Siegesstimmung auf der A5-Raststätte Gräfenhausen: Die 65 LKW-Fahrer, die dort seit sechs Wochen streiken, haben die Auszahlung ihrer Löhne durchgesetzt. Sie sind ein Beispiel für den wachsenden Widerstand in der Arbeiterklasse.
Am Mittwoch hat der polnische Spediteur Lukas Mazur eine Vereinbarung unterzeichnet, in der er sich „verpflichtet, alle ausstehenden Zahlungen auf die Konten der Fahrer zu überweisen“. Und weiter: „Es werden keine rechtlichen Schritte gegen die Fahrer unternommen.“ Zuvor hatte der Unternehmer mit Hilfe privater Security und der Polizei mehrere Versuche unternommen, die LKWs und die darin enthaltene Ware mit Gewalt zurückzuholen, doch sie scheiterten alle an der entschlossenen Solidarität der Fahrer. Die Männer, die hauptsächlich aus Georgien und Usbekistan stammen, erklärten zuletzt, sie wollten zusammenbleiben, „bis der letzte Mann sein Geld bekommen hat“.
Ihr Streik hat die große Kampfbereitschaft, die sich in der Arbeiterklasse ausbreitet, deutlich gezeigt, sowie auch die katastrophalen Arbeitsbedingungen, die die EU-Politik im europäischen Transportwesen angerichtet hat. Sie zu überwinden und die Zustände wirklich zu ändern, erfordert mehr als spontane Kampfbereitschaft. Es erfordert den Aufbau eigener Organe der Arbeiterklasse, die sich in der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) zusammenschließen. Dies wird eines der Themen sein, die am Sonntag auf der Online-Kundgebung des IKVI zur Feier des 1. Mai 2023 zur Sprache kommen.
Die zentrale Aufgabe unabhängiger Aktionskomitees besteht darin, die Bevormundung und Unterdrückung der Arbeitskämpfe durch die Gewerkschaftsbürokratie zu durchbrechen. Wie es in der Gründungserklärung der IWA-RFC heißt, wird sie eine „globale Gegenoffensive der Arbeiterklasse“ gegen die jahrzehntelange soziale Konterrevolution, imperialistische Kriege, Corona und die wachsende Gefahr von Faschismus und Diktatur anführen. Sie wird Arbeitern ermöglichen, Informationen auszutauschen, gemeinsame Aktionen zu planen, Beschäftigte über Betriebs-, Branchen- und Ländergrenzen hinweg zu vernetzen und zu vereinen und so „die volle Kraft der gesamten Arbeiterklasse“ freizusetzen.
Die Notwendigkeit des Aufbaus unabhängiger Aktionskomitees hat sich in den jüngsten Streiks bei der Post, der Bahn und im öffentlichen Dienst gezeigt. Dort hat Verdi im Interesse der „deutschen Wirtschaft“ (der Kapitalisten und der Kriegspolitik der Ampel-Koalition) bereits beschlossene Streiks kurzfristig wieder abgesagt, laufende Arbeitskämpfe isoliert und von den internationalen Kollegen getrennt, und schließlich die Kämpfe nach Strich und Faden ausverkauft. An einem „Mega-Streik“ im Verkehrssektor Ende März hatten sich 150.000 Beschäftigte beteiligt, ehe Verdi der Reallohnsenkung in einer Schlichtung zustimmte. Bei der Deutschen Post DHL hatten 86 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für den unbefristeten Erzwingungsstreik gestimmt, aber Verdi verhinderte ihn in letzter Minute durch den Abschluss eines betrügerischen Tarifabschlusses, der ebenfalls Reallohnsenkungen enthält.
Die Konflikte sind jedoch weiter ungelöst, und die Wut über die unerträglichen Zustände in Kliniken, Pflegeheimen, Kitas oder bei der Post wächst weiter. So wurde beispielsweise ein Angebot der Universitätsmedizin Mainz von den Gewerkschaftsmitgliedern einstimmig abgelehnt und ein weiterer Warnstreik für den 4. und 5. Mai angekündigt. Bei der Bahn ist der Konflikt auch nach dem zweiten bundesweiten Warnstreik ungelöst. Im Öffentlichen Dienst und bei der Post haben Arbeiter damit begonnen, Aktionskomitees aufzubauen, um den Kampf voranzutreiben.
