Am Freitag starben mindestens 41 Arbeiter bei einer Schlagwetterexplosion im Bergwerk des staatlichen türkischen Steinkohleunternehmens (TTK) Amasra Plant Directorate in Bartın an der Schwarzmeerküste. Diese vermeidbare Tragödie ist eine Anklage gegen das kapitalistische System, die herrschende Klasse und die von Präsident Recep Tayyip Erdoğan geführte Regierung.
Der krasse Gegensatz zwischen der Reaktion der Bergleute, die es nach der Explosion 300 Meter unter der Erde ins Freie geschafft haben, und der Reaktion der Regierungsvertreter spiegelt die Position der beiden großen und unversöhnlichen Klassen in der Gesellschaft wider – in einem Moment, in dem es um Leben und Tod geht.
Während die Bergleute ihr Leben riskierten, um hinabzusteigen und ihre eingeschlossenen Kollegen zu retten – ein Bergmann starb während der Rettungsaktion –, konzentrierten sich die Regierungsvertreter unter Führung von Präsident Erdoğan darauf, die Wut der Öffentlichkeit zu unterdrücken, indem sie die vermeidbare Katastrophe als „Schicksal“ darstellten.
Von der türkischen Arbeitsschutzorganisation İSİG Meclisi zusammengestellte Daten zeigen, dass in den letzten 20 Jahren mindestens 2.000 Bergleute in türkischen Bergwerken ums Leben gekommen sind. Dies kann man nur als „sozialen Mord“ bezeichnen.
Während der derzeitige Stand der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung einen Bergbau unter der demokratischen Kontrolle der internationalen Arbeiterklasse ohne Risiko für die Sicherheit eines jeden Arbeiters ermöglicht, werden im Kapitalismus die Arbeiter mutwillig auf dem Altar des Profits geopfert.
Die Bergleute nehmen in der kapitalistischen Weltwirtschaft eine entscheidende Stellung ein, aber sie arbeiten in einem der gefährlichsten Industriezweige. Laut der Website „The World Counts“ kommen jedes Jahr weltweit mindestens 15.000 Bergleute ums Leben – eine Zahl, die lediglich auf offiziellen Angaben beruht.
In der Türkei sind in diesem Jahr bereits mehr als 90 Bergleute ums Leben gekommen, in China starben in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 129 Bergleute. Im Jahr 2021 starben in den USA 37 Bergleute. Die steigende Nachfrage nach Kohle – verursacht durch die Gaskrise infolge des Ukrainekriegs, den die Nato gegen Russland führt – bedeutet, dass die Zahl der Todesopfer wahrscheinlich noch steigen wird.
Während in den sozialen Medien zehntausende Menschen die Regierung für die Todesfälle in der Amasra-Mine verantwortlich machten, bestand Erdoğans erste Reaktion auf Twitter darin, die Öffentlichkeit aufzufordern, „provokative Beiträge und Desinformation“ zu ignorieren, die von Menschen „mit abfälligen Motiven“ verbreitet würden. Das Innenministerium versuchte, die weitverbreitete Wut einzuschüchtern, indem es ein Gerichtsverfahren gegen 12 Social-Media-Nutzer wegen „öffentlicher Aufstachelung zu Hass und Feindschaft und Beiträgen mit provokantem Inhalt“ einleitete.
Als Erdoğan am Samstag nach Amasra reiste, fand er im Zusammenhang mit den zahlreichen Todesfällen in einem staatlichen Kohlebergwerk – für die seine Regierung verantwortlich ist – etwas, worüber er sich freuen konnte. Er sagte: „Ich preise meinen Herrn. Die Tatsache, dass wir seit gestern Abend, also seit weniger als 24 Stunden, zu einem Abschluss [d. h. der Auffindung aller Toten] gekommen sind, hat uns erleichtert... Denn in Soma, wissen Sie, hat es zu lange gedauert.“
Unter Duldung staatlicher Behörden und der korporatistischen Gewerkschaft hatte die Erdoğan-nahe Soma Holding notwendige Vorkehrungen in einem privaten Bergwerk unterlassen. Dies führte im Jahr 2014 zu einem Massaker, bei dem 301 Bergleute getötet wurden.
Nach dieser schlimmsten Bergbaukatastrophe in der Geschichte der Türkei kam es im ganzen Land zu Massenprotesten. Der Konzernchef Can Gürkan wurde jedoch 2019 aus dem Gefängnis entlassen, und derzeit sitzt niemand wegen der Katastrophe im Gefängnis. Darüber hinaus wurde kein hochrangiger Staatsbeamter zur Verantwortung gezogen.
