Am gestrigen Mittwoch gab Kanzler Olaf Scholz (SPD) seine erste Regierungserklärung im Bundestag ab. Sie bestätigte die Einschätzung der WSWS, dass das Programm der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP eine Kampfansage an die Arbeiterklasse ist.
Im Laufe der Rede, die Scholz im monotonen Ton eines Regierungsbeamten hielt, wurde klar, dass sein Kabinett die reaktionäre Politik der Großen Koalition in allen Bereichen – dem Sozialabbau, der inneren und äußeren Aufrüstung und der Corona-Durchseuchung – verschärfen wird.
Scholz, der unter Merkel Arbeitsminister und später Finanzminister und Vizekanzler war, begann mit der Verteidigung der bisherigen Corona-Politik. Seine Regierung werde im „Kampf gegen den Virus“ nicht nachlassen, betonte er. Hinter Plattitüden wie „Wir werden den Kampf mit größter Entschlossenheit führen“ und „Wir werden diesen Kampf gewinnen“, konzentrierte er alles auf eine Ausweitung der Impfkampagne.
Wenn alle mitmachten, sei das Ziel von 30 Millionen Impfungen bis Jahresende zu erreichen, „dann sind wir am Ende des Monats einen entscheidenden Schritt vorangekommen,“ behauptete er. Doch das ist gezielte Demagogie und Betrug.
Eine breit angelegte Impfkampagne ist zwar notwendig, aber keineswegs ausreichend, um die Bevölkerung zu schützen und das Virus zu eliminieren. Das haben Wissenschaftler in mehreren Ländern nachgewiesen. Mit der rapiden Ausbreitung der Omikron-Variante werden zusätzliche Maßnahmen, insbesondere ein umfassender Lockdown von Einzelhandel, Schulen, Kindergärten und Betrieben umso dringender.
Der Pharmakonzern Pfizer/BioNTech erklärte in der vergangenen Woche, dass die Antikörper von doppelt geimpften Personen in Vorstudien eine deutlich reduzierte Wirksamkeit zeigten. Vollständig Geimpfte weisen offenbar gegen die Omikron-Variante nicht die gleiche Menge an Antikörpern auf, wie gegen frühere Varianten, heißt es in einer Presseerklärung des Pharmakonzerns.
Scholz' Behauptung, durch eine Ausweitung der Impfkampagne bekomme „Deutschland es hin, die Welle hinter sich zu lassen“, ist also nachweislich falsch. Sie dient dazu, die Forderung der Wirtschaftsverbände umzusetzen, die seit Beginn der Pandemie einen Lockdown, der Produktion und Handel einschränken würde, strikt ablehnen, koste es was es wolle. Diese Profit-vor-Leben-Politik wird von der Scholz-Regierung verschärft.
Scholz kündigte eine harte Linie gegen eine „hasserfüllte Minderheit“ von Impfgegnern an, die er für die niedrige Impfquote verantwortlich macht. Er behauptete, „zur Wahrheit dieser Pandemie“ gehöre, dass gegenwärtig „jede und jeder Erwachsene in Deutschland längst zweifach geimpft“ und mindestens „alle besonders gefährdeten Bürgerinnen und Bürger geboostert“ sein könnten. „Dann hätten wir die Pandemie jetzt im Griff.“ Dann würden wir alle jetzt „mit unseren alten Freiheiten und unseren Familien und Freunden eine besinnliche Vorweihnachtszeit erleben“.
In Wirklichkeit sind die rechten Impf-Verweigerer eine kleine Minderheit, deren Demonstrationen und Proteste von Politik und Medien über alle Maße hochgespielt werden. Die Corona-Katastrophe, die bereits mehr als 105.000 Todesopfer gefordert hat, wurde nicht durch diesen lärmenden Haufen verursacht, sondern durch die Bundesregierung, in der Scholz Vizekanzler war.
Zur „Wahrheit dieser Pandemie“ gehört, dass die Große Koalition die Corona-Krise von Anfang an verharmlost und die Gefahr heruntergespielt, eine systematische Impfkampagne monatelang sabotiert und verweigert, die Impfzentren im September geschlossen, die „epidemische Notlage von nationaler Tragweite“ Ende November beendet und lebensrettende Shutdown-Maßnahmen verhindert hat.
