Die Nachricht kam per SMS und bestand aus wenigen Worten. Am 28. Juli teilte die italienische Regierung 169.000 Haushalten mit, dass sie in vier Tagen ihr Einkommen verlieren. Sie erhalten ab dem 1. August keinen Cent mehr aus der staatlichen Grundsicherung.
Die 169.000 sind nur der Anfang. In den kommenden Monaten wird Hunderttausenden weiteren Haushalten die Unterstützung gestrichen. Insgesamt sind etwa 2,5 Millionen Personen von den Kürzungen betroffen. Die Regierung will so mehrere Milliarden einsparen, die sie in Form von Steuererleichterungen an die Reichen weiterreicht.
Das Bürgereinkommen (Reddito di cittadinanza) in seiner jetzigen Form war erst 2019 eingeführt worden. Es war ein zentrales Wahlversprechen der Fünf-Sterne-Bewegung, die damit vor allem im armen Süden des Landes viele Stimmen gewann. Es verschaffte Bedürftigen ein zusätzliches Einkommen von bis zu 500 Euro im Monat. Für Ehepartner kamen weitere 200, für Kinder je 100 und für die Miete maximal 280 Euro hinzu. Angesichts der hohen Armut im Land war das allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
In Zukunft bekommen nur noch Haushalte, in denen Minderjährige, Behinderte oder Senioren leben, maximal 480 Euro. 18- bis 59-Jährige gelten dagegen pauschal als „beschäftigungsfähig“ und gehen leer aus. Nur wenn sie an Fort- und Weiterbildungskursen teilnehmen, erhalten sie 350 Euro im Monat, beschränkt auf maximal ein Jahr. Bisher gibt es aber keine entsprechenden Kursangebote, und das Arbeitsministerium hat noch nicht einmal eine Internetplattform dafür eingerichtet.
Als Folge stehen Hunderttausende Menschen in Italien über Nacht ohne Einkommen da und wissen nicht, wie sie die Miete, die Stromrechnung und Nahrungsmittel bezahlen sollen. Vor allem Großstädte im Süden des Landes, wie Neapel, Bari, Palermo und Caserta, sind betroffen. In Neapel bezieht jeder sechste Haushalt Bürgergeld, im nördlichen Bozen ist es nur jeder dreißigste.
An zahlreichen Orten kam es deshalb zu Protesten vor den Büros der Sozialbehörde INPS. In der sizilianische Gemeinde Terrasini stürmte ein Mann das Büro des Bürgermeisters, vergoss Benzin und drohte, alles in Brand zu setzen.
Die Streichung des Bürgergelds und die brutale Art, in der sie vollzogen wird, sind eine gezielte Provokation. Die Regierung von Giorgia Meloni zeigt ihre wahre faschistische Fratze. Sie will damit zweierlei erreichen.
Erstens stellt sie Arbeiter vor die Alternative, auch den schlechtbezahltesten Job anzunehmen oder zu verhungern. So versucht sie, das Lohnniveau insgesamt zu drücken und einen Arbeitszwang einzuführen. Und zweitens bemüht sie sich, Mittelschichten und die Arbeiterklasse zu spalten, indem sie bessergestellte Teile gegen Einkommens- und Arbeitslose aufhetzt, so wie sie sie bisher gegen Flüchtlinge aufgehetzt hat.
Bereits im Wahlkampf hatten Melonis Fratelli d’Italia gegen das Bürgergeld gewettert, das sie als Einladung zum Nichtstun „auf dem Sofa“ denunzierten. Wer arbeiten könne, dürfe nicht dem Staat auf der Tasche liegen, hatte Meloni immer wieder betont. Sie wurde dabei von Wirtschaftsverbänden unterstützt, die sich über den Personalmangel in der Gastronomie und Tourismusbranche beschwerten, weil sich Bürgergeldempfänger weigerten, die schlecht bezahlten Jobs anzunehmen.
Mit ihrer Kriegserklärung an die Armen stellt sich Meloni in die Tradition Mussolinis, der den Fratelli weiterhin als leuchtendes Vorbild dient, auch wenn ihn Meloni aus taktischen Gründen zur „historischen Frage“ erklärt hat.
Mussolinis faschistische Diktatur verkörperte die direkte und unmittelbare Herrschaft des Finanzkapitals. Ihre populistischen Phrasen dienten lediglich dazu, ihre Anhänger zu mobilisieren. Ihre wichtigste Aufgabe bestand darin, die Arbeiterorganisationen zu zertrümmern. Sie löste die Gewerkschaften in Korporationen auf, die vom Staat und den Unternehmerverbänden beherrscht wurden, und führte unter dem Deckmantel von „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“ in großem Maßstab Zwangsarbeit ein.
Die deutsche Nazi-Diktatur ging dann noch weiter. Während des Kriegs arbeiteten im Reich und in eroberten Gebieten mehr als 20 Millionen Zwangsarbeiter für die deutsche Wirtschaft. Während die Flicks, Krupps und Quandts Eigentümer ihrer Unternehmen blieben und Millionenprofite einstrichen, schuftete sich ein Heer von Sklaven zu Tode. Ihren makabren Höhepunkt fand diese Praxis in der Aufschrift „Arbeit macht frei“, die über dem Eingang vieler Konzentrationslager prangte.
