Volkswagen: Verschärfte Krise trotz satter Gewinne

Auf der VW-Bilanzpressekonferenz am vergangenen Dienstag gab Vorstandschef Herbert Diess eine saftige Gewinnsteigerung bekannt. Bei der Kernmarke Volkswagen habe sich das Geschäft „nach den pandemiebedingten Ausfällen im Vorjahr“ stark erhöht. Der Gewinn habe sich mehr als verfünffacht.

Unter dem Strich stehen im Geschäftsbericht von Volkswagen 2021 rund 2,5 Milliarden Euro, im Jahr zuvor hatte der Gewinn noch bei rund 450 Millionen Euro gelegen. Der Umsatz der Hauptsparte VW-PKW legte von etwa 71,1 Milliarden auf 76,1 Milliarden Euro zu. „Wir sind voll auf Kurs, um künftige Profitpools zu erschließen,“ jubelte Konzernchef Diess. Sein Jahresgehalt – inklusive Rentenansprüche – ist auf 10,3 Millionen Euro gestiegen.

Doch der Jubel über steigende Profite hörte sich an, wie das Knallen der Sektkorken auf der sinkenden Titanic. Denn die Krise des größten europäischen Autobauers nimmt immer schärfere Formen an.

Es ist noch nicht lange her, dass Diess im vergangenen Herbst den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen im Wolfsburger-Stammwerk ankündigte. Das wäre fast jeder zweite Arbeitsplatz im größten Autowerk der Welt gewesen. Betriebsrat und IG Metall reagierten damals in heller Panik. Es sei verantwortungslos, derartige Pläne ohne ausreichende Vorabsprachen über die Medien bekannt zu geben, kritisierte Daniela Cavallo, die kurz zuvor den BR-Chefposten vom langjährigen Betriebsratsboss Bernd Osterloh übernommen hatte.

Seitdem wurde vor allem die Berichterstattung geändert. Jetzt wird viel über den Aufbau einer komplett neuen Fabrik in unmittelbarer Nähe, aber unabhängig vom Stammwerk in Wolfsburg berichtet. Für das neue Elektro-Modell, das derzeit unter dem Namen Trinity entwickelt wird und 2026 auf den Markt kommt, soll eine vollständig neue Produktionsstätte „auf der grünen Wiese“ hochgezogen werden. Vorbild ist die neue Tesla Giga-Factory im brandenburgischen Grünheide bei Berlin.

Dass mit dem Auslaufen der Verbrenner-Fahrzeuge auch eine große Zahl der Arbeitsplätze im gegenwärtigen Stammwerk „auslaufen“ und zu welchen Bedingungen Arbeiter im neuen Trinty-Werk eingestellt werden, wird den Beschäftigten erst nach und nach mitgeteilt.

Auswirkungen der Russland-Sanktionen

Die massiven Wirtschaftssanktionen, die seit dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine gegen die Regierung in Moskau und gegen die russische Wirtschaft verhängt wurden, haben auf VW und andere globale Konzerne weitgehende Auswirkungen.

Der VW-Konzern bezieht aus elf Fabriken in der Westukraine Zulieferteile, unter anderem auch Kabelbäume. Nur noch neun der Betriebe arbeiten, die meisten stark eingeschränkt. Aber nicht nur die Produktion, auch der Transport wird von Tag zu Tag schwieriger. Es gibt nur wenige Speditionen, die Kabelbäume und elektrische Bordnetze aus noch nicht umkämpften Teilen der Westukraine herausholen. In vielen VW-Werken und auch in anderen Auto-Konzernen musste die Produktion gestoppt werden, weil Teile aus der Ukraine oder aus Russland fehlen.

Auf die Frage, welche Alternativen VW habe, auf andere Zulieferer auszuweichen, antwortete Diess auf der Pressekonferenz, die ukrainische Regierung habe westliche Unternehmen gebeten, weiter zu produzieren, wenn es die Sicherheitslage zulasse. Natürlich setze Volkswagen alles daran, dass Zulieferer die Kabelstrang-Fertigung in anderen Fabriken, etwa in Nordafrika, hochfahren und damit Lieferausfälle aus der Ukraine ausgleichen. Doch das sei kurzfristig nur sehr beschränkt möglich.

Diess betonte, dass VW „wie viele andere Konzerne“ den Export von Fahrzeugen nach Russland sowie die Produktion vor Ort bis auf weiteres gestoppt habe. VW, das ein eigenes Werk sowie eine Auftragsfertigung in Russland betriebt, zahle gegenwärtig den dortigen Beschäftigten vorerst 80 Prozent des normalen Gehalts weiter. Für den VW-Konzern sei der russische Markt mit zuletzt rund 200.000 verkauften Autos wirtschaftlich nicht übermäßig bedeutsam.

Aber allein im Werk in Kaluga arbeiten rund 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das VW-Werk, etwa 170 Kilometer südwestlich von Moskau gelegen, bezieht auch Zulieferteile aus anderen europäischen Ländern. Der Krieg und die Sanktionen haben die gesamte Logistik unterbrochen. Außerdem hat der drastische Wertverlust des russischen Rubels die Kalkulation für den Teileimport aus dem Westen durcheinandergebracht.

