Mayotte: Tausende Tote durch Zyklon Chido befürchtet

Auf Mayotte, einer Insel der Komoren zwischen Madagaskar und Mosambik, die von Frankreich regiert wird, hat der Zyklon Chido am Samstag möglicherweise Tausende Todesopfer gefordert. Windstöße mit Geschwindigkeiten von 220 Stundenkilometern brachten Bäume zu Fall und zerstörten die anfälligen Blechhäuser, die 40 Prozent der Wohngebäude in Mayotte ausmachen.

Zerstörte Häuser auf Mayotte, nachdem das französische Überseegebiet im Indischen Ozean von dem schwersten Zyklon seit fast einem Jahrhundert verwüstet wurde. [AP Photo/Ministere de l'Interieur/Gendarmerie Nationale]

Hunderttausenden Einwohnern von Mayotte, die weitgehend von Hilfe von außen abgeschnitten sind, drohen jetzt Hungersnot und Krankheit. Ein Großteil der Kähne, die die Inseln des Archipels miteinander verbinden, wurden zerstört oder beschädigt, Straßen sind durch umgestürzte Bäume oder Trümmer blockiert, Krankenhäuser und viele Lebensmittelgeschäfte sind teilweise oder ganz geschlossen.

Präsident Emmanuel Macron traf am Donnerstag auf Mayotte ein, während die französischen Behörden weiterhin eine Einschätzung des Ausmaßes der Katastrophe hinauszögern. Der Polizeipräfekt von Mayotte, François-Xavier Bieuville, erklärte: „Ich gehe von Hunderten von Toten aus, vielleicht sogar von eintausend oder mehreren Tausenden.“ Dass klare Angaben schwierig seien, schob er auf die muslimischen Traditionen, laut denen eine Leiche „nach spätestens 24 Stunden beerdigt sein muss.“

Dass der Zyklon so furchtbare Schäden verursachen konnte, liegt vor allem an der faschistoiden Feindseligkeit der französischen Regierung gegenüber der Bevölkerung von Mayotte, die zur Hälfte aus nicht gemeldeten Immigranten von den Komoren besteht. Mayotte ist das ärmste Departement Frankreichs; bereits vor dem Sturm lag die Armutsquote bei 77 Prozent, die Arbeitslosenquote bei 37 Prozent. Als es zu Protesten gegen die fehlende Versorgung mit Strom, sauberem Wasser und sicheren Wohnungen kam, reagierte Paris mit rechten Forderungen nach einem Einwanderungsverbot von den Komoren via Mayotte.

Diese bösartige Vernachlässigung hat zur Katastrophe geführt, da der Bevölkerung die grundlegendsten Schutzmaßnahmen gegen Stürme fehlen, die durch die Erderwärmung immer heftiger werden. Die Zahl der Toten könnte daher sogar in den fünfstelligen Bereich ansteigen.

Viele nicht gemeldete Arbeiter haben keine schützenden Unterkünfte aufgesucht, um dort nicht von der Polizei verhaftet zu werden. Zaïdou Tavandy, ein Mitglied des Krisenteams, das in der Hauptstadt Mamoudzou aufgestellt wurde, erklärte: „Als der Zyklon an Land kam, kamen 3.000 Menschen in die Unterkünfte. In der Hauptstadt leben etwa 90.000 Einwohner, von denen etwa die Hälfte nicht gemeldete Immigranten sind. Wo sind die ganzen Leute hin, die kein Dach mehr über dem Kopf haben?“

Senator Saïd Omar Oili bezeichnete den Zyklon als „die größte Naturkatastrophe in Frankreich seit dem Ausbruch des Mont Pelée in Martinique 1902, bei dem 30.000 Menschen getötet wurden. ... Gerüchte sprechen von 20.000 Toten in den Krankenhäusern. Alleine in La Vigie [einem Slum von Mamoudzou] müssen es mehrere Tausend sein.“

Abacar, ein Einwohner von Mamoudzou, erklärte: „Auf den Hügeln standen noch vor ein paar Tagen hunderte von Häusern. Sie wurden alle zerstört.“ Viele der Kwassa-Kwassa-Boote, die für den Transport von Mamoudzou (wo der Großteil der Bevölkerung von Mayotte lebt) hätten benutzt werden können, wurden aber von der Polizei im Rahmen von Operationen zur Abschottung vor Migranten beschlagnahmt und in einem unsicheren Depot aufbewahrt. Abacar fügte hinzu: „Der Sturm hat sie alle zerstört.“

Youssouf Bacar, ein Einwohner der Insel Dzaoudzi, auf der sich Mamoudzou und der Flughafen von Mayotte befinden, erklärte: „Es muss schnell Hilfe her. In vier Tagen wird es hier nichts mehr zu essen geben. Bisher haben sich die Leute über Wasser halten können, aber was wird in ein paar Tagen sein? Ohne Strom werden tiefgefrorene Lebensmittel ab morgen nicht mehr essbar sein. Also gibt es keine Reserven mehr. Und wir merken nicht, dass Nachschub kommt.“

Bacar erklärte, er habe nichts von den Rettungsoperationen der französischen Regierung gesehen oder gehört. Angeblich will die französische Regierung ein militärisches Transportflugzeug des Typs A-400M mit 23 Tonnen Nahrung und Wasser von der 1.400 Kilometer entfernten französischen Insel Réunion schicken. Bacar erklärte, man habe weitgehend kein Internet, und fügte hinzu: „Ich habe erste heute morgen erfahren, dass bereits drei Minister der Regierung da waren.“

Da es dieses Jahr bereits eine Cholera-Epidemie gab, mehren sich die Befürchtungen vor einer neuen Welle von Krankheiten durch fehlendes sauberes Trinkwasser, wie Cholera und Typhus.

