US-Autoarbeiter fordern uneingeschränkten Streik

Streikende Arbeiter im Ford-Montagewerk Michigan

Zweieinhalb Wochen nach dem Auslaufen ihres Tarifvertrags wird den Arbeitern immer klarer, dass sie einen kompromisslosen Kampf führen müssen – nicht nur gegen die Konzerne, sondern auch gegen deren Diener in der Gewerkschaftsbürokratie der United Auto Workers (UAW).

In den Fabriken und an den Streikposten überall in den USA diskutieren Arbeiter über die Sackgasse der „Stand-up-Streik“-Politik von UAW-Präsident Shawn Fain. Diese Politik hat dafür gesorgt, dass 80 Prozent der UAW-Mitglieder weiterhin arbeiten und Profite für die Konzerne erwirtschaften. Genauso wird über die Notwendigkeit eines uneingeschränkten Streiks aller 146.000 Arbeiter von GM, Ford und Stellantis diskutiert.

Tausende weitere Arbeiter, sowohl bei den Big Three als auch bei anderen Unternehmen, wollen sich dem Kampf anschließen. Bei Mack Trucks wollten 3.000 UAW-Mitglieder in Pennsylvania, Maryland und Florida die Arbeit niederlegen, als ihr Vertrag am Sonntag um 23:59 Uhr auslief, aber die UAW kündigte in letzter Minute eine Einigung an, ohne Einzelheiten der vorläufigen Vereinbarung zu veröffentlichen. In einem von der UAW um 23:50 Uhr veröffentlichten X (früher Twitter) hieß es: „Weitere Einzelheiten werden bekannt gegeben, sobald die Mitglieder die Vereinbarung prüfen.“

Hannah, eine junge Teilzeitarbeiterin im Stellantis-Werk in einem Vorort von Detroit und Mitglied des Warren-Truck-Aktionskomitees, beschrieb die Stimmung der Beschäftigten in den nicht streikenden Werken der Big Three: „Ein Großteil der Belegschaft hat letzten Freitag auf ihre Telefone gestarrt und darauf gewartet, dass Fain uns zum Streik aufruft. ... Man konnte allen die Enttäuschung ansehen, als er sie wieder im Stich ließ.

Jetzt lassen sie die Teilzeitkräfte nicht arbeiten. Letzte Woche habe ich nur 12 Stunden gearbeitet und in der ganzen Woche 198 Dollar verdient. Meine Miete ist fällig, und mir wurde auch bereits mitgeteilt, dass mir der Strom abgestellt wird. Sie spielen mit uns und kassieren unsere Beiträge. Sie glauben wohl, wir wären für irgend einen ,Unterzeichnungsbonus‘ empfänglich, wenn sie uns einen faulen Tarifvertrag verkaufen wollen. Aber wir wollen nicht irgendeinen miesen Tarifvertrag. Also müssen wir jetzt alle streiken.“

Rob, ein streikender Arbeiter bei Jeep in Toledo, erklärte am Sonntag auf einem Onlineforum des Autoworkers Rank-and-File Committee Network, des US-amerikanischen Auto-Aktionskomitees: „Shawn Fain hat uns seit Beginn dieses Stand-up-Streiks unsere größte Kraft genommen: unsre zahlenmäßige Stärke. Er spricht ständig von Demokratie, aber er verweigert der großen Mehrheit von 98 Prozent der Arbeiter, die für den Streik gestimmt haben – wohlgemerkt auf demokratische Weise – das Recht darauf. Damit sind diejenigen, die ohne Tarifvertrag immer noch arbeiten, völlig dem Willen genau der Konzerne ausgeliefert, gegen die sie streiken wollten.

Wir wissen immer noch nicht, was Shawn Fains Definition von ,Fortschritt‘ wirklich ist. Angesichts des Besuchs von Präsident Biden, dem Verzicht auf Streiks in den profitabelsten Werken oder in irgendeinem weiteren Werk nahe der Firmenzentralen der Big Three oder des UAW-Hauptsitzes und der extrem korrupten Ratifizierung durch Unifor mit Ford in Kanada glaube ich, dass wir bald unsere Antwort darauf bekommen werden.

