Zwei Wochen nach Ablauf der Tarifverträge: UAW-Präsident fordert die meisten Autoarbeiter zu Weiterarbeit auf

Abonniert den Autoarbeiter-Newsletter und registriert Euch im Kontaktformular unter diesem Artikel, um Aktionskomitees in Euren Betrieben aufzubauen.

Der Präsident der amerikanischen Autogewerkschaft United Auto Workers (UAW), Shawn Fain, veröffentlichte am Freitagmorgen ein Facebook-Live-Video, in dem er seine Anweisung an die UAW-Mitglieder bei Ford, General Motors und Stellantis („Big Three“) bekräftigte, ohne Tarifvertrag weiterzuarbeiten und Profite für die Konzerne zu erwirtschaften.

UAW-Präsident Shawn Fain in einem Facebook-Live-Video am 29. September 2023 [Photo: UAW]

Fain behauptete, es habe mit Stellantis in letzter Minute „beträchtliche Fortschritte“ gegeben. Daher rief er keine weiteren Betriebe des Unternehmens zum Streik auf, sondern kündigte nur Arbeitsniederlegungen im Ford-Fertigungswerk in Chicago und im GM-Werk Lansing Delta Township an. Da in diesen beiden Werken nur 7.000 Arbeiter beschäftigt sind, bedeutet die Ankündigung, dass 83 Prozent der mehr als 120.000 UAW-Mitglieder auch zwei Wochen nach Ablauf ihrer Tarifverträge weiterarbeiten.

Mit seiner Ankündigung vom Freitag setzt Fain die zynische UAW-Politik des „Stand-up-Streiks“ fort, den man besser „Stay-at-Work-Befehl“ nennen sollte. Die UAW-Bürokratie hat es bewusst vermieden, die wichtigsten Autowerke, in denen Pickups produziert werden und die am meisten Profit abwerfen, zum Streik aufzurufen. Dazu gehören die Ford-Werke Dearborn und Kentuck Truck, in denen das Modell F-150 gebaut wird, die GM-Werke Flint und Fort Wayne (Chevy Silverados) und die Stellantis-Werke Warren Truck und Sterling Heights (Dodge Ram).

Fain bewies erneut die Entschlossenheit der UAW, wesentliche Auswirkungen des Streiks auf die Produktion zu verhindern, indem er ausdrücklich die Weiterarbeit im GM-Presswerk im Delta-Township-Komplex anordnete. Fain erklärte: „Ich möchte deutlich machen, dass das wichtig ist. Im regionalen Presswerk in Lansing wird weitergearbeitet.“ Dieses Werk versorgt mehrere wichtige GM-Fertigungswerke, u.a. Lansing Grand River und Flint in Michigan, Fort Wayne Assembly in Indiana und GM Oshawa im kanadischen Ontario.

Die Linie der UAW-Bürokratie ist Verrat an der weit verbreiteten Forderung der Arbeiter nach einem branchenweiten Streik, um die jahrzehntelangen Zugeständnisse an die Konzerne rückgängig zu machen. Gemäß einer Strategie, die sie im Vorfeld mit dem Management und der Biden-Regierung ausgearbeitet hat, versucht die UAW, die Arbeiter mit falschen Versprechen über eine „Ausweitung“ des Streiks zu beschwichtigen. Damit sollen die Arbeiter zermürbt und der Weg für die Ankündigung von Tarifverträgen geebnet werden, die genau den Forderungen der Konzerne nach massiven Angriffen auf die Arbeitsplätze und den Lebensstandard der Arbeiter entsprechen.

Der Livestream vom Freitag verdeutlicht die Dringlichkeit des Aufrufs des Autoworkers Rank and File Committee Network nach Massenveranstaltungen in den Ortsverbänden, damit die Arbeiter über Resolutionen diskutieren und abstimmen können, die einen uneingeschränkten Streik fordern. Um für dieses Vorhaben gegen den Widerstand der UAW-Bürokratie zu kämpfen, ruft das Netzwerk die Arbeiter auf, in allen Betrieben Diskussionen zu führen und Aktionskomitees zu gründen.

Fains Ankündigung, dass nur zwei weitere Fertigungswerke bestreikt werden sollen, löste in den Kommentaren zum Livestream der UAW auf Facebook einen Sturm der Entrüstung aus.

