USA: Zehntausende Boeing-Arbeiter stimmen für Streik

Boeing-Arbeiter verlassen den T-Mobile Park in der Innenstadt von Seattle, nachdem sie fast einstimmig für Streik votiert haben

Letzten Mittwoch stimmten mehr als 33.000 Maschinisten der Boeing-Werke in Washington und Oregon mit fast 99,9 Prozent für einen Streik, wenn ihr Tarifvertrag am 12. September ausläuft. Die Arbeiter des US-Luft- und Raumfahrtkonzern versammelten sich im T-Mobile Park, dem Stadion der Major-League-Baseballmannschaft Seattle Mariners. Sie gehören der Gewerkschaft International Association of Machinists and Aerospace Engineers (IAM) an.

Der Streikbeschluss ist Ausdruck der weit verbreiteten Stimmung unter Arbeitern, dass ihre grundlegenden Bedürfnisse und Forderungen nicht erfüllt werden. Ihr letzter Tarifvertrag wurde im Jahr 2008 ausgehandelt und war das Ergebnis eines 57-tägigen Streiks, der letztlich vom Gewerkschaftsapparat ausverkauft wurde. Er sollte ursprünglich nur für vier Jahre gelten, wurde aber ab 2012 mehrfach verlängert. Die letzte Lohnerhöhung, die die Arbeiter erhielten, war eine einmalige Erhöhung um 1 Prozent im Jahr 2014.

Das Abstimmungsergebnis ist auch ein Schlag gegen die Biden-Regierung und die US-Kriegsmaschinerie. Boeing ist ein wichtiger Rüstungskonzern für das Verteidigungsministerium und spielt eine entscheidende Rolle in den Kriegsplänen des US-Imperialismus gegen Russland und China sowie in dem andauernden, von den USA unterstützten Völkermord Israels in Gaza. Ein Streik bei Boeing würde diese mörderische Politik erheblich stören.

Ein Team der World Socialist Web Site verteilte eine Erklärung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) mit dem Titel „Boeing-Maschinisten: Stimmt für den Streik! Baut Aktionskomitees auf, um den Willen der Mitglieder durchzusetzen!“

Darin heißt es:

Der Kampf bei Boeing, ein Aushängeschild für Wirtschaftskriminalität, muss zur Speerspitze einer Offensive der gesamten Arbeiterklasse zur Verteidigung ihrer Interessen werden.

Die IWA-RFC forderte die Arbeiter auf, ihren Kampf für bessere Löhne und mehr Sicherheit mit dem Kampf gegen Krieg zu verbinden:

Boeing ist ein wichtiger Rüstungskonzern, der F-15-Kampfflugzeuge, V-22-Kampfhubschrauber und strategische B-52-Bomber herstellt. Ein Streik wäre ein schwerer Schlag gegen die anhaltende Unterstützung des Weißen Hauses für Israels Völkermord an den Palästinensern in Gaza und die eskalierende militärische Konfrontation des US-Imperialismus mit Russland und China.

Die profitorientierten Einsparungen in der Sicherheit, die zu zahllosen Unfällen von Boeing-Passagierflugzeugen geführt haben, zeigen, dass „das Management das Recht verwirkt hat, diese Entscheidungen zu treffen“. Abschließend wird in dem Flugblatt erklärt:

Die Arbeiter sind nicht den Profitinteressen verpflichtet und wissen genau, wie man sichere und qualitativ hochwertige Flugzeuge baut. Sie müssen darauf bestehen, dass sie das letzte Wort bei allen Aspekten der Produktion haben. Wenn das Management versucht, sie zur Arbeit ohne Sicherheitskontrollen zu zwingen, haben sie das Recht, die Arbeit niederzulegen.

Ein Arbeiter erklärte gegenüber der WSWS auf dem Weg ins Stadion: „Es gibt ein neunstufiges Gehaltssystem. Der Einstiegslohn ist niedriger als bei Beschäftigten in der Fast-Food-Branche. Man muss sechs Jahre arbeiten, um in die höchste Lohnstufe aufzurücken. Aber bei den niedrigen Anfangslöhnen hält es niemand so lange aus.“

Der Einstiegslohn von Beschäftigten der Fast-Food-Branche in Seattle liegt zwischen 27.000 und 34.000 Dollar pro Jahr.

Boeing-Arbeiter mit Plakaten bei der Urabstimmung der IAM in Seattle am 17. Juli 2024

Mehrere Arbeiter verwiesen auch auf die steigenden Lebenshaltungskosten und befürworteten einen möglichst umfassenden Kampf. Einer erklärte: „Die Lebenshaltungskosten sind ein ernstes Problem, weil die Löhne nicht Schritt gehalten haben.“ Ein anderer warnte: „Boeing versucht, unsere Renten und Pensionen zu kürzen.“ Wieder ein anderer erklärte: „Wir müssen für die nächste Generation streiken. Die Leute müssen unsere Position hören, nicht die des Unternehmens.“

Boeing hat alle Forderungen zurückgewiesen, auch die nach höheren Löhnen und besseren Sicherheits- und Qualitätskontrollen in den Werken. Nach der Abstimmung forderte das Management die Arbeiter in einer Erklärung auf, die „wirtschaftlichen Realitäten“ zu akzeptieren, „mit denen wir als Unternehmen konfrontiert sind“.

