Einen Tag, nachdem das Wahlbündnis Neue Volksfront (NFP) und der neofaschistische Rassemblement National (RN) die Regierung von Premierminister Michel Barnier zu Fall gebracht und Präsident Emmanuel Macron angegriffen hatten, vollzogen mehrere Parteien der NFP eine Kehrtwende in ihrer Strategie. Sie nahmen Macrons Einladung an die NFP zu Gesprächen im Elysée-Palast begierig an und erklärten sich offen für eine Regierungsbildung mit Macron.
Macron und das politische Establishment Frankreichs beeilen sich, noch bis zum Jahreswechsel 2025 eine Regierung zu bilden und einen Übergangshaushalt zu verabschieden. Zwei Parteien von Jean-Luc Mélenchons Neuer Volksfront (NFP) – die pro-kapitalistische Parti Socialiste (PS) und die stalinistische Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) –nahmen Macrons Einladung zu Gesprächen an die gesamte NFP begierig an. Berichten zufolge schlagen sie vor, die Versprechen im NFP-Programm über geringfügige Reformen zu verwerfen und als Gegenleistung für Ministerposten brutale Sparmaßnahmen zu unterstützen.
Dies verdeutlicht, wie der Bankrott und die politische Korruptheit jener Kräfte, die von den Medien als „links“ dargestellt werden, den Aufstieg von Marine Le Pens Rassemblement National ermöglichen – einem Verbündeten des faschistischen künftigen US-Präsidenten Donald Trump und des Völkermord-Regimes in Israel. Le Pen kann erwartungsgemäß die NFP erneut als „billige Guevara-Clowns“ abstempeln, außerdem argumentieren, dass linke Parteien lediglich korrupte Werkzeuge von Macron und den Banken sowie Feinde der französischen Bevölkerung sind, und schließlich alle, die von Macron und der NFP angewidert sind, zur Wahl der Neofaschisten aufrufen.
Was Mélenchon angeht, dessen Partei Unbeugsames Frankreich (LFI) die Hauptrolle bei der Gründung der NFP gespielt hat, so löst sich seine gesamte Strategie zum Umgang mit der politischen Krise in der gleichen Weise auf wie die NFP selbst. Er hatte gefordert, eine Regierung unter Führung der NFP zu bilden, mit der unbekannten Bürokratin Lucie Castets aus dem Finanzministerium als Premierministerin, und sich zu weigern, einer Regierung unter einem Premierminister aus Macrons Partei zu dienen. Doch die PS und die KPF sind dabei, genau das zu tun.
In seiner Rede an die Nation am Donnerstagabend zur Hauptsendezeit äußerte Macron kein Wort der Entschuldigung und signalisierte, er werde auch nach dem Sturz von Barnier nichts an seiner Politik ändern. Er sagte nichts über seine Rentenkürzungen, seine Forderung, französische Bodentruppen in den Krieg gegen Russland in der Ukraine zu entsenden, oder über seine Unterstützung für den Völkermord des israelischen Regimes in Gaza. All diese Positionen werden von einer überwältigenden Mehrheit der französischen Bevölkerung abgelehnt. Stattdessen verteidigte er seine verhasste Regierung in seiner üblichen arroganten Weise.