Einer schrieb: „Solange die wichtigen GELDMACHENDEN Werke in Betrieb bleiben, werden sie nicht vernünftig mit uns verhandeln.“

Ähnliche Kommentare lauteten:

„Alle raus zum Streik! Schluss mit diesem Ratespiel!!!“

„Oh mein Gott! Er wird uns für immer weiterarbeiten lassen!! Das ist falsch!“

„Gebt ihnen nicht noch mehr Zeit! Streikt überall!“

„Ihr verschafft ihnen mehr Zeit, während wir schuften.“

Die UAW hat bisher nur viereinhalb Fertigungswerke zum Streik aufgerufen: Toledo North von Stellantis, Wentzville und Lansing Delta von GM, Ford Chicago und nur die Lackier- und Endmontageabteilung des Ford-Fertigungswerks Michigan, während der Rest der Belegschaft vom Unternehmen entlassen wurde. Letzten Freitag kündigte Fain Streiks in GM- und Stellantis-Verteilzentren an, die nur Autohändler und den Sekundärmarkt beliefern und keine Auswirkungen auf die Produktion haben.

Mit der begrenzten Ausnahme von Michigan Assembly hat die UAW zu keinen weiteren Streiks in Fertigungswerken in der Metropolregion Detroit aufgerufen, die mit ihren Autowerken und Zuliefererbetrieben mit Zehntausenden Arbeitern noch immer das Zentrum der US-Autoindustrie ist. Zweifellos befürchtet die UAW-Führung, dass weitere Streiks in Detroiter Werken schnell zu unkontrollierbaren Forderungen der Arbeiter in der ganzen Region nach einer Teilnahme am Arbeitskampf führen würden.

Ein streikender Arbeiter des Jeep-Werks in Toledo erklärte gegenüber der WSWS: „Letzte Woche sagte Fain, es habe ,Fortschritte‘ gegeben und ihnen wäre eine weitere sinnlose Arbeitsniederlegung erspart geblieben. Jetzt macht Stellantis fragwürdige Fortschritte, und sie wurden verschont. Fain ruft die Arbeiter in Detroit, dem Hauptsitz der Big Three, nicht zum Streik auf, weil sich ein Streik dort ausbreiten könnte. Es ist außerdem zu nahe am Hauptsitz der UAW, und Fain vermeidet das.“

Der UAW-Livestream begann mit einer halbstündigen Verspätung, die laut Fain auf „das große Interesse der Konzerne an der Lösung unserer wichtigen Verhandlungsfragen“ zurückgeht. Als Rechtfertigung, warum er nicht zu Streiks in Stellantis-Betrieben aufgerufen hat, behauptete Fain, das Unternehmen hätte „die Lebenshaltungskosten-Angleichung von 2009, das Verbot der Überquerung von Streikposten sowie das Recht auf Streiks wegen Produktverpflichtungen, Werksschließungen sowie Moratorien gegen Outsourcing angeboten. ... Wir sind begeistert von dieser Dynamik bei Stellantis und hoffen, dass es so weitergehen wird.“

Doch im Gegensatz zu früheren Livestreams gab Fain nicht einmal kurze Zusammenfassungen davon ab, was die Konzerne angeblich fordern. Er erwähnte auch keine konkreten Lohnerhöhungen, Renten, Gesundheitsversorgung für Rentner oder kürzere Wochenarbeitszeiten.

Während des gesamten „Verhandlungs“-Prozesses hat die UAW die Arbeiter über konkrete Details ihrer Vereinbarungen mit den Konzernen völlig im Unklaren gelassen, einschließlich der Forderungen der Konzerne nach einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen bei der Umstellung auf Elektrofahrzeuge.

Das deutlichste Anzeichen dafür, dass der UAW-Apparat einen vollständigen Ausverkauf vorbereitet, war Fains erneutes Lob für Bidens Besuch bei den Streikposten letzte Woche: „Diese Woche kam niemand Geringeres als der Präsident der Vereinigten Staaten zu uns an die Streikposten. Es war ein historischer Tag.“

Tatsächlich zielte Bidens Besuch an den Streikposten, bei dem er nur 87 Sekunden lang sprach, hauptsächlich darauf ab, Fain und die UAW-Bürokratie zu stärken und sicherzustellen, dass sie den Widerstand der Arbeiter unter Kontrolle halten kann.

Den „historischen“ Besuch, den Fain so lobt, hat ein Präsident abgestattet, der jahrzehntelange Erfahrung als politischer Vertreter der Konzerne und der Reichen hat. Biden spielte als Obamas Vizepräsident eine Hauptrolle bei der Umstrukturierung der Autoindustrie im Jahr 2009 und arbeitete mit der UAW (u.a. mit Fain) daran, das Stufensystem durchzusetzen, die Löhne von neu eingestellten Arbeitern zu halbieren, die Lebenshaltungskosten-Angleichung abzuschaffen und Zehntausende von Arbeitern zu entlassen. Als Präsident hat Biden letztes Jahr das Verbot eines Streiks der Eisenbahner und die Durchsetzung eines Vertrags mit Zugeständnissen organisiert, die die Arbeiter zuvor abgelehnt hatten.

