Zum Abschluss des Nato-Gipfels im spanischen Madrid verabschiedeten die Mitgliedsstaaten der Nato, darunter die meisten europäischen Staaten sowie die USA und Kanada, ein Strategiepapier, in dem ihre Pläne geschildert werden, den europäischen Kontinent zu militarisieren, den Krieg gegen Russland massiv auszuweiten und sich auf einen Krieg gegen China vorzubereiten.
Das Dokument kündigt an: „Wir werden einzeln und kollektiv das volle Spektrum an Streitkräften... liefern, das zur Abschreckung und Verteidigung benötigt wird, und zwar auch für hochintensive dimensionsübergreifende Kriegsführung gegen gleichwertige Wettbewerber, die Kernwaffen besitzen.“
Im Gegensatz zum letzten Strategiepapier von 2010 heißt es in dem aktuellen Dokument: „Im euro-atlantischen Raum herrscht kein Frieden.“ Damit wird praktisch erklärt, dass sich das Bündnis im Krieg befindet – obwohl keins der Mitgliedsstaaten der Nato einen Krieg im „euro-atlantischen Raum“ erklärt hat.
Das strategische Rahmendokument bedient sich offen der Sprache der Machtpolitik. Das Wort „Interessen“ wird siebenmal verwendet, und es wird erklärt, dass sowohl China als auch Russland die „Interessen des Bündnisses“ herausfordern.
Im letzten strategischen Rahmendokument der Nato von 2010 wurde das Wort „Interessen“ nur einmal benutzt. Man verpflichtete sich damals, „die politischen Konsultationen und die praktische Zusammenarbeit mit Russland auf gemeinsamen Interessengebieten zu verbessern“.
Während das Dokument von 2010 Russland als „Partner“ bezeichnete, wird Russland im aktuellen zur „Bedrohung“ erklärt und China zur „Herausforderung“. Das neue Nato-Strategiepapier rechtfertigt diese Einstufungen ausdrücklich mit der Behauptung, diese Länder „sind eine Herausforderung für unsere Interessen“.
Weiter heißt es: „Die Volksrepublik China versucht, Schlüsselbereiche der Technologie- und Industriesektoren, kritische Infrastruktur sowie strategisches Material und Lieferketten unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie setzt ihr wirtschaftliches Gewicht ein, um strategische Abhängigkeiten zu schaffen und ihren Einfluss zu vergrößern.“
Um ihre „Interessen“ zu wahren, verpflichten sich die Verbündeten, „das Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv deutlich [zu] verstärken“.
Das Dokument stellt entschieden fest, dass die Serie von Maßnahmen, die den Krieg in der Ukraine ausgelöst haben, erfolgreich waren: „Die Erweiterung der NATO ist ein historischer Erfolg.“ Der Kreml hat seinen Einmarsch in der Ukraine mit der Behauptung gerechtfertigt, die Bestrebungen der Ukraine, der Nato beizutreten und die Stationierung von Atomwaffen an der russischen Grenze hätten eine Gefahr für Russlands nationale Sicherheit dargestellt.
Das Nato-Dokument kündigt an, mit der Erweiterung des Militärbündnisses fortzufahren: „Wir bekräftigen unsere Politik der offenen Tür... Unsere Tür bleibt für alle europäischen demokratischen Staaten offen, die die Werte unseres Bündnisses teilen... Beschlüsse über eine Mitgliedschaft werden von den Nato-Verbündeten gefasst und Dritte haben in diesem Prozess kein Mitspracherecht.“
Der Krieg in der Ukraine ist mittlerweile der größte europäische Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg und hat bereits Zehntausende von Ukrainern und Russen das Leben gekostet. Indem die Nato ihre Erweiterung als Erfolg beschreibt, erklärt sie, dass diese und viele zukünftige Tote annehmbare Kosten für den Schutz der Interessen ihrer Mitglieder sind.
