankreich: Arbeiter nach Polizeiangriff im Koma

Ein 39-jähriger französischer Telefonangestellter befindet sich nach brutalen Schlägen der Bereitschaftspolizei im Koma: Cyril Ferez wurde am Schluss der großen Massendemonstration vom letzten Samstag in Paris niedergeschlagen. Die Demonstration richtete sich gegen den Ersteinstellungsvertrag (CPE) der gaullistischen Regierung, der es Arbeitgebern erlaubt, junge Arbeiter in den ersten beiden Beschäftigungsjahren ohne Begründung zu entlassen. Mehr als eine Million Arbeiter und Studenten demonstrierten am Samstag gegen die Maßnahme, davon 350.000 alleine in Paris.

Ferez wurde von der Polizei attackiert, als er auf der Place de la Nation demonstrierte, wo die Pariser Demonstration letzten Samstag ihren Abschluss fand.

Ferez, Mitglied der Gewerkschaft SUD-PTT, befindet sich in kritischem Zustand. Er liegt auf der neurologischen Station des Pariser Krankenhauses Henri-Mondor de Créteil. Er leidet nach den Angaben des Krankenhauses an einem "schweren Schädel-Hirn-Trauma". Gewerkschaftsvertreter Bernard Allaire sagte gegenüber Reuters: "Seine Lage ist äußerst ernst. Niemand außer seinen unmittelbaren Familienangehörigen darf ihn besuchen."

Zeugen berichteten, dass der Kollege verletzt wurde, als die Bereitschaftspolizei (gardes-mobiles) gegen einen Teil der Demonstration am Place de la Nation vorging. Sie sagten, Polizisten hätten Ferez gegen den Kopf getreten. Andere Beobachter sagten aus, die Polizei habe sich geweigert, medizinische Hilfe zu rufen, obwohl der Mann schon zwanzig Minuten lang bewusstlos am Boden lag. Demonstrationsteilnehmer riefen darauf Feuerwehrleute zu Hilfe, die Ferez ins Krankenhaus fuhren.

Ferez’ Zustand ist ein tragisches Beispiel für die Rücksichtslosigkeit der gaullistischen Regierung und der herrschenden Elite Frankreichs, die entschlossen sind, den CPE als wichtigen Bestandteil der Abschaffung jeglichen Kündigungsschutzes und grundlegender Sozialleistungen durchzusetzen. Am Montag verlangten Wirtschaftsführer von Premierminister Dominique de Villepin, sein Versprechen, den CPE durchzusetzen, auch gegen die massive Opposition in der Bevölkerung und die zunehmenden Proteste einzulösen. Sie taten dies nach einem Treffen des Premierministers mit vierundzwanzig der mächtigsten Wirtschaftsführer des Landes.

Ein Teilnehmer dieses Treffens sagte: "Wenn das Gesetz zurückgezogen wird, können wir uns für die nächsten zehn Jahre von Reformen verabschieden, das wäre ein fürchterliches Signal."

Elie Cohen, Mitglied des Rats für Wirtschaftsforschung, einem Beratungsgremium des Premierministers, erklärte: "Es geht nicht mehr nur um den CPE, es geht um die Reformfähigkeit Frankreichs."

De Villepin hat kein Wort des Bedauerns über den üblen Angriff auf Ferez verlauten lassen, ja er hat ihn nicht einmal zur Kenntnis genommen. Damit hat de Villepin seine Bereitschaft signalisiert, die Polizeigewalt gegen streikende Studenten und protestierende Arbeiter zu verschärfen.

Derweil bemühen sich die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und die Gewerkschaften intensiv, die Bewegung gegen den CPE unter Kontrolle zu bekommen und zu verhindern, dass sie sich zu einem politischen Kampf zum Sturz der gaullistischen Regierung entwickelt. Bei einem Treffen von Studentenführern mit Gewerkschaftsvertretern am Montag Abend lehnten die drei größten Gewerkschaften, die CGT, die CFDT und Force Ouvrier (FO), es ab, für Donnerstag, den 23. März, wenn der nächste nationale Protesttag der Studenten in Paris stattfindet, einen eintägigen Generalstreik auszurufen. Stattdessen riefen die Gewerkschaften zu einem weiteren nationalen "Aktionstag" am 28. März auf. Damit verschafften sie der Regierung die nötige Zeit, weitere Manöver und Provokationen auszuführen, während die Gewerkschaftsführer und die Parteien der offiziellen "Linken" darauf hinarbeiten, die Oppositionsbewegung zu demoralisieren und sich totlaufen zu lassen.

Cyril Ferez lebt bei Paris und arbeitet für den Telekom-Anbieter Orange. Seine Gewerkschaft SUD-PTT hat Zeugenaussagen und Photos von dem Zwischenfall gesammelt. Ihr liegt, wie sie sagt, "gegen die Polizei ein absolut wasserdichter Fall" vor.