Macron entschuldigte sich nicht für die Entscheidung zu den vorgezogenen Neuwahlen am 7. Juli dieses Jahres, die zu einer Pattsituation im Parlament und zu einer Minderheitsregierung unter Barnier führten. Er bestand darauf, dass dieses Vorgehen notwendig gewesen sei, und erklärte weiter: „Ich muss zugeben, dass diese Entscheidung nicht sehr gut verstanden wurde. Viele Menschen haben sie mir angelastet und ich weiß, dass viele dies immer noch tun. Das ist eine Tatsache, für die ich verantwortlich bin. Aber niemand kann sagen, dass ich dem französischen Volk damit nicht die Chance gegeben habe, seine Meinung zu äußern. Ich glaube, es war notwendig.“
Er verurteilte die Parteien, die für den Misstrauensantrag gegen Barniers Regierung gestimmt hatten. Er warf ihnen vor, ihn absetzen zu wollen und erklärte: „Die extreme Rechte und die extreme Linke haben sich in einer antidemokratischen Front zusammengeschlossen. ... Sie denken nicht an euch, an euer Leben, an eure Schwierigkeiten, bis zum Ende des Monats über die Runden zu kommen, an eure Pläne. Lasst uns ehrlich sein. Sie denken nur an eins: an die nächsten Präsidentschaftswahlen – sie vorzubereiten, sie zu provozieren, sie schneller herbeizuführen. Mit Zynismus, und notfalls auch mit einem gewissen Sinn für Chaos.“
Stattdessen schlug Macron vor, sofort einen Premierminister zu ernennen, um schnellstmöglich eine Regierung zusammenzustellen und einen Übergangshaushalt zu verabschieden, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Er erklärte: „Deshalb werde ich in den kommenden Tagen einen Premierminister ernennen. Ich werde ihn beauftragen, eine Regierung im Interesse der Allgemeinheit zu bilden. Darin werden alle politischen Kräfte in einem Bogen vertreten sein, der breit genug ist, um eine Regierung zu bilden. Entweder mögen sie daran teilnehmen oder sich bereit erklären, sie nicht zu stürzen. Der Premierminister wird den Auftrag haben, diese Verhandlungen zu führen und eine Regierung zu bilden, die dem französischen Volk dient.“
Am Freitagmorgen traf sich der nationale Sekretär der PS, Olivier Faure, zu Gesprächen mit Macron im Elysée-Palast und erklärte, seine Partei sei offen, mit Macrons Partei und Barniers rechten Republikanern (LR) zu regieren: „Ich bin bereit, über alles zu diskutieren und zu sehen, was wir in kurzer Zeit erreichen können.“ Auf die Frage, ob er weiterhin die Aufhebung von Macrons verhassten Rentenkürzungen fordern werde, gab Faure an, er tue es nicht mehr und erklärte, er sei „verantwortungsbewusst“ und wisse um „die Tatsache, dass wir Geld auftreiben müssen“, um den Haushalt auszugleichen.
Auch der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Fabien Roussel, bestätigte, dass seine Partei einer Regierung unter Macron beitreten und sich über das Wahlprogramm der NFP hinwegsetzen würde. Er schlug vor, mit Macron zusammenzuarbeiten, um „einen demokratischen und sozialen Pakt zu bilden“ und erklärte: „Wir sind uns durchaus bewusst, dass keine Koalition eine absolute Mehrheit hat.“ Er rief zu „Kompromissen“ auf und erklärte, seine Partei werde nicht „fordern, dass das gesamte Programm [der NFP] umgesetzt wird“.
Am Freitagabend bestätigte Roussel, dass Macron die gesamte NFP zu Gesprächen über eine Regierungsbildung in den Elysée-Palast eingeladen hat: „Emmanuel Macrons Stabschef hat mich kontaktiert und gefragt, ob wir offen für einen Dialog s. Ich habe geantwortet, dass wir das sind. Man hat uns gesagt, wir würden am Montag ein Treffen haben.“
Marine Le Pen kündigte erwartungsgemäß an, sich sowohl gegen Macron als auch die NFP zu stellen und notfalls weiterhin Regierungen zu Fall zu bringen, die für Haushaltspläne stimmen, die für den RN inakzeptabel sind.
