Die Demonstrationen gegen den Genozid im Gaza reißen nicht ab. Sie richten sich nicht nur gegen das mörderische Massaker Israels an den Palästinensern, sondern auch gegen die Bundesregierung, ihre Waffenlieferungen an Israel und ihre verlogene Propaganda des „Antisemitismus“. In der Bevölkerung bröckelt die Unterstützung Israels als „Staatsraison“.
Auf drei mächtige Demonstrationen der letzten Wochen in Stuttgart, Frankfurt und Mannheim folgte am vergangenen Montag eine Demonstration in Nürnberg gegen Aufrüstung und Waffenlieferungen. Dort protestierten am 26. Februar mehrere hundert Teilnehmer gegen die dreitägige Messe „Enforce Tac“. Diese Waffenmesse, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, wurde am Montag von ihrem Schirmherrn, dem bayrischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eröffnet.
Sie präsentierte einem „Fachpublikum“ aus Militär, Polizei, Nachrichtendiensten und Behörden nicht nur die Neuheiten von Heckler & Koch, Rheinmetall und anderen Rüstungskonzernen, sondern auch das „im Einsatz erprobte Militärgerät“ von Elbit, dem größten israelischen Waffenhersteller. Als zynisches Highlight wurde dieses Jahr das „Enforce Tac-Village“ eingerichtet, um den Einsatz von Militärgerät live auszutesten. In dem Werbematerial dazu wurde dieses zum Beschuss freigegebene Messedorf erst im Look einer Palästinenserstraße mit Obststand, Menschenpuppen und arabischem Scraffito präsentiert, ehe die Proteste dagegen zu groß wurden.
Gegen den menschenverachtenden Zynismus dieser Nürnberger Waffenmesse hatten mehrere Palästinakomitees, die Jüdische Stimme, eine kurdische Organisation und antimilitaristische deutsche Initiativen zum Protest aufgerufen. Als die Demonstration lautstark durch die überwiegend proletarischen Stadtviertel zog, applaudierten Anwohner von Fenstern und Balkonen. Vor der Messe wurden Parolen laut, die den Boykott von Elbit und Streiks gegen die Rüstungsindustrie forderten.
Die Demonstration in Nürnberg wurde auf Schritt und Tritt von einem massiven Polizeiaufgebot der USK-Spezialkräfte begleitet. Die Polizei hatte weitreichende Auflagen diktiert. Pauschal verboten waren praktisch alle Parolen, die für ein freies, geeintes Palästina plädieren oder Sympathie für den Befreiungskampf der palästinensischen Bevölkerung ausdrücken.
Auch für die Palästina-Demonstrationen in den anderen Städten galten strenge Auflagen, und starke Polizeikontingente überwachten penibel ihre Einhaltung. Immer wieder wurde so das Recht auf freie Meinungsäußerung mit Füßen getreten. In Frankfurt fuhr am 3. Februar sogar ein immenser Wasserwerfer vorneweg durch die City, um die rund 2000 konsequent friedlichen Demonstrationsteilnehmer einzuschüchtern. Die zentrale Forderung in Frankfurt lautete: „Stoppt die Kriminalisierung der Palästina-Solidarität.“
Immer wieder wiesen Slogans darauf hin, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem Kampf gegen den Genozid im Gaza und dem Kampf gegen die Kriegspolitik und Rüstungslobby in Deutschland, auch gegen den rechten Terror und seine Hintermänner in Politik und Staat. Skandiert wurden Parolen wie: „Von Hanau bis nach Gaza, Yallah Intifada“, „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt“ oder (an die Außenministerin gerichtet): „Baerbock, Baerbock you will see, Palestine will be free.“
Auf den Schildern und Transparenten standen Sätze wie diese: „Es ist nicht kompliziert: Es ist ein Genozid!“, „I condemn your silence“ oder „Nicht meine Regierung“. Im Gespräch mit der WSWS drückten viele Teilnehmer ihre Wut und Enttäuschung über die Ampel-Regierung und ihre Entschlossenheit aus, Krieg und Genozid zu stoppen.
