Kriegshetze zum Jahrestag der deutschen Einheit

Die Jahrestage der Deutschen Einheit werden seit drei Jahrzehnten genutzt, um für militärische Aufrüstung zu trommeln und deutsche Großmachtphantasien zu verbreiten. Für jeden klassenbewussten Arbeiter ist das nationalistische Spektakel eine Erinnerung daran, welch reaktionäre Entwicklung mit der Wiedervereinigung vor 32 Jahren eingeleitet wurde und wie wichtig es ist, gegen die Wiederkehr von Militarismus und Krieg zu kämpfen.

Aktuell forciert die herrschende Klasse ihren Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine und nimmt dabei die Gefahr eines globalen Atomkriegs in Kauf. 77 Jahre nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs demonstrieren sämtliche Parteien ihre Einigkeit, mehr deutsche Panzer gegen Russland zu schicken und den Krieg bis zu einem vollständigen militärischen Sieg zu eskalieren.

Das machte Bodo Ramelow von der Linkspartei in seiner Rede beim offiziellen Festakt zur Wiedervereinigung in Erfurt deutlich. Der thüringische Ministerpräsident sprach von einem „imperialistischen Krieg“ Russlands und von russischen Kriegsverbrechen „in einer Dimension, für die es fast schon anmaßend wirkt, Worte finden zu wollen“.

Das ist die bekannte Gräuelpropaganda, bei der unbestreitbare Kriegsverbrechen dermaßen übertrieben werden, dass eine Verhandlung mit dem Gegner aussichtslos erscheint. Der russische Einmarsch ist reaktionär und brutal, aber er kommt nicht ansatzweise an die Massaker heran, die die Nato-Mächte im Irak oder Afghanistan veranstalteten.

Ramelow betreibt diese Propaganda, um die massive Eskalation des Kriegs durch die Nato und insbesondere die deutsche Kriegsbeteiligung zu rechtfertigen. „Wenn wir es ernst meinen mit der Demokratie und mit der Unveräußerlichkeit der Menschenrechte, müssen wir helfen, wo wir können“, erklärte er und drückte damit auch seine Unterstützung für die umfassenden Waffenlieferungen aus.

Auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) kündigte in der Hauptrede bei den Feierlichkeiten an, die Ukraine im Krieg „weiter nach Kräften zu unterstützen“. Putin habe die Friedensordnung Europas angegriffen und sei für die Verschärfung von Armut und Elend verantwortlich, erklärte sie.

Dass es bei dieser Propaganda um nichts Geringeres als die Eskalation bis hin zu einem Atomkrieg geht, machte auch Ex-Bundespräsident Joachim Gauck deutlich. Er hatte schon am Vorabend der Feierlichkeiten in einem ZDF-Interview gefordert, die Deutschen müssten ihre Angst vor einem Atomkrieg überwinden. Die Kriegsangst spiele Putin in die Hände und ermutige ihn zu immer stärkeren Angriffen.

Bundespräsident Joachim Gauck beim Großen Zapfenstreich zu seiner Verabschiedung am 17. März 2017 (AP Photo/Michael Sohn)

Wörtlich sagte Gauck: „Die Angst, die hier bei uns vielfach auch von den Drohungen Putins an den Tag gelegt wird, die sehen wir in den Nachbarländern nicht so wie bei uns in Deutschland. Und es ist unglaublich wichtig, dass wir uns klarmachen: Putin preist diese Angst der Deutschen ein in seine Planung. Das ist ein Element seiner Kriegsführung. Deshalb brauchen wir eine nüchterne Bewertung seiner Drohungen und eine ganz klare Erkenntnis, dass Angst kleine Augen macht und in die Flucht treibt. Und Flucht ist das, was wir uns nicht leisten können.“

Klarer kann man die Skrupellosigkeit der herrschenden Klasse nicht auf den Punkt bringen. Sie ist bereit, einen atomar geführten Weltkrieg in Kauf zu nehmen. Sie predigt Furchtlosigkeit vor der nuklearen Vernichtung der gesamten Menschheit, um ihr imperialistisches Ziel zu erreichen: Russland zu unterwerfen und zu zerschlagen.

Das ist das Ergebnis einer jahrelangen, systematischen Eskalation. Schon vor neun Jahren nutzte Gauck in seiner damaligen Funktion als Bundespräsident den Jahrestag der deutschen Einheit, um das „Ende der militärischen Zurückhaltung Deutschlands“ auszurufen. Aufgrund seiner wirtschaftlichen Macht und geographischen Lage im Zentrum Europas trage Deutschland eine besondere Verantwortung für die Weltpolitik, erklärte er.

