In den vergangenen Tagen sprach die World Socialist Web Site mit Industriearbeitern und Passanten aus dem ganzen Bundesgebiet über die von Tag zu Tag bedrohlichere Kriegsentwicklung, die Auswirkungen der galoppierenden Inflation und die internationalistische Perspektive der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), die am 24. Mai um 19 Uhr zu einer Online-Diskussionsveranstaltung „Kein Dritter Weltkrieg“ aufruft.
Wie in ganz Europa und überall auf der Welt herrscht auch in Deutschland eine weitverbreitete Stimmung, dem nationalistischen Kriegstreiben der Kapitalisten durch eine vereinte Bewegung entgegenzutreten.
Luna ist Zahntechnikerin in Dresden. Sie geht davon aus, dass die durch den Krieg ausgelösten wirtschaftlichen Verwerfungen zu revolutionären Unruhen auch in Deutschland führen werden:
„Die Inflation ist eine Katastrophe. Wer bisher noch geglaubt hat, zurechtzukommen, kann das jetzt vergessen. Viele wird das in ernste Schwierigkeiten bringen, denke ich. Was glaubt ihr, wie lange es noch so ruhig bleiben wird? Auch 1989 war es scheinbar ruhig, aber gegen Ende des Jahres kam es zu einem Massenaufstand. Ich denke nicht, dass es noch lange dauern wird.“
Luna stellt fest, dass die rechte kapitalistische Regierung der Ukraine eine erhebliche Mitverantwortung für die Schrecken des Krieges trägt. „Zu Putin kann man sicher einiges sagen – aber auch zu Selenskyj! Obwohl er überall seine Forderungen stellt, fragt er nicht ein einziges Mal nach Medikamenten – immer nur nach Waffen, Geld und noch mehr Waffen. Ich will unbedingt an der Veranstaltung teilnehmen.“
Die Dringlichkeit des Aufbaus einer Bewegung, die sich gegen den dritten Weltkrieg richtet, wird vielen Arbeitern immer stärker bewusst. Ein junger Security-Arbeiter, mit dem die WSWS in Dresden sprach, interessierte sich ebenfalls sehr für die Veranstaltung und wünschte unseren Reportern viel Erfolg. Er wolle versuchen, hinter dem Rücken seiner Firma daran teilzunehmen, da er zu der Zeit noch arbeiten müsse, sagte er.
Ein Sozialarbeiter mittleren Alters, der nach Flugblättern zur Veranstaltung fragte, um sie selbst verteilen zu können, sagte in Dresden: „Der jetzige Konflikt in der Ukraine hat bereits 2014 begonnen. Putin mit Hitler gleichzusetzen, lehne ich ab – und die deutsche Aufrüstung auch.“ Die Enteignung der Kapitalisten, die als einzige von dem Krieg profitieren, befürworte er.
Auch unter Arbeitern der deutschen Industrie wächst der Widerstand gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung und der Nato rasch an. Stahlarbeiter des ThyssenKrupp-Konzerns in Nordrhein-Westfalen sagten gegenüber unseren Reportern, sie wüssten „dass wir den Stahl für die Panzer erzeugen und dafür auch noch zahlen müssen“. Die Propaganda vom „einzigen Verursacher Putin“ sei nicht glaubwürdig und die Kriegsvorbereitungen hätten bereits vor 2014 begonnen.