In einem Interview mit Le Figaro machte sie sich darüber lustig, wie eilfertig die NFP zu Bündnissen mit Macron bereit ist: „Ich bin nicht empört, dass ich nicht [zu Gesprächen mit Macron in den Elysée-Palast] eingeladen wurde. Ich hätte mir große Sorgen gemacht, wenn ich eingeladen worden wäre. Ich habe nicht vor, mich an einer Mehrheit rund um den Präsidenten zu beteiligen. ... Die Tatsache, dass sich die Parti Socialiste für einen Teller Linsen verkauft, ist, offen gesagt, nicht sehr überraschend. Dass sich die LR in einer Regierung mit der Sozialistischen Partei wiederfinden könnte, amüsiert mich jedoch.“
Sie warnte: „Niemand soll denken, mir wären jetzt die Hände gebunden. Ich kann sehr wohl für einen neuen Misstrauensantrag stimmen“, um Macrons nächste Regierung zu stürzen. In den französischen Medien wird zunehmend darüber spekuliert, dass wiederholte Zusammenbrüche seiner Regierungen Macron zum Rücktritt und dazu zwingen könnte, neue Präsidentschaftswahlen anzusetzen, in denen Le Pen dann antreten könnte.
Dass die PS und die PCF Regierungsgespräche mit Macron führen wollen, unterstreicht den Bankrott von Mélenchons Entscheidung, sie in seine NFP aufzunehmen, obwohl allgemein bekannt ist, dass sie Werkzeuge der Banken sind und in ihrer Regierungszeit Spar- und Kriegspolitik durchgesetzt haben. Das lässt die Strategie, die Mélenchon bisher verfolgt hat, krachend scheitern.
Mélenchon verteidigte am Donnerstagabend in einem kurzen Fernsehinterview auf TF1 den Misstrauensantrag gegen Barnier und bekräftigte, LFI und NFP wollten noch immer eine von der NFP geführte Regierung unter Castets bilden. Er erinnerte daran, dass die NFP bei der Wahl am 7. Juli die meisten Sitze erhalten hatte, und erklärte: „Es gibt eine Organisation, die eindeutig stärkste Kraft wurde: die Neue Volksfront. Es ist eine Koalition, und sie hatte eine Kandidatin. Und an dieser Kandidatin hält sie noch immer fest.“
Der LFI-Koordinator Manuel Bompard bestätigte am Freitag auf Twitter, dass Macron die LFI für Regierungsgespräche kontaktiert hat, sagte aber, die LFI werde am Montag nicht in den Elysée-Palast gehen: „Wir werden das Programm, für das alle Abgeordneten der NFP gewählt wurden, nicht verraten, um uns an einer Regierung zu beteiligen. Wir werden nicht mit der Partei des Präsidenten und der traditionellen Rechten zusammen regieren, nachdem wir gerade einen Misstrauensantrag gegen ihr Programm gestellt haben.“
Es ist nicht entscheidend, ob die LFI die wenigen und minimalen sozialen Maßnahmen in ihrem Programm fallenlässt, in dem auch die Entsendung französischer Truppen in die Ukraine und mehr Finanzierung für die Polizei und die Geheimdienste gefordert werden. Die PS und die KPF haben das Programm praktisch bereits aufgegeben. LFI hat sich große Mühe gegeben, diese diskreditierten Parteien zu erhalten und sogar Kandidaten zurückgezogen, damit die PS, die KPF und Macrons Partei Sitze im Parlament gewinnen können. Letztlich hat LFI damit genau die Kräfte aufgebaut, die das Programm fallengelassen haben, das von ihr angeblich verteidigt wird.
Dies beweist erneut den Bankrott und die politische Dummheit Mélenchons, der LFI und ihres Umfelds, zu der auch Kräfte wie die pablistische Neue Antikapitalistische Partei oder die morenoistische Gruppe Révolution permanente gehören.
Die nächste Regierung wird mit ihrem Programm scharfe soziale Opposition in der französischen Arbeiterklasse hervorrufen. Doch diese Kämpfe werden verraten werden, sofern sie weiterhin unter der Kontrolle von Kräften wie der NFP und den mit ihr verbündeten Gewerkschaftsbürokratien bleiben. Die entscheidende Aufgabe besteht darin, eine Bewegung der Arbeiter auf der Grundlage eines sozialistischen Kampfs gegen imperialistischen Krieg, Völkermord, Sparmaßnahmen und Faschismus aufzubauen, die darauf abzielt, die Macht letztlich der Arbeiterklasse zu übertragen.