Der französische Minister für die Überseegebiete François-Noël Buffet kam mit einer offiziellen Delegation nach Mayotte und hielt eine kurze Rede vor einer Gruppe von Soldaten und Militärpolizisten, in der er erklärte: „Alles hat Priorität.“ Er betonte die Notwendigkeit, „in den nächsten acht Tagen durchzuhalten“ und behauptete: „Nur 72 Stunden nach der Katastrophe ist unsere Mobilisierung bereits von gigantischem Ausmaß.“

Die französische Militärpolizei hat eine Ausgangssperre von 22 Uhr bis 4 Uhr morgens verhängt, um Plünderungen durch hungernde Einwohner zu verhindern. Allerdings begann erst am Mittwoch die Verteilung von Nahrungsmitteln und Wasser.

Nothelfer sind immer noch damit beschäftigt, grundlegende Dienste wiederherzustellen. Laut dem französischen Innenministerium können am Flughafen von Mayotte noch immer keine Verkehrsflugzeuge landen, 80 Prozent des Handynetzes ist inaktiv, und die Wasserzufuhr wird in 48 Stunden erst in der Hälfte aller Häuser Mayottes wiederhergestellt sein. Berichten zufolge sind die Krankenhäuser „zu 40 bis 45 Prozent der normalen Aktivität tätig, allerdings werden sie schrittweise wieder hochgefahren.“

Der französische Imperialismus hat in Mayotte seit Jahrzehnten eine neokoloniale Politik betrieben. Die Insel galt wegen des Marinestützpunkts in Dzaoudzi als wertvoll, während die Bevölkerung mit kaum verhohlener Feindseligkeit behandelt wurde.

Der französische König Louis Philippe hatte Mayotte im Jahr 1841 von dem Sultan Andriantsoly gekauft; sieben Jahre später wurde Louis Philippe in der Revolution von 1848 gestürzt. Nachdem Frankreich auf der Berliner Konferenz 1885, auf der Afrika unter den europäischen Großmächten aufgeteilt wurde, alle Inseln der Komoren erhalten hatte, wurde Mayotte von zwei schrecklichen Zyklonen, einem Erdbeben und 1898 von einer Pocken-Epidemie getroffen. Mayotte wurde von den französischen Kolonialbehörden in Madagaskar verwaltet, nach der Unabhängigkeit Madagaskars wurde die Insel wieder den Komoren angegliedert und entschied sich für den Verbleib bei Frankreich, als die Komoren 1974 für ihre Unabhängigkeit stimmten.

Im Jahr 2017, dem ersten Jahr seiner Präsidentschaft, löste Macron einen internationalen Zwischenfall aus, indem er sich kaltblütig über den Tod von Komoren lustig machte, die seit den 1990ern in Kwassa-Kwassa-Booten nach Mayotte eingewandert waren. Laut einem Bericht des französischen Senats von 2012 waren in den vorherigen zwanzig Jahren zwischen 7.000 und 10.000 Komoren dabei ums Leben gekommen. Macron erklärte dazu: „Kwassa-Kwassas taugen nicht viel zum Fischen, sie fangen nur Komoren, das ist was anderes.“

Macron versuchte, die Empörung zu beschwichtigen, die er damit auf den Komoren verursacht hatte, und versprach Zusammenarbeit mit der komorischen Regierung bei der Begrenzung von Todesfällen, allerdings brach Paris dieses Versprechen sofort. Unter Macron konzentrierten sich die Operationen der französischen Marine in der Region zunehmend darauf, Komoren daran zu hindern, Mayotte zu erreichen. Die Polizei von Mayotte führe Massenverhaftungen von Komoren durch, die abgeschoben wurden.

Beispielhaft für Frankreichs Weigerung, die notwendigen Gelder zum Bau grundlegender Infrastruktur und öffentlicher Dienste zu investieren, war die Entscheidung der Macron-Regierung von 2019, die Vinci Corporation mit dem Bau von Wasserinfrastruktur zu beauftragen. Der Deal scheiterte letztes Jahr angesichts von Protesten in Mayotte, nachdem Vinci erklärt hatte, es habe nicht die notwendigen Mittel. Die Europäische Union, die das Projekt teilweise finanziert hat, eröffnete ein Verfahren gegen Vinci und stellte fest, dass mindestens 685.000 Euro unterschlagen wurden.

Die Politik Frankreichs gegenüber Mayotte orientiert sich zunehmend an dem faschistoiden Polizeistaatskurs der übrigen französischen Politik. Anfang des Jahres hatte der rechtsextreme Innenminister Gérald Darmanin vorgeschlagen, das Geburtsortprinzip in Mayotte auszusetzen, um Zuwanderung von den Komoren zu unterbinden.

Der derzeitige geschäftsführende Innenminister Bruno Retailleau, ein Monarchist, reagierte auf den Zyklon Chido mit dem Versprechen, „legale und vor allem illegale Zuwanderung“ zu bekämpfen. Er drohte: „Wir können Mayotte nicht wieder aufbauen, wenn wir nicht das Thema Migration mit größter Entschlossenheit angehen. Mayotte ist das Symbol für die Nachlässigkeit, die Regierungen in dieser Frage entstehen haben lassen. Wir werden Gesetze verabschieden müssen, damit Mayotte und alle nationalen Territorien die Kontrolle über ihre Zuwanderung wieder übernehmen.“

Die Kombination aus wissentlicher Vernachlässigung grundlegender sozialer Bedürfnisse und faschistischem Polizeistaatsterror hat Bedingungen geschaffen, unter denen auf Mayotte Tausende oder sogar Zehntausende sinnlos gestorben sind.

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