Für diejenigen, die in den Betrieben sich selbst überlassen sind: Ihr müsst eure Macht benutzen, um einen sofortigen uneingeschränkten Streik zu fordern. Das Rad, das am stärksten quietscht, bekommt das Öl, also verschafft euch lautstark Gehör mit euren Forderungen. Der Stand-up-Streik hat deutlich gemacht, dass es jetzt mehr denn je an der Zeit ist, Aktionskomitees zu gründen.“

Er erklärte, Aktionskomitees arbeiteten demokratisch und verschafften „allen Arbeitern eine gleiche Stimme und eine gleiche Vertretung“, um sicherzustellen, dass „die Entscheidungen des Komitees die Interessen und Wünsche der Mehrheit widerspiegeln und die demokratische Beteiligung der Arbeiter im Betrieb verbessern ... Sie setzen sich für die Rechte und das Wohlergehen der Arbeiter in der Autoindustrie ein.“

Neue „Stand-up-Streiks“ verschonen weiterhin die Profitzentren der Big Three

Letzten Freitag schloss Fain Stellantis von weiteren Streiks aus, da das Unternehmen angeblich einen „ernsthaften Vorschlag“ vorgelegt habe. Stattdessen rief er zusätzliche 7.000 Arbeiter des Ford-Fertigungswerks Chicago und des GM-Fertigungswerks Delta Township bei Lansing (Michigan) zum Streik auf. Die Arbeiter des GM-Presswerks Lansing Regional im GM-Komplex rief er ausdrücklich dazu auf, ihre Arbeit fortzusetzen. Fain gab zwar keine Erklärung dafür ab, allerdings würde ein Streik in dem Werk die Lieferung von gestanzten Metallteilen an GM-Fertigungswerke in Flint (Michigan), Fort Wayne (Indiana) und Oshawa (Ontario) zum Erliegen bringen. Diese Werke produzieren die meistverkauften Pickup-Modelle Silverado und Sierra.

Tatsächlich hat die UAW bewusst keins der gewinnträchtigsten Werke der Konzerne bestreikt, darunter Dearborn Truck, Kansas City Assembly und Kentucky Truck von Ford und von Stellantis Warren Truck, Sterling Heights Assembly und den Detroit Assembly Complex. Reuters schrieb dazu am Freitag: „Die Auswirkungen der Arbeitsniederlegungen auf die Autobauer waren relativ begrenzt im Vergleich zum finanziellen Schaden, der durch eine Einstellung der Produktion der Ford-Serie F, der Chevy Silverados und Ram-Trucks entstanden wäre.“ Sie zitierten eine Quelle, die „mit den Überlegungen der UAW vertraut ist“, die Streiks sollten „nicht den größtmöglichen Schmerz verursachen“.

Trotz Fains Behauptungen über „beträchtliche Fortschritte“ am Verhandlungstisch lehnen die Unternehmensvorstände die Hauptforderungen der Arbeiter weiterhin kategorisch ab. Dazu gehören Lohnerhöhungen oberhalb der Inflationsrate, die Abschaffung des zweistufigen Lohn- und Zusatzleistungssystems und die Wiedereinführung von Renten und Gesundheitsleistungen für nach 2009 eingestellte Arbeiter, welche die UAW vor 14 Jahren aufgegeben hatte.

Am Freitag betonte die Vorstandschefin von GM, Mary Barra, die letztes Jahr 29 Millionen Dollar verdient hat, das Unternehmen habe seit Wochen einen „historischen Tarifvertrag“ auf dem Tisch, der „unser Teammitglieder belohnt, aber unser Unternehmen und ihre Arbeitsplätze nicht gefährdet. Ich werde unsere Zukunft nicht aufs Spiel setzen.“

GM-Vorstandschefin Mary Barra (Foto: GM) [Photo: GM]

GM teilte 164 UAW-Mitgliedern im Parma Metal Center in Ohio und dem Marion Metal Center in Indiana in einer Erklärung mit, dass sie ab Montag „keine Arbeit mehr haben. ... Die betroffenen Teammitglieder sollen erst zurückkehren, wenn der Streik beendet ist“. Weiter hieß es, die Arbeiter werden keine ergänzende Arbeitslosenhilfe erhalten. Zuvor waren 2.000 Arbeiter entlassen wurden, als GM sein Fertigungswerk in Fairfax (Kansas) stilllegte, weil es keine Stanzteile aus dem bestreikten Werk Wentzville nahe St. Louis bekommen konnte.