Die russische Regierung hat angekündigt, auf die Wirtschaftsblockade und den Produktionsstopp westlicher Betriebe mit Verstaatlichung zu reagieren. Bei VW hätte das schwere Auswirkungen. Das Handelsblatt berichtet: „Die VW-Fabrik in Kaluga wäre in so einem Fall nicht mehr Teil des VW-Logistikverbundes, die Autofertigung würde dauerhaft stillstehen und die Beschäftigten wären arbeitslos.“ Bei Dienstleistern und Zulieferern würden zusätzliche Arbeitsplätze verloren gehen, Schätzungen gehen in die Zehntausende.

Besonders betroffen wäre die Stadt Kaluga mit ihren gut 300.000 Einwohnern. Um die VW-Fabrik herum ist in den vergangenen Jahren ein regelrechtes Auto-Produktionszentrum entstanden. So betreibt auch Continental dort ein eigenes Werk. Volvo und der Stellantis-Konzern sind ebenfalls mit einer Produktion vertreten.

Konzernchef Diess sagte auf der Pressekonferenz, die Auswirkungen von Sanktionen in einem internationalen Produktionsprozess seien niemals einseitig und hätten immer Rückwirkungen. Er deutete an, dass eine Ausdehnung des Kriegs verheerende Wirtschaftsfolgen hätte. Vor allem Sanktionen gegen China, weil es Russland unterstütze, könnten katastrophale Konsequenzen nach sich ziehen. Sie würden VW sehr viel stärker treffen.

China ist für VW der wichtigste Markt und ein zentraler Produktionsstandort. Die Volkswagen Group China umfasst 33 Werke in zwölf Städten mit über 100.000 Beschäftigten. Der VW-Konzern verkauft in China mehr als 40 Prozent seiner Autos. Bislang überwiesen die chinesischen VW-Joint Ventures dem Konzern jährlich 3 Milliarden Euro Gewinn. Im vergangenen Jahr sind die Absatzzahlen bereits um 8 Prozent eingebrochen. Im November schrumpften in China die Auslieferungen um 38 Prozent.

Angesichts dieser zugespitzten Situation baut VW die ohnehin enge Zusammenarbeit mit der IG Metall und dem Betriebsrat aus. In einem Gespräch mit dem Spiegel berichtete die Betriebsratsvorsitzende Cavallo, für sie beginne jede Woche damit, dass sie mit CEO Herbert Diess ein persönliches Gespräch über die anstehenden Aufgaben und Lösungen führe. „Man begegne sich auf Augenhöhe“, schreibt der Spiegel. Darüber hinaus fänden tägliche Krisengespräche zwischen Management und Betriebsrat statt.

Das ganze Interview diente dazu, die neue BR-Vorsitzende aufzuwerten und die enge Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Management zu preisen. Immer wenn Cavallo die Pläne des VW-Managements erläuterte, sprach sie von „wir“. Wer gedacht hatte, bei VW könne das inzestuöse Verhältnis zwischen Betriebsrat und Management nicht noch enger gestaltet werden, wurde eines Besseren belehrt. Der Betriebsrat identifiziert sich vollkommen mit dem Management und das Management ruft zur Wahl des Betriebsrats auf.

Die gerade zu Ende gegangene Betriebsratswahl ändert daran nichts. Zwar nahmen mehr Listen als gewöhnlich an der Wahl teil, und Cavallo war mit Opposition aus dem eigenen Hause konfrontiert. Doch der Vorwurf, der bisherige Betriebsrat vertrete die Interessen der Beschäftigten nicht konsequent, klingt aus dem Mund des ehemaligen Wolfsburger IGM-Sekretärs und VW-Betriebsrats Frank Patta nicht nur schal, sondern zynisch.

Patta und den anderen Listen geht es nicht um die Belange der Belegschaft. Diese sind nur zu verteidigen, wenn sich die Beschäftigten aller Standorte – auch international – solidarisieren und zusammen kämpfen. Doch Patta und die anderen Betriebsratskandidaten spalten die Arbeiter wie Cavallo nach Standorten. Sie sehen den Konzern von der gleichen Warte aus wie Vorstandschef Herbert Diess und sein Management. Es geht um Absatz, Auslastung, Kostenreduzierung, Rentabilität, Gewinn und Dividende – nie um Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Löhne.

Cavallo und Patta haben viele Jahre eng mit dem vorherigen Betriebsrats-Vorsitzenden Bernd Osterloh zusammengearbeitet. Cavallo wurde von ihm systematisch als seine Nachfolgerin aufgebaut. Patta wurde 2012 von Osterloh in den VW-Betriebsrat geholt, um bis 2018 als Generalsekretär und Vorsitzender des Welt- und Europakonzernbetriebsrats für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Es ist notwendig, diesen Co-Managern mit Verachtung und Ablehnung entgegenzutreten. VW-Arbeiter müssen die Verteidigung ihrer Interessen selbst in die Hand nehmen. Das können sie allerdings nur tun, wenn sie sich in Aktionskomitees zusammenschließen, die sich standort- und konzernübergreifend vernetzen. Wir rufen Autoarbeiter von VW und allen anderen Herstellern auf, solche Aktionskomitees zu bilden und mit dem Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze Kontakt aufzunehmen. Tretet unserer Facebookgruppe bei.

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