Die Absetzung des Sprechers des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, kommt mit mehreren zusammenhängenden Krisen in den Vereinigten Staaten zusammen und ist Ausdruck eben dieser Krisen.
In der anwachsenden Wirtschaftskrise mehren sich die Sorgen über die gefährdete globale Position des US-Dollars. Gleichzeitig ist das politische System höchst instabil und erweist sich im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl 2024 als zunehmend dysfunktional. Die extrem gesteigerte soziale Ungleichheit hat die Voraussetzungen für die größte Streikbewegung seit den 1970er Jahren geschaffen, und der Gewerkschaftsapparat versucht verzweifelt, sie unter Kontrolle zu halten.
Was jedoch alles auf die Spitze treibt, ist der eskalierende US-Nato-Krieg gegen Russland. Im Konflikt um die Ukraine hat deren „Frühjahrs“- und „Sommersoffensive“ nur ins Debakel geführt.
Dies alles wird deutlich, wenn man sich die Hintergründe des beispiellosen Vorgangs im Kapitol vor Augen führt, als McCarthy am Dienstag mit 216 zu 210 Stimmen als Sprecher des Repräsentantenhauses abgesetzt wurde. Es ist ein Ereignis, das es so in der Geschichte der USA noch nicht gegeben hat.
Am späten Samstagabend, dem 30. September, hatte US-Präsident Biden eine von Repräsentantenhaus und Senat verabschiedete, parteiübergreifende Resolution unterzeichnet. Sie sollte die Finanzierung der Regierung sicherstellen und für 47 Tage einen Stillstand abwenden. McCarthy hatte die Maßnahme nach Gesprächen hinter den Kulissen mit dem Weißen Haus und den Demokraten im Kongress vorgeschlagen. Allerdings sah die Resolution keine zusätzlichen Mittel für die Ukraine vor.
Dies wurde von der Regierung Biden und führenden Teilen des militärischen und politischen Establishments, einschließlich der Mehrheit der Republikaner, insbesondere im Senat, als großer Rückschlag und Blamage empfunden. Am Wochenende erklärte Biden, er habe mit McCarthy eine Vereinbarung getroffen, welche die Verabschiedung von zusätzlichen Mitteln für den Krieg sicherstellen werde. McCarthy erklärte zwar, dass er die massiven Militärausgaben unterstütze, wies aber die Behauptung zurück, dass eine endgültige Vereinbarung mit dem Weißen Haus getroffen worden sei.
Am Dienstagnachmittag, noch vor der Abstimmung über McCarthys Absetzung, gab das Pentagon eine Erklärung ab, in der es heißt: „Wir brauchen den Kongress, um sicherzustellen, dass unsere Unterstützung [für den Ukrainekrieg] nicht unterbrochen wird, vor allem, weil das Ministerium die Bestände wieder aufstocken will.“
Am selben Tag und ebenfalls vor der Abstimmung hielt Biden ein außerordentliches Telefonat mit den Spitzen von Nato, Europäischer Kommission, Europäischem Rat sowie den Staats- und Regierungschefs Kanadas, Deutschlands, Polens, Rumäniens, Großbritanniens und Frankreichs. Dabei versicherte er ihnen, dass sich die Vereinigten Staaten weiterhin für eine massive Eskalation des Konflikts einsetzten.
Nach Angaben des Sprechers für nationale Sicherheit im Weißen Haus, John Kirby, machte Biden „deutlich, dass wir unter keinen Umständen eine Unterbrechung amerikanischer Unterstützung für die Ukraine zulassen dürfen“. Dazu gehörten nicht nur die Mittel, die aus der Resolution gestrichen wurden, sondern auch zusätzliche Rüstungsgüter in zweistelliger Milliardenhöhe. Denn die USA sind dabei, den Konflikt mit Russland durch die Entsendung von Langstreckenraketen, Panzern und Kampfflugzeugen zu eskalieren.
In der Presse finden sich zunehmend besorgte Kommentare hinsichtlich der Frage, wie sich die politische Krise auf die Kriegspläne der USA auswirke. Um nur ein Beispiel zu nennen: Robert Gates, ehemaliger Verteidigungsminister sowohl unter Bush als auch unter Obama, schreibt in Foreign Affairs unter dem Titel: „Die dysfunktionale Supermacht: Kann ein geteiltes Amerika China und Russland abschrecken?“ Insbesondere die Republikanische Partei ist in der Frage der Ukraine zutiefst uneins. Natürlich ohne den US-Imperialismus selbst infrage zu stellen, wird erbittert über die Prioritäten gestritten.