Inzwischen zeigt sich überall Streikbereitschaft, auch unter prekär Beschäftigten, die bisher wenig in Erscheinung traten. Ein Beispiel war zuletzt die Entwicklung bei Lieferando. Die Riders dieses Lieferdienstes sind im April erstmals in einen Streik getreten, um einen Stundenlohn von 15 Euro durchzusetzen. Die Liefer-Fahrer sind auf den Straßen der Metropolen miserablen Arbeitsbedingungen, Niedriglöhnen und Hire-and-Fire-Politik ausgesetzt. Zuvor ist es schon zu Arbeitskämpfen bei Gorilla und Getir gekommen.
Am gleichen Freitag wie die Lieferando-Riders, am 14. April, streikten auch die IKEA-Beschäftigten in sieben Städten Nordrhein-Westfalens. Das IKEA-Personal wehrt sich gegen massive Überlastung, die durch Personalmangel entstanden ist. Dieser wiederum ist ein Ergebnis der niedrigen Bezahlung und des hohen Krankenstandes infolge großer Arbeitslast – Probleme, die auch im öffentlichen Dienst grassieren. Kurz zuvor hatten am Osterwochenende auch die Amazon-Belegschaften wieder gestreikt, um für faire Löhne und gegen Ausbeutung zu kämpfen. Sie legten bei Amazon in Winsen bei Hamburg), Bad Hersfeld, Rheinberg und Koblenz die Arbeit nieder.
Eine weitere Beschäftigungsgruppe, die bisher wenig gestreikt hatte, sind die Leiharbeiter. Ende März sind die Beschäftigten des VW-Personaldienstleisters Autovision in den Warnstreik getreten. Diese Arbeiter, die für Niedriglöhne schuften, haben kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld und waren auch bezüglich der Inflationsausgleichsprämie von 3.000 Euro bisher leer ausgegangen. Deshalb beteiligten sich Ende März rund 2.000 Leiharbeiter in den VW-Betrieben Hannover, Osnabrück und Emden an einem Warnstreik.
In kürzester Zeit schloss die IG Metall einen neuen Vertrag für diese Arbeiter ab, um einem Überspringen des Kampfs auf die fest angestellten VW-Arbeiter zuvorzukommen. Der neue Vertrag sieht vor, die Niedriglöhne, die teilweise bisher mit 10,84 Euro (!) sogar unter dem Mindestlohn lagen, in zwei Schritten bis Dezember auf 13,50 Euro anzuheben. Die Auszahlung der 3.000 Euro Inflationsprämie wird gewährt, jedoch nicht die Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld). Diesbezüglich werden die Arbeiter auf „weitere Verhandlungen“ vertröstet.
Die große Eile des Abschlusses erklärt sich damit, dass es in der gesamten Auto- und Zulieferindustrie brodelt, da die Transformation auf E-Mobilität in vollem Gange ist. Der technische Fortschritt wird dabei nicht etwa genutzt, um die Bedingungen der Arbeiterklasse zu verbessern, sondern die Transformation soll vollkommen auf Kosten der Arbeiter durchgeführt werden.
Mercedes-Benz hat zum Beispiel bereits einen größeren Personalabbau in den Motor- und Getriebewerken angekündigt und mit der Umstellung auf E-Mobilität und Digitalisierung begründet. Ohne konkrete Zahlen zu nennen, sagte Personalvorständin Sabine Kohleisen zu dpa: „Es wird so sein, dass wir weniger Beschäftigung an diesen Standorten haben werden.“ Seit einem Jahr stellt Mercedes-Benz die Produktion mehr und mehr auf eine Luxusstrategie um, bei der in Deutschland im Wesentlichen nur noch die besonders teuren Modelle gebaut werden sollen.
