Linkspartei-Granden huldigen Erzreaktionär Schäuble

Seit dem Tod von Wolfgang Schäuble am 26. Dezember ergehen sich Politik und Medien in Lobeshymnen auf den langjährigen CDU-Vorsitzenden und Finanz- und Innenminister. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier pries ihn als „herausragenden Staatsmann“ und „Glücksfall für die deutsche Geschichte“, Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) als „scharfen Denker“ und „streitbaren Demokraten“ und die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als „eine überragende Persönlichkeit mit politischer und programmatischer Weitsicht“.

Besonders hervor tun sich bei der penetranten Heiligsprechung des Erzreaktionärs Schäuble auch prominente Vertreter der Linkspartei. Der langjährige Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, veröffentlichte auf X (vormals Twitter) sogar ein Foto, das ihn kniend vor Schäuble zeigt. Im Text zum Bild feiert er ihn als „herausragenden Demokraten“

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Noch überschwenglicher gab sich der Gründervater der Linken und ehemalige Präsident der Europäischen Linken Gregor Gysi. Auf X würdigte er Schäuble für „seine Geradlinigkeit, seine Disziplin und seine menschliche Anständigkeit“, die „bis heute Maßstäbe in der Bundespolitik“ setzten. Und weiter: „Sein unbeugsamer Einsatz für Berlin als gesamtdeutsche Hauptstadt bewies politische Weitsicht. Seinen Sinn für Humor spürte ich mehrfach.“

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Die persönliche und politische Ehrerbietung der Linkspartei-Granden für Schäuble ist nicht einfach eine persönliche Marotte. In ihr zeigt sich der durch und durch pro-kapitalistische und rechte Charakter der Linkspartei. Der 1942 in Freiburg geborene Schäuble war einer der reaktionärsten Politiker der deutschen Nachkriegsgeschichte und spielte seit seinem Eintritt in den Bundestag 1972 eine Schlüsselrolle beim Abbau von demokratischen Rechten, sozialen Angriffen und der Rückkehr des deutschen Militarismus.

Wenn Schäuble in irgendetwas „herausragend“ war, dann in seiner Rolle als Todfeind der Arbeiterklasse. Am deutlichsten zeigte sich das in der letzten Dekade im deutsch-europäischen Spardiktat, dass Schäuble als Finanzminister zwischen 2009 und 2017 auf dem ganzen Kontinent durchsetzte. Vor allem Griechenland verordnete er mit geradezu sadistischer Lust ein Austeritätspaket nach dem anderen, was Millionen in bittere Armut stürzte und das Bildungs- und Gesundheitssystem einer ganzen Gesellschaft zerstörte.

Die Maßnahmen gingen mit massiven Angriffen auf demokratische Rechte einher, die Schäuble aggressiv vorantrieb. Besonders berüchtigt sind seine antidemokratischen Ausfälle vor den Wahlen in Griechenland 2012. Schäuble schwadronierte von „Wahlen zur Unzeit“ und verlangte von allen teilnehmenden Parteien eine schriftliche Versicherung, dass sie auch nach den Wahlen vollumfänglich an der Kürzungspolitik festhielten. Seine uneingeschränktes Eintreten für die Diktatur des Finanzkapitals gipfelt in der Forderung, Griechenland müsse die Bedingungen der EU einhalten, „da können die Griechen wählen, wie sie wollen“.

Die gleiche Vorliebe für Autoritarismus und einen hochgerüsteten Polizeistaat legte Schäuble in seiner Funktion als Innenminister im ersten Kabinett Merkel (2005 bis 2009) an den Tag. Zu seinen Forderungen gehörten der Einsatz der Bundeswehr im Innern und die Erlaubnis für das Militär, im Terrorfall Zivilflugzeuge abzuschießen. Schäuble agitierte gegen die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste, forderte die Abschaffung von Grundrechten für „Terroristen“ und plädierte dafür, auch durch Folter erpresste Aussagen bei der Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden zu verwenden.

Auch das griechische Spardiktat hatte seinen Vorläufer in der deutschen Innenpolitik unter Schäuble. Schäuble war einer der zentralen Architekten der deutschen Wiedervereinigung auf kapitalistischer Grundlage und der damit einhergehenden sozialen Konterrevolution. Als er unter Helmut Kohl (CDU) zwischen 1989 und 1991 erstmals das Amt des Innenministers innehatte, diktierte er den Einigungsvertrag zur Auflösung der DDR und damit einen Sozialkahlschlag, der in Friedenszeiten beispiellos ist. Dies sind nur einige Zahlen:

Die Treuhandanstalt wickelte insgesamt 14.000 volkseigene Betriebe ab. Einige wurden verscherbelt, die meisten stillgelegt. Innerhalb von drei Jahren wechselten oder verloren 71 Prozent aller Beschäftigten ihren Arbeitsplatz. Zusammen mit dem staatlichen Eigentum wurden die sozialen Errungenschaften zerstört, die darauf basierten: das Recht auf Arbeit, auf medizinische Versorgung, Bildung und auf Kinderbetreuung. Allein in Sachsen wurden seit der Wende mehr als 1.000 Schulen geschlossen.