In einer unheilvollen Anspielung erwähnte Fain mehrfach das GM-Zentrum Willow Run, das Biden besucht hatte, und bezeichnete es und andere Autowerke als „Arsenale der Demokratie“. Damit bezog er sich auf die Umstellung der Autofabriken auf Kriegsproduktion im Zweiten Weltkrieg. Gegenwärtig verschärft Washington den Krieg gegen Russland in der Ukraine sehr rasch und liefert dem Land Kriegsgerät im Wert von Dutzenden Milliarden Dollar. Nach dem Scheitern der sogenannten ukrainischen Frühjahrsoffensive mehren sich in den Mainstreammedien die Forderungen nach dem Einsatz von Bodentruppen.

Neben ihrer Entschlossenheit, die Forderungen der Autokonzerne nach niedrigen Löhnen und der Flexibilität zur Zerstörung von Arbeitsplätzen durchzusetzen, will die Biden-Regierung hauptsächlich sicherstellen, dass der Klassenkampf unterdrückt wird und ihren Krieg gegen Russland und die Kriegspläne gegen China nicht behindert. Das Weiße Haus verlässt sich zunehmend auf die Gewerkschaftsbürokratien, um Streiks zu blockieren und zu isolieren, damit sie sich nicht ausbreiten. So hat die Writers Guild of America letzte Woche einseitig den Streik der Hollywood-Drehbuchautoren beendet, bevor sie über eine vorläufige Vereinbarung auch nur abgestimmt haben.

Während die UAW versucht, Streiks der Autoarbeiter in den USA zu beschränken und so die Belastung für die Profite der Konzerne gering zu halten, versucht die Autogewerkschaft Unifor in Kanada, den Big-Three-Arbeitern die Forderungen des Managements aufzuzwingen. Das undemokratische Vorgehen von Unifor bei der „Ratifizierungs“-Abstimmung bei Ford am vorletzten Wochenende hat unter Arbeitern zu wachsender Empörung und Forderungen nach einer Neuabstimmung geführt.

Überall in den USA und im Rest der Welt wächst in der Arbeiterklasse die Wut über die Auswirkungen von Inflation, sinkenden Löhnen, brutalen Arbeitsbedingungen, der anhaltenden Corona-Pandemie und der rasant steigenden sozialen Ungleichheit. Nächste Woche sollen bei Kaiser Permanente 75.000 Arbeiter in den Streik treten – im größten Ausstand von Beschäftigten des Gesundheitswesens in der Geschichte der USA. In der Auto- und Zuliefererindustrie laufen in den kommenden Wochen die Tarifverträge von zehntausenden weiteren Arbeitern aus, u.a. von 3.000 Mack-Trucks-Arbeitern in Pennsylvania, Maryland und Florida am Sonntagabend.

Schichtwechsel am Stellantis-LKW-Werk Warren, 21. September 2023 (Foto: WSWS)

Ein Stellantis-Arbeiter von Warren Truck erklärte gegenüber der WSWS: „Sie haben Angst, dass andere Arbeiter sagen würden, ,Warum streiken wir nicht?‘, wenn sie Werke in Detroit zum Streik aufrufen. Es wäre ein Dominoeffekt, und der Streik würde sich vom zweiten Werk wie ein Lauffeuer auf andere Werke ausbreiten.

Wir sollten seit dem 15. September streiken. Zwei Wochen sind vorbei, und wir streiken immer noch nicht, obwohl 98 Prozent dafür gestimmt haben. Wir dürfen das nicht der UAW überlassen. Ich will nicht abwarten und sehen, was er [Fain] tun wird. Wir müssen ihm zuvorkommen und selbst aufstehen.“

Ein Arbeiter des Stellantis-Getriebewerks in Kokoma erklärte gegenüber der WSWS: „Das hilft den Arbeitern nicht, sondern schadet uns und hilft, einen Streik in die Länge zu ziehen, den sich die Arbeiter nicht lange leisten können. Es kommt einem fast so vor, als wäre das geplant, um den Streik zu verlängern und den Autoarbeitern zu schaden, damit wir weitere Zugeständnisse akzeptieren. Wir werden wieder ausverkauft.“

Über Fains betrügerische „Stand-Up-Streiks“ sagte der Toledo-Jeep-Arbeiter: „Dieses Spiel ist offensichtlich darauf ausgelegt, nicht den Big Three zu schaden, sondern den Arbeitern.

Angesichts der Tatsache, dass 97 bis 98 Prozent von uns für den Streik gestimmt haben, muss totale Transparenz darüber herrschen, wie dieser ,Fortschritt aussieht‘. Wenn die Arbeiter beschließen, dass es nicht gut genug ist, würden wir die ganze Industrie zum Erliegen bringen. Aber offenbar denkt Fain, er hätte das zu bestimmen. Wir brauchen jetzt einen Vollstreik.“

Loading