Mohamed, Ahmad und Hossam waren drei von über 3000 Teilnehmern, die am 24. Februar von der Alten Feuerwache zum Mannheimer Schloss zogen, um die Palästinenser in Gaza zu unterstützen. „Es darf keine Kriegs- und Waffentransporte mehr geben“, sagte Hossam. „Deshalb bin ich hergekommen: Wir müssen einen Weg finden, den Genozid zu stoppen.“ Im Gespräch darüber, dass alle Berliner Parteien den Waffenlieferungen im Bundestag zugestimmt haben, sagte Ahmad: „Wir brauchen eine Partei, die uns Arbeiter vertritt und gegen Krieg aufsteht, auch gegen den Krieg in der Ukraine und natürlich im Gaza.“
In Stuttgart sprachen wir am 13. Januar mit Juliane, die sich erst seit Oktober 2023 mit dem Thema befasst und seither – „ich weiß nicht, wie oft schon“ – auf die Straße gegangen ist. Sie sagt: „Ich finde es extrem ekelhaft, dass die deutsche Regierung Israel mit Waffenlieferungen und politisch unterstützt, und dass ein Waffenstillstand als inakzeptabel abgelehnt wird. (…) Hier wird ein Völkermord geleugnet, und keine Partei, nicht einmal die Linke, steht dagegen auf. Das ist dermaßen peinlich, aber keiner spricht öffentlich darüber. Besonders schlimm finde ich die Grünen. Da gab es vor einiger Zeit eine Rede von Habeck, die jeder cool fand. Ich frage mich: Warum? Als ob das Thema Waffenlieferungen irgendwie etwas Gutes wäre.“
Sie fuhr fort: „Stattdessen wird jeder, der dagegen protestiert, als antisemitisch verleumdet. Ich bin wirklich extrem enttäuscht von der kompletten Regierung. Ich kann gar nicht darüber nachdenken, ohne wütend zu werden. Das ist so ekelhaft, wie Deutschland sich selber diese Integrität zuspricht: ‚Nie wieder!‘ und dass es niemals wieder so einen Völkermord wie in der Nazizeit geben darf. Und jetzt passiert es gerade.“
Juliane unterstützte den Europawahlkampf der Sozialistischen Gleichheitspartei und erklärte: „Ja, es stimmt: wir brauchen wirklich eine neue Partei, die das nicht mitmacht. Da stimme ich voll zu. Diese Demonstrationen sind momentan das einzige: Die Arbeiter und einfache Bürger gehen auf die Straße und demonstrieren gegen den Völkermord. Das passiert gerade überall auf der Welt. Ich unterstütze es absolut, dass Arbeiter sich zusammenschließen müssen, außerhalb der Parteien im Landtag oder im Bundestag, einfach nur als Menschen.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Max, ein junger Stuttgarter, war zum ersten Mal auf einer Demonstration und sagte: „Ich bin jetzt mal mitgekommen, weil ich das Gefühl habe und seit einer Weile merke, dass es so nicht weitergeht. Was auf der politischen Ebene passiert, ist nicht in Ordnung, und ich denke, dass ich mich auf diese Weise beteiligen kann. Hier geht es um Antizionismus, nicht um Antisemitismus: Diese Leute hier sind keine ‚Judenhasser‘. Wir sind alle einfach gegen den Völkermord und dagegen, dass die Bundesregierung Israel mit Waffen unterstützt. Deutschland hat sich sogar im Gerichtsprozess des IGH an die Seite von Israel gestellt. Da habe ich mir an den Kopf gefasst: Das ist ja nicht zu glauben. Aber wir erleben es seit einiger Zeit immer wieder, dass hier für Krieg aufgerüstet wird. Und ich glaube, keine Partei, die im Bundestag sitzt, ist in dieser Frage besser.“
Die Teilnehmer kamen teilweise von weit her, um zu demonstrieren. Muntehe, die am 24. Februar aus dem Saarland nach Mannheim kam, betonte, ihr sei vor allem eins wichtig: „Jeder Mensch ist gleich viel wert. Deshalb muss der Krieg gestoppt werden, im Gaza und auf der ganzen Welt.“
Ana, eine junge Frau aus Karlsruhe, erklärte: „Man muss das palästinensische Volk unterstützen bei dem, was gerade passiert. Es kann doch nicht sein, dass unsere Regierung hier gegen rechts auf die Straße geht und in Israel eine rechtsradikale Regierung unterstützt. Gerade vor der deutschen Vergangenheit ist das wichtig. Es ist eine falsche Auffassung, dass man das historische Unrecht gegen die Juden wettmachen könnte, indem man zulässt, dass das palästinensische Volk zerstört wird. Wer sich über die Geschichte der Palästinenser und der Israelis informiert, weiß natürlich, dass das nicht erst am 7. Oktober angefangen hat. Das geht weit zurück, es hätte schon vor 75 Jahren gestoppt werden müssen.“
Mehr und mehr wehren sich Arbeiter und Jugendliche gegen die allgegenwärtige Kriegspropaganda und zeigen auch im Alltag Zivilcourage. In einem Stuttgarter Arbeiterviertel unterstützten Jugendliche spontan ein Team der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), das Unterschriften für die Zulassung der Partei zur Europawahl sammelte. Das Team hatte ein Plakat, „Stoppt den Genozid in Gaza“, aufgestellt.
Als eine etwa 50-Jährige aggressiv und laut schrie, hier würden „Hamas-Terroristen“ unterstützt, griffen zwei Schüler, ein Mädchen und ein Junge, ein und erklärten, dass das, was das israelische Militär in Gaza macht, ein brutaler Völkermord sei. Und dass die deutsche Regierung ihn unterstütze. Die Jugendlichen sagten, dass es „mutig“ sei, hier mit einem Plakat für Gaza offen aufzutreten, denn: „Die Medien sind Kriegshetzer, die die Wahrheit vertuschen.“
Als die Frau sich entfernte, rief das Mädchen laut, dass es selbst auch bereit sei, die palästinensische Bevölkerung gegen solche Menschen, die den Genozid begrüßen, zu verteidigen. Eine weitere ältere Frau kam hinzu, hatte alles beobachtet und erklärte, dass auch sie es für richtig halte, gerade jetzt offen gegen den Krieg aufzutreten.