Seit die Liste Aktionskomitee ihren Wahlaufruf für die Personalratswahl veröffentlicht hat, findet unter den Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) eine lebhafte Diskussion darüber statt. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter machen aus ihrer Wut gegen Verdi und deren Ablehnung keinen Hehl. Es ist bekannt, dass die miserablen Arbeitsbedingungen – unerträgliche Schichten, ständig steigende Arbeitshetze und Niedriglöhne – von Verdi und der bisherigen PR-Mehrheit abgesegnet wurden.
Die Verdi-Funktionäre im Aufsichtsrat und im bisherigen Personalrat fungieren als Unternehmensberater und unterstützen die Sparprogramme im Namen der Wettbewerbsverbesserung – was nur ein anderes Wort für Profitsteigerung ist.
Mit mehr als 16.000 Beschäftigen ist die BVG einer der größten Arbeitgeber in Berlin. Sie umfasst 13 Betriebshöfe und steht unter der Leitung der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, die von der früheren Berliner Regierenden Bürgermeisterin und heutigen Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) geführt wird. Giffey ist auch Vorsitzende des BVG-Aufsichtsrats.
Die PR-Wahl ist stark aufgesplittert. Die Liste Aktionskomitee kandidiert im sogenannten BO-Nord, der die Betriebshöfe Indira-Gandhi Straße, Müllerstraße und Spandau umfasst. In diesem Bereich sind knapp 2500 Mitarbeiter beschäftigt, die alle – unabhängig von der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft – Wahlrecht haben.
In den vergangenen Tagen sprachen Unterstützer der Liste Aktionskomitee mit BVG-Busfahrern in der Berliner Hertzallee. Viele Fahrer haben migrantischen Hintergrund. Ihre Familien stammen aus der Türkei, Osteuropa, Russland oder aus den Ländern des Nahen Ostens.
Ahmed sagte: „‚Verdi-Diktatur‘ ist genau richtig. Meine Stimme habt ihr also schon. Irgendwie bin ich nie klar gekommen mit den Verdi-Leuten. Ich sage meine Meinung offen und ehrlich, aber es ist schwer. Ich hatte schon Probleme mit Verdi-Vertrauensleuten. Verdi steht mehr auf der Seite der BVG als auf der Seite der Gewerkschafts-Mitglieder und Mitarbeiter. Sie wollen eigentlich immer nur ihre eigenen Stühle retten, mehr nicht. Nach dem letzten Abschluss habe ich gesagt: Das Ergebnis taugt nichts, nur Augenwischerei. Wenn ihr das als Erfolg verkauft, zeigt ihr nur, wie schwach ihr seid. Über fünf Jahre haben wir jährlich weniger als ein Prozent Lohnerhöhung bekommen. Seitdem gehen mir Verdi-Personalräte aus dem Weg. Ich habe bei der letzten Wahl viele Kollegen überredet, aus Verdi auszutreten. Diesmal werde ich Stimmen für euch sammeln.“
Ein anderer Kollege, Stefan, ging darauf ein, dass die Liste Aktionskomitee die Forderung nach 30 Prozent mehr Lohn, 20 Minuten Wendezeit und vollbezahlte Pausen mit dem Kampf gegen Aufrüstung und Krieg verbindet. Er unterstütze ausdrücklich die Forderung „Kein Cent für Aufrüstung und Krieg! Stoppt den Völkermord in Gaza!“
Stefan arbeitet seit zwei Jahren als Busfahrer bei der BVG. „Der Krieg ist ein absolut wichtiges Thema. Ich komme aus Russland, meine Familie ist direkt vom Krieg betroffen. Bei uns und bei den ukrainischen Flüchtlingen gibt es niemanden, der keinen kennt, der gestorben ist oder verwundet wurde. Dazu kommt, dass meine Mutter und Schwiegermutter Schwierigkeiten bei der Einreise nach Deutschland haben. Die deutsche Politik hat erklärt, dass russische Staatsangehörige Spione sein könnten. Ich frage dich: Wie könnte meine Mutter eine Spionin sein?“
