Auf einer Großbaustelle der Hamburger Hafencity ereignete sich am Montag ein schrecklicher Arbeitsunfall, bei dem vier Bauarbeiter ums Leben kamen und ein weiterer lebensgefährlich verletzt wurde. Laut Feuerwehr stürzte ein achtstöckiges Hochgerüst, auf dem sich die Arbeiter befanden, in einen innenliegenden Fahrstuhlschacht.
Der Rettungseinsatz der Feuerwehr dauerte mehrere Tage und war sehr kompliziert. Viele Gerüststangen hatten sich ineinander verkeilt und drohten bei jeder Bewegung nachzurutschen und Rettungskräfte zu gefährden. Der vierte Tote konnte erst am Dienstag geborgen werden.
Am Mittwoch teilte die Polizei mit, bei den Toten und dem Verletzten handle es sich um albanische Staatsbürger. Sie widersprach damit der Stadtentwicklungsbehörde, die sofort nach Bekanntwerden des Unglücks von bulgarischen Bauarbeitern gesprochen hatte. Für bulgarische Staatsbürger gilt seit Mai 2011 die so genannte Arbeitnehmerfreizügigkeit, die eine Arbeit in den Ländern der EU ohne Arbeitserlaubnis ermöglicht.
Seitdem werden viele Arbeiter aus den unterschiedlichsten Ländern Osteuropas von Arbeitsvermittlern mit einer zweifelhaften bulgarischen Staatsbürgerschaft ausgestattet und unter unmenschlichen Bedingungen auf europäischen Baustellen eingesetzt. Leihfirmen halten diese Arbeiter wie Sklaven und beuten sie extrem aus. Oft wird ihnen der Lohn völlig oder größtenteils vorenthalten und mit horrenden Vermittlungsgebühren und Unterkunft-Kosten verrechnet.
Diese Praxis ist bekannt, weit verbreitet und wird von Politikern, Behörden und Gewerkschaften akzeptiert.
Die zuständige Bau-Gewerkschaft hat bisher keinerlei Stellungnahme zu dem verheerenden Arbeitsunfall abgegeben. Auf die Frage, warum die Gewerkschaft nicht gegen die katastrophalen Arbeitsbedingungen und eklatante Verletzung von Sicherheitsstandards Stellung beziehe und die Beschäftigten zu Protestmaßnahmen und Streik aufrufe, antwortete der Leiter der IG BAU Nord, André Grundmann, gegenüber der WSWS ausweichend, ihm seien die Hände gebunden. Für die Sicherheit sei nicht die Gewerkschaft, sondern das Amt für Arbeitsschutz zuständig.
Natürlich kenne er „die unsauberen Praktiken“ der Leihfirmen, Subunternehmer und Arbeitsvermittler auf Großbaustellen, aber, so Grundmann, er sei nur für die Gewerkschaftsmitglieder und nicht für alle Beschäftigten zuständig.
Grundmann ist eng mit der SPD und dem Hamburger Senat verbunden, der die Baustelle Überseequartier und die HafenCity als Prestige-Projekt betrachtet. Die Initiative zu diesem neuen Stadtviertel direkt an der Elbe wurde Anfang der 1990er-Jahre vom damaligen Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) angeschoben und umfasst nach Angaben der HafenCity Hamburg GmbH eine Fläche von rund 157 Hektar. Es ist Europas größtes innerstädtisches Stadtentwicklungsvorhaben, und das Überseequartier gilt dabei als das großstädtischste und zugleich publikumsintensivste Quartier.
Auf dem 14 Hektar umfassenden Gelände entstehen Geschäfte, Gastronomie, Entertainment, Büros, ein Kreuzfahrtterminal, ein unterirdischer Busbahnhof, Hotels mit rund 1150 Zimmern sowie mehr als 1000 Wohnungen. Der nördliche Teil ist bereits seit 2019 fertig, im südlichen Teil laufen die Arbeiten.
Das Immobilienunternehmen Unibail-Rodamco-Westfield mit Sitz in Düsseldorf investiert dabei mehr als eine Milliarde Euro in die entstehende, insgesamt rund 260.000 Quadratmeter große oberirdische Bruttogrundfläche, heißt es in Medienberichten.
Der tödliche Arbeitsunfall am Montag war nicht der erste schwere Unfall auf Hafencity-Baustellen. Der Sender NDR 90,3 berichtet, dass erst am 2. September ein ähnlicher Unfall in der Nähe stattfand. Damals sind vier Arbeiter auf einer Baustelle an den Hamburger Elbbrücken unweit der HafenCity von einem Gerüst gestürzt und teils lebensbedrohlich verletzt worden.