Doch für die Geschäftslage sind nicht die Arbeiter verantwortlich, sondern das Unternehmen. Bei zwei tödlichen Abstürzen von Flugzeugen des Typs 737 MAX 8 in den Jahren 2018 und 2019 starben 346 Passagiere und Besatzungsmitglieder. Seitdem steht Boeing wegen des vollständigen Abbaus interner Qualitäts- und Sicherheitskontrollen verstärkt unter öffentlicher Beobachtung.

Die Lage verschärfte sich, nachdem im Januar an einer Boeing 737 MAX 9 eine Tür abriss, wodurch 50 Menschen verletzt wurden. Seither haben zahlreiche Whistleblower über Schikanen und Vergeltungsmaßnahmen innerhalb des Unternehmens berichtet, wenn sie auf Sicherheits- und Qualitätsprobleme bei Boeing oder seinen Zulieferern hingewiesen haben. Zwei dieser Whistleblower, John Barnett und Joshua Dean, sind unter äußerst verdächtigen Umständen gestorben, nachdem sie Vorwürfe gegen Boeing erhoben hatten.

Ein Maschinist erklärte gegenüber der WSWS: „Der Tod dieser zwei Whistleblower – dahinter steckt Boeing.“

Aufgrund der wachsenden öffentlichen Aufmerksamkeit haben die Boeing-Aktien seit Januar mehr als 41 Milliarden Dollar an Wert verloren. Dennoch hat Vorstandschef David Calhoun, der Ende dieses Jahres zurücktritt, 32,8 Millionen Dollar im Jahr 2023 eingestrichen. Diese Entscheidung wurde im Mai dieses Jahres von den Aktionären gebilligt.

Gleichzeitig dürfen die Arbeiter nicht darauf vertrauen, dass die IAM ihre Forderungen erfüllen wird. So liegt die Forderung der Gewerkschaft nach einer 40-prozentigen Lohnerhöhung noch immer weit unter den Reallohnverlusten der letzten 16 Jahre.

Sie liegt auch weit unter dem, was die Arbeiter zum Überleben in Seattle und Umgebung brauchen. Die durchschnittliche Miete in Everett (Washington), nördlich von Seattle, wo die meisten Boeing-Maschinisten arbeiten, liegt bei 1.976 Dollar, in Seattle sogar bei 2.197 Dollar. Wenn das aktuelle Stufensystem bestehen bleibt, würden neu eingestellte Arbeiter nur etwa 3.150 Dollar brutto im Monat verdienen, sodass sie sich eine Wohnung in Seattle und Everett faktisch nicht leisten können.

Die Arbeiter brauchen mindestens das Doppelte der von der Gewerkschaft vorgeschlagenen Lohnerhöhung, um die Verluste auszugleichen und um weiterhin in der immer teurer werdenden Region Puget Sound leben zu können. Sie müssen außerdem für die Abschaffung des Lohnstufensystems kämpfen, das darauf ausgelegt ist, ältere und jüngere Arbeiter gegeneinander auszuspielen, um sie von ihren wahren Klassenfeinden abzulenken: dem Unternehmen und den korporatistischen Gewerkschaften.

Die Arbeiter müssen außerdem die volle Kontrolle über die Qualität und Sicherheit bei Boeing haben. Die letzten sechs Jahre haben gezeigt, dass es der Unternehmensleitung um Profit, nicht um Menschenleben geht. Während der Entwicklung des tödlichen Passagierflugzeugs MAX 8 investierte Boeing 92 Prozent seines Cashflows in Aktienrückkäufe für seine Investoren. Das ganze Geld hätte in die ordnungsgemäße Prüfung und Entwicklung des neuen Flugzeugs fließen müssen.

Die Forderungen werfen unmittelbar die Notwendigkeit auf, dass die Arbeiter die Kontrolle über die gesamte Produktion übernehmen. Die IAM erklärt, „wir wollen nicht streiken“, sondern „dieses Unternehmen ändern und es vor sich selbst retten“. Doch die Arbeiter wissen, dass Boeing nicht reformiert werden kann. Es ist ein Mikrokosmos des gesamten kapitalistischen Systems, das historisch überholt ist und die Menschheit in den Abgrund reißt.

Ein echter Kampf ist nur möglich, wenn die Arbeiter unabhängig die Initiative ergreifen. In allen Betrieben, egal ob groß oder klein, müssen Aktionskomitees gegründet werden. Sie müssen auf Arbeiter in anderen Branchen zugehen, darunter die Hafenarbeiter an der Ostküste, die ebenfalls im September in den Streik treten wollen. Sie müssen Massenstreiks vorbereiten als Teil des Kampfs gegen Krieg und seine Ursache, das kapitalistische System.

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