Perspektive

Merz will Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern

Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz hat seine Absicht bekräftigt, die Ukraine mit deutschen Taurus-Marschflugkörpern zu beliefern. Auf die Frage, ob er zu seiner entsprechenden Forderung stehe, antwortete Merz am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Caren Miosga“: „Ja, ich habe das genauso gesagt, wie ich es gemeint habe.“

Taurus-Marschflugkörper [Photo by Jwnabd / wikimedia commons / CC BY-SA 3.0]

Merz‘ Drohung ist ungeheuer rücksichtslos und gefährlich. Er will sich am 6. Mai zum Kanzler wählen lassen, auf den Tag genau 80 Jahre nachdem Hitlers Wehrmacht in der Nacht vom 6. zum 7. Mai 1945 in Reims die bedingungslose Kapitulation unterzeichnete. Damit endete das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte.

In der Sowjetunion waren rund 27 Millionen Menschen – nach neueren Forschungen sogar bis zu 40 Millionen – dem Wüten der deutschen Angreifer zum Opfer gefallen. Sie wurden zu Tausenden erschossen, vergast und bei lebendigem Leibe verbrannt, nur weil sie Juden, Kommunisten oder Partisanen waren, oder weil sie als Zivilisten dem deutschen Drang nach „Lebensraum“ im Wege standen. Allein die Belagerung Leningrads, die 28 Monate dauerte, forderte 1,1 Millionen zivile Opfer, von denen 90 Prozent verhungerten. Weitere Millionen wurden als Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in deutschen Fabriken buchstäblich zu Tode gearbeitet.

Achtzig Jahre danach droht Merz Russland mit dem Einsatz einer Waffe, die eine ernsthafte Bedrohung für das Land darstellt. Der von Kampfflugzeugen abgeschossene Taurus unterfliegt feindliches Radar in weniger als 50 Meter Höhe und verfügt über vier voneinander unabhängige Navigationssysteme, die sich am Gelände orientieren. Er kann daher nur schwer abgeschossen oder in seiner Flugbahn gestört werden.

Mit einer Reichweite von über 500 Kilometern fliegt Taurus weiter als vergleichbare britische, französische und amerikanische Systeme und kann vom ukrainischen Luftraum aus Moskau erreichen. Sein Sprengkopf durchschlägt Bunkeranlagen und bringt anschließend eine Ladung von 480 Kilo zur Explosion. Die Programmierung und der Einsatz des komplexen Fluggeräts erfordern die Beteiligung deutscher Spezialisten.

Merz selbst nannte als Beispiel für den möglichen Einsatz des Taurus „die Zerstörung der wichtigsten Landverbindung zwischen Russland und der Krim,“ also der Kertsch-Brücke. Auf der Krim, so Merz, liege der größte Teil des militärischen Nachschubs für die russische Armee.

Die russische Regierung wird die Lieferung und den Einsatz dieser Waffe als Kriegserklärung verstehen. Niemand kann garantieren, dass sie darauf nicht mit Angriffen auf deutsche Ziele antwortet. Kremlsprecher Dmitri Peskow hat Merz bereits vorgeworfen, er unterstütze damit Maßnahmen, „die zu einer neuen Eskalation führen“. Merz‘ Vorgänger, der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz, hat deshalb die Lieferung von Taurus bisher abgelehnt, wenn auch nie völlig ausgeschlossen.

Doch obwohl Merz mit seiner Provokation das Risiko eines Atomkriegs eingeht, findet sich in den etablierten Parteien und Medien niemand, der ihm entgegentritt. Die SPD, Merz‘ zukünftiger Koalitionspartner, hat gemeinsam mit ihm das größte Aufrüstungsprogramm seit Hitler im Umfang von einer Billion Euro auf den Weg gebracht, um den Krieg gegen Russland zu verschärfen. Die Grünen, die jetzt aus der Regierung ausscheiden, setzen sich seit langem für die Lieferung von Taurus ein. Auch die Linkspartei hat die Kriegskredite unterstützt.

Dieselben Politiker und Journalisten, die jedes Kriegsverbrechen Israels mit der deutschen Verantwortung für den Holocaust rechtfertigen, kennen keine derartigen Skrupel, wenn es darum geht, Krieg gegen Russland zu führen. Im Gegenteil, die Kampagne gegen Russland nimmt immer offener revanchistische Züge an. In den herrschenden Kreisen wird der Sieg der sowjetischen Roten Armee über Hitlers Wehrmacht inzwischen wieder als Niederlage und nicht als Befreiung betrachtet. Die Geschichtsbücher werden entsprechend umgeschrieben.

Das ganze offizielle politische Leben Deutschlands ist von einer Kriegshysterie geprägt – die in der breiten Bevölkerung allerdings kaum Resonanz findet und auf Misstrauen und Ablehnung stößt.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der voraussichtlich im Amt bleiben wird, hatte bereits im vergangenen Sommer die Parole ausgegeben, Deutschland müsse bis 2029 „kriegstüchtig“ sein, um einen Krieg gegen Russland führen zu können. Die neue Regierung will noch in diesem Jahr die Wehrerfassung wieder einführen, um genügend Jugendliche für einen freiwilligen oder verpflichtenden Wehrdienst zur Verfügung zu haben.