Im Juni waren bei einem Brand auf einer Baustelle im Überseequartier mehrere Gasflaschen explodiert. Von dem zehnstöckigen Rohbau zog eine große Rauchwolke in Richtung Innenstadt. Und im April 2020 waren auf einer Baustelle an der Zweibrückenstraße in der HafenCity zwei Arbeiter von herabfallenden Bauteilen schwer verletzt worden.
Unter der Überschrift „Mindestens 14 tödliche Arbeitsunfälle in Hamburg“ berichtete NDR 90,3 über seine Recherche und schrieb: „Der bisher schlimmste Arbeitsunfall geschah Anfang Mai in der Kupferhütte Aurubis auf der Veddel. Drei Männer hatten nachts an einer Leitung gearbeitet, aus der plötzlich Stickstoff austrat. Sie verloren das Bewusstsein und kamen ums Leben. Mitte Juni starb ein Arbeiter auf der Baustelle der U-Bahnstation Wandsbek-Gartenstadt, als Stahlträger von einem Gabelstapler fielen. Im August stürzte ein 21-jähriger Arbeiter durch das Dach eines Recyclinghofes in Heimfeld 10 Meter tief in den Tod.“
Diese Zunahme von schweren und tödlichen Arbeitsunfällen hängt direkt mit der ständigen Verschärfung der Ausbeutung zusammen. Internationale Immobilienkonzerne wie Unibail-Rodamco-Westfield versichern ihren Investoren satte Profite. In Deutschland betreibt das Unternehmen aktuell 26 Shoppingcenter als Entwickler, Manager und Eigentümer, darunter in Berlin das Zentrum Die Mitte, Forum Steglitz, Gropius Passagen, Neukölln Arcaden und viele andere. Im Hamburg-Überseequartier soll ein neues luxuriöses Shoppingcenter der Superlative entstehen.
Der Mutterkonzern von Unibail-Rodamco-Westfield in Paris verwaltet ein Vermögen von über 60 Milliarden Euro. Um die Profite der Anleger zu garantieren, werden die Baukosten radikal reduziert, indem windige Leihfirmen und Subunternehmer angeheuert werden, deren Beschäftigte schlecht ausgebildet, schlecht ausgerüstet und noch schlechter bezahlt werden. Die Sicherheitsvorschriften werden umgangen. Auf der Hamburg-Überseequartier-Baustelle sind 1500 Arbeiter in unzähligen Fremdfirmen tätig, ohne ausreichende Kommunikation und zentraler Bauleitung. Das Ergebnis ist katastrophal und tödliche Unfälle sind vorprogrammiert.
Bei keinem der vielen schweren Unfälle der vergangenen Monate wurde eine ernsthafte Untersuchung der Ursachen durchgeführt. Alle polizeilichen und behördlichen Ermittlungen dienten nur dazu, das enge Geflecht aus Profitwirtschaft, Politik, kommunaler Verwaltung und Gewerkschaften abzudecken.
Unter Arbeitern wächst der Widerstand gegen diese korrupten Machenschaften mit tödlichen Konsequenzen. Gewerkschafter André Grundmann sagte der WSWS, er sei überrascht gewesen, als sich „normale Hamburger Bürgerinnen und Bürger“ bei ihm meldeten und fragten, wie sie den betroffenen Familien, die ihren Ehemann, Vater und Ernährer verloren hätten, helfen könnten und ob es ein Spendenkonto gäbe. Auf die Idee, den Hinterbliebenen in Albanien zu helfen, war Grundmann noch nicht gekommen.
Um von der Rolle der IG Bau abzulenken, die natürlich über die katastrophalen Verhältnisse auf der Baustelle bestens informiert ist, aber nichts tut, um die Situation zu ändern, richtete er schnell ein Spendenkonto ein. Doch das kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die IG Bau mit ihren Niedriglohnabschlüssen, ihrer Spaltung von Tarif-Beschäftigten und Leiharbeitern und mit ihrer engen Verbindung zum Hamburger Senat eine Hauptverantwortung für die Toten auf der Baustelle hat.
In anderen Bereichen ist es nicht besser. Die Toten an der Arbeitsfront nehmen dramatisch zu. Seit Jahresbeginn sind bereits elf Eisenbahner während der Arbeit tödlich verunglückt.
Ein Ende der mörderischen Ausbeutung ist nicht mit den Gewerkschaften und ihren Betriebsräten, sondern nur gegen sie durchzusetzen. Arbeiter, die den Stellenabbau und den Arbeitsdruck beenden und angemessene Löhne und Gehälter sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz erkämpfen wollen, müssen sich unabhängig in Aktionskomitees organisieren. Die WSWS unterstützt sie dabei. Meldet euch per WhatsApp unter +491633378340