Stefan äußerte Unterstützung dafür, ukrainische und russische Arbeiter gegen den Krieg zu vereinen. Über die Kandidaten der Liste Aktionskomitee, Andy Niklaus, Ali Mohammed und Velimir Stanojevic, sagte er: „Ich kenne die Kollegen. Ich finde es gut, dass sie das Thema Krieg ansprechen, und es ist wirklich mutig von ihnen, dass sie dafür einstehen. Aber bestimmte Themen sind nicht gewünscht, das merkt man. Es ist undemokratisch, solche Äußerungen verbieten zu wollen.“
Er fuhr fort: „Ohne finanzielle Unterstützung wird kein Krieg geführt. Ich will nicht wissen, was hinter unserem Rücken passiert und vereinbart wurde. Der Krieg geht Jahrzehnte zurück und hat eine lange und komplexe Geschichte. Es ist einfach nur traurig, dass dafür Menschen geopfert werden. Das Thema Zweiter Weltkrieg stand in der Sowjetunion, wo ich aufgewachsen bin, ganz oben. 27 Millionen Menschen wurden von den Nazis getötet. Das ist die offizielle Zahl, aber inoffiziell? Allein in meiner Familie war damals bei mehreren Familienmitgliedern unklar, was aus ihnen geworden ist. Faschismus darf nie wieder passieren.“
„Wir BVG-Kollegen sind sehr international“, betonte Stefan. „Ich habe griechische türkische, arabische, albanische und kroatische Freunde. Keiner von uns will für Deutschland in den Krieg ziehen. Vielleicht haben sie deshalb Angst vor uns?“
Diana arbeitet seit April dieses Jahres als Busfahrerin. Sie sagt: „Ich unterstütze nicht diesen Krieg, weder in Gaza und dem Libanon, noch in der Ukraine. Ich bin nicht für diesen ukrainischen Präsidenten. Warum unterstützt man diese ukrainische Regierung, aber andere von Krieg betroffene Länder nicht? Was war mit Bosnien-Herzegowina? Gegen Serbien wurde ein Embargo verhängt, dann wurde das Land bombardiert. Wenn es stimmt, was ihr sagt, dass Verdi wirklich den Krieg unterstützt, werde ich austreten. Von mir gibt es keinen Cent für diese Kriege.“
Im Wahlaufruf der Liste Aktionskomitee heißt es dazu: „Verdi unterstützt diese Kriegspolitik und will jede Opposition dagegen unterdrücken. Der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Werneke erklärte am Rande des letzten Verdi-Kongresses im September vergangenen Jahres: ‚Ich bin absolut dafür, jetzt ein Sondervermögen [für die Bundeswehr] zu schaffen. Das ist notwendig, und 100 Milliarden Euro werden da vermutlich bei weitem nicht reichen‘.“
„Das ist die größte Schweinerei – dass wir das alles noch mitfinanzieren“, sagte ein weiterer Busfahrer, der seinen Namen nicht nennen möchte. „Ich bin selbst Palästinenser und habe dazu eine ganz klare Meinung. Das ist ein Völkermord, und die ganze Welt schaut zu. Israel führt überall Krieg, und keiner macht was dagegen. Ich verstehe, dass es die Geschichte des deutschen Faschismus mit seinen furchtbaren Verbrechen gegeben hat. Aber müssen wir deshalb das Morden unterstützen? Die israelische Regierung ist selbst rechtsradikal!“
Er fuhr fort: „Ich bin hier geboren, meine Kinder sind hier geboren. Ich finde es empörend, wie brutal die Polizei vorgeht, wenn man protestiert. Wichtiger als Lohn ist, dass man nicht mehr schweigt dazu, was da unten [im Nahen Osten] stattfindet.“ Nach dem Gespräch nahm er den Wahlaufruf mit den Worten: „Endlich mal was Vernünftiges, vielen Dank.“
Zensurversuche
Angesichts dieser positiven Reaktionen und viel Zuspruch von Beschäftigen für die Liste Aktionskomitee reagierte das BVG-Management höchst alarmiert. Kurz nachdem Andy Niklaus gemeinsam mit Unterstützern der Liste Wahlplakate in einigen Betriebshöfen auf den dafür bereitgestellten Stellwänden angebracht hatte, erhielt er Nachricht vom Wahlvorstand.
