Am Freitag vor Pfingsten, den 26. Mai 2023, kam es in Italien erneut zu einem 24-Stunden-Streik im öffentlichen und privaten Nah- und Fernverkehr und an vielen staatlichen Schulen. In insgesamt 25 Städten streikten Zug-, Tram- und Busfahrer und Lehrkräfte, in Triest auch die Hafenarbeiter für höhere Löhne und gegen prekäre und unsichere Arbeitsplätze. In Mailand, Neapel und Turin zogen Streikende durch die Innenstadt und skandierten: „Abbassate le armi, alzate i salari!“ (Runter mit den Waffen, rauf mit den Löhnen!).
In Rom folgten auch Schüler und Studierende dem Aufruf der Basisgewerkschaft Unione sindacale di base (USB) und demonstrierten vor dem Unterrichtsministerium. In der Lombardei ruhte der Zugverkehr der Gesellschaft Trenord für 24 Stunden, während Trenitalia von 09:00 bis 17:00 Uhr bestreikt wurde. In Neapel ruhte der gesamte öffentliche Personennahverkehr, einschließlich Metro, Bus, Tram und Drahtseilbahn für 24 Stunden, desgleichen in Turin und Palermo. Gestreikt wurde auch in Genua, Florenz, Livorno, Bari und Catania. Auch die Maut-Stationen der großen Autobahnen wurden bestreikt, so dass sich lange Schlangen bildeten.
In Mailand kam es zu Auseinandersetzungen, als die Streikenden zu der stark bewachten Unternehmerzentrale Confindustria zogen. Demonstrierende versuchten, die Absperrungen zu durchbrechen, und warfen Tomaten und Eier. Dagegen gingen Polizeibeamte, verstärkt durch Militärpolizei, mit Schildern und Schlagstöcken vor.
Ausgenommen vom Streik waren einige Hochgeschwindigkeitszüge von Frecce und ICE. Auch die Stadt Rom und die vom Hochwasser betroffenen Regionen Emilia-Romagna und Marken wurden vom Verkehrsstreik ausgenommen, ebenso der Flugverkehr. An den Flughäfen ist ein nationaler Streik für kommenden Sonntag, 4. Juni angekündigt.
Die zentralen Forderungen lauteten: 300 Euro monatliche Nettolohnerhöhung und Anpassung der Löhne an die Inflation; 10 Euro Mindeststundenlohn für alle, deren Verdienst noch darunter liegt; und Schluss mit prekären, befristeten und schlecht bezahlten Arbeitsplätzen.
Für eine Erhöhung der Löhne und mehr Sicherheit am Arbeitsplatz kam es im Mai in Italien schon mehrfach zu Streiks. Sie sind Teil einer wachsenden Bewegung der gesamten europäischen Arbeiterklasse, von Frankreich, Spanien und Großbritannien über die Warnstreikbewegungen in Deutschland und Skandinavien bis hin zu den jüngsten Lehrerstreiks in Rumänien.
In Italien fand bereits am 2. Mai ein vierstündiger, nationaler Verkehrsarbeiterstreik statt. Am 3. Mai bestreikten die Fluglotsen den Luftverkehr, unterstützt durch Flugbegleiter der Air Dolomiti und der Vuelding. Am 19. Mai traten Beschäftigte der Bodenabfertigung an allen italienischen Flughäfen gegen Ausbeutung, Hungerlöhne und prekäre Verhältnisse in den Streik. Bei ITA Airways, dem Nachfolger der Alitalia, der von der Lufthansa übernommen wird, gab es schon mehrere Ausstände gegen die Streichung von 4000 Arbeitsplätzen.
Die Streikbewegung richtet sich gegen die wirtschaftsfreundliche Sozial- und Kriegspolitik der Regierung von Giorgia Meloni, die den faschistischen Fratelli d’Italia angehört. Im öffentlichen Dienst versucht die Meloni-Regierung, den bereits abgelaufenen Tarifvertrag bis 2024 auszudehnen und durch willkürliche und kümmerliche Inflationsprämien zu ersetzen, um das von Brüssel auferlegte Haushaltslimit einzuhalten.