Ein BMW-Arbeiter des Motorradwerkes in Berlin-Spandau reagiert auf das Flugblatt unserer Reporter mit Begeisterung und erklärt: „Genau so ist es! Die Medien versuchen, Russland alle Schuld zuzuschieben, aber das stimmt nicht. Deutschland hat schon immer von Waffenlieferungen in alle Welt profitiert, und jeder weiß, dass sie auch jetzt davon profitieren.“
Christian (25) wohnt in Potsdam und arbeitet bei Mercedes-Benz in Ludwigsfelde als Automechanik-Ingenieur. Er berichtet, dass große Mengen produzierter Fahrzeuge nicht ausgeliefert werden können, weil durch das Lieferkettenproblem einige wenige Bauteile im Betrieb nicht ankommen. Christian möchte an der Veranstaltung und weiteren Diskussionen teilnehmen und erklärt zum Ukrainekrieg:
„Man kann nicht nur einer Seite die Verantwortung geben. Wenn Putin sieht, wie die Nato immer näher an die Landesgrenzen herankommt, hat er vielleicht keine Wahl mehr gehabt. Trotzdem ist er verantwortlich für den Einmarsch in die Ukraine. Falls Putin sich zurückziehen muss – oder ‚besiegt‘ wird –, geht der Kampf um die Beute erst richtig los. Sie werden nicht mit der Eskalation aufhören, denn sie wollen den Krieg nicht beenden.“
Darauf angesprochen, dass Arbeiter in der Ukraine, in Russland und der ganzen Welt die Leidtragenden sind und einen gemeinsamen Kampf gegen die Oligarchen aller Nationen führen müssen, reagiert Christian begeistert. „Wenn überhaupt, kann es nur eine internationale Lösung geben. In meiner Umgebung leben ukrainische Arbeiter, und manche von ihnen sprechen deutsch. Wenn ich mit ihnen spreche, sehen sie auch nicht ausschließlich Russland als Aggressor, sondern sehen auch die Provokationen der anderen Seite.“
Die WSWS traf in Ludwigsfelde auch auf mehrere Arbeiter aus Syrien, die frühere Nato-Stellvertreterkriege aus eigener Erfahrung kennen und den jetzigen Krieg als eine „Katastrophe“ bezeichnen. Sie unterstützen weder die Putin-Regierung – die sie als Unterstützer des Assad-Regimes kennen – noch die Nato und zeigten sich solidarisch mit den Arbeitern in der Ukraine und in Russland, die in diesem Krieg verheizt werden.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
„Krieg ist immer schlecht“, sagt Navid, der den Aufruf der WSWS begrüßt und Kollegen ermuntert, ebenfalls Fotostatements zu setzen: „Von diesem Krieg profitiert nur der ukrainische Nationalismus, sonst niemand. Ich denke, es ist richtig, Arbeiter dagegen zu vereinen.“
Mercedes-Arbeiter Marius sagt gegenüber der WSWS: „Ich habe Kinder und bin absolut gegen diesen Krieg. So wie es jetzt läuft, können wir alle nur auf die Schnauze fliegen. Man weiß nie, wessen Interessen am Ende verfolgt und durchgesetzt werden. Deutschland hat in diesem Krieg jedenfalls nichts zu suchen.“
Mehrere Kollegen von Christian, Navid und Marius stellen fest, dass es „ein guter Gedanke“ sei, die Arbeiterklasse gegen die Kapitalisten aller Länder zu vereinen, um den Krieg zu stoppen. Einer von ihnen, der im Vorbeigehen auf die Verdreifachung des deutschen Kriegshaushalts angesprochen wird, sagt entschieden: „Das ist nicht in meinem Interesse!“ Ein anderer fügt hinzu: „Die Oberen und die Waffenindustrie profitieren vom Krieg – wie eigentlich immer, seit der Einführung des Kapitalismus.“
Michael (18), der kürzlich sein Abitur gemacht hat und in Berlin in einem Lidl-Supermarkt arbeitet, erklärt: „Die Kriegsentwicklung spitzt sich immer weiter zu und die Gefahr eines nuklearen dritten Weltkrieges ist höher als je zuvor. Es ist wichtig, dass die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt dieser Entwicklung nicht zusieht, sondern etwas dagegen unternimmt und sich gegen die Kapitalistenklasse organisiert. Genau deswegen werde ich an der Veranstaltung teilnehmen, da sie der Arbeiterklasse weltweit eine Perspektive gibt.“