Frankreich: Der Konflikt um den Ersteinstellungsvertrag CPE spitzt sich zu

Nach den Massendemonstrationen vom Samstag hat sich am Wochenende die Auseinandersetzung über den Contrat première embauche (CPE) in Frankreich weiter zugespitzt.

Premierminister Dominique de Villepin bekräftigte seine Entschlossenheit, an der Änderung des Arbeitsrechts festzuhalten, die es den Unternehmen ermöglicht, Jugendliche unter 26 Jahren in den ersten zwei Jahren ihrer Beschäftigung ohne jede Begründung zu entlassen. Es stehe außer Frage, das Gesetz zurückzuziehen, sagte Regierungssprecher François Copé. Es könne höchstens "verbessert" werden.

Die Gewerkschaften, die Sozialistische Partei (PS), die Kommunistische Partei (KPF) und die kleinbürgerlichen Linken bemühen sich indessen, die Bewegung unter Kontrolle zu bringen, die breite Schichten der Bevölkerung erfasst hat. Obwohl offensichtlich ist, dass die Regierung das neue Gesetz weder zurücknehmen will noch kann, meiden sie die Forderung nach dem Rücktritt der Regierung wie der Teufel das Weihwasser. Stattdessen suchen sie nach einem Weg, wie der Konflikt möglichst bald beigelegt und die Regierung wieder stabilisiert werden kann.

Presseberichten zufolge soll Villepin den ganzen Sonntag in Diskussionen mit verschiedenen Ministern verbracht und auch mehrmals mit Präsident Jacques Chirac telefoniert haben. Außerdem besprach er sich mit Ökonomen und Persönlichkeiten der "Zivilgesellschaft", deren Identität aber nicht bekannt gegeben wurde. Am Montag traf er sich dann im Beisein von vier Ministern mit zwanzig Wirtschaftsbossen, die ihm demonstrativ den Rücken stärkten. Mit den Gewerkschaften sprach er dagegen - zu deren großen Enttäuschung - nicht.

In der Bevölkerung wächst mittlerweile der Widerstand gegen das Gesetz. Einer aktuellen Umfrage zufolge lehnen es fast drei Viertel aller Franzosen ab. 38 Prozent gaben an, dass es verändert werden müsse, 35 Prozent sprachen sich für seine völlige Abschaffung aus. Unter den 15- bis 24-Jährigen lag die Ablehnung sogar bei 80 Prozent.

In Dijon trafen sich am Sonntag 450 Studentenvertreter aus den besetzten Universitäten. Rund zwei Drittel der 84 Hochschulen des Landes werden zurzeit aus Protest gegen die CPE blockiert. Nach 17-stündiger Diskussion verabschiedeten sie einen Aufruf für einen branchenübergreifenden Streik, der so lange dauern soll, bis die Regierung den CPE zurückzieht. Für Mittwoch und Donnerstag riefen die Studentenvertreter zu weiteren Aktionstagen auf; am Donnerstag soll eine zentrale Demonstration in Paris stattfinden, die auch der Gymnasiastenverband FIDL unterstützt.

Auch die Gewerkschaften hatten nach der Demonstration vom Samstag mit Streiks gedroht, falls die Regierung nicht nachgebe. Der Vorsitzende der CGT, Bernard Thibault, sprach sogar von einem Generalstreik. Jean-Claude Mailly, Generalsekretär der FO, erklärte, die Mobilisierung müsse offensichtlich fortgesetzt werden. Damit sie erfolgreich sei, müssten mehrere Gewerkschaften zu einem branchenübergreifenden Streik aufrufen. Und die CFDT verkündete, man habe entschieden, der Regierung "über das Wochenende Zeit zum Reagieren zu geben".

Mehrere Zeitungen erschienen darauf mit der Schlagzeile: "Ultimatum an Frankreichs Regierung". Wenn diese nicht innerhalb von 48 Stunden reagiere, so der Tenor, würden die Gewerkschaften zum Streik aufrufen. In Wirklichkeit liegt den Gewerkschaftsführern nichts ferner, als eine offene Konfrontation mit der Regierung, geschweige denn deren Sturz.

