Der Mitternachtsritt von Paul Revere gehört zu den berühmtesten Ereignissen der Amerikanischen Revolution von 1775-1783. In der Nacht des 18. April 1775 ritt der 40-jährige „Son of Liberty“ auf seinem Pferd durch Middlesex County in Massachusetts und warnte die Revolutionäre auf seinem Weg, dass das britische Militär für den nächsten Tag einen Angriff auf die Waffendepots in Lexington und Concord vorbereitete. Unabhängig davon, welche Rolle Reveres Ritt für den Ausgang des darauffolgenden Gefechts spielte, erlangte das Ereignis symbolische Bedeutung: Die Bevölkerung war rechtzeitig vor der Gefahr gewarnt worden und war bereit zu kämpfen.
An diesem 4. Juli, an dem Millionen Menschen die demokratischen und egalitären Traditionen der Unabhängigkeitserklärung und des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs ehren, muss eine weitere dringende Warnung vor einer existenziellen Gefahr für die Demokratie ausgesprochen werden, die sich derzeit in Echtzeit abspielt. Die Bedrohung geht nicht von einem fremden Eindringling aus, der zu Lande oder zur See angreift, sondern von der herrschenden Klasse Amerikas selbst, von den Schaltstellen der Macht.
Ein mächtiges, rechtsextremes Netzwerk – angeführt von Donald Trump und mit tiefen Verbindungen in den Staatsapparat – arbeitet in einer andauernden Verschwörung an der Errichtung einer faschistischen Diktatur auf amerikanischem Boden. Trump ging nicht isoliert vor, sondern vermittels einer Reihe mächtiger politischer Operateure, die dabei halfen, das Komplott mit Mitverschwörern in allen wichtigen Institutionen des kapitalistischen Staates zu koordinieren.
Über seinen Stabschef Mark Meadows hat sich Trump mit den 146 Senatoren und Kongressabgeordneten verschworen, die gegen die Bestätigung des Electoral College gestimmt haben. Durch Stephen Bannon hat sich Trump mit den faschistischen Gruppen verschworen, die ihm als Schläger dienen. Über Ginni Thomas hat sich Trump mit mehreren Richtern des Obersten Gerichtshofs verschworen. Durch die Brüder Flynn und andere rechtsextreme Militärs erhielt Trump ein Zeitfenster von 199 Minuten für seinen Putschversuch. Über Jeffrey Clark versuchte er, das Justizministerium und das FBI einzuschalten oder zumindest zu umgehen. Über Medienvertreter wie Sean Hannity verbreitete er seine Lügen über Wahlbetrug. Über seinen persönlichen Twitter-Account hetzte er den faschistischen Mob auf und gab ihm Befehle.
In der letzten Anhörung des Untersuchungsausschusses des Repräsentantenhauses vom 6. Januar sagte die ehemalige Beraterin im Weißen Haus, Cassidy Hutchinson, aus, dass Trump an diesem Tag eine bewaffnete Menge wollte und dass er ihre Forderung nach Hinrichtung des Vizepräsidenten Mike Pence billigte, weil dieser die Bestätigung des Electoral College zugelassen hatte. Hutchinson sagte weiter aus, dass Trump versucht hatte, sich selbst zum Kapitol zu begeben, um im Plenarsaal des Repräsentantenhauses eine Rede zu halten. Dort wollte er ankündigen, dass die Arbeit des Kongresses ausgesetzt worden sei und er selbst Präsident bleiben werde.
Trump wäre fast erfolgreich gewesen. Mit einer ungewöhnlich geringen Polizeipräsenz und unter Zurückhaltung der Nationalgarde gelang es dem Mob, bis auf wenige Meter an Pence heranzukommen.
Die Demokratische Partei hat keinen Versuch unternommen, sich Trumps Putsch entgegenzustellen, weder davor noch während er sich abspielte. Während des Staatsstreichs gab der damals gewählte Präsident Joe Biden eine Erklärung ab, in der er den Anführer des Staatsstreichs aufforderte, sich live im Fernsehen an die Nation zu wenden. Kein führender Demokrat hat auch nur einen Tweet abgesetzt, in dem die Verteidiger der Demokratie aufgefordert wurden, nach Washington zu kommen. In dem 2022 erschienenen Buch This Will Not Pass berichten die Reporter Jonathan Martin und Alexander Burns, dass die Demokratische Partei ein Angebot von Gewerkschaftsvertretern aus dem nahe gelegenen Philadelphia ablehnte, tausende bewaffnete Bauarbeiter zu entsenden, um den Mob in Abwesenheit des Militärs zu zerstreuen.
Die jahrelangen politischen Angriffe der Demokratischen Partei auf die demokratischen Traditionen der Amerikanischen Revolution und des Bürgerkriegs haben das demokratische Bewusstsein untergraben und Trumps Position gestärkt. Durch die unablässige Betonung von Identitätspolitik auf Grundlage der Hautfarbe oder des Geschlechts stellten die Demokratische Partei und die ihr nahestehenden Medien die bürgerlichen Revolutionäre des 18. und 19. Jahrhunderts als Rassisten und Frauenfeinde dar, deren Errungenschaften es kaum wert sind, sie zu verteidigen. Als sich Trumps Putschpläne im Jahr vor der Wahl abzeichneten, bewarb die New York Times ihr „1619 Project“, das die Amerikanische Revolution als „Aufstand der Sklavenhalter“ denunziert, dessen Hauptziel gewesen sei, die Sklaverei in den Vereinigten Staaten aufrecht zu erhalten.
