Absetzung des Repräsentantenhaus-Sprechers Kevin McCarthy verschärft politische Krise in den USA

Der Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy (Republikaner, Kalifornien) verlässt am 3. Oktober 2023 nach seiner Absetzung den Sitzungssaal im Kapitol in Washington [AP Photo/J. Scott Applewhite]

Zum ersten Mal in der Geschichte der USA wurde der Sprecher des Repräsentantenhauses durch ein Votum der Abgeordneten seines Amtes enthoben. Damit ist das Repräsentantenhaus bis zur Wahl eines neuen Sprechers handlungsunfähig.

Erbitterte Grabenkämpfe in der republikanischen Fraktion bereiteten der Amtszeit des Republikaners Kevin McCarthy (Kalifornien) nach 269 Tagen ein Ende. Sie war damit die drittkürzeste in der Geschichte der USA. Für die Demokraten haben die weiteren Lieferungen von Geld und Waffen an Washingtons Marionettenregime in Kiew oberste Priorität, um den Krieg gegen Russland um die Ukraine zu eskalieren.

McCarthy hat sein Amt erst vor weniger als neun Monaten angetreten – nach 15 Wahlgängen. Genau 1.000 Tage vorher, am 6. Januar 2021, hatte Trumps rechtsextremer Mob das Kapitol gestürmt, um die Wahl von Präsident Joe Biden zu kippen. Viele der rechtsextremen Mitglieder der republikanischen Fraktion, die sich im Januar gegen McCarthys Ernennung zum Sprecher ausgesprochen hatten, darunter Matt Gaetz (Florida) und Andy Biggs (Arizona), waren die Drahtzieher hinter seiner Absetzung.

Die Abstimmung im Repräsentantenhaus endete mit 216 zu 210 Stimmen. Neben den 208 Demokraten stimmten auch acht Republikaner für die „motion to vacate“ (Antrag auf Rücktritt).

McCarthy selbst ist kein „Gemäßigter“. Er unterstützt Trump, verbreitet die Lüge, die Demokraten hätten die Wahl 2020 „gestohlen“, und ist für die Verschärfung der Flüchtlingspolitik und massive Sozialkürzungen. Er hat ein ums andere Mal Zugeständnisse an die Forderungen der rechtsextremen und faschistischen Elemente der Republikaner gemacht, u.a. dass jedem Mitglied des Repräsentantenhauses erlaubt wird, einen Rücktrittsantrag einzubringen, um ihn abzusetzen.

Er unterstützt die Gesetze gegen Abtreibung und die Politik der „Herdenimmunität“, die in der Corona-Pandemie zu unzähligen Todesfällen und Millionen Fällen von Long Covid geführt hat.

Jüngst hat er ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Biden eingeleitet, das auf Korruptionsvorwürfen gegen seinen Sohn Hunter Biden beruht.

Bei seinem Konflikt mit der Gruppe von Abgeordneten, die seine Absetzung organisiert haben, ging es zunehmend um seine Unterstützung für den Krieg in der Ukraine. Eine Mehrheit der republikanischen Abgeordneten, unterstützt von Trump, hatte gegen zusätzliche US-Mittel für das ukrainische Militär gestimmt.

Der Sprecher des Repräsentantenhauses nimmt in der US-Politik eine sehr wichtige Position ein. Er entscheidet, welche Gesetzentwürfe zur Debatte vorgelegt werden, und ernennt die Mitglieder wichtiger Ausschüsse. In der Nachfolge des Präsidenten steht er an zweiter Stelle nach dem Vizepräsidenten. Als einer der wenigen politischen Vertreter wird er zudem in der amerikanischen Verfassung aufgeführt.

Das letzte Mal wurde im Jahr 1910 ein Antrag auf Absetzung des Sprechers gestellt, und die Abstimmung am Dienstag war die erste erfolgreiche dieser Art. Frühere republikanische Sprecher der letzten zehn Jahre, darunter Paul Ryan und John Boehner, hatten sich bereits angesichts der Drohung eines Absetzungsantrags von rechtsextremen Mitgliedern ihrer Fraktion für den Rücktritt oder Rückzug entschieden.

Der Antrag wurde von Gaetz eingereicht, einem Vertreter des ehemaligen Präsidenten Trump. Zuvor hatte McCarthy den Republikanern und Demokraten am Samstag ermöglicht, eine parteiübergreifende Folgeresolution zu verabschieden, um einen Regierungsstillstand (Shutdown) abzuwenden und die Bundesregierung bis zum 17. November zu finanzieren.

Gaetz bestätigte nach der Abstimmung über McCarthys Absetzung in einem Interview, er habe „in den letzten Tagen mit Präsident Trump gesprochen“.

Matt Gaetz (Republikaner, Florida) verlässt am Morgen des 3. Oktober 2023 ein Treffen im Kapitol in Washington, nachdem er den Antrag zur Absetzung von Kevin McCarthy eingebracht hatte [AP Photo/Mark Schiefelbein]

Die Medien stellen die Krise als persönlichen Konflikt dar, aber tatsächlich war die Abstimmung ein Ausdruck der tiefen Spaltung innerhalb der herrschenden Klasse. Gaetz und fast ein Dutzend weiterer rechtsextremer Republikaner hatten die Folgeresolution abgelehnt, weil sie keine Kürzungen der Sozialausgaben und keine weiteren Mittel für die Grenzschutzpolizei beinhaltete.