Die Regierung hat ein neues Dekret für Arbeit und Soziales beschlossen, das Kürzungen bei den Sozialleistungen und eine Lockerung der Vorschriften für kurzfristige Arbeitsverträge vorsieht. Gegen diese Politik haben die traditionellen drei Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL im Mai drei große Kundgebungen abgehalten, an denen sich in Bologna, Mailand und Neapel jeweils 30- bis 40.000 Arbeiter beteiligten.
Meloni setzt Steuererleichterungen für Unternehmer und Reiche um. Populistisch vergleicht sie Steuern auf kleine Betriebe und Selbständige mit Mafia-Schutzgelderpressung. Ihr Finanzminister Giancarlo Giorgetti (Lega) hat eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne, die Melonis Vorgänger Mario Draghi eingeführte hatte, um drei Viertel gekürzt. Ein weiteres Steuergeschenk, das die Regierung in Aussicht stellt, betrifft die Abschaffung der italienischen Extrasteuer auf PS-starke Ferraris, Lamborghinis und Maseratis.
Gleichzeitig ist Meloni dabei, das Bürgergeld (Reddito di cittadinanza) schrittweise wieder abzuschaffen. Es war das zentrale Wahlversprechen von Grillos Fünf-Sterne-Bewegung. Obwohl es nur ein Tropfen auf den heißen Stein war, hat es rund einer Million Bedürftigen ein zusätzliches Sozialgeld von bis zu 780 Euro verschafft. Unter dem Applaus der EU-Partner und Finanzmärkte hat Meloni schon im November 2022 bekanntgegeben, dass sie das Bürgergeld 2023 nur noch befristet gewähren und ab 2024 ganz abschaffen werde.
Gleichzeitig ist die Armut in Italien auf dem Vormarsch. Laut dem Armutsbericht der Caritas leben fünf Millionen Italiener in povertà assoluta (absoluter Armut). Besonders der Süden verwandelt sich in ein Armenhaus: Dort hat sich die Armut in den letzten zehn Jahren auf zehn Prozent der Bevölkerung verdoppelt. In ganz Italien sind 1,4 Millionen Kinder von Armut bedroht. Die Jugendarbeitslosigkeit nimmt zu, wie auch die Prekarisierung der Arbeit, und so sind unter den „absolut Armen“ die Einwanderer besonders betroffen. Während 7,2 Prozent aller Italiener arm sind, betrifft es unter den Migranten jede dritte Person (32,4 Prozent).
Die klaffende soziale Ungleichheit ist nicht allein den Steuergeschenken an Reiche und Unternehmer und den von der EU diktierten Sparmaßnahmen geschuldet. Auch die Kriegspolitik verschlingt Milliarden. Im Militarismus setzt Giorgia Meloni den von Mario Draghi eingeschlagenen pro-Nato-Kurs fort. Sie unterstützt die Ukraine mit militärischer und finanzieller Hilfe und rüstet im Innern die Armee und den Polizeistaat auf. Im März hat sie Selenskyj in Kiew besucht und ihm ein Flugabwehrsystem versprochen, und vor wenigen Tagen hat sie ihrerseits den ukrainischen Regierungschef in Rom empfangen.
Meloni bemüht sich, ihre Übereinstimmung mit der rechten, militaristischen und hochgefährlichen Politik der EU herauszukehren. Wie Deutschland, Großbritannien und Frankreich soll auch Italien sich auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung für den dritten Weltkrieg rüsten.
Die Antwort darauf kann nur im gemeinsamen Kampf der europäischen Arbeiterklasse gegen Kapitalismus bestehen. Um die Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und demokratische Rechte zu kontern, muss die internationale Einheit der Arbeiterklasse auf sozialistischer Grundlage hergestellt werden. Dies erfordert dringend den Aufbau einer revolutionären Führung, einer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) in Italien.