Die Erklärung der Gewerkschaft lautet: "Nach der Demonstration gegen den CPE hielt Cyril sich auf der Place de la Nation auf. Er hatte das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, und wurde von der Polizei niedergetrampelt. Sie ‚hielten es nicht für sinnvoll’, einen Krankenwagen zu rufen. Heute schwebt Cyril, ein Mitglied der SUD-PTT, zwischen Leben und Tod.

Alle Demonstranten und Passanten haben den Zwischenfall gesehen. Mit jeder Demonstration wird die Haltung der Polizei drohender und provokativer. Das Risiko steigt, dass Dinge außer Kontrolle geraten und Unfälle passieren. Wie in Paris greift die Polizei auch in den Provinzen immer öfter ein und nimmt Leute fest. Cyril, der in keiner Weise ein Unruhestifter ist, wurde zu Boden gestoßen, und Polizisten trampelten in schändlicher Weise auf ihm herum. Und als ob das nicht genug wäre, weigerte sich die Polizei auch noch, Hilfe zu rufen. Cyril lag mindestens zwanzig Minuten ohne ärztliche Versorgung da."

Sandra Demarq, Vorstandsmitglied von SUD-PTT, war Zeugin des Polizeiangriffs. "Wir sahen Zusammenstöße mit der Polizei, und plötzlich kam es auf dem Platz zu einer riesigen Attacke", sagte sie auf Radio Europe 1. "Dann zogen sie sich zurück, und wir sahen jemanden auf dem Boden liegen. Wir sahen ein PTT-Mitglied auf dem Boden mit schweren Verletzungen im Gesicht, hervorquellenden Augen und blutender Nase. Es waren gardes-mobiles in der Nähe, aber sie rührten keinen Finger. Zwei junge Studenten holten Hilfe und trafen auf die Feuerwehrleute."

Die Regierung de Villepin hat offiziell auf den Zwischenfall nicht reagiert. Ein Sprecher sagte gegenüber der Zeitung Figaro, Innenminister Nicolas Sarkozy werde "sich nicht äußern, da er noch nicht über alle Informationen verfügt".

Die Einlieferung des Gewerkschafters ins Krankenhaus wirft ein Licht auf die gewalttätigen Methoden, mit denen die französische Bereitschaftspolizei gegen die Teilnehmer der Anti-CPE-Demonstrationen vorgeht. Bei der Demonstration am Samstag in Paris wurden siebzehn Demonstranten von der Polizei verletzt, und bei den Studentenprotesten am 16. März waren es achtzehn. Die Bereitschaftspolizei setzte Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke gegen Teile der Demonstrationen von Paris, Marseille, Bordeaux, Rennes und Lille ein.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese Taktik zu gravierenden Verletzungen oder gar Todesfällen führen musste. Die Verantwortung für die Gewalt liegt letztlich bei der Regierung von de Villepin und Präsident Jacques Chirac. Der Polizeiangriff auf Ferez zeigt die Haltung des französischen Staates gegenüber Arbeitern und Jugendlichen, die die sozialen Errungenschaften verteidigen, die die Arbeiterklasse in der Nachkriegszeit erkämpft hat.

Nach der Demonstration vom Samstag gaben die Behörden eine Erklärung heraus, in der sie die Anzahl der verletzten Demonstranten bekannt gaben; sie behaupteten jedoch, es habe keine ernsthaften Verletzungen gegeben. Die Einlieferung von Ferez ins Krankenhaus wurde erst am Montag offiziell bestätigt. Die Polizei teilte den Medien mit, der Verletzte sei bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus "volltrunken" gewesen. Sie erklärten nicht, wie diese Einschätzung mit den lebensbedrohlichen Kopfverletzungen des Mannes zusammenpasste.

In der Erklärung von SUD-PTT wurde diese Behauptung zurückgewiesen. "Zur eigenen Rechtfertigung verleumdet die Polizei wieder einmal das Opfer, wenn sie behauptet, der Zwischenfall sei durch Trunkenheit verursacht worden", erklärte die Gewerkschaft. "Auch wenn eine interne Polizeiuntersuchung noch andauert, ist dies die einzige Information, die an die Presse gelangt. (...) Wie immer glaubt die Polizei, sich alles erlauben zu dürfen, und schreckt nicht davor zurück, ihre Opfer zu verleumden, um sich selbst rein zu waschen."

BBC zufolge behauptet ein Sanitäter der CRS, Ferez habe angegeben, von anderen Demonstranten geschlagen worden zu sein. Die SUD-PTT wirft der Polizei vor, eine Vertuschungsaktion zu betreiben.

Siehe auch:
Frankreich: Der Konflikt um den Ersteinstellungsvertrag CPE spitzt sich zu
(21. März 2006)
Frankreich: Politische Fragen im Kampf gegen den Ersteinstellungsvertrag
( 18. März 2006)
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