In ganz Deutschland fanden am Wochenende große pro-palästinensische Demonstrationen statt. Slogans wie: „Waffenstillstand jetzt“ und „Free Palestine – free Gaza!“ waren überall zu hören und zu lesen, sowie auch „Equal Rights for Palestinians“, „Meinungsfreiheit muss auch für Palästinenser gelten“.
Was auch immer der Staat und die Regierungen versucht hatten, um die Proteste durch strenge Auflagen, Verbote, Schikanen und Verhaftungen einzudämmen, es gelang ihnen nicht.
Die friedlichen Demonstrationen in praktisch allen deutschen Großstädten zeugten von dem Anschwellen einer wirklichen Massenbewegung gegen Krieg, die sich nicht mehr so leicht aufhalten lässt. Wie es in dem „Aufruf an die Arbeiterklasse und Jugend“, den die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) massenhaft verteilte, heißt: „Trotz der unerbittlichen Propaganda steht die breite Masse der Arbeiter und Jugendlichen auf der ganzen Welt auf der Seite der Palästinenser.“
In Berlin waren die roten SGP-Plakate der Sozialistischen Gleichheitspartei mit der Aufschrift, „Stoppt den Genozid in Gaza“ weithin sichtbar. Die Demonstration, die am Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus startete und am Potsdamer Platz endete, zählte rund 20.000 Teilnehmer. Darunter waren nicht nur viele Palästinenserinnen und Palästinenser, sondern auch eine große Anzahl junger Menschen aus Deutschland und den verschiedensten Ländern der Welt.
Organisatoren waren nicht nur palästinensische Gruppen wie „Palästina spricht“ und „Palästina Kampagne“, sondern auch die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.“ und der „Jewish Bund“. Dies allein zeigt schon, wie falsch und verlogen die Regierungspropaganda ist, die jede Kritik an dem planmäßigen Genozid der Netanjahu-Regierung als „antisemitisch“ verleumdet. Viele in Berlin teilten die Meinung, die ein Münchner Teilnehmer so formulierte: „Wir können es nicht fassen, dass die Medien so einseitig berichten. Israels Recht auf Selbstverteidigung bedeutet nicht, dass man die Palästinenser in Grund und Boden bomben darf.“
Am Berliner Marsch nahm die SGP mit einer eigenen Delegation teil. Johannes Stern, Chefredakteur der deutschsprachigen WSWS, sprach über den Lautsprecherwagen der SGP. Er verurteilte den Völkermord und die Komplizenschaft der herrschenden Klasse in Deutschland und betonte in seiner Rede: „Die einzige Möglichkeit, die kapitalistische Barbarei zu beenden, besteht in der Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.“
In ihrem Aufruf formuliert die SGP ihre Perspektive mit den Worten:
Es ist keine Zeit zu verlieren. Maßnahmen zur Beendigung des Krieges dürfen nicht den politischen Manövern der kapitalistischen Regierungen untergeordnet werden (…) Der Widerstand gegen die Verbrechen Israels muss sich auf die internationale Arbeiterklasse stützen und zu der mächtigen Waffe eines politischen Generalstreiks in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung greifen.
Das sprach zahlreichen Teilnehmern aus dem Herzen. Viele hatten selbstgemachte Schilder mitgebracht, auf denen sie den Völkermord an den Palästinensern kritisierten: „Jede 10. Minute stirbt ein Kind in Gaza“, hieß es da. „Bomben auf Kinder ist keine Selbstverteidigung“ oder „Wieviel zählt ein palästinensisches Menschenleben?“ Andere wiesen auf das „Freiluftgefängnis“ hin, in dem die Menschen im Gaza seit fast 20 Jahren leben, und forderten: „End Apartheid!“ und: „Schluss mit der israelischen Siedlungs- und Besatzungspolitik!“
In Frankfurt fand am Freitag, den 3. November, eine Kundgebung und ein Friedensmarsch statt, an dem sich trotz einschüchternder Polizeipräsenz zum Schluss über 800 Menschen beteiligten. Auch hier hielten sehr viele Demonstrierende handgemalte Plakate hoch, um auf die grauenhaften Zustände im Gaza hinzuweisen: „3.648 tote palästinensische Kinder – was wollen wir unserer Nachkommenschaft erzählen?“, „You can‘t build a Holy Land on the Mass Graves of Children“, oder: „Bombing Children is not Self-Defence!“
Besonders in Frankfurt, wo die Kundgebung eher klein war, trat die Polizei extrem provokativ auf. In der City waren beide Längsseiten des Rathenauplatzes, wo sich die Demonstrierenden versammelten, von geschlossenen Reihen von Polizei-Vans gesäumt. Martialisch ausgerüstete Einheiten bedrängten die Demonstrierenden, und Polizisten fotografierten und filmten auf penetrante Art jede Bewegung.