Der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft FSU, Gérard Aschieri, sprach offen aus, was die Gewerkschaftsführer antreibt: "Wir können uns nicht mehr erlauben abzuwarten, denn die Studentenbewegung wird weitergehen, und das könnte gefährlich werden", zitierte ihn Le Figaro. "Wir brauchen also nächste Woche einen Streik, wir werden einen Aufruf herausgeben." Mit anderen Worten, Aschieri fürchtet, dass den Gewerkschaften die Kontrolle über die Bewegung entgleitet, falls sie nicht selbst aktiv sind.

Am Montagabend kreißte dann der Berg und gebar eine Maus. Zwölf Gewerkschaftsverbände trafen sich, um das weitere Vorgehen zu diskutieren. Sie beschlossen einen weiteren Aktionstag (mittlerweile den vierten) am Dienstag in einer Woche, den 28. März.

Die protestierenden Schüler und Studenten werden so zehn Tage hängen gelassen, die Regierung gewinnt Zeit für Manöver und Provokationen - und kurz danach beginnen die Frühjahrsferien, in denen, so die Hoffnung der Gewerkschaftsführer, die Proteste abebben werden.

Der Generalsekretär der CFDT, Francois Chérèque, hatte schon am Sonntag in einem Interview mit France Inter heftig zurückgerudert. Auf das angebliche 48-stündige Ultimatum angesprochen, sagte er, seine Organisation habe "noch nie ein Ultimatum gestellt". Ihr sei es vielmehr darum gegangen, "dass alle zwei Tage zum Nachdenken haben". Und zum Streik könne er nicht aufrufen, ohne dies vorher mit allen Regional- und Ortsverbänden seiner Gewerkschaft diskutiert zu haben. "Generalstreiks sind bei uns nicht üblich."

Die Gewerkschaften hatten am CPE von Anfang an weniger den Inhalt kritisiert, als die Tatsache, dass Villepin ihn ohne Rücksprache mit ihnen durchs Parlament peitschte. In der Vergangenheit hatten sie ähnliche Maßnahmen widerspruchslos mitgetragen und die Opposition dagegen unterdrückt. Erst im vergangenen Sommer hatte die Regierung eine ganz ähnliche Regelung, den Contrat nouvelle embauche (CNE) für Betriebe mit weniger als zwanzig Beschäftigten beschlossen, ohne dass es von Seiten der Gewerkschaften Widerstand gegeben hätte.

Wie in anderen europäischen Ländern auch, wäre der pausenlose Sozialabbau der vergangenen Jahre auch in Frankreich ohne die Komplizenschaft der Gewerkschaften nicht möglich gewesen. Nun fürchten sie, dass sie ihre Rolle als Mittelsmänner verlieren und nicht mehr gebraucht werden.

Unter den politischen Parteien hat die Auseinandersetzung über den CPE hektische Aktivitäten ausgelöst.

Die Sozialistische Partei (SP) schwankt zwischen der Hoffnung, dass der Protest gegen die Regierung ihre Wahlchancen erhöht, und der Angst, dass der Konflikt außer Kontrolle gerät. Führende Parteimitglieder, einschließlich des Vorsitzenden François Hollande, haben sich am Samstag an den Demonstrationen beteiligt. Hollande versprach, den CPE wieder abzuschaffen, falls die Sozialisten im kommenden Jahr die Wahlen gewinnen, und schlug vor, die Proteste bis dahin auszusetzen: "Wenn die Regierung zum jetzigen Zeitpunkt nicht von ihrer Formel abrücken will, suspendieren wir sie bis 2007, und 2007 können die Franzosen wählen."

Die Sozialisten bemühen sich nach Kräften, den Konflikt zu dämpfen. "Die Hauptverantwortlichen der Partei zögern: Soll man das Feuer anfachen oder nicht?" schildert der konservative Figaro ihre Haltung. Alle seien auf der Suche nach einem Ausweg aus der Krise. Hollande wolle alle zusammenrufen - Jugendliche, Studenten, Gewerkschaften und selbst die Gegner - um die "richtige Formel" zu finden, Laurent Fabius schlage vor, alle "an einen Tisch zu setzen", und Dominique Strauss-Kahn habe an Präsident Chirac appelliert, "eine Lösung zu finden".