Gleichzeitig übersteigt die Bereicherung an der Spitze der Autokonzerne jedes Maß: So hat Ola Källenius, der CEO von Mercedes-Benz, im letzten Jahr nicht weniger als sieben Millionen Euro kassiert. VW-Chef Oliver Blume erhielt 7,4 Millionen Euro und BMW-Chef Oliver Zipse 7,9 Millionen Euro. Als Topverdiener der europäischen Autoindustrie galt Stellantis-Chef Carlos Tavares, der laut Handelsblatt sogar das Dreifache kassierte. An Gehalt und Boni erhielt Tavares für das letzte Jahr nicht weniger als 23,5 Millionen Euro.
Derweil schieben die Autokonzerne einen großen Teil der Probleme auf die Zulieferindustrie ab. Bosch zum Beispiel hat heute noch 27.000 Beschäftigte an zehn deutschen Standorten, und ein Großteil von ihnen ist von der Verbrenner-Technologie abhängig. Ein Arbeitsplatzmassaker wird vorbereitet, und aktuell steht das Management in Gesprächen mit dem Gesamtbetriebsrat und der IG Metall darüber, wie der Arbeitsplatzabbau durchzusetzen sei. Auch ZF Friedrichshafen steht ein Jobmassaker mit dem Abbau von 6.000 Arbeitsplätzen bevor.
Der Autozulieferer Brose hat auf rote Zahlen in seinen Büchern mit der Drohung reagiert, in allen Bereichen – Logistik, Verwaltung und Produktion - die Kosten drastisch zu senken. In einer Mitteilung beschimpften Eigentümer und Gesellschafter die Brose-Belegschaft, sie lasse es an „Motivation“ fehlen. Auch in den Autohäusern und Werkstätten ist die Stimmung schlecht. Dort haben sich Anfang April über 15.000 Beschäftigte an bundesweiten Warnstreiks im Kfz-Handwerk beteiligt.
Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie angespannt die Situation in den Betrieben heute ist. Während die Regierung zunehmend auf Kriegswirtschaft umstellt und Manager und Betriebsräte mit Arbeitsplatzabbau drohen, sind die Arbeiter immer weniger bereit, die wachsende Arbeitslast und Reallohnsenkungen hinzunehmen. In dieser Situation setzt sich die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) dafür ein, dass jede Veränderung in allen Branchen im Interesse der Beschäftigten erfolgen muss. So heißt es in ihrer jüngsten Erklärung:
Wenn für den Bau von Elektrofahrzeugen 40 Prozent weniger Arbeitsstunden erforderlich sind, dann muss die Arbeitswoche von den anstrengenden 40, 50 oder sogar 60 Stunden, die Arbeiter routinemäßig arbeiten, auf 30 Stunden pro Woche reduziert werden, und zwar ohne Lohneinbußen. Die Löhne müssen automatisch mit dem Anstieg der Preise für Konsumgüter steigen, und die Zahl der Arbeitsstunden muss so angepasst werden, dass die verfügbare Arbeit ohne Einkommensverluste auf alle Arbeiter verteilt wird.
„Die Konzerne und ihre Partner in den Gewerkschaften... haben ihre Strategie, um sich selbst auf Kosten der Arbeiter zu bereichern“, so die Erklärung weiter. „Aber die einfachen Arbeiter entwickeln ihre eigene Strategie und bauen neue Machtzentren in den Fabriken auf, um für ihre Interessen zu kämpfen“. Sie müssten sich dabei auf einen Kampf vorbereiten, „um die Kontrolle der Arbeiterklasse über Arbeitsplätze, Einstellungen und Entlassungen sowie über die gesamte Produktion herzustellen“.
Die Erklärung schließt mit dem dringenden Appell: „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn ihr übereinstimmt, dann gründet ein Aktionskomitee in eurem Betrieb.“ Die globale Online-Kundgebung zum Ersten Mai 2023 wird diese Perspektive näher erläutern. Sie wird in Deutschland am 30. April, um 21:00 Uhr live unter wsws.org/mayday gestreamt.
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