Ford-Vorstandschef Jim Farley (Jahresgehalt 21 Millionen Dollar) warnte, die Forderungen der Arbeiter würden das Unternehmen zwingen, die Produktion von Fahrzeugen wie dem Explorer aus den USA zu verlagern. Der Chief Financial Officer, John Lawler, erklärte, Renten mit garantierten monatlichen Leistungen bis zum Tod des Rentners gehörten „der Vergangenheit an“ und würden bei Ford nie wieder eingeführt.

UAW verweigert Streikgeld für entlassene Lear-Arbeiter, die drei Tarifverträge abgelehnt haben

Der Streik im Chicagoer Ford-Fertigungswerk führt zur Entlassung eines Teils der 1.000 Arbeiter, die im nahegelegenen Werk Lear in Hammond (Indiana) Sitze produzieren, und vermutlich von Hunderten weiteren im nahegelegenen Ford-Zuliefererpark.

Bei Lear haben die Arbeiter drei von der UAW unterstützte Tarifverträge zurückgewiesen, die die Einstiegslöhne auf das Armutsniveau von 17 Dollar pro Stunde festgelegt, Lohnerhöhungen für die Spitzenverdiener auf knapp über zehn Prozent über drei Jahre begrenzt und die Kosten für die Gesundheitsvorsorge beträchtlich erhöht hätten. Obwohl 94 Prozent der Arbeiter für einen Streik gestimmt hatten, verlängerte die UAW die Tarifverträge immer wieder und ließ sie weiterarbeiten, weil ein Streik zur Schließung des Ford-Fertigungswerks in Chicago geführt hätte.

Ein Arbeiter des Lear-Werks erklärte der WSWS, mittlerweile seien Arbeiter entlassen worden und würden von der UAW gezwungen, von bundesstaatlicher Arbeitslosenhilfe zu leben. „Das Verhandlungsteam der UAW bei Lear hört nicht auf die Forderungen der Mitglieder und ist zu feige, um zu streiken. ... Den Mitgliedern wird das Streikgeld von 500 Dollar pro Woche verweigert, und sie müssen sich mit 390 Dollar pro Woche Arbeitslosengeld aus Indiana zufrieden geben. Der Grund dafür ist der Streik bei der nahegelegenen Ford Motor Company in Süd-Chicago.“

Bei Stellantis wurden wegen des Streiks im nahegelegenen Jeep-Werk 68 Arbeiter im Toledo Machining Plant in Perrysburg (Ohio) entlassen. Weitere 300 Entlassungen sind im Getriebe- und Gusswerk in Kokomo (Indiana) geplant.

Das Wall Street Journal veröffentlichte eine Lobeshymne auf den Stellantis-Vorstandschef Carlos Tavares (Jahresgehalt 2022: 24,8 Millionen Dollar), die deutlich macht, dass die UAW-Bürokratie ein Abkommen unterzeichnen will, das zu brutalen Angriffen auf Arbeitsplätze und Lebensstandards führen wird. Das Unternehmen hat in Nordamerika bereits jetzt die höchste Profitmarge von allen drei großen Autobauern – 16,4 Prozent im Jahr 2022 verglichen mit 10,1 Prozent bei GM und 8,4 Prozent bei Ford. Außerdem sind mit 15,77 Dollar pro Stunde die Einstiegslöhne so niedrig wie bei keinem anderen.

„Angesichts der Umstellung der Branche auf Elektrofahrzeuge, wird Tavares’ kostenbewusster Stil jetzt umso dringlicher gebraucht“, berichtet das Wall Street Journal unter Berufung auf Tavares’ Erklärung gegenüber der Presse Anfang des Jahres: „Wenn wir aufhören, an den Kosten zu arbeiten, wird man in dieser Branche vom Helden zur Null.“ Das Journal wies vor allem darauf hin, dass Tavares es in diesem Vertrag auf „ungeplante Fehlzeiten“ in Werken wie Warren Truck abgesehen hat, die das Unternehmen für die „gestiegenen Herstellungskosten“ verantwortlich macht.

Im März 2022 besuchte Tavares das Werk Warren Truck und erklärte, er hätte das Werk schon „vor eineinhalb Jahren schließen sollen“. Er verlangte von den Arbeitern, die Kosten in den nächsten sechs Monaten zu halbieren und forderte von der UAW einen „Beitrag“ zu den Fehlzeiten und einen Kostensenkungsplan. Kurze Zeit später wurde die dritte Schicht des Werks ohne den geringsten Widerstand der UAW gestrichen.