Nach der Soma-Katastrophe versuchte Erdoğan, die Todesfälle zu normalisieren, indem er sagte: „Das sind normale Dinge. Das liegt in der Natur dieses Geschäfts.“
Die Gleichgültigkeit der gesamten herrschenden Kapitalistenklasse gegenüber dem Leben und dem Wohlergehen der Arbeiter spiegelt sich darin wider, dass Erdoğan nach der Katastrophe in Amasra im Wesentlichen das Gleiche sagte. „Wir sind Menschen, die an die Vorsehung des Schicksals glauben“, erklärte er. „Diese [Todesfälle] werden immer passieren, das dürfen wir nicht vergessen.“
Doch trotz der Versuche von Regierungsvertretern, sich der Verantwortung zu entziehen, indem sie von „Schicksal“ sprechen, zeigen die wenigen verfügbaren Daten, dass in Amasra – wie bei Soma und vielen anderen Bergbaukatastrophen – die Arbeiter dem Profitstreben geopfert wurden. Notwendige und bekannte Vorsichtsmaßnahmen wurden nicht beachtet.
In einem Bericht des Rechnungshofs aus dem Jahr 2019 wurde eine scharfe Warnung ausgesprochen. In dem Bericht heißt es:
Im Jahr 2019 lag die stabilisierte Fördertiefe der Anlage bei 300 Metern. Diese Vertiefung führt zu einem erhöhten Risiko von schweren Unfällen, wie einem plötzlichen Kohle- oder Gasausbruch oder einer Schlagwetterexplosion.
Ayhan Yüksel, Vorsitzender der Kammer der Bergbauingenieure, sagte in einer Erklärung:
Hier liegt ein Unglück aufgrund von Fahrlässigkeit vor... Wir wissen, dass es zwei Probleme gibt, die mit Fahrlässigkeit zu tun haben: 1) das aufsteigende Gas und 2) das Feuer, welches das Gas zum explodieren bringt. Ohne diese Formen der Fahrlässigkeit wäre es nicht zu diesem Unfall gekommen.
Bei der Beerdigung von Rahman Özçelik – einem der Bergleute, die ihr Leben verloren – fragte Özçeliks Schwester an Erdoğan gerichtet: „Vor zehn bis fünfzehn Tagen hat mir mein Bruder erzählt, dass hier [in der Mine] ein Gasleck ist. ‚Sie werden uns bald in die Luft jagen‘, sagte er. Wie kann es sein, dass das vernachlässigt wurde?“
Eine Antwort erhielt sie nicht.
Presseberichten zufolge wurde in den letzten drei Jahren etwa die Hälfte der Gelder, die dem staatlichen Unternehmen Turkish Hard Coal Enterprises (TTK) zugewiesen wurden, nicht ausgezahlt, und in den Bergwerken fehlen Arbeitskräfte. Die Zahl der Bergleute im Werk Amasra, in dem Ende der 1970er Jahre 5.000 Arbeiter beschäftigt waren, ist inzwischen auf 720 gesunken. Die Zahl der bei TTK insgesamt beschäftigten Bergleute ist von über 40.000 auf 8.600 gesunken.
Daraus ergibt sich der Druck, die Produktion zu beschleunigen und mit weitaus weniger Arbeitskräften mehr zu erreichen. Am 20. September besuchte Energieminister Fatih Dönmez zusammen mit Bürokraten der Bergarbeitergewerkschaft, die als Arm der Regierung fungiert, Amasra und kündigte ein „Produktionssteigerungsziel“ an.
Die zunehmende Ausbeutung der Arbeiter – sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor – im Rahmen einer mit der Komplizenschaft der Gewerkschaften durchgeführten groß angelegten Privatisierungs- und Deregulierungspolitik ist das Kernstück einer sozialen Konterrevolution, die seit Jahrzehnten im Gange ist.
Während die Bourgeoisie unter der Führung von Präsident Ronald Reagan in den USA und Premierministerin Margaret Thatcher in Großbritannien Klassenkriegsmaßnahmen gegen Arbeiter auf der ganzen Welt durchsetzte, markierte die Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie im Jahr 1991 einen Wendepunkt in der Verschlechterung der sozialen Bedingungen der internationalen Arbeiterklasse. Diese Politik begann in der Türkei nach dem von der Nato unterstützten Militärputsch von 1980, und gewann vor allem in den letzten 20 Jahren immer mehr an Dynamik.
Erdoğans Ausruf „Lasst uns niemals unsere Einheit und Solidarität verlieren“ – nachdem er bei der Beerdigung eines Bergarbeiters an religiöse Gefühle appelliert hatte –, spiegelt die Hauptsorge seiner Regierung und der von ihr vertretenen herrschenden Klasse wider.