Zudem wurde die Hauptrednerin, eine afghanisch-bayrische Muslima, ständig über Lautsprecher mit Verbotsdrohungen unterbrochen. Die Szenerie erinnerte gespenstisch an den Roman „1984“ von George Orwell, wenn aus dem Off wieder die Stimme dröhnte mit der Auflösungsdrohung, falls nicht sofort dies und jenes Plakat verschwinde. Verboten waren insbesondere Plakate mit der Darstellung von Getöteten, Plakate mit Aufschriften wie „Völkermord“ und „Genozid“ und jegliche Kritik an Israel. Schließlich wurden neun Teilnehmerinnen oder Teilnehmer festgenommen, denen jetzt Verfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der „Gewaltdarstellung“ drohen.
Die wohl größte Demonstration fand in der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf, am Rande des Ruhrgebiets, statt. Hier übertraf die Zahl der Menschen, die für den Stopp des Massakers in Gaza und für Solidarität mit Palästina protestierten, die ursprünglich angemeldete Zahl von 1.000 um ein Vielfaches. Während die Polizei von 17.000 Menschen sprach, nahmen an der Abschlusskundgebung am Rheinufer laut den sozialen Medien rund 30.000 teil.
Ein Transparent an der Spitze des Demonstrationszuges brachte die internationale Ausrichtung zum Ausdruck. „Wir sind eine Menschheitsfamilie“, war dort zu lesen. Die zahlreichen Plakate prangerten nicht nur die massive Zahl von Todesopfern im Gazastreifen, insbesondere Frauen und Kinder an, sondern auch die Komplizenschaft deutscher Politiker und die Heuchelei der Leitmedien.
Viele zogen den Vergleich mit dem Krieg in der Ukraine und erklärten etwa, dass in Gaza nach offiziellen Zahlen schon jetzt viel mehr Kinder getötet worden sind als in dem mehr als eineinhalb Jahre andauernden Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland. Durch die Straßenzüge der Düsseldorfer Innenstadt hallte immer wieder der tausendfache Ruf: „Free Palastine!“
Auch hier verteilten die SGP-Mitglieder innerhalb kürzester Zeit mehrere Hundert Flugblätter und sprachen mit Demonstrierenden über die Perspektive, die notwendig ist, um den Völkermord in Gaza zu stoppen. Viele Teilnehmer brachten ihre Empörung darüber zum Ausdruck, dass sich sämtliche Bundestagsparteien mit der rechtsextremen israelischen Regierung solidarisiert haben. Einige türkische Frauen aus Duisburg wiederholten mehrfach: „Wir sind so enttäuscht von der Haltung der deutschen Regierung. Sie verweigern uns Muslimen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit, obwohl es doch in der Verfassung steht. Wir sind doch auch Bürger dieses Landes. Warum behandeln sie uns so?“
Auch den Politikern und Medien, die den Widerstand gegen den Krieg mit angeblichem „Antisemitismus“ gleichsetzen und kriminalisieren, widersprachen die Teilnehmer immer wieder. „Wir sind keine Antisemiten“, sagten viele. „Unser Protest richtet sich nicht gegen Juden, sondern gegen die israelische Regierung.“
In Stuttgart waren es etwa 3.000, die sich auf dem Schillerplatz versammelten und unter „Free Palestine“-Rufen friedlich durch die Stadt zogen. Ein wichtiger Slogan war hier auch: „Deutschland finanziert, Israel bombardiert.“ – „Das stimmt einfach“, sagte Joel, eine Jura-Studentin, dem WSWS-Team.
