Der Generalsekretär der Gewerkschaft Rail, Maritime and Transport (RMT), Mick Lynch, und der nationale RMT-Vorstand sind entschlossen, den seit über einem Jahr andauernden Tarifstreit der Eisenbahner mit einem Ausverkauf endgültig zu beenden.
Die RMT hat für dieses Jahr nur noch zu einem weiteren Streiktag am 2. September aufgerufen, an dem sich 20.000 Mitglieder von vierzehn Zugbetreibern in England beteiligen sollen.
Die Gewerkschaft will das Ende einer Befragung der konservativen Regierung unter den Bahnbetreiber der Rail Delivery Group abwarten. Geplant ist die Schließung fast aller Ticketschalter im Vereinigten Königreich, was den Verlust von 2.300 Arbeitsplätzen bedeuten würde. Der abschließende Bericht darüber soll Ende des Jahres vorliegen, und bis dahin sind sämtliche Arbeitskampfmaßnahmen abgesagt.
Die RMT schlägt vor, dass alle Streitigkeiten bis dahin im Rahmen eines „Schlichtungsverfahrens“ behandelt werden. Als Gegenleistung verlangt sie lediglich das Versprechen, dass es zu keinen „betriebsbedingten Kündigungen“ kommt.
Selbst dies ist Betrug. Mehrere Zugbetreiber haben bereits Kündigungsschreiben an das Personal der Fahrkartenschalter versandt. Aber die RMT hofft auf die Spekulationen der Regierung und der Zugbetreiber, dass sie den erforderlichen Stellenabbau durch natürliche Fluktuation erreichen. Ältere Arbeiter könnten freiwillig kündigen, weil sie von der RMT sowieso nichts mehr erwarten.
Die Gewerkschaft hat überhaupt keine konkrete Lohnforderung mehr aufgestellt. Sie fordert nicht einmal mehr die neun Prozent über zwei Jahre, auf die sie sich im April schon mit der Tory-Regierung geeinigt hatte, die sie aber ihren Mitgliedern nicht aufzwingen konnte. Stattdessen lautet die Forderung jetzt: „ein Lohnvorschlag mit einjähriger Laufzeit für alle Unternehmen für das Tarifjahr 2022-2023, flankiert von rückdatierten Zahlungen zu den jeweiligen Jahresdaten 2022“. Erst danach will die RMT, beginnend am 1. Dezember 2023, Verhandlungen für das Tarifjahr 2023-2024 aufnehmen.
Im Juni hielt Lynch eine Rede auf der jährlichen Hauptversammlung der RMT, bei der er unbeabsichtigt das Ausmaß des Verrats deutlich machte, den der Vorstand durchsetzen will: Er begann: „Als ich im letzten Jahr hier sprach, hatten wir eine der größten Streikwellen in der Geschichte unserer Gewerkschaft aufgenommen. Daran waren 53.000 Mitglieder bei Network Rail, den 14 Bahnbetreibern und der Londoner U-Bahn beteiligt. Das bedeutet, dass 65 Prozent unserer Mitglieder gleichzeitig den Kampf aufnahmen.“
Er prahlte: „Durch die Aktionen unserer Mitglieder haben wir die Arbeiterbewegung angeführt (...) Wenn wir vorangehen, folgen andere.“
Die Frage an Lynch drängt sich auf: Was ist in diesem Kampf in den letzten vierzehn Monaten erreicht worden?
Der gemeinsame Kampf des Schienen-, Wartungs- und Stationspersonals der RMT und der Londoner U-Bahn wurde vorsätzlich sabotiert.
- Bei der Londoner U-Bahn streikte die RMT im letzten Jahr fünf Tage lang gegen Arbeitsplatzabbau und Angriffe auf die Renten. Ein weiteres Mal wurde gegen den Abbau von 600 Stellen gestreikt. Im März dieses Jahres gab es lediglich noch einen eintägigen Streik, und im Juli wurde ein viertägiger Streik abgesagt, weil die RMT behauptete, sie habe Fortschritte bei einem Abschluss erzielt, was sich als Lüge erwies.
- Letzten November hatte die RMT ihre Mitglieder bei ScotRail mit einem Deal verraten, der eine Erhöhung des Grundlohns um fünf Prozent – weit unterhalb der Inflationsrate – und eine einmalige Zahlung von 750 Pfund vorsah. Als Gegenleistung akzeptierte die Gewerkschaft, dass die Kontrolleure den Kauf und Verkauf von Fahrkarten zusätzlich übernehmen müssen.
- Dies und ein ähnliches Abkommen mit der Gesellschaft Transport for Wales und der von der Labour Party dominierten walisischen Regierung im letzten Dezember, das aus einer Lohnerhöhung unterhalb der Inflation von zwischen 4,5 und 6,5 Prozent mit Produktivitätsklauseln bestand, wurden als Vorbild für die Tory-Regierung und die Zugbetreiber in England dargestellt, um den nationalen Eisenbahnerstreik zu beenden.