Nach der Abstimmung wies Gaetz, der für einen Teil des Finanzkapitals spricht, in einem Interview mit Newsmax Vorwürfe zurück, ohne einen Sprecher würde die Regierung ins „Chaos“ gestürzt. Er bekräftigte, dass McCarthy wegen seiner Weigerung, ausreichend drakonische Ausgabenkürzungen durchzusetzen, abgesetzt wurde.

Er erklärte: „Chaos ist, dass der Dollar seinen Status als globale Reservewährung verliert. Chaos ist, dass die größte Nation der Welt auf Schulden von 33 Billionen Dollar sitzt. Chaos ist, wenn man Bidens Budgets akzeptiert, die zu einem Defizit von zwei Billionen Dollar pro Jahr führen werden ... für immer.“

Nach seiner Absetzung erklärte McCarthy bei einem Treffen von republikanischen Abgeordneten hinter verschlossenen Türen, er werde nicht erneut als Sprecher kandidieren. Das bestätigte er bei einer Pressekonferenz am Dienstagabend und erklärte, die Fraktion solle jemand anderen auswählen.

Der Republikaner Patrick McHenry aus North Carolina fungiert derzeit als Interimssprecher. Er erklärte, das Repräsentantenhaus werde erst am nächsten Dienstag wieder zusammenkommen, um am 11. Oktober einen neuen Sprecher zu wählen. Republikanische Abgeordnete haben mehrere Namen als mögliche Kandidaten für McCarthys Nachfolge genannt, darunter Mehrheitsführer Steve Scalise (Louisiana), Mehrheits-Whip Tom Emmer (Minnesota), Kevin Hearn (Oklahoma) und sogar Donald Trump.

Zwar ist noch unklar, wer, wenn überhaupt, in der unmittelbaren Zukunft Sprecher werden wird. Allerdings stellt die Abstimmung vom Dienstag eindeutig einen Wendepunkt in der politischen Krise der USA dar, die auch zweieinhalb Jahre nach Trumps gescheitertem Putsch anhält. McCarthys Absetzung schafft die Bedingungen für noch explosivere politische Erschütterungen und einen weiteren Rechtsruck des gesamten politischen Establishments.

Bei dem kurzen Treffen der republikanischen Repräsentantenhaus-Fraktion nach der Abstimmung erklärte der abgesetzte Sprecher McCarthy, er sei von Fraktionsführer der Demokraten angesprochen worden, die einen Kompromiss suchten, um ihn im Amt zu halten. Berichten zufolge hat McCarthy behauptet, er habe sich geweigert, über einen solchen Deal zu sprechen.

Doch in dem derzeitigen Chaos ist nicht auszuschließen, dass die Biden-Regierung und die Führung der Demokraten im Rahmen der Wahl eines neuen Sprechers auf einen solchen Deal eingehen, der auf einer Vereinbarung über die weitere Finanzierung des Kriegs gegen Russland beruht.

Die Absetzung des Repräsentantenhaus-Sprechers ereignete sich vor dem Hintergrund des Debakels der „Frühjahrsoffensive“ in der Ukraine und einem massiven Aufschwung der Kämpfe der Arbeiterklasse in den USA und weltweit, u.a. der Autoarbeiter, Schauspieler und Beschäftigten des Gesundheitswesens.

Während der Abstimmung am Dienstag befand sich Trump zum zweiten Prozesstag seines Zivilprozesses in New York. Dort wurde er aufgefordert, seine gewalttätigen Drohungen gegen den Richter und seine Gerichtsschreiberin einzustellen. Präsident Biden, der kurz vor seinem 81. Geburtstag steht und offensichtlich gesundheitlich angeschlagen ist, stürzt in den Umfragen ab und ist mit einem Amtsenthebungsverfahren konfrontiert. Sein Sohn Hunter Biden wurde wegen Schusswaffenbesitzes angeklagt und plädierte am Dienstag auf „nicht schuldig“.

Angesichts der Verschärfung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen ist das zentrale Anliegen der Demokraten, eine Arbeitsbeziehung mit ihren „republikanischen Kollegen“ aufrechtzuerhalten. Ihr wichtigstes Ziel ist Fortsetzung des Kriegs gegen Russland in der Ukraine, die Vorbereitung eines militärischen Konflikts mit China und die Unterdrückung des Widerstands der Arbeiterklasse gegen Lohnkürzungen, Stellenstreichungen, Sozialabbau und die zunehmende soziale Ungleichheit.

Der Großteil der bürgerlichen Presse und der Demokraten ist vor allem besorgt, dass der politische Konflikt innerhalb des Repräsentantenhauses eine massive Geldspritze für den Ukraine-Krieg behindern könnte. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, erklärte am Montag, die vorhandenen Gelder würden gerade ausreichen, um die „drängendsten Bedürfnisse der Ukraine auf dem Schlachtfeld etwas länger zu erfüllen“.

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