Die soziale Konterrevolution im Osten diente auch als Hebel, die Löhne und Arbeitsbedingungen im Westen massiv anzugreifen. Die durchschnittlichen Reallöhne in ganz Deutschland liegen heute unter dem Niveau von vor 30 Jahren. Die Stundenlöhne von Geringverdienern sanken seit 1995 real sogar um bis zu 20 Prozent. Wenn die Ampel-Koalition jetzt in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften die nächste Kürzungsorgie organisiert, um die Milliarden für Krieg und Aufrüstung bei der arbeitenden Bevölkerungen einzutreiben, setzt sie Schäubles Werk fort.

Auch in den letzten Jahren seines Lebens war Schäuble ein Stichwortgeber und Einpeitscher für den extrem rechten und militaristischen Kurs der herrschenden Klasse. Als Bundestagspräsident (2017 bis 2021) plädierte er wiederholt in Grundsatzreden und Interviews dafür, „militärische Gewalt anzuwenden“ und dafür auch den notwendigen „moralischen Preis“ zu zahlen. „Die Lehre aus Auschwitz“ könne „kein Argument dafür sein, dauerhaft kein Engagement zu übernehmen“, erklärte er provokativ. Mit anderen Worten: Schäubles Lehre aus dem Holocaust und den verbrecherischen Kriegen des deutschen Imperialismus im 20. Jahrhundert lautete: Neue Kriege und Verbrechen.

Mit der gleichen Skrupellosigkeit argumentierte er in der Pandemie für die mörderische Durchseuchung der Bevölkerung, um die Profite der Großkonzerne und die Vermögen der Banken und Superreichen zu sichern. In einem Interview mit dem Tagesspiegel erklärte er im April 2020, es sei „nicht richtig“, dass „alles andere vor dem Schutz von Leben zurückzutreten“ habe. Das Recht auf Leben sei auch nicht „absolut“ vom Grundgesetz geschützt. Auf die Nachfrage der Zeitung, ob man „in Kauf nehmen muss, dass Menschen an Corona sterben?“, antwortet Schäuble kaum verhohlen mit „Ja“.

Wir kommentierten damals:

Mit seinem abstoßenden Versuch, die Würde des Menschen gegen das Recht auf Leben auszuspielen, unterstreicht Schäuble, dass die herrschende Klasse 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder an ihre faschistischen Traditionen anknüpft. Der Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen in unantastbar“) wurde nach dem Terror und der Vernichtungspolitik der Nazis in das Grundgesetz aufgenommen – erklärtermaßen um Grundrechte zu schützen, und nicht etwa, um sie erneut auszuhebeln.

Doch die Zeiten, in denen die deutschen Eliten auf Grund ihrer historischen Verbrechen in zwei Weltkriegen gezwungen waren, etwas Kreide zu fressen, sind vorbei. 30 Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion und der Wiedervereinigung stellen sie ihre ganze Ignoranz, Brutalität und Unmenschlichkeit wieder offen zur Schau. Schäuble, der dienstälteste Abgeordnete des Bundestags und frühere Innen- und Finanzminister, verkörpert diese Entwicklung wie kaum ein anderer Vertreter der herrschenden Klasse.

Hinter der posthumen Liebe eines Bartsch oder Gysi für Schäuble liegen diese reaktionären Prozesse im Diesseits. Es ist eine Tatsache, dass Die Linke und ihre Vorgängerorganisationen die zutiefst arbeiterfeindliche Politik Schäubles schon zu Wendezeiten nicht nur passiv begleitet, sondern aktiv unterstützt und durchgesetzt haben. Es war die SED/PDS unter Gysis Führung, die die Restauration des Kapitalismus in der DDR auf den Weg gebracht und damit die Voraussetzung für all die reaktionären Entwicklungen seitdem geschaffen hat.

Auch bei der Zerstörung Griechenlands spielte Die Linke eine Schlüsselrolle. Ihre Schwesterpartei in Griechenland, Syriza, paktierte als Regierungspartei direkt mit Schäuble, um das Spardiktat der Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) gegen den massiven Widerstand der griechischen Arbeiter durchzusetzen. Um ihr dabei den Rücken zu stärken, stimmte die Linksfraktion im Februar 2015 – angeführt von Gysi und Bartsch – selbst für Schäubles brutales Sparpaket.

Dieselbe aktive Rolle spielte und spielt Die Linke bei den anderen zentralen Plänen der herrschenden Klasse, die von Schäuble forciert wurden. Sie unterstützt die Kriegsoffensive gegen Russland in der Ukraine, Israels Genozid an den Palästinenser und setzt überall wo sie (mit)regiert die Politik des Sozialkahlschlags, der Polizeistaatsaufrüstung und der Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten in die Tat um. Das gleiche gilt für die Durchseuchungspolitik in der Pandemie.

Vor diesem Hintergrund schafft der Kniefall der Linkspartei-Granden vor Schäuble, der unter Arbeitern und Jugendlichen in ganz Europa zutiefst verhasst ist, auch Klarheit. In ihrem Kampf gegen die kapitalistische Barbarei sind die Arbeiter nicht nur mit den offen rechten Vertretern der herrschenden Klasse vom Schlage eines Schäuble konfrontiert, sondern auch mit den nominell Linken, die die Fratze der Reaktion auch im Tod wie magisch anzieht.

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