NRW-Innenministerium verbietet „Palästina Solidarität Duisburg“

Während der Genozid in Gaza mit der Offensive der israelischen Armee auf Rafah einen neuen mörderischen Höhepunkt erreicht, werden in Deutschland Gegner des Völkermords kriminalisiert.

Teilnehmer der DGB-Demo am 1. Mai in Duisburg, darunter auch Mitglieder der jetzt verbotenen Gruppe "Palästina Solidarität Duisburg"

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) hat am Donnerstag die Gruppierung „Palästina Solidarität Duisburg“ verboten und vier Wohnungen, darunter die des Sprechers Leon Wystrychowski, von der Polizei durchsuchen lassen. Als Vorwand dienen ihre angebliche Unterstützung der Hamas und ihr vorgeblicher „Antisemitismus“.

Die Polizei beschlagnahmte Laptops, Handys, PCs, Materialien und Unterlagen. Rund 50 Einsatzkräfte schleppten sie in Kartons aus den Wohnungen von vier Mitgliedern. Auch die Internetauftritte der Gruppierung wurden verboten und müssen abgeschaltet werden. Das Vermögen des Vereins wurde beschlagnahmt. Die Bildung von Ersatzorganisationen und die Verwendung der Kennzeichen des Vereins wurden verboten.

Die Initiative für das Verbotsverfahren sei vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz gekommen, teilte Reul in Düsseldorf mit. Da der Verein nur in Nordrhein-Westfalen aktiv war, konnte das Innenministerium von NRW das Verbot vorbereiten und aussprechen.

Die Duisburger Gruppe, die Aktivisten und Einzelpersonen Anfang 2023 gegründet hatten, war vor allem seit dem 7. Oktober aktiv. Sie organisierte und beteiligte sich an Demonstrationen gegen den Genozid in Gaza. In seiner Pressemitteilung bestätigte das NRW-Innenministerium, dass es sich bei „Palästina Solidarität Duisburg“ um eine Vereinigung handle, „die es sich zur Aufgabe gemacht hat, schwerpunktmäßig in Duisburg, aber auch überregional Palästina-Solidaritätsarbeit zu leisten“.

Erst am Mittwoch hatte die Gruppe eine Kundgebung zum Gedenken an die Nakba, die „Katastrophe“ von 1948, in der Duisburger Innenstadt abgehalten. Vor 76 Jahren waren rund 800.000 arabische Einwohner Palästinas von zionistischen Truppen aus ihren Dörfern und Städten vertrieben worden. Die Kundgebung war, wie alle anderen, zuvor friedlich und ohne weitere Vorkommnisse verlaufen – abgesehen von den immer absurderen Auflagen der Polizei, die verbieten, die Wahrheit über die Massaker in Gaza auszusprechen.

Begründet wird das Verbot nun damit, dass die Gruppe in ihrer Selbstdarstellung ausdrücklich die Befreiung Palästinas „in den Grenzen von 1947 und damit vor der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 anstrebt“ und sich „ausdrücklich mit dem palästinensischen Widerstand in allen Formen“ solidarisiert, „womit auch der bewaffnete Kampf der Terrororganisation Hamas gegen Israel einbezogen“ werde.

Mit einer ähnlich absurden Konstruktion hatte das Amtsgericht Duisburg Wystrychowski bereits am 10. April angeklagt und verurteilt. Als Anlass dienten zwei Sätze, die er als Sprecher auf einer pro-palästinensischen Demonstration am 9. Oktober im Duisburger Stadtteil Hochfeld ausgerufen hatte: „Yalla Intifada, von Duisburg bis nach Gaza“ und „From the river to the sea, Palestine will be free“. Laut Amtsgerichtssprecher Dr. Rolf Rausch soll er damit die Ermordung israelischer Staatsbürger gutgeheißen haben.

Der Richter musste eingestehen, dass die inkriminierten Sätze nicht zu einer Anklage geführt hätten, wenn sie zum Zeitpunkt des Verfahrens – also im April 2024 – geäußert worden wären. Da sie aber in „zeitlicher Nähe“ zum Anschlag der Hamas – zwei Tage nach dem 7. Oktober – fielen, hätten sie das „massenhafte Morden der Hamas“ gebilligt. Der Student wurde schließlich wegen Billigung von Straftaten, die im Ausland begangen wurden, zu einer Geldstrafe verurteilt.