Die Erdoğan-Regierung hat seit Beginn der Covid-19-Pandemie einen massiven Transfer von Reichtum von der Arbeiterklasse zum Finanzkapital beaufsichtigt. Sie sitzt auf einem sozialen Pulverfass, das kurz davor steht zu explodieren.
Die Türkei ist eines der Epizentren der weltweiten Inflationswelle, mit einer offiziellen Inflationsrate von über 80 Prozent pro Jahr. Aktuelle Statistiken schätzen, dass 90 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben.
In diesem Jahr ist es in der Türkei bereits zu zahlreichen Streiks gekommen. Sie sind Bestandteil der wachsenden internationalen Bewegung der Arbeiterklasse gegen die steigenden Lebenshaltungskosten und die unerträglichen Arbeits- und Lebensbedingungen im Kapitalismus. Ärzte und andere Beschäftigte des Gesundheitswesens haben mehrere landesweite Streiks durchgeführt, und die Zahl der spontanen Streiks hat stark zugenommen. Dazu gehört auch die Arbeitsniederlegung der Eisen-Bergleute von Divriği im Januar im Kampf um bessere Löhne und Sozialleistungen.
Der Kampf der Bergarbeiter hat in der Türkei eine lange Tradition, wie überall auf der Welt. Das westliche Schwarzmeerbecken, einschließlich Amasra, war das Epizentrum dieser Kämpfe. Im Jahr 1965 breitete sich ein spontaner Streik gegen die harten Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhne in Zonguldak auf die Bergwerke in der gesamten Region aus. Die Regierung konnte diese Massenbewegung nur dadurch unterdrücken, dass sie Tausende von Soldaten in die Region schickte und zwei Bergleute tötete.
Der Große Bergarbeitermarsch von 1990/91 ist einer der Meilensteine in den Kämpfen der türkischen Arbeiterklasse. Der im November 1990 begonnene Streik verwandelte sich in den ersten Tagen des Jahres 1991 in einen Massenmarsch in die Hauptstadt Ankara, an dem mehr als 80.000 Bergarbeiter und ihre Familienangehörigen teilnahmen.
Aus Angst, dass die Bergarbeiter mit ihren Parolen gegen den Golfkrieg und die brutalen Angriffe auf ihre sozialen Bedingungen breitere Teile der Arbeiterklasse mobilisieren könnten, setzte die Regierung Armee- und Polizeieinheiten ein, um die Eingänge zur Hauptstadt zu blockieren.
Die Niederlage des Kampfes der Bergarbeiter infolge des Verrats durch die Bürokratie der GMİS und des Türk-İş-Gewerkschaftsbundes – die die Bergarbeiter in Amasra nach wie vor „vertreten“ – ebnete den Weg für die anschließenden Angriffe auf die Bergarbeiter und die gesamte Arbeiterklasse.
Die Bergbaukatastrophe in Amasra unterstreicht die Tatsache, dass der Kapitalismus der Sicherheit und dem Wohlergehen der Bergleute und der gesamten Arbeiterklasse abträglich ist. Der gleiche objektive Impuls des Kapitalismus – nach Profit, privater Bereicherung und den geopolitischen Interessen der herrschenden Klassen – hat den vermeidbaren Tod von mehr als 20 Millionen Menschen weltweit und die dauerhafte Schädigung unzähliger weiterer Menschen durch die Covid-19-Pandemie verursacht. Bekannte und notwendige Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit wurden nicht umgesetzt, weil sie eindeutigen wirtschaftlichen und finanziellen Interessen zuwiderliefen, die mit den Finanzmärkten verbunden waren und die Ausbeutung der Arbeiter an ihrem Arbeitsplatz verlangten.
Das Leben und die Gesundheit der Arbeiter werden mutwillig weiter geopfert. Seinen extremsten Ausdruck findet dies in der rücksichtslosen Eskalation des Ukrainekrieges, den die USA und die Nato gegen Russland führen und der nach den Worten des Kriegstreibers Joe Biden ein „nukleares Armageddon“ heraufbeschwört.
Dieselbe Systemkrise, die den Kapitalismus in Richtung eines nuklearen Holocausts treibt, schafft die Bedingungen für die revolutionäre Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse – um Krieg, industriellen Mord und Despotismus durch eine sozialistische Weltrevolution zu beenden. Das verlangt die Errichtung von Arbeiterregierungen, um die Bergwerke und alle wichtigen Industrien unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiterklasse zu verstaatlichen und auf Weltebene zu koordinieren.
Die vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale initiierte und von der Sosyalist Eşitlik Grubu (Sozialistische Gleichheitsgruppe, Türkei) unterstützte Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees wird aufgebaut, um die Kämpfe der Arbeiter auf der ganzen Welt zu vereinen und diese dringende Aufgabe zu erfüllen. Schließt euch diesem Kampf an! Es gibt keine Zeit zu verlieren!
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