Die italienischen Gewerkschaften sind wie in anderen Ländern Erfüllungsgehilfen des Kapitals. Dabei arbeiten sie nicht nur eng mit den Demokraten, die an der Regierung massiven Sozialabbau betrieben haben, sondern auch mit Meloni zusammen. So hat Maurizio Landini, Führer des größten Gewerkschaftsdachverbandes CGIL und ehemaliges KPI-Mitglied, Meloni zum letzten Gewerkschaftstag als Sprecherin eingeladen.
Weil die traditionellen Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL, UIL so tief in die italienische Wirtschaft verstrickt sind, laufen ihr die Mitglieder in Scharen davon. Die USB, die am 26. Mai zum Streik aufgerufen hat, und andere Basisgewerkschaften wie Cobas, CUB etc. versuchen das Vakuum zu füllen. Dabei unterscheidet sich ihre nationale Orientierung und Perspektive im Kern nicht von derjenigen der alten Gewerkschaftsbürokraten.
Immer wieder rufen die Basisgewerkschaften zu eintägigen Streiks auf, um die Kontrolle über die wachsende Bewegung aufrecht zu erhalten und eine soziale Aufstandsbewegung gegen Krieg und Kapitalismus zu verhindern. Ihre Führer sind mit den pseudolinken und stalinistischen Parteien Italiens verbunden, von Rifondazione Comunista (PRC) und der 2016 neu gegründeten Partito Comunista Italiano (PCI) über Potere al Popolo (PaP) bis hin zu Sinistra Italiana und den Demokraten. Sowohl der USB-Vorsitzende Pierpaolo Leonardi als auch der Cobas-Führer Piero Bernocchi stehen der Rifondazione Comunista nahe, die zwischen 2006 und 2008 die Kürzungs- und Kriegspolitik der Romano-Prodi-Regierung unterstützte.
Bei den jüngsten Kommunalwahlen haben die Basisgewerkschaften, wenn sie sich überhaupt äußerten, die PD (Demokraten) unterstützt. Deren frischgebackene Führerin Elly Schlein (38), deren einziger Trumpf ihre relative Jugend ist, hat ihre Karriere im Wahlkampfteam Barack Obamas begonnen und ist seit zwei Jahren Vizepräsidentin der Emilia-Romagna. In den Wahlen hat die bankrotte Politik des sogenannten „linken Lagers“ jedoch zu einem weiteren, noch deutlicheren Wahlsieg der Rechten und Faschisten um Meloni geführt.
Gerade in der Emilia-Romagna zeigt sich diese bankrotte Politik derzeit besonders deutlich. Die massiven jüngsten Überschwemmungen, die 15 Menschenleben gefordert haben, legen die schreienden Versäumnisse der Politiker schonungslos offen. In dieser Region, in der das „linke“ Lager seit 78 Jahren die Regierung stellt, wurde das Notwendige versäumt, um Überschwemmungen, Erdrutschen und andere Katastrophen vorzubeugen.
Nicht nur wurde die Infrastruktur vernachlässigt, Böden versiegelt, Flüsse begradigt und Berge abgeholzt und längst überfällige Dammarbeiten immer wieder hinausgeschoben. Auch die Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst rächen sich jetzt. Gut ausgebildete und vernünftig bezahlte Arbeitskräfte fehlen, darunter Agronomen, Städteplaner, Hoch- und Tiefbauingenieure, Feuerwehrleute, Sozialarbeiter und viele mehr.
Die Hochwasserkatastrophe zeigt das wahre Gesicht der kapitalistischen Krise. Während die Verantwortlichen in Rom und Bologna über Zuständigkeiten und Gelder streiten, sind die Menschen im überfluteten Gebiet auf sich selbst und die Hilfe von Freiwilligen angewiesen.