Seit Beginn der Kampfhandlungen in der Ukraine vor knapp einem Jahr hat die deutsche Regierung den Krieg in enger Zusammenarbeit mit den USA und der Nato ständig eskaliert. Sie nimmt dabei bewusst die Gefahr eines Atomkriegs in Kauf.
Hieß es anfangs noch, man werde keine schweren Waffen liefern, um nicht das Risiko eines dritten Weltkriegs einzugehen, schickt Deutschland mittlerweile Schützenpanzer und Patriot-Raketen in die Ukraine und bildet ukrainische Soldaten daran aus. Die Entsendung schwerer Kampfpanzer vom Typ Leopard ist bereits im Gespräch; voraussichtlich wird die Entscheidung dafür am 20. Januar beim dritten Treffen im sogenannten Ramstein-Format fallen.
Einen Waffenstillstand und eine diplomatische Lösung schließt die Bundesregierung kategorisch aus – jedenfalls solange Russland sich nicht vollständig aus der Ukraine, einschließlich der Krim, zurückgezogen, d.h. bedingungslos kapituliert hat. Außenpolitische Experten machen inzwischen kein Geheimnis mehr daraus, dass die Nato einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führt, in dem die Ukraine die Bodentruppen stellt.
In der Bevölkerung ist die Politik der Regierung trotz pausenloser Kriegspropaganda nicht populär. Der Wahlkampf der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) in Berlin, die als einzige Partei den Krieg ablehnt und seine Ablehnung ins Zentrum ihrer Kampagne stellt, findet große Resonanz. Weltweit mehren sich Proteste und Streiks gegen die Kriegsfolgen – Inflation, Entlassungen und Sozialabbau.
Eine Umfrage im Auftrag von ARD-Deutschlandtrend zu Beginn des Jahres ergab, dass nur 25 Prozent der Befragten die Unterstützung der Ukraine mit Waffen für ungenügend halten. Das war noch vor der Entscheidung, Marder-Schützenpanzer zu liefern. 52 Prozent fanden, die diplomatischen Bemühungen der Bundesregierung gingen nicht weit genug.
Um der wachsenden Opposition gegen Krieg und Militarismus entgegenzutreten, stützt sich die Ampelkoalition auf ein soziales Milieu, das schon bei der Vorbereitung des Ersten und des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Rolle spielte: auf wohlhabende Vertreter der Mittelschicht.
Vor allem die Grünen, die in den vier Jahrzenten ihrer Existenz eine vollständige Verwandlung vom Pazifismus zum Militarismus durchgemacht haben, verkörpern diesen Typus. Man findet ihn aber auch in der FDP, der selbsternannten „Partei der Besserverdienenden“, die schon immer am Tropf der Banken und Großindustrie hing, sowie unter gutbezahlten Journalisten, Akademikern und leider auch Künstlern. Sie hetzen gegen Russland, drängen auf eine härtere militärische Gangart und legen dabei eine Kriegshysterie an den Tag, die manchmal an ihrem Verstand zweifeln lässt.
Zu den bekanntesten Gesichtern dieser Spezies gehören, neben der grünen Außenministerin Annalena Baerbock, der Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter, der als Vertreter des „linken“ Flügels der Grünen gilt, und die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP. Vor allem Strack-Zimmermann und Hofreiter werben derart penetrant für einen aggressiveren Kriegskurs, dass man ihnen kaum entgehen kann, wenn man eine Zeitung öffnet oder die Nachrichten verfolgt.
Außenministerin Baerbock reiste am Dienstag in Begleitung von Journalisten und Fotografen als erste hochrangige westliche Politikerin nach Charkiw, das nur 25 Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt. Es war der fünfte Besuch der deutschen Außenministerin in der Ukraine seit ihrem Amtsantritt und der dritte seit Kriegsbeginn.
Die riskante Reise, die Baerbock gemeinsam mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba im Zug zurücklegte, diente ausschließlich Propagandazwecken. Die Außenministerin warb dafür, den Krieg zu verschärfen und mehr schwere Waffen zu liefern. „Charkiw verdeutlicht, wie wichtig die Befreiung ist – und wie wichtig damit auch weitere Waffenlieferungen sind,“ erklärte sie. Die Stadt sei ein „Sinnbild für den absoluten Irrsinn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine“.