Julien Dray, der Sprecher der Partei, warf der Regierung vor, sie schaffe die Bedingungen für Unruhen, weil sie mit dem Kopf durch die Wand wolle. "Wenn die Jugendlichen einmal auf der Straße sind, weiß man nicht, was passiert. Alles kann ins Schleudern kommen."

Die Sozialisten sorgen sich nicht zufällig um den Erhalt der Ordnung. Die letzte sozialistische geführte Regierung unter Lionel Jospin hatte sehr ähnlich Maßnahmen durchgeführt, wie sie Villepin nun versucht. Und als Jospin dafür 2002 die Quittung bekam und bei der Präsidentenwahl dem Kandidaten der Nationalen Front unterlag, warben die Sozialisten für Chirac und erklärten ihn zur Verkörperung "republikanischer Werte". Die SP steht Villepin, Chirac und ihren Hintermännern in der Wirtschaft tausend Mal näher, als den Jugendlichen und Arbeitern, die sich durch die CPE als Wegwerfartikel, als "Generation Kleenex", behandelt fühlen.

Ähnlich wie die Sozialistische verhält sich auch die Kommunistische Partei (KPF). Sie ruft zum Rückzug des CPE auf und appelliert dabei an die "politische Verantwortung" der Regierung. Diese solle endlich aufhören, sich "wie eine Mauer zu benehmen", forderte die KPF-Vorsitzende Marie-George Buffet.

Es ist offensichtlich, dass beide Parteien bemüht sind, den Konflikt über den CPE möglichst rasch zu entschärfen, um eine weitere Unterhöhlung der staatlichen Autorität zu vermeiden. Was sie auf keinen Fall wollen, ist, dass die Regierung unter dem Druck der Straße fällt. Deshalb vermeiden sie es auch sorgfältig, zum Rücktritt der Regierung aufzurufen, und bieten immer wieder ihre Dialogbereitschaft an.

Unterstützt werden sie dabei von den Pseudolinken der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR). Diese ruft einerseits zur Ausweitung der Mobilisierung bis hin zu einem "berufs- und generationenübergreifenden Generalstreik" auf, während sie andererseits bemüht ist, die Bewegung ins Fahrwasser von SP, KPF und Gewerkschaften zu lenken und jegliche Kritik an diesen Organisationen zu unterbinden.

So hat Olivier Besancenot, der Wortführer der LCR, alle linken Kräfte und ihre Führer, "von Lutte Ouvrière bis zur Sozialistischen Partei", zu einer gemeinsamen Initiative eingeladen. "Die gesamte Linke (soll) über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg ihre Verantwortung wahrnehmen und die durch die Stundenten- und Jugendorganisationen geplante Mobilisierung unterstützen."

Wer Vorbehalte gegenüber der PS und der KPF hat, wird vom LCR-Organ Rouge belehrt: "Was immer die Ziele und politischen Berechnungen der Sozialistischen Partei sind und wie sehr sich die Gewerkschaftsführungen vor einer Konfrontation mit der Regierung und dem Staat fürchten mögen, sie sind alle gezwungen, die Bewegung zu begleiten und zu unterstützen. Ihre treibende Kraft sind die Jugendlichen, die sich im Kampf engagieren, die für den Sieg und die Ausdehnung der Bewegung kämpfen, die Lohnabhängigen, die jede Gelegenheit nutzen, um ihre Solidarität auszudrücken, und die sich auch am Kampf beteiligen wollen."

Das heißt, man braucht sich keine Gedanken über die verräterische Rolle dieser Organisationen machen, weil sie aufgrund der Dynamik der Jugend gezwungen sind, "die Bewegung zu begleiten und zu unterstützen".

In Wirklichkeit ist die Bewegung gegen die CPE zum sicheren Scheitern verurteilt, wenn sie sich nicht vom lähmenden Einfluss dieser Organisationen befreit und einen unabhängigen Weg einschlägt. Die Regierung hat bereits deutlich gemacht, dass sie nicht die Absicht hat nachzugeben. Und SP, KP und Gewerkschaften werden alles tun, um die Bewegung in eine Sackgasse zu lenken.

Siehe auch:
Frankreich: Politische Fragen im Kampf gegen den Ersteinstellungsvertrag
(18. März 2006)
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