Als Reaktion auf die Herausforderungen für die „Interessen“ des Bündnisses haben sich die Nato-Mitglieder zu einem Militarisierungsprogramm verpflichtet, das sich auf alle Aspekte der Gesellschaft auswirken wird. Dazu heißt es: „In einem Umfeld strategischen Wettbewerbs werden wir unser globales Lagebild ausbauen und unsere Reichweite vergrößern, um im Einklang mit unserem 360-Grad-Ansatz in allen Dimensionen und Richtungen abschrecken, verteidigen, umkämpfen und die Nutzung verwehren zu können.“
Weiter heißt es: „Solange es Kernwaffen gibt, wird die Nato ein nukleares Bündnis bleiben... Zu diesem Zweck werden wir eine substantielle und durchgängige Präsenz auf dem Land, zur See und in der Luft sicherstellen, und zwar auch über eine verstärkte integrierte Flug- und Raketenabwehr. .. Das nukleare Abschreckungsdispositiv der Nato beruht auch auf vorwärtsdislozierten Kernwaffen der Vereinigten Staaten in Europa und auf den Beiträgen der betreffenden Verbündeten.“
Die Ziele, die in dem Dokument geschildert werden, lassen sich nur durch eine massive Aufstockung der für die Kriegsführung notwendigen Truppen, Munition und Versorgung erreichen. „Wir werden vorne mit robusten, im Einsatzgebiet stationierten, dimensionsübergreifenden kampfbereiten Streitkräften, optimierten Führungsregelungen, einsatznah bereitgestellter Munition und einsatznah bereitgestelltem Gerät sowie einer verbesserten Fähigkeit und Infrastruktur zur schnellen Verstärkung eines jeden Verbündeten auch bei kurzer oder keiner Vorlaufzeit abschrecken und verteidigen.“
Das Nato-Strategiepapier erkennt keine anderen Prioritäten an, die mit der Bereitstellung von militärischen Ressourcen konkurrieren. Die Worte „Hunger“, „Armut“ und „Arbeitslosigkeit“ kommen ebenso wenig vor wie die Corona-Pandemie, die weltweit Dutzende Millionen Menschen getötet hat, alleine in den USA eine Million.
Die Äußerungen von US-Präsident Joe Biden entsprachen ganz dem Tonfall dieses Dokuments.
Auf einer Pressekonferenz nach dem Gipfel erklärte Biden stolz: „Wir haben der Ukraine seit meiner Amtsübernahme Sicherheitshilfe im Wert von fast sieben Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. In den kommenden Tagen wollen wir weitere Lieferungen im Wert von über 800 Millionen Dollar ankündigen, darunter ein hochmodernes westliches Luftverteidigungssystem, zusätzliche Artillerie und Munition, Radar zur Artillerieabwehr, zusätzliche Munition für die HIMARS-Raketenwerfer, die wir bereits geliefert haben, und zusätzliche HIMARS aus anderen Ländern.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Er fügte hinzu, die US-Verbündeten hätten insgesamt „fast 140.000 Panzerabwehrsysteme, mehr als 600 Panzer, fast 500 Artilleriesysteme, mehr als 600.000 Schuss Artilleriemunition sowie hochmoderne Mehrfachraketenwerfer, Schiffsabwehr- und Luftabwehrsysteme“ geliefert.
Auf die Frage nach den Kosten, die der amerikanischen Bevölkerung durch den Krieg entstehen, erklärte Biden, man habe dies nicht einmal in Erwägung gezogen.
Auf der Pressekonferenz wurde Biden von einem Reporter gefragt: „Die Führer der G7-Staaten haben sich diese Woche verpflichtet, die Ukraine zu unterstützen, ich zitiere: ,Solange es nötig ist‘. Und ich frage mich, ob Sie erklären könnten, was das bedeutet – ,solange es nötig ist‘. Bedeutet es unbefristete Unterstützung der Ukraine durch die USA? Oder werden Sie Präsident Selenskyj irgendwann sagen müssen, dass die USA sein Land nicht länger unterstützen können?“
Biden antwortete: „Wir werden die Ukraine unterstützen, solange es nötig ist.“
Ein anderer Reporter fragte nach den „hohen Benzinpreisen in den USA und weltweit... Wie lange ist es fair, dass die Autofahrer in Amerika und im Rest der Welt noch die Zeche für diesen Krieg zahlen?“
Biden wiederholte: „Solange es nötig ist.“
Biden hat faktisch erklärt, dass gesellschaftliche Ressourcen in unbegrenzter Menge für die Kriegsanstrengungen bereitgestellt werden. Nachdem die amerikanische herrschende Klasse die Finanzierung für die Pandemiebekämpfung gestrichen hat, sodass nicht versicherte Arbeiter selbst für Impfstoffe und Hospitalisierungen wegen Covid-19 zahlen müssen, drängt sie stattdessen darauf, immense gesellschaftliche Mittel in die Kriegsanstrengungen zu pumpen.
Die Pläne, die in dem neuen Nato-Strategiedokument dargelegt werden, haben unabsehbare Folgen für den Krieg selbst und für die endlose Umverteilung sozialer Mittel zu den Militärausgaben. Dies wird einhergehen mit der Kürzung von Ausgaben für die Gesundheitsversorgung und die Renten sowie mit Lohnsenkungen für die Arbeiter.
Wenn die Arbeiter weltweit den Kampf gegen die steigenden Lebenshaltungskosten aufnehmen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie den Kampf gegen Krieg und Militarismus zur entscheidenden Forderung erheben.