Kuleba zeigte sich im Anschluss überzeugt, dass die Bundesregierung demnächst die Ukraine auch mit schweren Kampfpanzern vom Typ Leopard ausrüsten werde.
Anton Hofreiter träumt davon, dass wieder riesige deutsche Panzerheere in Richtung Moskau rollen. Bereits vor einem Monat hatte er auf einer Veranstaltung des Berliner Verlags verkündet, es gebe nur zwei Möglichkeiten, die Ukraine dauerhaft zu schützen: Entweder man nehme sie in die Nato auf, was die „kostengünstigere Variante“ sei, oder man statte sie mit 3200 Leopard-Panzern aus. Dann werde sie niemand mehr angreifen.
Hofreiter kann es offenbar nicht erwarten, Revanche für die Niederlage der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg zu nehmen. Hitler verfügte „nur“ über 3000 Panzer, als er 1941 die Sowjetunion überfiel.
Auch Katrin Göring-Eckhardt, langjährige Fraktionsvorsitzende der Grünen und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, macht sich für die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine stark. In der DDR hatte das Gründungsmitglied der Bürgerrechtsbewegungen „Demokratie jetzt“ und „Bündnis 90“ noch die Parole „Schwerter zu Pflugscharen“ vertreten. Jetzt, wo es um die Unterstützung der Nato im Krieg mit Russland geht, will sie Pflugscharen in Panzer verwandeln.
Göring-Eckhardt, die neben ihren politischen Ämtern hochrangige Funktionen in der Evangelischen Kirche Deutschlands ausübt, hatte bereits 1999 für die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg gegen Jugoslawien gestimmt. „Damals las ich sehr, sehr viel in der Bibel und sprach mit vielen Leuten darüber, was mir sehr wichtig war,“ berichtete sie später. „Ich sagte mir, wenn es um Krieg und Frieden geht oder um Leben und Tod, kann man nicht gegen den Glauben handeln.“ Trotzdem habe sie für den Militäreinsatz gestimmt, und im Nachhinein sei sie sehr froh darüber.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Tochter eines Bankmanagers und dreifache Mutter, arbeitete für einen Jugendbuchverlag und war in der Düsseldorfer Kommunalpolitik aktiv, bevor sie 2017 für die FDP in den Bundestag einzog und ihre Begeisterung für Panzer und Kanonen entdeckte.
Eine Rolle dürfte dabei gespielt haben, dass Rheinmetall, der zweitgrößte deutsche Rüstungskonzern, seinen Sitz in ihrem Wahlkreis Düsseldorf hat. Strack-Zimmermann ist nämlich nicht nur Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, der über milliardenschwere Rüstungsaufträge mitentscheidet, sondern auch Mitglied zweier Lobby-Organisationen der Rüstungsindustrie, des Förderkreises Deutsches Heer und der Deutschen Wehrtechnischen Gesellschaft – ein Interessenkonflikt, zu dem sie sich offen bekennt.
Am vergangenen Sonntag reiste Strack-Zimmermann an der Spitze einer hochrangigen Delegation der FDP zu politischen Gesprächen nach Taiwan. Wie bereits der Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi im vergangenen Jahr verfolgte ihre Reise das Ziel, Peking zu provozieren und einen Krieg gegen die aufsteigende Wirtschaftsmacht China vom Zaun zu brechen.
Die Konflikte in der Ukraine und in Taiwan müssten zusammengedacht werden, erklärte Strack-Zimmermann während ihrer Reise: „Wir befinden uns in einer systemischen Auseinandersetzung zwischen demokratischen und autokratischen Staaten.“ Sie rief dazu auf, den Druck auf China zu erhöhen. Deutschland müsse hinterfragen, ob der Handel mit China noch das richtige Signal sei, „und ob wir nicht viel stärker den Freihandel fördern mit jenen Staaten in der Welt, die frei und demokratisch sind“.