- Im März setzte die RMT bei Network Rail einen weiteren faulen Kompromiss durch, der mit einer neunprozentigen Erhöhung über zwei Jahre erneut unterhalb der Inflationsrate liegt. Sie verriet damit 20.000 Wartungsarbeiter und schwächte den Eisenbahnerstreik erheblich. Dies begünstigt die Umsetzung der Pläne von Network Rail, Tausende von Arbeitsplätzen, u.a. die von 1.900 Wartungsarbeitern, zu vernichten. Network Rail verhält sich dank der RMT so arrogant, dass es mittlerweile allen Teilnehmern an dem Streik die Zahlung eines Bonus von 300 Pfund vorenthält.
Diese Tarifabkommen bedeuten, dass ein landesweiter Eisenbahnerstreik, an dem sich auch die Beschäftigten der Londoner U-Bahn beteiligt hatten und der das Potenzial hatte, die Wirtschaft zum Erliegen zu bringen, mittlerweile auf die 20.000 Beschäftigten der Zugbetreiber in England zusammengeschrumpft ist. Das ist das Endergebnis der Sabotage der RMT.
Die Gewerkschaftskampagne „Save Our Ticket Offices“ („Rettet unsere Fahrkartenschalter“) hat sich als Deckmantel für den Verrat am gesamten Tarifstreit bei der Bahn erwiesen. Lynch und seine stalinistischen Hintermänner (wie zum Beispiel Eddie Dempsey) behaupten, diese Kampagne sei ein großer Erfolg, weil bisher eine halbe Million sich daran beteiligt haben, Karten an die Regierung zu schicken.
Aber Lynch weiß genau, dass die Regierung diese Proteste ignorieren wird. Die Zugbetreiber und staatlichen Bahnen werden die Schließungen, gestützt auf rein wirtschaftliche Erwägungen, durchsetzen.
Letzte Woche behauptete Lynch, die Unternehmer bräuchten mehr Zeit, um ihre „Vorschläge zur Reform der Belegschaften“ auszuarbeiten. Aber die Rail Delivery Group hat die Pläne für ihr Projekt zur Reprivatisierung von Great British Railways nicht nur bereits fertig, sondern sie setzt sie bereits seit Beginn der Corona-Pandemie um.
Am Donnerstag fand eine Kundgebung vor Downing Street 10 statt, bei der die Teilnehmer „vor Premierminister Rishi Sunaks Haustür“ an die Regierung appellieren sollten. Das ist Lynchs letzter Versuch, die Tories zu einem Sinneswandel zu bewegen. Statt eine Kehrtwende zu vollziehen, wird das Antistreikgesetz (Minimum Service Levels), das im Juli verabschiedet wurde, jetzt als Vorwand genommen, um effektive Streiks von etwa fünf Millionen Arbeitern in „systemrelevanten“ Bereichen wie dem Schienennetz zu unterbinden. Dazu werden Arbeiter gezwungen, den Betrieb auch während Arbeitskämpfen aufrechtzuerhalten. Darauf werden Lynch und Konsorten nur mit noch mehr heißer Luft reagieren.
Network Rail, die Zugbetreiber und die Tories wissen, woran sie bei der RMT sind. Und alles, was Lynch als politische Alternative vorbringt, ist die Aussicht auf eine Labour-Regierung unter Sir Keir Starmer.
Als Anführer der Gewerkschaftskampagne „Enough is Enough“ (Genug ist Genug) vom letzten Sommer hatte Lynch den Forderungen der Bevölkerung nach einem Generalstreik zum Sturz der Tories die Aussicht auf eine künftige Labour-Regierung entgegengestellt. Bei seiner Rede auf der Hauptversammlung hat er erneut betont: „Es ist völlig klar, dass es in unserem Klasseninteresse und dem direkten Interesse unserer Mitglieder liegt, diese Tory-Regierung loszuwerden und sie durch eine Labour-Regierung zu ersetzen. Es wird entweder eine Tory- oder eine Labour-Regierung werden – das ist einfach Tatsache.“
Aber das ist keine Alternative. Starmer und seine engsten Unterstützer (wie Schatten-Finanzministerin Rachel Reeves) haben deutlich gemacht, dass sie als Partei der Nato und des „stabilen Haushalts“ nicht bereit sind, von der Sparpolitik und dem Kriegskurs der Tories abzurücken.
Die Eisenbahner müssen sich der Tatsache stellen, dass die Gewerkschaften nicht ihre Interessen verteidigen, sondern als Werkzeuge der Konzerne agieren und ihre Mitglieder bei der erstbesten Gelegenheit verraten werden. Dabei macht es keinen Unterschied, wenn ihre Führer sich, wie Lynch, als „links“ bezeichnen.
Diese Erfahrung hat die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt gemacht. Diese Woche hat die deutsche Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG ihren Mitgliedern bei der DB AG eine Reallohnsenkung aufgezwungen. Die Arbeiter in Deutschland reagierten darauf mit der Gründung eines Aktionskomitees und erklärten, sie seien „nicht länger bereit, die Vorherrschaft des EVG-Apparats zu akzeptieren“.
Überall auf der Welt werden Aktionskomitees gegründet, u.a. bei der Royal Mail in Großbritannien, die in der Internationalen Allianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) zusammengeschlossen sind. Um ihre Niederlage zu verhindern, müssen die Mitglieder der RMT ihre eigene kampfbereite Führung aufbauen, die unabhängig von ihren Feinden in der RMT-Bürokratie und der Labour Party handelt, um die Unternehmer und die Tory-Regierung im Kampf zu besiegen.
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