OB Feldmann abgewählt: Frankfurt und der Awo-Skandal

Der heutige Freitag ist der letzte Arbeitstag des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann (SPD). Im Bürgerentscheid vom letzten Sonntag, den 6. November, haben sich 95 Prozent aller Teilnehmer für seine Abwahl entschieden. Das nötige Quorum von 30 Prozent aller Wahlberechtigten (152.455 Stimmen) wurde deutlich übertroffen.

Peter Feldmann [Photo by Frankforter / wikimedia / CC BY-SA 3.0]

Mehr als 200.000 Frankfurter Wähler haben für Feldmanns Abwahl gestimmt. Der Anlass dafür ist Feldmanns persönliche Verstrickung in den Korruptionsskandal um die Arbeiterwohlfahrt (Awo), die sich dreister Absahner-Methoden auf Kosten der Steuerzahler bediente. Das laufende Verfahren gegen Feldmann behandelt nur die Spitze eines Eisbergs der Korruption, bei dem es um Millionen geht.

Im März hat die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Vorteilsannahme gegen Feldmann erhoben. Die Anklage stützt sich darauf, dass seine damalige Freundin und spätere Frau „ohne sachlichen Grund“ als Leiterin einer Awo-Kita eingestellt wurde, ein ungewöhnlich hohes Gehalt bezog und über einen Dienstwagen verfügte. Im Wahlkampf 2018 habe die Awo auch Spenden für Feldmann eingeworben, der im Gegenzug als Stadtoberhaupt die Interessen des Verbands „wohlwollend berücksichtigte“.

Inmitten des laufenden Prozesses kam am Sonntag die Abwahl, die von einem „breiten Bündnis“ aus Grünen, CDU, FDP, Volt und auch SPD betrieben wurde. Gegen die Abwahl sprachen sich Die Linke, die IG Metall und die grüne Fundamentalistin Jutta Ditfurth (ÖkoLinX) aus.

Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Frankfurt, Michael Erhardt (Die Linke), sagte: „Wir Gewerkschaften haben nichts davon, wenn er nicht mehr OB ist. Niemand besetzt so sehr unsere Themen (…) Bezahlbares Wohnen, günstiger Nahverkehr, kostenfreie Kitas. Wer soll es denn machen?“

Das ist eine heuchlerische und eigennützige Behauptung, die sich im Wesentlichen auf zwei Faktoren stützt: Feldmanns Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen und sein Aufstieg über die sozialdemokratischen Netzwerke, zu denen auch die IG Metall gehört.

Peter Feldmann, geboren 1958, verbrachte seine Jugend in der Hochhaussiedlung Bonames im Frankfurter Norden und machte sein Abitur an der Ernst-Reuter-Schule, einer Brennpunkt-Gesamtschule. Anschließend ließ er sich in Israel zum Gärtner ausbilden und nahm dann in Marburg ein Politologie-Studium auf. Schon mit Neun trat er dem Jugendverband SJD-Die Falken bei, mit 18 war er Juso- und SPD-Mitglied und mit 30 war er Juso-Vorsitzender und saß in der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Main.

Seinen Aufstieg zum Oberbürgermeister verdankte er voll und ganz der Protektion von SPD und Arbeiterwohlfahrt (Awo), die ihn mit immer neuen Anstellungen versah: mal als Leiter eines Jugendheims oder Seniorenheimes, mal als Referent oder auf einer frei geschaffenen „Stabsstelle“, um seinen Wahlkampf vorzubereiten. Vor zehn Jahren, im März 2012, gewann er seinen Wahlkampf mit vollmundigen Versprechungen: „Gegen Kinderarmut und Wohnungsnotstand, für eine liberale und weltoffene Stadt,“ etc. Die OB-Wahl entschied er in der Stichwahl mit über 70 Prozent für sich.

Da war die Zeit des Reformismus schon längst vorbei. Im Bund lag das rot-grüne Bündnis unter Schröder und Fischer bereits sieben Jahre zurück. Es hatte mit Agenda 2010 und Hartz-IV bereits die Weichen für Billiglohnarbeit, Privatisierung und Verarmung der Arbeiterklasse gestellt. Auch die Main-Metropole Frankfurt war keine Ausnahme.