Fanatische Kriegsbefürworter finden sich auch in den Reihen der SPD und der Linkspartei. So tritt der thüringische Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von der Linkspartei offensiv für die Lieferung von Waffen an die Ukraine ein. Der Berliner Spitzenkandidat der Linken, Klaus Lederer, denunziert Kritik am Kriegskurs der Nato als „linksreaktionäre Friedensliebe“.
Kriegshysterie wohlhabender Mittelschichten
Die Verwandlung von Politikern in fanatische Kriegstreiber, die sich früher als Pazifisten, Linke oder Liberale bezeichneten, bestätigt die marxistische Auffassung, dass Klasseninteressen – und nicht gute Absichten oder abstrakte Werte – den Gang der Geschichte bestimmen. Es handelt sich um ein gesellschaftliches Phänomen. Wenn zahlreiche Leute, die sich früher über Kriegsspielzeug ereifern konnten, von schweren Waffen schwärmen, kann dies nicht durch individuelle Beweggründe erklärt werden.
Der angebliche Schock über den russischen Angriff auf die Ukraine ist jedenfalls nicht der Grund dafür. Die Grünen hatten bereits 1999 die völkerrechtswidrige Bombardierung Jugoslawiens unterstützt. Sie hatten auch wenig dagegen einzuwenden, als die USA 2003 durch Shock and Awe – Flächenbombardierung, Sperrfeuer, Druckbomben und andere Terrormaßnahmen – Bagdad zerstörten und den Irak ins Mittelalter zurückbombten. 2011 kritisierten sie die Regierung von Angela Merkel, weil sie sich nicht an der Zerstörung Libyens beteiligte.
Auch das Mantra, es gehe um eine „systemische Auseinandersetzung zwischen demokratischen und autokratischen Staaten“, ist verlogene Propaganda. Tatsache ist, dass mit der Offensive gegen Russland und China die Stärkung faschistischer Kräfte in den westlichen Staaten einhergeht. Das gilt für die USA, wo der faschistische Flügel der Republikaner die politische Agenda diktiert, für Italien, wo die Erben Mussolinis an der Regierung sind, für Deutschland, wo die AfD die Flüchtlings- und andere Bereiche der Politik bestimmt, für Israel, wo vorbestrafte Rassisten in der ultrarechten Regierung sitzen, und für viele andere Länder.
Die Kriegshysterie wohlhabender Mittelschichten ist ein untrügliches Anzeichen von Veränderungen im gesellschaftlichen Unterbau, die nicht nur zum Krieg, sondern auch zur Revolution führen werden. Der Kapitalismus steckt in einer tiefen, internationalen Krise. Er hat keines der Probleme gelöst, die zum Ersten und Zweiten Weltkrieg führten. Die Auflösung der Sowjetunion und die Einführung des Kapitalismus in China vor drei Jahrzehnten haben einen erbitterten Kampf um die imperialistische Neuaufteilung des Erdballs ausgelöst.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Gleichzeitig haben die Herrschenden alle Hemmungen verloren und sich maßlos auf Kosten der Arbeiterklasse bereichert. Davon haben nicht nur Superreiche und Manager profitiert, die zweistellige Millionengehälter kassieren, sondern auch Teile der Mittelklasse. Wer über Aktien- und Immobilienbesitz verfügt, wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten fast automatisch reich. Inzwischen gibt es in Deutschland über 26.000 Einkommensmillionäre, während 13,8 Millionen Menschen in Armut leben. Die Vermögen sind noch ungleicher verteilt.
Die Grünen verkörpern die Interessen der wohlhabenden Mittelschichten, die von der Verarmung der Arbeiterklasse profitiert haben und nun deren Widerstand fürchten. Bereits während ihrer ersten Regierungsbeteiligung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) von 1998 bis 2005 hatten sie eine soziale Konterrevolution unterstützt. Die Arbeitsmarkt-, Renten-, Gesundheits- und Steuerreformen der rot-grünen Koalition setzten damals eine riesige Umverteilung von unten nach oben in Gang. Nun hetzen sie Deutschland wieder in einen Krieg, der die ganze Menschheit zu vernichten droht.
