Der Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan beschwört eine direkte militärische Konfrontation zwischen den USA und China und damit die Gefahr eines dritten Weltkriegs herauf. Trotzdem verteidigen ihn führende Vertreter der Bundesregierung und drängen ihrerseits auf einen aggressiveren Kurs gegen Peking.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Michael Roth (SPD), erklärte gegenüber den Zeitungen der Mediengruppe Bayern: „Dieser Besuch ist weder aggressiv noch provokativ. Andernfalls hätte die Regierung in Taipeh auch keine Einladung ausgesprochen, denn die Taiwanerinnen und Taiwaner wissen am besten, was ihre Interessen und Sicherheit gefährdet.“
Dann forderte er, dass sich Deutschland, trotz seiner engen wirtschaftlichen Verbindungen mit China, auf eine Konfrontation vorbereiten müsse. Peking beobachte „derzeit sehr genau, wie ge- und entschlossen wir auf die russische Aggression gegen die Ukraine reagieren. Bei einer Eskalation des Konflikts zwischen China und Taiwan wären so gut wie alle unsere Lieferketten betroffen.“ Es sei „höchste Zeit, dass wir unsere strategischen Abhängigkeiten von China schnellstmöglich vermindern und unsere Lieferketten diversifizieren“.
Der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Ulrich Lechte, äußerte sich ähnlich. Es sei „sehr begrüßenswert, dass Nancy Pelosi sich von den Einschüchterungsversuchen Pekings nicht hat beeindrucken lassen“. Eine „Zwangsvereinigung im Sinne Xis“ dürfe „man nicht dulden“. Daher sei „eine offene Unterstützung für das demokratische Taiwan unverzichtbar“. So sei „zu überlegen, ob ein hoher Repräsentant Deutschlands ebenfalls einen Besuch realisieren könnte. Ein Mitglied der Bundesregierung in Taipeh – warum nicht?!“
Tatsächlich hat Lechtes Parteikollegin Nicola Beer Taiwan bereits vor Pelosi, vom 19. bis 21. Juli besucht. Als Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments bekleidet Beer in der Europäischen Union einen hohen protokollarischen Rang. Wenig überraschend hat sie nun auch Pelosis Besuch als „völlig richtig“ bezeichnet und gedroht: „Ich glaube, dass die chinesische Staatsführung auch gerade vor dem Hintergrund der innenpolitischen Situation nur eine klare Kante versteht.“
Was genau Beer damit meint, erklärte sie nicht. Schlägt sie vor, Taiwan im Fall einer militärischen Auseinandersetzung militärisch zu unterstützen und – wie im Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine – das Land mit Waffen zu überschwemmen? Oder soll Deutschland sogar direkt ins Kriegsgeschehen eingreifen und an der Seite Taiwans gegen China in den Krieg ziehen? Die Konsequenzen wären in jedem Fall katastrophal.
Washingtons Offensive, die darauf abzielt, die frühere Halbkolonie China zu unterwerfen und die Vorherrschaft des US-Imperialismus in der gesamten Region zu sichern, bringt die Welt an den Rand eines dritten Weltkriegs, der das Ende der Menschheit bedeuten könnte. Als Pelosi in Taipeh eintraf, manövrierte vor der Ostküste Taiwans ein amerikanischer Flugzeugträgerverband unter der Führung der USS Ronald Reagan, ausgestattet mit Kampfflugzeugen, Kampfhubschraubern und anderen Waffensystemen. Weitere Kriegsschiffe sind auf dem Weg.
China, das Pelosis Besuch als Angriff auf die Ein-China-Politik wertet, hat auf die US-Provokation scharf reagiert. Die chinesische Volksbefreiungsarmee begann mit Manövern in sechs Meeresgebieten um Taiwan. Bis Sonntag soll es dabei auch zu „weitreichenden Schießübungen“ kommen. Nach Angaben des taiwanesischen Verteidigungsministeriums sind nach der Ankunft Pelosis 27 chinesische Kampfjets in die taiwanesische Flugverbotszone eingedrungen.
Unter Teilen der herrschenden Klasse hat die Entwicklung eine gewisse Unruhe ausgelöst. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen bezeichnete „Chinas Drohgebärden angesichts des Besuchs von Nancy Pelosi“ zwar als „völlig inakzeptabel“. Dennoch sei „jetzt der falsche Zeitpunkt für den Besuch Taiwans durch Pelosi. Durch den russischen Angriffskrieg gibt es zur Zeit mehr als genug internationale Spannungen.“ In dieser Situation habe „Pelosis Besuch eine rein symbolische Bedeutung“.
Mit anderen Worten: Röttgen, einer der aggressivsten Kriegshetzer gegen Russland, fürchtet, dass die imperialistischen Mächte (noch) nicht darauf vorbereitet sind, gleichzeitig gegen Russland und gegen China militärisch aufzutrumpfen.
Die herrschende Klasse ist sich auch bewusst darüber, welche enormen Auswirkungen die Kriegspolitik gerade für die export- und energieabhängige deutsche Wirtschaft hat. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnte jüngst vor Volksaufständen, wenn Russland kein Gas mehr an Deutschland liefert. Auch ein Zusammenbruch der wirtschaftlichen Beziehungen zu China hätte potentiell revolutionäre Implikationen. Zwar wächst der Außenhandel mit China aktuell weniger stark als der mit den USA, aber die Volksrepublik war 2021 zum sechsten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner.
Trotzdem setzt die Bundesregierung auf Konfrontation. Ähnlich wie den Krieg in der Ukraine sieht sie auch den Konflikt mit China als Chance, ihre lang gehegten Aufrüstungs- und Großmachtpläne voranzutreiben. Baerbock selbst macht daraus im Verlauf ihrer derzeitigen Nordamerika-Reise keinen Hehl.