Niklaus wurde mit Hinweis auf eine Stellungnahme der Dienststellenleitung aufgefordert, die Wahlplakate umgehend zu entfernen. Die Forderung „Stoppt den Völkermord in Gaza!“ habe keinen Bezug zur Personalratswahl und sei unzulässig. Dabei steht außer Frage, dass Personalräte und ganz besonders Kandidaten im Wahlkampf zu allgemeinpolitischen Fragen Stellung beziehen dürfen. Ihre Meinungsfreiheit ist sogar besonders geschützt. Zudem wurde die Forderung „Stoppt die Verdi-Diktatur!“ problematisiert.
Niklaus antwortete dem Wahlvorstand, dass dieser kein Recht habe, Zensur auszuüben. Als Wahlvorstand sei er für einen korrekten Ablauf der Wahl und die Einhaltung der demokratischen Rechte aller Wahlteilnehmer und Bewerber zuständig aber nicht für eine inhaltliche Bewertung der Forderungen. Auf seine Aufforderung, der Wahlvorstand solle die Gesetzesgrundlage für seine Forderung vorlegen, kam keine Antwort.
Nahezu zeitgleich äußerte sich der Chefredakteur des Tagesspiegel Lorenz Maroldt zum Wahlaufruf der Liste Aktionskomitee. In seinem Blog „Checkpoint“ nannte er Andy Niklaus beim Namen und empörte sich über die Forderungen „Stoppt die Verdi-Diktatur!“ und „Stoppt den Völkermord in Gaza!“
Auch die Liste „Kraft durch Basis“ empörte sich, dass es im Wahlaufruf der Liste Aktionskomitee heißt: „Wir stehen der Liste ‚Kraft durch Basis‘ ablehnend gegenüber, die zwar Verdi kritisiert, aber AfD-Mitglieder in ihren Reihen akzeptiert. Wir lehnen die Zusammenarbeit mit Rechten und Faschisten strikt ab. Wer die Geschichte der Arbeitskämpfe bei der BVG kennt – unser Betrieb wurde ja schon vor fast einem Jahrhundert 1928 gegründet – der weiß, wie falsch und gefährlich es ist, wenn man aus Wut über den korrupten Gewerkschaftsapparat die Rechten unterstützt.“
In sehr entlarvender Art und Weise wandte sich der Sprecher der Liste direkt an die Unternehmensleitung und die Justizabteilung. Er bezeichnete die Aussage als „Verunglimpfung“, die zu „verbalen, womöglich auch tätlichen Angriffen“ führen könne und den Betriebsfrieden störe. Wörtlich schrieb er: „Ich bitte den Arbeitgeber, den Schutz auf Leib und Leben unserer Mitglieder von Kraft durch Basis sicherzustellen.“
Nicht Rechte auf Personalratslisten gefährden demnach den Betriebsfrieden, sondern wenn das Aktionskomitee davor warnt. Während von Mitgliedern des Aktionskomitees keinerlei Gewalt ausging, will „Kraft durch Basis“ zusammen mit dem Vorstand gegen die kritischen Kollegen vorgehen. „Es wäre besser die Liste würde sich umbenennen in: ‚Kraft durch Vorstand‘“, erklärte Niklaus.
Auf einer Wahlkampf-Online-Versammlung am vergangen Sonntag ging Andy Niklaus noch einmal darauf ein, wie bedeutsam es ist, den Kampf gegen die miserablen Arbeitsbedingung und für höhere Löhne mit dem Kampf gegen Krieg und Aufrüstung zu verbinden.
Er sagte: „Es waren nicht wir, die das Thema Krieg und Aufrüstung auf die Tagesordnung gesetzt haben. Es waren die Regierung und der Senat, unterstützt vom BVG-Management und Verdi, die im Namen von Kriegstüchtigkeit Opfer verlangen. Sie haben den Zusammenhang geschaffen von Milliarden für Aufrüstung und Waffenlieferungen mit Extra-Profiten für die Superreichen und drastischen Sparprogrammen, unmenschlichen Arbeitsbedingungen und Inflation für uns.
Wir sind nicht bereit, das hinzunehmen. Wir wissen, was Aufrüstung und Krieg für uns Arbeiter bedeutet. Und wir sagen laut und deutlich: Nicht noch einmal! Zwei Weltkriege sind genug!“