In Wirklichkeit ist der Hauptgrund für die angeblich „Fehlzeiten“ in dem Werk die anhaltende Ausbreitung von Covid-19, die vielen dortigen Arbeiter das Leben gekostet hat, sowie die brutal langen Arbeitszeiten, das Fehlen von bezahlter Auszeit zum Ausruhen oder zur Betreuung von Kindern. Zudem liegen die Einstiegslöhne unter denjenigen von McDonald's.

An Fains jüngsten Erklärungen fiel auf, dass er die Forderung der Arbeiter nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und die Wiedereinführung von Renten und Gesundheitsversorgung für Rentner fallen gelassen hat. Es ist klar, dass die UAW-Bürokratie ein Abkommen unterzeichnen will, das die Arbeiter verrät und dann, wie alle anderen UAW-Führungen der letzten vier Jahrzehnte, erklären wird, dies sei notwendig, um „Arbeitsplätze zu retten“. Die Kommentare von Rich Boyer, einem Vizepräsidenten der UAW und Leiter der Stellantis-Sparte der Gewerkschaft, gegenüber der Detroit Free Press letzte Woche machten dies deutlich: „Das wichtigste Thema ist der Schutz von Arbeitsplätzen und die Sicherung der Produktion in den Werken in diesem Land. Sie können mir eine 50-prozentige Lohnerhöhung geben, aber was bedeutet das, wenn ich keine sicheren Arbeitsplatz habe, an den diese Leute gehen können? Es ist bedeutungslos.“

„Die Arbeiterklasse sitzt in einem Boot. Wir müssen zusammenhalten“

Doch unter den Arbeitern wächst die oppositionelle Stimmung für einen uneingeschränkten Streik, um Arbeitsplätze zu verteidigen und die jahrzehntelangen Zugeständnisse rückgängig zu machen.

An den Streikposten vor dem Ford-Werk Michigan Assembly äußerten streikende Arbeiter und ihre Unterstützer ihre Entschlossenheit zum Kampf: „Das sollte nicht mehr lange so weitergehen, ohne dass es zu einer vollständigen Arbeitsniederlegung kommt. Ich bin hier hergekommen, um eine Arbeit zu finden, von der ich eine ganze Familie versorgen kann, und so war es früher auch. Ich habe geheiratet, und wir bekommen im April ein Baby. Ich bin seit zwei Jahren hier und verdiene nur 20 Dollar pro Stunde. So wie die US-Wirtschaftslage momentan aussieht, weiß ich nicht, ob wir es schaffen können.

Die Oberschicht bekommt das ganze Geld, alle anderen warten auf die Krümel. Die Arbeiterklasse hält die Wirtschaft am Laufen. Ohne uns bricht die Wirtschaft zusammen. Die Vorstandschefs der Big Three haben mit Aktienoptionen letztes Jahr zusammen 72 Millionen Dollar eingenommen, aber sie behaupten, sie wären ,pleite und können uns keine angemessenen Löhne zahlen‘. Ich bin für einen uneingeschränkten Streik.“

Pflegerin Kim McLendon unterstützt ihre streikende Schwester am Streikposten vor einem Ford-Werk in Michigan

Die Pflegerin Kim McLendon, deren Schwester streikt, attackierte Biden und Trump für ihre Behauptungen, sie stünden auf der Seite der Autoarbeiter: „Sie vertreten die politischen Ziele der Reichen, die jeden Kontakt mit der Arbeiterklasse verloren haben. Die Leute, die die Autos bauen, können es sich nicht einmal leisten, sie zu kaufen.

Das Geld, das sie für den Krieg ausgeben, nehmen sie von uns. Es sollte für Schulen, Gesundheitsprogramme, angemessene Renten und Geld für Familien ausgegeben werden. Sie geben Millionen und Milliarden Dollar aus, um jemanden zu töten, während wir jeden Cent zweimal umdrehen, um das Auto vollzutanken und Lebensmittel zu kaufen. Es ist egal, ob man weiß, schwarz, grün oder lila ist. Die Arbeiterklasse sitzt in einem Boot, und wir müssen zusammenhalten. Ich bin für einen uneingeschränkten Streik. Ich denke, viele tun das.“

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