Beispiel Wohnungsnotstand: Die Wohnungskrise hat sich in den letzten zehn Jahren extrem zugespitzt. Vor allem Familien mit Kindern können in der Bankenstadt nichts Bezahlbares mehr finden. Mehr als 30.000 Familien suchen bezahlbaren Wohnraum. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG Holding zählt 9.000 Wohnungssuchende für Sozialwohnungen und 23.000 für den frei zugänglichen Markt. Ihr Aufsichtsratsvorsitzender heißt Peter Feldmann. Er sitzt auch im Aufsichtsrat der Nassauischen Heimstätte.

Beispiel Billiglohnarbeit: Feldmann ist auch Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke und der Verkehrsbetriebe RMV, der Messe, der Oper und der Kunsthalle Schirn, ferner Aufsichtsratsmitglied der Fraport AG. Überall – im öffentlichen Dienst, im Nahverkehr, am Flughafen etc. – werden vernünftig bezahlte Arbeitsplätze systematisch abgebaut und durch Niedriglohnverhältnisse ersetzt. Unter Feldmanns Ägide traten die Busfahrer der privatisierten Frankfurter Betriebe mehrmals in den Streik, um lebensgerechte Löhne zu erkämpfen – ohne Erfolg.

Streik der Frankfurter Busfahrer, Januar 2017

Am Flughafen traten entlassene Bodenarbeiter sogar in einen Hungerstreik gegen die Dienstleistungsfirma WISAG. Deren Patron Claus Wisser, Multimillionär und SPD-Mitglied, ist Feldmanns Duzfreund und Vertrauter seit Juso-Tagen. Feldmann hat Wisser zu seiner Hochzeit und zu seinem Sechzigsten eingeladen und ihm umgekehrt noch im Juni 2022 zum Achtzigsten gratuliert.

Beispiel Kinderarmut: Systematisch werden Arbeitslose, Alleinerziehende und Hartz-IV-Empfänger aus der Stadt verdrängt. Die Misere hat sich besonders in den letzten drei Jahren, mit den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, stark verschlimmert. Die Tafeln für Bedürftige verzeichnen einen Zuwachs von über 50 Prozent und können den Ansturm kaum noch bewältigen. Gerade die Corona-Zeit hat die unsolidarische, menschenverachtende Politik der Stadt unter Feldmann offengelegt. In Verbindung mit Corona sind in Frankfurt bisher offiziell nicht weniger als 1.485 Menschen gestorben.

Auch in der Kriegszeit hat sich Peter Feldmann als rechter Politiker erwiesen. Seit dem ersten Tag des imperialistischen Stellvertreterkriegs gegen Russland in der Ukraine steht er unerschütterlich an der Seite der Regierung und besonders seines Parteifreunds, Bundeskanzlers Olaf Scholz. Er unterstützt vorbehaltlos dessen aggressiven Militarismus, die Aufrüstung und die Waffenlieferungen an Kiew.

Im September hat Feldmann im Alleingang eine Städtepartnerschaft mit Kiew angestoßen. Gegen einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung überreichte er seinem Amtskollegen, dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, während eines Treffens in Prag den Entwurf einer Städtepartnerschaft mit Frankfurt. Feldmann dazu: „Die Ukraine kann sich auf uns verlassen.“

Der soziale und politische Niedergang hat sich in den letzten zehn Jahren zweifellos stark beschleunigt. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Awo-Skandal.

Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) – vor 100 Jahren als sozialdemokratische Arbeiterselbsthilfe gegründet – hat sich längst zu einem bürokratischen Monster gewandelt, das der kapitalistischen Bereicherung dient. Ihre Seniorenheime, Kitas, Jugendheime, Beratungsstellen und Flüchtlingsunterkünfte etc. werden heute fast vollständig aus Zuwendungen der öffentlichen Hand, also aus Steuermitteln finanziert. Der Verband beschäftigt neben zehntausenden Ehrenamtlichen rund 230.000 hauptamtliche, meist schlecht bezahlte Mitarbeiter.

Ihre lukrativen Verträge verdankt die Awo der Tatsache, dass sich der Staat immer mehr aus der sozialen Verpflichtung zurückzieht und diese auf „gemeinnützige“ Vereine abwälzt, wodurch er die Gemeinnützigkeit selbst untergräbt. In den letzten gut dreißig Jahren ist die Awo an der Seite von SPD und Gewerkschaften mehr und mehr zum Selbstbedienungsladen für Karrieristen und Profiteure verkommen.

