Palästina-Protestcamp an der Frankfurter Goethe-Universität

Trotz massiver Polizeigewalt und Medienhetze breiten sich die Palästina-Proteste weiter aus. In London demonstrierten am Samstag wieder eine Viertelmillion Menschen gegen den Genozid im Gaza, während in Berlin rund 10.000 auf die Straße gingen. Weltweit sind an über 200 Universitäten Palästina-Protestcamps errichtet worden.

Seit Pfingstmontag steht nun ein solches Protestcamp auch mitten auf dem Campus der Frankfurter Goethe-Universität. „Free, free Gaza!“ und: „Goethe take a side, justice or genocide“, skandierten die Studierenden, die das Camp aufbauten, das die ganze Woche über bleiben soll. Überall hängen Transparente und Plakate, auf denen zum Beispiel steht: „The power of the people is stronger than the people in power“.

Plakat am Frankfurter Protestcamp: „The power of the people is stronger than the people in power“

„Wir fanden, dass es eine unbedingte Notwendigkeit ist, uns gegen den Genozid im Gaza auszusprechen“, erklärte Daniel Shuminov, der das Camp angemeldet hatte. „Wir können es nicht aushalten, wie laut die Universität dazu schweigt.“ Und beim Schweigen sei es seitens der Unileitung nicht geblieben: „Immer wenn es pro-palästinensische Meinungsbekundungen an der Universität gab, wurden diese als ‚antisemitisch‘ gebrandmarkt.“

Die Universitätsleitung hatte mit allen bürokratischen Mitteln versucht, das Camp zu verhindern. In einer Pressemitteilung hatte Uni-Präsident Enrico Schleiff behauptet, dass das Camp für jüdische Studierende eine Bedrohung darstelle – ein Vorwurf, der Daniel in besonderem Maße kränkt, da er selbst einen jüdischen Familienhintergrund hat.

Auf einer improvisierten Pressekonferenz erklärte er zusammen mit Muad und Rhabab den Sinn des Camps: „In Rafah haben die Menschen nichts anderes mehr als Zelte, um darin zu schlafen. Wir solidarisieren uns mit ihnen. Wir sind Teil einer Weltbewegung von über 200 solcher Camps.“ Die Studierenden wiesen darauf hin, dass im Gazastreifen die anhaltenden israelischen Angriffe auf das Zivilleben schon tausende Schüler, Studierende und Lehrkräfte getötet haben. „Am 17. Januar 2024 ist die letzte Universität im Gaza zerstört worden.“

Daniel Shuminov (links) mit Muad und Rhabab vor dem Palästina-Protestcamp in Frankfurt

Das Universitäts-Präsidium hatte in einer Presseerklärung vom 17. Mai den Protestierenden schon im Vorfeld Gewalt, Einschüchterung und Antisemitismus unterstellt, ohne dass es dazu irgendeinen Anlass gegeben hätte. Die Jugendlichen reagierten darauf mit einer schriftlichen Stellungnahme, in der es heißt: „Diese Vorverurteilung und Diffamierung der eigenen Studierenden ist diskriminierend und besorgniserregend. (…) Die einzige tatsächliche bestehende Einschüchterungskulisse wird durch die Universitätsleitung kreiert, indem ein polizeilicher Ausnahmezustand beschworen wird.“

Tatsächlich wird das Camp rund um die Uhr von Dutzenden von Polizisten beobachtet, die auf dem Campus patrouillieren und sich vor den großen Gebäuden aufstellen. Am ersten Abend betraten Polizisten sogar das Protestcamp, um die Personalien mehrerer Hijab-Trägerinnen zu kontrollieren – eine klare Provokation, um Teilnehmende einzuschüchtern.

Auch ist das Camp einer systematischen Diffamierung in der Presse ausgesetzt, die beispielsweise die Behauptung von Uni-Präsident Enrico Schleiff, der Protest stelle eine Bedrohung für den Uni-Kindergarten dar, eins zu eins übernommen hat. Wie üblich wird die Kritik an der brutalen Aggression Israels mit „Antisemitismus“ gleichgesetzt. Dies trifft auf FAZ, Frankfurter Neue Presse und Frankfurter Rundschau zu.

Die Bild-Zeitung hat sich in der verleumderischen Hetze besonders hervorgetan und den Protest schon im Titel als „Israel-Hasser-Camp“ bezeichnet. In Stürmer-Manier heißt es im Text: „Erst Berlin, dann München und jetzt Frankfurt: Israel-Hasser wollen die nächste Uni mit ihren Parolen vergiften.“

Bild zitiert den hessischen Antisemitismus-Beauftragten Uwe Becker (CDU), der mit der verlogenen Behauptung Öl ins Feuer gießt, es sei „furchtbar, wie sich der Israel-Hass an einer weiteren Universität ausbreitet. Der linke Antisemitismus vermischt sich immer mehr mit islamistischer Judenfeindlichkeit.“

Für die Studierenden im Protestcamp ist das nichts Neues. Wie mehrere von ihnen der WSWS berichteten, war es in letzter Zeit an der Goethe-Uni schlechthin unmöglich, auf das Thema Gaza aufmerksam zu machen, ohne sofort als „antisemitisch“ angeprangert zu werden. Uwe Becker, der als Antisemitismusbeauftragter eine offizielle Funktion des Landes Hessen innehat, habe sie auch schon mit Exmatrikulation bedroht.