Joel formulierte, was derzeit Millionen fühlen: „Es ist schrecklich und schlimm, dass die westliche Welt das akzeptiert und hinnimmt. Man kann nicht einen Genozid mit dem anderen rechtfertigen, wie Israel das tut. Dagegen muss man auf die Straße gehen.“
Und sie sagte: „Unsere Regierung repräsentiert uns nicht mehr, was das angeht, gerade auch in Deutschland, wo immer nur von dem importierten Antisemitismus die Rede ist, als hätte Deutschland nicht vor 80 Jahren selber ein Genozid an Juden vollbracht. Antisemitismus auf die Einwanderer zu schieben, das ist Müll, und damit zu rechtfertigen, dass Israel gerade Menschen in Gaza abschlachtet, ist noch viel mehr Müll. Nichts davon macht Sinn.“
Als Sprecherin auf der Stuttgarter Kundgebung am Schillerplatz trat die 16-jährige Libanesin Salma Y. aus Böblingen auf, die sich stark für Frieden aussprach. Sie sagte, als Kind habe sie angenommen, dass das, was die Regierungspolitiker und die Medien sagten, wahr sei, dass Deutschland ein freies und friedliebendes Land sei. Seit dem Nahostkonflikt habe sich das alles als Lüge herausgestellt.
Salma sagte: „Ich fürchte mich davor, dass mir die Staatsbürgerschaft entzogen wird, und dass ich abgeschoben werden könnte. Ich bin in diesem Land geboren und aufgewachsen. Als junge Deutsche libanesischer Abstammung darf ich mich aktuell aber nicht mehr äußern, ohne den Vorwurf von Antisemitismus zu befürchten.“
In ihrer Rede bezog sie sich auf Stauffenberg, die Geschwister Scholl und Nelson Mandela: „All diese Menschen wurden zu ihrer Zeit als Terroristen bezeichnet. Heute gelten sie als Helden.“
Der WSWS sagte Salma, sie sei früher „eigentlich ein großer Fan der Grünen und der SPD gewesen“, habe mit vielem übereingestimmt, was diese versprochen hätten. „Aber die Politik, die sie jetzt machen, finde ich einfach unverständlich und sehr, sehr ungerecht.“
In Stuttgart waren sehr viele Arbeiter mit ihren Familien gekommen. Einer von ihnen, Kul aus der Türkei, sprach sich für den Vorschlag der palästinensischen Gewerkschaften aus, dass Arbeiter sich weigern sollten, Waffen nach Israel zu verschiffen: „Das wäre eine notwendige Maßnahme“, sagte Kul. „Ich finde, man muss alles dagegen tun, um den Krieg zu stoppen, sei es jetzt wörtlich oder eben mit Taten.“
In München versammelten sich am Sonntagmittag etwa 500 Teilnehmer zu einem „islamischen Totengebet und Protestmarsch“ für Palästina auf dem Odeonsplatz. Auch hier vor der Feldherrnhalle protestierten viele Jugendliche mit Parolen wie „Olaf Scholz, schäm dich!“, „Wir wollen Frieden“ und: „Palästina ist in Not, hat kein Wasser und kein Brot“. Andere riefen: „Palästina ist in Not, viele Kinder sind schon tot“ und wandelten den Ruf: „Hoch die internationale Solidarität!“ in: „WO ist die internationale Solidarität?!“
Das Team der SGP, die als einzige politische Partei in Erscheinung trat, verteilte die mitgebrachten Flyer mit dem Redaktionsaufruf in Windeseile. Fast ohne Ausnahme nahmen alle sie dankend an. Hier wurde besonders deutlich, was für ein großes Bedürfnis nach einer Perspektive vorhanden ist.
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