Melonis Angriff auf die Ärmsten der Gesellschaft stößt in bürgerlichen Kreisen europaweit auf Unterstützung. Typisch ist ein Kommentar der deutschen Tageszeitung Die Welt.
„Ohne viel Federlesen hat die Rechtsregierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ihr umstrittenes Vorhaben umgesetzt, einem großen Teil der Leistungsbezieher die Grundsicherung komplett zu streichen,“ jubelt die „Chefökonomin“ des Blatts, Dorothea Siems. „Wer als arbeitsfähig gilt, muss nun meist wieder allein sehen, wie er über die Runden kommt.“
Auch in Deutschland fehle vielen Bürgern „jedes Verständnis dafür, dass es vielerorts nicht gelingt, mehr Langzeitarbeitslose in Helfertätigkeiten etwa in Restaurants, Hotels oder am Bau zu vermitteln“. Es sei „dringend geboten, die Anreize für Nichtarbeit abzuschaffen“. Wer zu fleißig sei, schreibt Siems unter Berufung auf Ifo-Chef Clemens Fuest, „verliert nicht nur den Anspruch auf das Bürgergeld, sondern auch auf Wohngeld und andere Transfers. De facto kommt das einem Arbeitsverbot gleich – und das kann sich auf Dauer kein Sozialstaat leisten.“
In Frankreich erzwingt Präsident Macron mit roher Polizeigewalt eine Rentenreform, die die Altersbezüge drastisch reduziert. Auch in den anderen europäischen Ländern und den USA sind die Regierungen dabei, die Billionensummen, die sie für Krieg und Handelskrieg, die Rettung der Banken und die Steigerung der Profite der Reichen ausgeben, durch die Kürzung von Löhnen und Sozialleistungen wieder reinzuholen. Dagegen wächst der Widerstand; die Angriffe lassen sich auf Dauer nicht mit demokratischen Methoden verwirklichen.
Das und ihre bedingungslose Unterstützung der Nato im Ukrainekrieg erklären, weshalb der Faschistin Meloni in Brüssel, Berlin und Paris der rote Teppich ausgerollt wird. Auch US-Präsident Joe Biden hat sie zum Zweigespräch im Weißen Haus empfangen. Meloni dient als Hebel, um rechten und faschistischen Kräften auch in anderen Ländern zum Durchbruch zu verhelfen.
Die enge Zusammenarbeit mit Meloni unterstreicht, dass von einer angeblichen „Brandmauer“ gegen die extreme Rechte keine Rede sein kann. Auch in Deutschland wird die AfD von allen Parteien und den Medien hofiert.
Auf europäischer Ebene ist die Integration der Faschisten besonders weit fortgeschritten. Melonis Regierungskoalition vereint die drei größten rechten und rechtsextremen europäischen Parteienfamilien und dient als Blaupause für ein ähnliches Bündnis auf europäischer Ebene.
Meloni selbst ist Vorsitzende der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), denen neben der spanischen Vox auch die polnische Regierungspartei PiS und die tschechische Regierungspartei ODS angehören. Meloni trat im spanischen Wahlkampf auf Großveranstaltungen der Franco-Anhänger von Vox auf. Matteo Salvins Lega ist Mitglied von Identität und Demokratie (ID), neben dem französischen Rassemblement National Marine Le Pens und der deutschen AfD. Und die von Silvio Berlusconi gegründete Forza Italia gehört zur Europäischen Volkspartei (EVP), ebenso wie die deutsche CDU/CSU und die spanische Volkspartei (PP).
Vor allem der deutsche EVP-Vorsitzende Manfred Weber ist eifrig dabei, ein Bündnis mit den Rechtsextremen vorzubereiten, um der Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyen nach der Europawahl 2024 eine weitere Amtszeit zu sichern. Der spanische PP-Vorsitzende Alberto Feijóo hat Meloni sogar aufgefordert, sich der EVP anzuschließen. „Es wäre gut für die EVP, wenn Frau Meloni bei der EVP landen würde“, sagte er in einem Interview.
Die Sozialdemokraten, Grünen und Linksparteien und die mit ihnen verbundenen Gewerkschaften haben dem nichts entgegenzusetzen. Ihre Politik – von der Unterstützung des Ukrainekriegs über den Sozialabbau, die Abwehr von Flüchtlingen bis hin zur Aufrüstung der Polizei – unterscheidet sich nicht wesentlich von der der Rechten und Ultrarechten.
In Italien schimpft die Vorsitzende der Demokraten (PD), Elly Schlein, zwar über Melonis Krieg gegen die Armen. Doch die PD selbst hat mehrere Regierungen geführt oder unterstützt, die den Sozialabbau energisch vorangetrieben und Meloni so den Weg an die Macht geebnet haben. Die größte italienische Gewerkschaft CGIL lud Meloni zu ihrem letzten Kongress im März ein und gab der Faschistin eine Plattform, ihr arbeiterfeindliches Programm zu propagieren.
Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die den Kampf gegen Krieg und Sozialbau mit dem Kampf gegen ihre Ursache, den Kapitalismus verbindet, kann die Gefahr des Faschismus stoppen.