Historische Vorbilder
Das Phänomen ist in der deutschen Geschichte nicht neu. Auch in den beiden Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich das Bildungsbürgertum, wie es damals genannt wurde, für Aufrüstung und Krieg begeistert. Der Deutsche Flottenverein, der sich für den Bau einer schlagkräftigen Kriegsflotte einsetzte, zählte über eine Million Mitglieder. Führende Politiker und Intellektuelle begeisterten sich für eine imperialistische Eroberungspolitik.
Der liberale Politiker Friedrich Naumann, nach dem heute die Parteistiftung der FDP benannt ist, unterstützte die aggressive Expansionspolitik von Kaiser Wilhelm II. „Die Weltgeschichte muss fortfahren Nationen zu zerstören, wir scheuen uns gar nicht, Polen, Dänen, Suaheli, Chinesen nach Kräften zu entnationalisieren,“ schrieb er um 1900. Sein Buch „Mitteleuropa“, das 1915 mitten im Krieg die deutsche Herrschaft über das heutige Osteuropa propagierte, wurde zum Bestseller. Strack-Zimmermann steht in dieser Tradition.
Auch der bekannte Soziologe Max Weber strebte als „entschiedener Anhänger imperialistischer Ideale“ weltpolitische Gleichberechtigung und ein angemessenes Kolonialreich für Deutschland an.
Das deutsche Bildungsbürgertum reagierte mit seiner Unterstützung des Imperialismus auf zwei Entwicklungen: Auf den Aufstieg der SPD, die die Arbeiterklasse für ein marxistisches Programm gewann und zur stärksten Partei im Reichstag heranwuchs und vor Ausbruch des Weltkriegs über eine Million Mitglieder zählte. Nationalismus und Imperialismus dienten als Waffen gegen den Internationalismus der Sozialdemokratie.
Und es reagierte auf das rasche Wachstum der deutschen Wirtschaft, der der heimische Markt zu eng geworden war. Sie strebte nach Absatzmärkten, Investitionsmöglichkeiten und Rohstoffen, die ihre imperialistischen Rivalen Großbritannien und Frankreich kontrollierten. Der Erste Weltkrieg war der Versuch, dies gewaltsam zu ändern.
Der Krieg löste – 1917 in Russland und 1918 in Deutschland – revolutionäre Aufstände der Arbeiterklasse aus. Die deutsche Novemberrevolution blieb nur deshalb auf halbem Wege stehen, weil sich die SPD-Führung dem imperialistischen Druck gebeugt hatte. 1914 stimmte sie für die Kriegskredite, 1918/19 unterdrückte sie gewaltsam die revolutionären Arbeiter und ermordete ihre Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
Das ermöglichte den Aufstieg der Nazis und den Zweiten Weltkrieg, der im Wesentlichen eine Wiederholung des Ersten war, gesteigert ins Extreme. Erneut waren es vor allem kleinbürgerliche Schichten, die sich an Hitlers Ruf nach Lebensraum und Goebbels militaristischen Tiraden berauschten. Spätestens 1933, nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, schlossen sich auch die Professoren, Beamten und Bessergestellten den Nazis an. Es folgte eine Katastrophe: Die Nazis zerschlugen die organisierte Arbeiterbewegung, organisierten einen Vernichtungskrieg, der allein in der Sowjetunion 27 Millionen Opfer forderte, und ermordeten sechs Millionen Juden.
Man muss die Kriegsbegeisterung der Grünen und anderer Vertreter der wohlhabenden Mittelschichten vor diesem historischen Hintergrund beurteilen.
Die einzige Partei, die dieser Entwicklung entgegentritt, ist die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP). Sie hat den Kampf gegen Krieg in den Mittelpunkt ihres Berlinwahlkampfs gestellt. Gemeinsam mit ihren Schwesterorganisationen in der Vierten Internationale baut sie eine sozialistische Bewegung auf, die die Arbeiterklasse aller Länder und Nationen im Kampf gegen soziale Ungleichheit, Krieg und Kapitalismus vereint.