Trump bezieht seine Stärke aus dem Wissen, dass sich die Demokraten vor Maßnahmen gegen ihn fürchten und beschleunigt Berichten zufolge seine Pläne, seine Kandidatur als republikanischer Präsidentschaftskandidat im Jahr 2024 zu erklären.
Das bedeutet, dass Trump für das Jahr 2024 einen weiteren Putschversuch vorbereitet. Zu diesem Zweck hat er um die Unterstützung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten geworben, der aus drei seiner eigenen Nominierten (Kavanaugh, Gorsuch, Coney Barrett) und zwei weiteren besteht, mit denen er am 6. Januar zusammengearbeitet hat (Alito, Thomas).
Der Oberste Gerichtshof verwandelt sich gerade in einen Rammbock der zügellosen politischen Reaktion und treibt das Land mit seinen Entscheidungen in Richtung diktatorischer Herrschaftsformen. Mit dem weithin unpopulären Abtreibungsverbot läutete das Gericht am 24. Juni eine neue Ära der Geschichte des Gerichts ein, deren Grundlage die Aufhebung weithin anerkannter demokratischer Rechte bildet. In den letzten Wochen hat das Gericht eine Reihe weiterer Entscheidungen im Zusammenhang mit Umweltvorschriften, Waffengewalt und polizeilichen Befugnissen erlassen, was Rechtswissenschaftler zu der Feststellung veranlasst hat, dass dies die reaktionärste Amtszeit in der Geschichte des Obersten Gerichtshofs ist.
Doch das unverhohlene Eingeständnis der Komplizenschaft des Gerichtshofs mit Trumps laufender Verschwörung fand am Donnerstag statt. Das Gericht kündigte an, dass alle sechs republikanischen Richter zugestimmt hatten, eine Klage der von den Republikanern kontrollierten Legislative des Bundesstaates North Carolina anzuhören, die das Gericht auffordert, die pseudo-legale Theorie der „unabhängigen staatlichen Legislative“ zu übernehmen.
Diese Theorie ist nichts anderes als eine substanzlose Rechtfertigung dafür, das direkte Stimmergebnis (Popular Vote) außer Kraft zu setzen. Auf der Grundlage dieser Theorie verlangten Trumps Anwälte und Mitverschwörer im Jahr 2020 von den republikanischisch dominierten Parlamenten der Bundesstaaten die Ernennung alternativer Wahlmänner und setzten die Abstimmung in ihren Staaten außer Kraft. Solche alternativen Listen wurden von Gruppen von Trump-Abgeordneten in Arizona, Georgia, Michigan, New Mexico, Nevada, Pennsylvania und Wisconsin vorgelegt. Eine Entscheidung im Sinne des Parlaments von North Carolina würde Trumps Putsch 2020 sowohl politisch als auch rechtlich legitimieren und den Weg für einen zweiten Versuch ebnen. Das Urteil wird im Frühjahr 2023 ergehen, rechtzeitig vor den Präsidentschaftswahlen 2024.
Die Reaktion der Demokratischen Partei auf die jüngsten Urteile des Obersten Gerichtshofs macht deutlich, dass sie praktisch nichts unternehmen wird, um das nach wie vor aktive Komplott zu stoppen. Letzte Woche erklärte Joe Biden öffentlich mit großem Getöse, dass er bereit sei, sich zum Schutz der Abtreibung über die parlamentarische Verschleppung (filibuster) hinwegzusetzen – nur um dann einer privaten Gruppe von Senatoren mitzuteilen, dass er diese Erklärung nur in dem Wissen abgegeben habe, dass keine Chance bestehe, dass dies tatsächlich passiere. Auf die Frage eines Reporters, warum die Demokraten nichts unternommen haben, um die Gerichte zu stoppen, antwortete Vizepräsidentin Kamala Harris: „Wovon sprechen Sie?“ Unterdessen koordinieren die Demokraten eine wachsende Inflation, eine sich verschlimmernde Pandemie – und führen einen Krieg, der zu einer nuklearen Katastrophe führen könnte. Sie verlieren an Unterstützung und bereiten sich darauf vor, bei den Zwischenwahlen die Kontrolle über den Kongress wieder an Trumps Republikaner zu übergeben.
Die Arbeiterklasse – in den USA und international – muss vor der anhaltenden Gefahr gewarnt und rechtzeitig mobilisiert werden, um diese zu stoppen. Eine solche Mobilisierung setzt voraus, dass der Kampf für Demokratie im Klassenkampf verankert wird, dass sich Arbeiter in einem Netz von kämpfenden Aktionskomitees zusammenschließen, um gegen die verheerenden Auswirkungen der Inflation und die steigenden Lebenshaltungskosten zu kämpfen und die demokratischen Rechte der gesamten Bevölkerung zu verteidigen. Es bedeutet, den Kampf für Demokratie auf den Kampf gegen das kapitalistische System zu gründen, die Oligarchie zu zerschlagen, ihren Reichtum zu beschlagnahmen, ihre Unternehmen in öffentliches Eigentum zu überführen und die Weltwirtschaft unter der demokratischen Kontrolle der internationalen Arbeiterklasse neu zu organisieren.