Darauf folgten die Ereignisse vom Dienstagabend. Der „Antrag auf Absetzung“ war am Montag von dem faschistischen Republikanischen Abgeordneten Matt Gaetz, einem engen Verbündeten von Trump, gestellt worden. Er machte sich eine Regeländerung zunutze, die bei der Wahl McCarthys vor neun Monaten eingeführt worden war und die es jedem einzelnen Abgeordneten ermöglicht, eine Abstimmung über die Absetzung des Parlamentspräsidenten zu erzwingen. Ihm schlossen sich in der Abstimmung jedoch nur sieben weitere Republikanische Abgeordnete, darunter drei Trump-Anhänger, an.
Die restlichen 208 Stimmen entfielen auf die Demokraten, die den Antrag geschlossen unterstützten. Die Demokraten hätten die Absetzung McCarthys verhindern können, indem einige ihrer Mitglieder entweder gegen die Resolution gestimmt oder der Abstimmung ferngeblieben wären. In den Tagen vor der Abstimmung hatten die Demokraten sich nicht einvernehmlich über ihre Absichten geäußert, falls Gaetz seinen Antrag tatsächlich einbringen sollte.
Die Entscheidung, dem Antrag auf Absetzung zuzustimmen, war nicht durch die Opposition gegen McCarthy und die rechtsgerichtete Agenda der Republikanischen Führung motiviert. Vielmehr hofften die Demokraten, dass sie in dem Maße, in dem sie Einfluss auf das Verfahren zur Ersetzung McCarthys nähmen, eine Gelegenheit erhalten würden, die politischen Vereinbarungen im Repräsentantenhaus neu zu strukturieren. Sie wollten sicherstellen, dass nichts die Finanzierung des Kriegs verzögern oder behindern könne.
Die New York Times hat dies in ihrem Leitartikel vom Mittwoch unter der Überschrift „Warum sind die Staatsgeschäfte der Gnade einiger weniger Extremisten ausgeliefert?“ klar dargelegt. Die Times schreibt, dass jeder neue Parlamentspräsident sich „verpflichten sollte, mit seinen Demokratischen Kollegen Klartext zu reden. Vielleicht braucht er sie ja noch, um einen weiteren Putsch zu verhindern.“
Sobald ein neuer Sprecher im Amt ist, so die Times weiter, wird es weniger als 40 Tage dauern, bis die aktuelle Resolution auslaufen wird. Dann wird es zu einem weiteren Showdown über die Regierungsfinanzierung kommen. Die Demokraten könnten mehr Ausgaben für die Grenzsicherung zulassen, und die Republikaner sollten die lebenswichtige Hilfe für die Ukraine fortsetzen.
Mit anderen Worten: Die Demokraten versprechen über die Times, die innenpolitische Agenda der Republikaner zu unterstützen, wenn diese im Gegenzug die weitere Finanzierung der Waffenlieferungen für die Ukraine garantieren. Die Demokraten haben kein Problem damit, mit den Faschisten in der Republikanischen Partei zusammenzuarbeiten; schließlich sind sie auch mit den Faschisten in der Ukraine verbündet. Die Times fügt vorsichtshalber hinzu, dass eine Einigung auf parteiübergreifende Weise notwendig sei, um die „nachhaltige Gestaltung des sozialen Sicherheitsnetzes“ anzugehen, d. h. massive Kürzungen bei den Sozialprogrammen vorzunehmen.
Biden hat in all seinen Kalkulationen die absolute Vorrangigkeit des Ukraine-Kriegs bekräftigt. Am Mittwoch kündigte er eine baldige „große“ Rede an, um das amerikanische Volk für den Krieg einzunehmen. „Es ist für die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten von entscheidender Bedeutung, dass wir unser Engagement aufrechterhalten“, sagte er. Neben der massiven Aufstockung der Finanzmittel und der Waffenlieferungen an die Ukraine plant die Regierung eine weitaus direktere Einmischung in den Krieg, einschließlich der Entsendung von US-Nato-Truppen.
Der Konflikt innerhalb des Staatsapparats ist keine Auseinandersetzung zwischen „links“ und „rechts“. Alle Fraktionen der herrschenden Klasse verfolgen eine absolut reaktionäre Agenda. Die Republikanische Partei verwandelt sich in eine faschistische Partei, die offen diejenigen verteidigt, die am 6. Januar 2021 das Kapitol angegriffen haben, und gleichzeitig für massive soziale Kürzungen und Militarismus eintritt. Die Demokratische Partei hat sich als zentrales Anliegen einen Krieg gegen Russland auf die Fahnen geschrieben, was die wachsende Gefahr eines nuklearen Dritten Weltkriegs mit sich bringt.
Die Kämpfe der Arbeiterklasse müssen sich gegen alle Fraktionen der herrschenden Elite und den gesamten Rahmen der imperialistischen Politik richten. Unter Bedingungen, wo eine massive soziale Bewegung immer breitere Arbeiterschichten umfasst, ist der Aufbau einer sozialistischen Führung notwendig, die diese Bewegung mit dem Widerstand gegen Krieg, Diktatur und das kapitalistische Profitsystem verbindet.
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