Deutschland solle in Zukunft als globale Führungsmacht agieren und sich viel stärker als bisher auch an Kriegseinsätzen beteiligen. „Unser wichtigstes Interesse“, so Gauck, sei es, die „politische und militärische Ordnung gerade in unübersichtlichen Zeiten zu erhalten und zukunftsfähig zu machen“.

Wenige Monate später war die deutsche Regierung federführend am Maidan-Putsch in Kiew beteiligt, mit dem – gestützt auf faschistische Kräfte – der gewählte prorussische Präsident Wiktor Janukowytsch gestürzt und ein prowestliches Marionettenregime installiert wurde. Seither haben die Nato-Mächte die ukrainische Armee hochgerüstet und jede Verhandlungslösung mit Russland torpediert.

Auf diese Weise provozierten die führenden Nato-Mächte den reaktionären Überfall des Putin-Regimes auf die Ukraine.

Die herrschende Klasse sieht den Krieg gegen Russland nun als Chance, ihre lang gehegten Großmachtpläne umzusetzen und die Bundeswehr wieder zur stärksten Armee Europas aufzurüsten. Dabei ist der Krieg gegen Russland nur die Vorbereitung für einen Krieg gegen China und die vollständige imperialistische Neuaufteilung der Welt.

Wenn Gauck angesichts dieses Wahnsinns über die Überwindung der Angst spricht, hat er auch die Angst der herrschenden Klasse vor der Bevölkerung im Sinn. Die Wiedervereinigung, die der damalige Pastor mit seinen Predigten anfeuerte, hat nicht zu Freiheit und Wohlstand geführt, sondern zu Elend und dem Erstarken von autoritären und faschistischen Tendenzen. Die Regierung weiß, dass sie auf einem sozialen Pulverfass sitzt.

Das hat sich mit dem Krieg gegen Russland weiter verschärft. Millionen Arbeiter rutschen in die Armut und wissen nicht, wie sie ihre Miete, ihre Gasrechnung und ihre Lebensmittel bezahlen sollen. Hunderttausenden drohen Kurzarbeit und Entlassungen, weil die Unternehmen die Krise für längst geplante Rationalisierungen und Umstrukturierungen nutzen. Zur gleichen Zeit werden den Banken und Konzernen erneut dutzende Milliarden in den Rachen geworfen.

Diese Klassenpolitik ist ebenso verhasst wie der Militarismus und die Großmachtpolitik selbst. Nach den schrecklichen Erfahrungen zweier Weltkriege und des Holocaust ist die Ablehnung des deutschen Imperialismus und Militarismus tief im Bewusstsein der Massen verankert.

Deshalb setzen Politik und Medien die öffentliche Meinung unter Dauerfeuer. Während die russischen Kriegsverbrechen für Gräuelpropaganda benutzt und heillos aufgebauscht werden, werden die historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus systematisch verharmlost und gerechtfertigt. Waren es bisher rechte Professoren wie Herfried Münkler und Jörg Baberowski, die die deutschen Verbrechen im Ersten und Zweiten Weltkrieg relativierten, ist dies mittlerweile die offizielle Linie der Bundesregierung.

„Um neue Verbrechen des deutschen Imperialismus vorzubereiten, sollen seine historischen Verbrechen verharmlost und beschönigt werden“, kommentierten wir bereits im Jahr 2015. Nun propagieren die Herrschenden nicht nur erneut Krieg von deutschem Boden gegen Russland – sie agitieren gegen die Furcht vor einem atomaren dritten Weltkrieg, der das Ende der menschlichen Zivilisation bedeuten würde.

Die Tatsache, dass die Rückkehr des deutschen Militarismus von sämtlichen Bundestagsparteien unterstützt wird, zeigt, dass eine solche Katastrophe nur verhindert werden kann, wenn die weit verbreitete Opposition gegen Krieg in eine bewusste politische Bewegung verwandelt wird. Nur eine unabhängige Bewegung der internationalen Arbeiterklasse kann den Wahnsinn stoppen und der kapitalistischen Barbarei eine sozialistische Perspektive entgegensetzen.

Dafür kämpfen die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und ihre Schwesterparteien im Internationalen Komitee der Vierten Internationale. Lest und verbreitet die WSWS-Erklärung „Stoppt den Krieg in der Ukraine!“ und registriert Euch jetzt, um Euch am Aufbau einer neuen anti-kapitalistischen Antikriegsbewegung zu beteiligen.

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