Besonders zynisch wirkt dabei die Heuchelei dieser angeblich liberalen Universität, die zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes große Tafeln aufstellen ließ, auf denen beispielsweise Artikel 5 zitiert wird: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (…) Eine Zensur findet nicht statt.“

Palästina-Protestcamp auf dem Campus der Frankfurter Goethe-Universität, 20. Mai 2024

Die Studierenden wollen mit ihrem Protestcamp, wie sie sagen, einen offenen Diskurs an der Uni über den Krieg im Gaza anstoßen. Das Ziel dieser Woche sei es, herauszufinden, welche Forderungen dazu sinnvoll seien.

Daniel Shuminov sagte: „Wir sind uns einig, dass wir alle gegen den Genozid im Gaza sind. Aber wie wir das auf die Universität runterbrechen können, das wollen wir in dieser Woche hier diskutieren.“ Die Studierenden haben die Hoffnung, dass die Universität „das Protestcamp als Chance begreift, um dringend notwendige Diskursräume zu öffnen“.

Allerdings steht die Goethe-Universität stark unter dem Druck ihrer Sponsoren und Financiers, zu denen neben der Stadt Frankfurt und dem Land Hessen auch die Europäische Zentralbank, die Deutsche Bundesbank und die Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main gehören. Die IHK Frankfurt benennt auf ihrer Website enge Verbindungen zu israelischen Unternehmen: „Über 7.000 deutsche und israelische Unternehmen pflegen langjährige Geschäftsbeziehungen miteinander und sorgten 2022 für ein bilaterales Handels- und Dienstleistungsvolumen von über 11 Milliarden Euro“, heißt es dort.

Es stehen also neben den politischen auch knallharte Wirtschaftsinteressen dahinter, wenn in der Öffentlichkeit jegliche Kritik an der brutalen Aggression Israels gegen die Palästinenser als „Israel-Hass“ denunziert und Antizionismus so falsch wie systematisch mit „Antisemitismus“ gleichgesetzt wird.

Aus diesem Grund erklären die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP), dass es notwendig ist, sich an die Arbeiter in den Fabriken und Betrieben zu wenden, um sie – unabhängig von ihren nationalistischen Gewerkschaftsführern – für einen Stopp von Waffenlieferungen an Israel und eine Generalstreikbewegung gegen Krieg zu mobilisieren. Dafür kämpft die SGP auch in der Europawahl.

Millionen Menschen haben in den letzten sieben Monaten gegen den grauenhaften Völkermord im Gazastreifen demonstriert. Sie müssen erkennen, dass ein Kurswechsel nötig ist. Denn die Proteste finden keinerlei Widerhall innerhalb der Regierungen, der etablierten Parteien und Gewerkschaften und auch der Universitätsleitungen. Diese reagieren im Gegenteil mit immer brutaleren Angriffen und Verboten, wie das jüngste Verbot der Palästina-Solidarität Duisburg in der letzten Woche gezeigt hat.

Um Klarheit zu schaffen, hat die SGP das Buch „Die Logik des Zionismus. Vom Nationalistischen Mythos zum Genozid in Gaza“ mit fünf Vorträgen von David Noth herausgebracht. Sie analysieren die reaktionären Grundlagen des Zionismus in historischer, ideologischer und politischer Hinsicht. In einem der Vorträge geißelt North den „Zynismus, die Heuchelei, die Demagogie und die hemmungslose Verlogenheit hinter der Kampagne, Opposition gegen Israels Angriff auf Gaza als ‚antisemitisch‘ zu diskreditieren“. Wie er erklärt, kann dies als „semantische Umkehrung“ verstanden werden. Dabei werde

ein Wort auf eine Weise und in einem Kontext verwendet, die das genaue Gegenteil seiner eigentlichen und seit Langem akzeptierten Bedeutung sind. Durch die schiere Kraft der Wiederholung, verstärkt durch alle dem Staat und den Leitmedien zur Verfügung stehenden Mittel, wird die Bedeutung eines Begriffs grundlegend verändert. Mit dieser Verfälschung soll das politische Bewusstsein der Bevölkerung herabgedrückt und ihre Fähigkeit zur Erkenntnis der Realität vernebelt werden.

North erklärt die politische Funktion dieser Verleumdung als

wichtige Waffe in den Bemühungen Israels und seiner imperialistischen Komplizen, all diejenigen einzuschüchtern und zu isolieren, die gegen den Völkermord an den Palästinensern protestieren.

Seine Vorträge kommen einem dringenden Appell an die Arbeiterklasse gleich, sich international zu erheben, um die Palästinenser zu verteidigen.

Loading