Generalinspekteur Carsten Breuer hat das Ziel von 200.000 aktiven Soldaten und 260.000 Reservisten ausgegeben, um Deutschlands Nato-Verpflichtungen und seiner Rolle als logistische Drehscheibe für einen Truppenaufmarsch an der Ostflanke gerecht zu werden. Dafür müssen 20.000 zusätzliche aktive Soldaten rekrutiert und 100.000 weitere Reservisten ausgebildet werden.

Dem Präsidenten des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg (CDU), ist das nicht genug. Da laut NATO-Berechnungen „in einem möglichen Krieg“ an der NATO-Ostfront täglich von 5.000 Todesopfern unter den eigenen Truppen auszugehen sei, müssten diese ersetzt werden, sagt er. Sonst könne man leicht „ausrechnen, wie lange es dauert, bis die Front einbricht“. Um „Deutschland in der Fläche mit modernem Kriegsmaterial zu verteidigen“, seien 300.000 bis 350.000 Soldaten und knapp eine Million Reservisten erforderlich.

Selbst die widersprüchlichen Bemühungen von US-Präsident Donald Trump, mit Russland einen Waffenstillstand zu vereinbaren, stoßen in Berlin auf unverhohlene Ablehnung. Deutschland sowie andere europäische Mächte sind entschlossen, den verlustreichen Krieg gegen Russland um jeden Preis weiterzuführen.

Deutschland und Großbritannien haben inzwischen von den USA die Leitung der Ukraine-Kontaktgruppe übernommen, um den Waffen- und Munitionsnachschub für die Ukraine sicherzustellen. Und Frankreich und Großbritannien führen die sogenannte Koalition der Willigen an, die sich um die Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine bemüht.

Nachdem in der ukrainischen Stadt Sumy eine russische Rakete über 30 Opfer gefordert hatte, höhnte Merz bei „Caren Miosga“: „Ich sage mal allen, die naiv Putin auffordern, an den Konferenztisch zu kommen: Das ist die Antwort. Das ist das, was Putin mit denen macht, die mit ihm über einen Waffenstillstand sprechen.“

Die offizielle Propaganda, Russland werde ganz Europa angreifen, wenn es in der Ukraine nicht militärisch besiegt werde, ist gelogen. Dafür verfügt es weder über die wirtschaftlichen und militärischen Voraussetzungen noch über ein politisches Motiv. Das Putin-Regime, das die Interessen der russischen Oligarchen vertritt, hatte sich lange um die Aufnahme in den Kreis der imperialistischen Mächte bemüht. 2001 war Putin deshalb vom Deutschen Bundestag begeistert gefeiert worden.

Doch die imperialistischen Mächte wollten mehr. Sie stürzten im Irak, Libyen und Syrien gewaltsam Regierungen, zu denen Russland gute Beziehungen unterhielt, und dehnten die NATO immer weiter in Richtung Russland aus. 2014 unterstützten Washington und Berlin in Kiew einen Putsch, der – gestützt auf faschistische Kräfte – ein prowestliches Regime an die Macht brachte, begannen, die ukrainische Armee systematisch aufzurüsten, und provozierten so den reaktionären Angriff Russlands auf die Ukraine.

Nun bemühen sich die europäischen Mächte angesichts wachsender Konflikte mit den USA, den Krieg gegen Russland aus eigener Kraft weiterzuführen.

Wie wir in einem früheren Artikel schrieben, hat sich „die herrschende Klasse Deutschlands nie damit abgefunden, dass sie nach dem Scheitern von Hitlers Vernichtungskrieg militärisch ins zweite Glied zurücktreten musste“. Der wirkliche Zweck ihres gigantischen Aufrüstungsprogramms besteht darin, „Deutschland wieder in eine militärische Großmacht zu verwandeln, die sich von der amerikanischen Vorherrschaft befreien, Europa dominieren und es im Kampf um die gewaltsame Neuaufteilung der Welt mit anderen Großmächten – Russland, China und den USA – aufnehmen kann“.

Nur die Arbeiterklasse kann diesen Rückfall in Krieg und Barbarei stoppen. Sie trägt den Preis für Aufrüstung und Krieg in Form sinkender Löhne und Sozialleistungen, der Unterdrückung demokratischer Rechte und schließlich von Krieg und Zerstörung. Und sie produziert den ganzen Reichtum der Gesellschaft.

Schon jetzt wird Europa immer wieder von heftigen Klassenkämpfen und Protesten erschüttert. Doch diese Kämpfe brauchen eine Perspektive. Die Arbeiterklasse muss sich vom lähmenden Einfluss der Gewerkschaften und der pseudolinken Organisationen lösen, die das Kriegsprogramm offen unterstützen oder den Widerstand dagegen in die Sackgasse ohnmächtiger Appelle an die Herrschenden lenken.

Sie muss sich europa- und weltweit zusammenschließen und den Kampf gegen Sozialabbau, bessere Löhne und für demokratische Rechte mit dem Kampf gegen Krieg und seine Ursache, den Kapitalismus verbinden. Dafür kämpfen die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Schwesterorganisationen im Internationalen Komitee der Vierten Internationale.