In Südhessen zogen die Awo-Geschäftsführer Jürgen und Hannelore Richter das große Los, als es ihnen gelang, ihren Protégé Peter Feldmann auf den Stuhl des Oberbürgermeisters zu hieven. Damit gewannen sie den notwendigen Rückhalt der Stadt für immer größere, kaum kontrollierbare Aufträge. Inzwischen stehen das Ehepaar Richter und andere Awo-Verantwortliche seit fast vier Jahren vor Gericht. In den Verfahren geht es um massiv überhöhte Vorstandsgehälter, falsche Abrechnungen, teure Dienstwagen, dubiose Beraterverträge etc.

Besonders als im Jahr 2015 tausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen und auch Frankfurt kurzfristig neue Unterbringungsmöglichkeiten benötigte, hieß es: „Die Awo macht, die Stadt bezahlt.“ Allein für die Security über die neu-gegründete Awo-Protect sollen aus der Stadtkasse mehr als sieben Millionen Euro geflossen sein.

Weitere Millionen flossen für das (schlechte) Catering, für (imaginäre) Sportkurse und für Vertragsabschlüsse über Liegenschaften und Beraterverträge. Schließlich wurden die Forderungen der Awo derart dreist, dass die Stadt im Jahr 2018 die Reißleine zog und die Verträge aufkündigte. Kurze Zeit später platzte der Skandal mit einem ersten Korruptionsverfahren.

Aus dieser Zeit stammen die SMS-Nachrichten der Awo-Geschäftsführer an ihren „Freund“, den Oberbürgermeister, die jetzt Teil der Anklage gegen Feldmann bilden. So schrieb ihm Hannelore Richter, Geschäftsführerin des Wiesbadener Awo-Kreisverbandes: „Stets konntest du dich auf unsere Unterstützung und Loyalität verlassen, jetzt bauen wir auf dich.“ Andere SMS lauten: „Lieber Peter, wir/ich brauchen deine Hilfe“ oder schlicht: „Quid pro quo“ (frei übersetzt: „Eine Hand wäscht die andere“).

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft verdankt auch Feldmanns spätere Ehefrau Zübeide Temiziel ihre lukrative Anstellung als Leiterin einer deutsch-türkischen Kita einzig und allein dem Amt ihres Mannes und dessen Beziehungen zur Awo. In der Anklage wird ausgeführt, wie Feldmann seine damalige Partnerin den Richters im Frühjahr 2014 vorgestellt habe. „Da haben wir ja unsere Leiterin!“ habe Hannelore Richter ausgerufen und ihr während des gemeinsamen Restaurantbesuchs die Stelle zugesagt, die mit 4500 Euro hochdotiert war und für die Zübeide als Noch-Studentin überhaupt nicht qualifiziert war.

Bis heute weist Feldmann alle Vorwürfe mit der Behauptung „Ich bin nicht korrupt“ zurück. Am Sonntag behauptete der gerade abgewählte OB, es sei ihm nicht um die goldene Amtskette, sondern „vor allem um die sozialen Themen“ gegangen. Allerdings fand sich zu dem Zeitpunkt praktisch niemand mehr, der ihn verteidigte: Gerade mal 4,9 Prozent der abgegebenen Stimmen sprachen sich gegen seine Abwahl aus.

Die wenigen, die Feldmann noch die Stange hielten, argumentieren wie Jutta Ditfurth von ÖkoLinX und IG Metall-Funktionär Michael Erhardt, dass auf den korrupten SPD-OB ein noch rechterer, noch korrupterer CDU- oder FDP-OB oder noch Schlimmeres folgen könnte. Sie verschweigen, dass es gerade der abstoßende bürokratische Sumpf ist, der den rechtesten Kräften den Weg bereitet – denn sie sind selbst Teil dieses Sumpfs.

Beim Sozial-, Lohn- und Arbeitsplatzabbau konnten sich die Bundes- und Landesregierungen, egal ob von der CDU, der SPD oder den Grünen und der Linken selbst geführt, stets auf deren Hilfe und die Unterstützung der Gewerkschaften verlassen. Dass sich IG Metall, Linke und ÖkoLinX nun hinter den korrupten Absahner Peter Feldmann stellen, zeigt, dass sie erbitterte Feinde der einzigen Kraft sind, die die Zustände ändern kann: der unabhängigen Arbeiterklasse.

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