Innenminister Reul bediente sich beim Verbot der Palästina-Gruppe außerdem des falschen Antisemitismus-Vorwurfs. Hinter der Solidarität mit Palästina verberge sich „nichts Anderes als Judenhass“.

In Wirklichkeit spricht sich die Gruppe sowohl auf ihren Kundgebungen wie in ihrer Selbstdarstellung ausdrücklich gegen Antisemitismus aus. Aber sie lehnt den Zionismus ab und tritt für einen gemeinsamen Staat von Juden und Palästinensern in Palästina ein.

Das Innenministerium dagegen setzt Israel-Kritik und die Verurteilung des Genozids in Gaza mit Antisemitismus gleich: „Die ideologische Ausrichtung der Gruppe ist durch ein antiisraelisches und antisemitisches Weltbild geprägt“, heißt es in der Pressemitteilung des Ministeriums. Die Vereinigung trage so Hass und Gewalt in das Verhältnis von Israelis und Palästinensern hinein und gefährde „Leib und Leben der in Deutschland lebenden israelischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie von Jüdinnen und Juden“.

Das Verbot der „Palästina Solidarität Duisburg“ ist die letzte Eskalationsstufe einer langen Reihe von Verfolgungs- und Unterdrückungsmaßnahmen gegen Gegner des Genozids in Gaza. Wohnungen werden durchsucht, Demonstrationen verboten oder durch Auflagen eingeschränkt, Räumlichkeiten wie das Kulturzentrum Oyoun in Berlin geschlossen. Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wurden sogar zwei Mädchen-Freizeitzentren geschlossen, weil eine Mitarbeiterin auf einer pro-palästinensischen Demonstration gesichtet worden war.

Wissenschaftler wie der Anthropologe Ghassan Hage vom Max-Planck-Institut in Halle werden entlassen. Der Palästina-Kongress in Berlin wurde von der Polizei aufgelöst. Zuvor war das Konto der „Jüdischen Stimme“ gesperrt worden. Die Universitätsleitungen der Humboldt- und der Freien Universität in Berlin sowie der Leipziger Universität setzen Polizei gegen ihre Studierenden ein und lassen Protestcamps der Studierenden brutal auflösen.

Diese diktatorischen Maßnahmen richten sich nicht gegen Antisemitismus. Im Gegenteil, auch viele jüdische Gegner des Genozids sind davon betroffen. Sie dienen der Unterdrückung von Kriegsgegnern und jeder Opposition gegen die Politik der herrschenden Klasse. Als nächstes werden streikende Arbeiter davon betroffen sein.

Die Bundesregierung unterstützt die rechtsextreme israelische Regierung nicht aus Sorge um jüdisches Leben, sondern aus imperialistischen Interessen. Der Völkermord in Gaza ist eine Front im sich entwickelnden globalen Krieg um die Neuaufteilung der Welt. Deutschland ist neben den USA eine der Haupttriebkräfte dieser Kriegsentwicklung – im Nahen Osten, in der Ukraine und im Fernen Osten. Das ist der Grund, weshalb sie ihre Großmachtpolitik und ihre Unterstützung für einen Genozid ausgerechnet mit dem zynischen Verweis auf den Kampf gegen Antisemitismus rechtfertigt.

Die Gefahr eines erneuten Anwachsens des Antisemitismus in Deutschland ist real. Aber sie geht nicht von den Gegnern des Genozids in Gaza, wie der „Palästina Solidarität Duisburg“, aus. Sie geht von der Bundesregierung selbst aus, die in der Ukraine mit echten Antisemiten und Nazis paktiert, um Russland zu unterwerfen. Und sie geht von der AfD aus, die von den Herrschenden in Politik und Staat hofiert und aufgebaut wird.

Reul erklärte, das Verbot der „Palästina Solidarität Duisburg“ komme zur richtigen Zeit und setze das richtige Zeichen. „Der Staat hat heute klare Kante gegen Extremismus gezeigt.“ Tatsächlich hat der Staat „klare Kante“ gegen Gegner eines Genozids und das Recht auf Meinungsfreiheit gezeigt.

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