Der Bundesparteitag der Grünen war ein abstoßendes Spektakel. Die 817 Delegierten, die sich am Wochenende in Bonn versammelten, überboten sich gegenseitig mit Forderungen nach einer Eskalation des Kriegs in der Ukraine.
Es lässt sich schwer sagen, was widerwärtiger war: Ihre Zurückweisung der früheren Lippenbekenntnisse zu Frieden, Abrüstung, Umweltschutz und Atomausstieg, der Zynismus, mit dem sie diese Politik rechtfertigten, oder ihre Überheblichkeit und Ignoranz gegenüber den Sorgen und Bedürfnissen der Massen.
Der Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland in der Ukraine droht sich zu einem atomaren dritten Weltkrieg auszuweiten. US-Präsident Joe Biden spricht von der Gefahr eines nuklearen „Armageddon“. Der ehemalige CIA-Direktor Leon Panetta schätzt die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes taktischer Atomwaffen in der Ukraine auf 25 Prozent. Die Grünen reagierten darauf, indem sie Öl ins Feuer gossen und sich für eine militärische Eskalation einsetzten.
Einen Antrag, der sich um einen Waffenstillstand in der Ukraine bemühte, und einen weiteren Antrag, der sich gegen die Lieferung schwerer Waffen nach Kiew einsetzte, lehnten die Delegierten mit überwältigender Mehrheit ab. Die Begründung eines Antragsstellers, Europa werde beim Abwurf der ersten Atombombe draufgehen, schmetterte der Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky mit der Begründung ab, die Ukrainer könnten sich „nicht mit Sonnenblumen verteidigen“.
Außenministerin Annalena Baerbock machte sich vehement für die Lieferung weiterer Waffen und schwerer Kampfpanzer an die Ukraine stark. „Wir unterstützen die Ukraine, nicht obwohl wir eine Friedens- und Menschenrechtspartei sind, sondern weil wir eine Friedens- und Menschenrechtspartei sind,“ begründete sie ihren Kriegskurs.
Die Parteivorsitzende Ricarda Lang unterstützte sie mit den Worten: „Ich bin davon überzeugt, dass wir mehr Waffen liefern müssen, dass wir schneller werden müssen. Die Zeit der Zögerlichkeiten ist vorbei.“
Die USA haben China zum strategischen Rivalen erklärt und bereiten systematisch einen Krieg gegen das 1,4 Milliarden-Einwohner-Land vor. Die Grünen schlossen sich diesem Kurs an. „China bedroht unsere demokratische Lebensweise, und deswegen müssen wir das verdammt ernst nehmen,“ begründete dies der frühere Parteichef Reinhard Bütikofer.
Die Ampel-Koalition liefert – entgegen den Absprachen im Koalitionsvertrag – Ausrüstungsteile und Bewaffnung für Kampfflugzeuge im Wert von 36 Millionen Euro an Saudi-Arabien, das damit den Jemen in Grund und Boden bombardiert. Für die Grünen kein Problem! Der Parteitag gab grünes Licht.
Außenministerin Annalena Baerbock fand eine neue Rechtfertigung für diese verbrecherische Politik. Bei einem Ausstieg Deutschlands aus dem europäischen Gemeinschaftsprojekt, das die Waffen für das saudische Regime herstellt, würden auch die Kosten für die Ausrüstung der Bundeswehr steigen und damit Geld für Sozialleistungen fehlen. „Ich will nicht, dass wir noch mehr im sozialen Bereich sparen und Lisa [gemeint war Lisa Paus, die grüne Familienministerin] dann keine Mittel mehr hat für die Kinder, die sie dringend brauchen,“ erklärte die Außenministerin.
„Soziale Sicherheit schaffen mit Waffenexporten“ – eine wirklich originelle neue Parole der Grünen! Baerbock erhielt dafür stehende Ovationen.
Auch die Klimapolitik, das Markenzeichen der Grünen, opferte der Parteitag der Kriegspolitik. Er stimmte einer Verzögerung des Ausstiegs aus der Atomenergie und der Reaktivierung von Kohlekraftwerken zu, um die sanktionsbedingte Gasknappheit zu kompensieren.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Nur in einer Frage blieben sich die Grünen treu. Der Parteitag stritt über Fußnoten, um den Schein kontroverser Debatten zu wahren. Die jungen Karrieristen Luisa Neubauer (Fridays for Future) und Timon Dzienus (Grüne Jugend) durften der Partei „ökologischen Hyperrealismus“ und das „Verfehlen der Klimaziele“ vorwerfen. Man lieferte sich eine heftige Debatte und eine Kampfabstimmung über den Abriss des kleinen Weilers Lützerath, den bereits alle Einwohner verlassen haben und der dem Braunkohlebergbau weichen soll.
Am rechten Kurs der Grünen ändert das nicht das Geringste. Ihre Verwandlung in eine Partei des Kriegs, des bürgerlichen Staats und der kapitalistischen Ordnung ist abgeschlossen. „Wir tragen diesen Staat,“ wie Omid Nouripour, der die Partei zusammen mit Ricarda Lang führt, auf dem Parteitag stolz verkündete.
„Die Gründerfiguren von Bündnis 90/Die Grünen haben sich in beiden deutschen Staaten in Rebellion und Systemverachtung zusammengefunden,“ kommentierte die Süddeutsche Zeitung. „Heute betrachtet die Partei die Rettung der staatlichen Ordnung als ihre heiligste Aufgabe.“ Der Tagesspiegel schrieb: „Die Grünen sind heute noch radikal – aber radikal realistisch. … Das Ethos der Verantwortung erzwingt, erst ans Land und dann an die Partei zu denken. Wer das nicht erkennt, verkennt seine Verantwortung. Gesinnungsethik war gestern.“
Das Verschmelzen von Grünen und Staat steht in umgekehrtem Verhältnis zur Spaltung der Gesellschaft. Die Folgen der Sanktionspolitik, Rekordinflation, explodierende Mieten und die sich abzeichnende Rezession vertiefen die Kluft zwischen Arm und Reich und kündigen heftige Klassenkämpfe und Auseinandersetzungen mit der Ampel-Koalition an. Die Grünen reagieren darauf, indem sie scharf nach rechts rücken.
Um jeden Zweifel zu zerstreuen, wem die Partei dient, ließen sie den Parteitag von großen Unternehmen sponsern, die mit Dutzenden Ständen vertreten waren – darunter der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, der auch die Interessen der Rüstungsindustrie vertritt, der Chemiekonzern Bayer, der Bundesverband der Wohnungs- und Immobilienunternehmer, die deutsche Geflügelwirtschaft und der Discounter Lidl. Siegfried Russwurm, Präsident der Deutschen Industrie, trat als Gastredner auf dem Parteitag auf.