„Der Kampf gegen den Krieg und der Kampf gegen die Sparpolitik sind ein und dasselbe“

Grußbotschaft von David O’Sullivan an das Berliner Aktionskomitee der Verkehrsarbeiter

Die folgende Grußbotschaft hat das Berliner Aktionskomitee der Verkehrsarbeiter von dem ehemaligen Londoner Busfahrer David O'Sullivan erhalten. Das Komitee beteiligt sich bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) an der aktuell laufenden Personalratswahl.

O'Sullivan, zeitlebens ein Sozialist, war jahrzehntelang als Londoner Busfahrer beschäftigt. Im Jahr 2021 wurde er entlassen, als er auf seinem Betriebshof Maßnahmen gegen die Pandemie forderte, um das Leben der Kollegen zu schützen. Die Gewerkschaft Unite hatte behauptet, O'Sullivan habe versucht, einen rechtswidrigen Arbeitskampf zu organisieren.

Das London Bus Rank-and-File Committee (Aktionskomitee der Londoner Busfahrer) führte eine breite Kampagne für seine Wiedereinstellung und deckte die Verantwortung der Transportleitstelle TfL und der Busbetreiber für den Tod vieler Londoner Busfahrer auf. Angesichts horrender Rechtskosten war O'Sullivan jedoch gezwungen, den Fall ohne Entschädigung beizulegen und eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die ihn zum Stillschweigen verpflichtete.

David O'Sullivan

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Den Wahlkampf des Aktionskomitees der Verkehrsarbeiter für die Personalwahl bei BVG in dieser Woche habe ich mit Begeisterung mitverfolgt.

Er zeigt die wachsende Unterstützung für euren Kampf, den Widerstand der Verkehrsarbeiter in der deutschen Hauptstadt gegen die rücksichtslosen Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen anzuführen. Dieser Kampf richtet sich nicht nur gegen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und die verantwortliche Landesregierung, sondern auch gegen die Gewerkschaftsbürokraten von Verdi.

Eure Wahlteilnahme verbindet den Kampf gegen die Sparpolitik mit einem politischen Kampf gegen den Völkermord in Gaza und gegen den Nato-Stellvertreterkrieg in der Ukraine. Damit verleiht ihr der tiefen Antikriegsstimmung Ausdruck, die in der Arbeiterklasse europaweit vorherrscht. Eure Kandidaten haben sich den Versuchen des Bundestags, die Opposition gegen imperialistischen Krieg, Aufrüstung und Komplizenschaft bei den Verbrechen der israelischen Regierung zu unterdrücken, mutig widersetzt. Euer Spitzenkandidat Andy Niklaus wurde zeitweilig suspendiert, weil er sich gegen den Völkermord in Gaza ausgesprochen hat.

Die Bedingungen, vor denen die Beschäftigten im Berliner Nahverkehr stehen – immer längere Schichten, verstärkte Ausbeutung und niedrige Löhne – sind nur allzu bekannt. In London marschierten erst letzte Woche 200 Busfahrerinnen und Busfahrer zu den Büros von Transport for London (TfL) und forderten Maßnahmen gegen die Übermüdung der Fahrer, gegen zu kurze und fehlende Ruhepausen, mangelhafte Toiletten und stickige Kabinen im Sommer, sowie gegen die straffen Zeitpläne, die zu immer mehr Verkehrsunfällen führen.

Euer Wahlkampf richtet sich zu Recht gegen die Privatisierung der BVG. Hier bei uns hat sich die Privatisierung des öffentlichen Verkehrsnetzes als Katastrophe erwiesen. In London sind wir auf eine Vielzahl globaler Verkehrsriesen wie RATP, Arriva und Metroline verteilt. In einem Wettlauf nach unten werden wir gegeneinander ausgespielt, wobei die TfL die Busbetreiber je nach dem Erfolg finanziert, mit dem sie ihre Produktivitätsziele erreichen.

Unter diesem Regime werden „ineffiziente“ Betriebshöfe und „nicht ausgelastete“ Strecken gestrichen. Im Schienenverkehr kassieren private Bahnbetreiber wie Virgin, Abellio und Avanti Milliarden an Gewinnen, während sie den Service zugrunde richten. Es ist heute teurer, mit dem Zug von Manchester nach London zu fahren, als von Heathrow nach Berlin zu fliegen!

Zwar haben die Organisatoren der Gewerkschaft Unite, die letzte Woche zur Protestveranstaltung aufriefen, Plakate und Banner zur Verfügung gestellt. Aber als die Fahrer in den Jahren 2021–2023 in ganz London massiv für Streik gegen die Busunternehmen und TfL stimmten, sabotierte Unite den Widerstand. Sie spaltete die Arbeiter nach Unternehmen, setzte Lohnabschlüsse unterhalb der Inflationsrate durch, akzeptierte die schlechten Bedingungen für die Fahrer und weigerte sich, die Gewinne der Busunternehmen anzutasten.