„Wir akzeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt – und das gilt natürlich auch für China“, polterte sie am Montag in New York, wo sie an einer Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags teilnahm.
Am Dienstag nutzte sie eine außenpolitische Grundsatzrede an der New School für Drohungen gegen Russland und vor allem gegen China. Peking sei ein „Wettbewerber und systemischer Rivale“. Man müsse es „sehr ernst nehmen“, wenn die „regelbasierte internationale Ordnung … in Europa und darüber hinaus infrage gestellt wird“. Man habe „in den vergangenen Monaten seit dem 24. Februar schmerzvoll gelernt, dass aus aggressiver Rhetorik schnell gefährliches Handeln werden kann. Chinas Äußerungen zu Taiwan werfen ernste Fragen auf.“
All das stellt die Realität auf den Kopf. Tatsächlich sind die Nato-Mächte – allen voran die USA und Deutschland – die Aggressoren in der Weltpolitik. Sie führen seit 30 Jahren nahezu ununterbrochen Krieg und haben ganze Länder zerstört, Millionen Menschen getötet und Dutzende weitere zu Flüchtlingen gemacht. Russland und China wurden systematisch eingekreist, mit dem Ziel, die rohstoffreichen und geostrategisch wichtigen Länder zu schwächen und militärisch zu unterwerfen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Putins Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar war eine verzweifelte und reaktionäre Antwort des kapitalistischen russischen Regimes auf die imperialistische Kriegsoffensive, die immer weiter eskaliert. Auf dem letzten Nato-Gipfel Ende Juni wurde eine neue Nato-Strategie verabschiedet, die das Militärbündnis explizit auf eine militärische Konfrontation mit den Nuklearmächten Russland und China ausrichtet. Dabei geht es nicht etwa um „Frieden“ und „Demokratie“, sondern um imperialistische Interessen.
Baerbock gab dies unumwunden zu. „Es kann nicht in unserem Interesse liegen, wenn China in seiner Region übermäßige wirtschaftliche Abhängigkeiten schafft“, erklärte sie. Ihr Ministerium erarbeite aktuell „eine eigene Chinastrategie, die nächstes Jahr veröffentlicht wird und die strategischen Überlegungen hier in den Vereinigten Staaten umfassend berücksichtigt“. Ihrer Auffassung nach „sollte ein Ziel dieser Strategie sein, die transatlantischen Positionen zu den Herausforderungen, die China ... darstellt, weiter aufeinander abzustimmen.“
Was das heißt, ist klar. Deutschland soll nicht nur eine zentrale Rolle beim Kriegskurs gegen Russland, sondern auch gegen China übernehmen. Baerbocks Rede war eine einzige militaristische Tirade. Sie unterstrich, in welchem Ausmaß sich die früheren Pazifisten der Grünen und die wohlhabenden Mittelschichten, für die sie sprechen, zu den aggressivsten Vertretern des deutschen Militarismus entwickelt haben.
Wir haben ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro aufgelegt, mit dem wir unsere Bundeswehr stärken wollen,“ brüstete sich Baerbock. „Wir haben seit Jahrzehnten bestehende Grundsätze bei Rüstungsexporten revidiert, sodass Deutschland mittlerweile zu den stärksten militärischen und finanziellen Unterstützern der Ukraine zählt. Und wir haben unseren Beitrag zur Nato ausgeweitet: Deutschland hat die Führung des Nato-Gefechtsverbands in Litauen übernommen und stellt eine Brigade mit bis zu 800 Soldatinnen und Soldaten bereit, die bei Bedarf dorthin verlegt werden können. Wir beteiligen uns mit unseren Kampfflugzeugen an der Sicherung des Luftraums über den Baltischen Staaten – und am Schutz der Slowakei mit Patriot-Luftabwehrsystemen.
Und weiter:
Aber wir wissen auch, dass das noch nicht ausreicht. Unser Ziel ist es, den europäischen Pfeiler der Nato weiter zu stärken. ‚Europe matters’ – Europa hat Gewicht, auch sicherheitspolitisch... Soll diese These aber Bestand haben, müssen wir sie auch unter Beweis stellen, und zwar auf lange Sicht. Das bedeutet, dass wir die Europäische Union strategischer ausrichten müssen – als eine Union, die fähig ist, auf Augenhöhe mit den Vereinigen Staaten umzugehen: in einer Führungspartnerschaft.
Erklärtes Ziel ist der Aufbau einer aggressiven europäischen Militärmaschinerie unter deutscher Führung. „Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union geben jedes Jahr viele Milliarden für ihr Militär aus – aber wir bekommen nicht genug für unser Geld. Denn wir Europäer nutzen beispielsweise mehr als ein Dutzend Panzermodelle“, klagte Baerbock. Die EU müsse „ein stärkerer sicherheitspolitischer Akteur werden, ihre Rüstungsindustrien müssen stärker miteinander verbunden werden, und sie muss in der Lage sein, militärische Missionen durchzuführen, um Regionen in ihrer Nachbarschaft zu stabilisieren.“
Baerbocks deutsch-europäische Kriegsphantasien sind genauso wahnsinnig und aggressiv wie Washingtons Weltmachtpläne. In beiden Fällen hat der Wahnsinn objektive Ursachen. Hinter der imperialistischen Kriegstreiberei steht eine toxische Mischung aus geopolitischen Gelüsten und einer tiefen inneren Krise. Ähnlich wie in den 1930er Jahren reagiert die herrschende Klasse auf den Zusammenbruch des Kapitalismus mit einer Hinwendung zu Militarismus, Faschismus und Krieg. Die Arbeiterklasse muss dieser gefährlichen Entwicklung ihre eigene Strategie der sozialistischen Weltrevolution entgegensetzen.
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