Schon vor der Corona-Pandemie hatten sich die Bedingungen für Londoner Busfahrer verschlechtert. Im Februar 2020 stimmten wir mit 90 Prozent für einen Streik in ganz London, um gegen die zunehmende Übermüdung der Fahrer vorzugehen. Dann kam die Pandemie. Dies nutzte die Gewerkschaft, um ihre Absprachen mit den Busunternehmen und dem Büro des Londoner Bürgermeisters zu erneuern und unsere Forderungen zu begraben. Unsere Hauptaufgabe sollte darin bestehen, „London während der Pandemie in Bewegung zu halten“.

Wir werden nie vergessen, wie wir Busfahrerinnen und Busfahrer behandelt wurden: Unser Leben war entbehrlicher als der Kraftstoff in unseren Fahrzeugen. Die dringenden Forderungen der Fahrer nach persönlicher Schutzausrüstung (PSA) wurden abgelehnt. Zu ihrer Schande unterzeichneten die Unite-Funktionäre gemeinsame Briefe mit den Busunternehmen und TfL, in denen sie uns belehrten, dass Gesichtsmasken „nicht notwendig“ seien. Rücksichtslos setzten sie die Profite vor das Leben. Dies führte in den Jahren 2020–2022 zum Tod von mindestens 69 Londoner Busfahrern.

Disziplinarmaßnahmen wurden all denjenigen angedroht, die sich eigenmächtig den unsicheren Bedingungen in den Busgaragen und im Fahrzeug widersetzten. Andere wurden unter aktiver Beihilfe von Unite schikaniert und entlassen, indem die Gewerkschaft „Beweise“ gegen diejenigen vorlegte, die versucht hatten, Leben zu retten. Die Busunternehmen und das Büro des Bürgermeisters lehnten später jede Verantwortung für den Tod unserer Kollegen ab und ließen deren Familien mittellos zurück.

Im Jahr 2021–2022, als die Inflation in der schlimmsten Teuerung seit Jahrzehnten in die Höhe schoss, forderten die Busfahrer (die man gerade als „Helden an vorderster Front“ gepriesen hatte) Maßnahmen, um die jahrzehntelange Lohndrückerei auszugleichen. Da behauptete die Unite-Vorsitzende Sharon Graham, Unite stehe in einem „londonweiten Kampf“ für eine „inflationshemmende Lohnerhöhung“. Aber Unite schob den Tarifkonflikt auf die lange Bank, und die Beschäftigten mussten in jedem Unternehmen alleine kämpfen. Mehrfach organisierten die Unite-Funktionäre Abstimmungen über dürftige Lohnangebote, um den Widerstand zu zermürben und endlich ein „Ja“ durchzusetzen, nachdem die Fahrer zum Schluss gelangt waren, dass es keine Alternative gab.

Das Ergebnis hätte ganz anders ausfallen können. Der Kampf der Londoner Busfahrer fand inmitten einer wachsenden Welle von Streikabstimmungen statt: In der Londoner U-Bahn, den britischen Eisenbahnen, bei den Docks, im Post- und Logistiksektor sowie unter Lehrern, Universitätsdozenten und Beschäftigten des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS stimmten Millionen für Streik. Alle diese „systemrelevanten Arbeitnehmer“ forderten: Schluss mit der Armut und den Sparmaßnahmen!

Mit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine verlangte die britische Regierung die Unterdrückung aller Streiks; sie unterstützte den Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland. Fortan wurden streikende Londoner U-Bahn-Beschäftigte von bestimmten Politikern als „Putins Handlanger“ und als „feindlicher Untergrund“ beschimpft.

Die verhasste Boris Johnson–Regierung verließ sich auf die Dienste der Gewerkschaftsbürokratie, um die aufkommende Streikwelle zu ersticken. Die Gewerkschaften RMT und ASLEF beugten sich und sagten damals und auch später, unter der Labour-Regierung, alle Streiks ab.

Der Kampf gegen Krieg und der Kampf gegen die Sparpolitik sind ein und dasselbe. Beides erfordert, für die Einheit der Arbeiterklasse über Konzern-, Branchen- und Landesgrenzen hinweg zu kämpfen. Nur so ist es möglich, die Unterordnung unserer sozialen Rechte unter die Unternehmensprofite und die wahnsinnigen und rücksichtslosen Nato-Pläne für einen dritten Weltkrieg zu stoppen. Deshalb ist euer Kampf bei diesen Wahlen so wichtig, nicht nur für die Verkehrsarbeiter in Berlin, sondern für die Arbeiterklasse in Großbritannien, in ganz Europa und auf der ganzen Welt.

Mit solidarischen Grüßen
David O'Sullivan

Loading