Diese Politik verteidigte Scholz, als er seine Vorgängerin Angela Merkel über den Klee lobte. „Frau Dr. Merkel hat der Bundesrepublik Deutschland 16 Jahre lang in eindrucksvoller Weise als Bundeskanzlerin gedient, jederzeit orientiert an der Sache und an den Tatsachen, stets völlig uneitel und ohne Allüren, immer mit Mut und mit Klugheit, mit Pragmatismus und mit Umsicht,“ rief der Sozialdemokrat unter dem Beifall von Grünen, FDP und Linken.
Scholz ist voll des Lobes für Merkel (und sich selbst als Vize-Kanzler), weil in der Ära Merkel ein massiver Rechtsruck stattgefunden hat. Nie zuvor seit den 1930er Jahren war Deutschland sozial so tief gespalten wie heute. Während die Aktienkurse unaufhaltsam in die Höhe schießen und die Milliardäre sich hemmungslos bereichern, leben immer mehr Menschen in nackter Armut.
Noch nie haben hierzulande so Viele so lange zu Niedriglöhnen gearbeitet. Selbst ein Vollzeitjob reicht oft nicht mehr zum Leben. 2019 lebte jedes fünfte Kind und jeder sechste Einwohner Deutschlands in Armut, insgesamt 13,2 Millionen Menschen. Das war noch vor der Pandemie, die die soziale Spaltung dramatisch verschärft hat. Doch Scholz leugnete schlicht, dass es eine solche Spaltung gebe: „Viel ist ja zurzeit von der angeblichen Spaltung unserer Gesellschaft die Rede. Dazu stelle ich fest: Unsere Gesellschaft ist nicht gespalten.“
Um den zunehmenden sozialen Widerstand zu unterdrücken, kündigte Scholz eine massive Aufrüstung der Polizei an. „Wer bei der Polizei oder beim Zoll, bei Sicherheitsbehörden oder Ordnungsämtern arbeitet, verdient unseren Respekt, meine Damen und Herren,“ rief er. „Im Namen der gesamten Bundesregierung danke ich allen, die Tag und Nacht auf der Straße und in schwierigen Situationen die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und die Ordnung unseres Gemeinwesens gewährleisten.“
Diese Anerkennung müsse „auch Hand und Fuß haben“, so Scholz: „Darum werden wir für die gute Personal- und Sachausstattung der Bundespolizei sorgen und diese als Dienstherr attraktiver machen.“
Auch der außenpolitische Teil seiner Rede knüpfte nahtlos an die Politik der Regierung Merkel an, die sich seit Jahren bemüht hatte, Deutschland zu einer politischen und militärischen Großmacht zu entwickeln.
Damit „Europa handlungsfähiger wird“, will Scholz in der EU Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit zur Regel machen, „auch auf den Gebieten, wo das heute nicht der Fall ist“. Das würde Deutschland in die Lage versetzen, anderen EU-Mitgliedern seinen Willen aufzuzwingen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Festung Europa will Scholz weiter ausbauen und noch stärker als bisher gegen Flüchtlinge abschotten. „Gerade habe ich mit dem polnischen Ministerpräsidenten über die Lage an der Grenze zu Belarus gesprochen und ihm unsere Solidarität versichert,“ berichtete er. „Grenzen müssen unantastbar bleiben, und der zynische Missbrauch von Geflüchteten für hybride Attacken auf unsere östlichen Nachbarn muss aufhören; das werden wir beim Europäischen Rat morgen noch einmal bekräftigen.“
Der neue Bundeskanzler bekannte sich nachdrücklich zur Stärkung der Nato und einer entsprechenden Aufrüstung der Bundeswehr. Auf dem EU-Gipfel, der am heutigen Donnerstag in Brüssel beginnt, wolle man „erstmals über ein neues sicherheitspolitisches Grundlagendokument sprechen, den sogenannten strategischen Kompass“. Deutschland werde sich aktiv an dieser Diskussion beteiligen und investieren, um „die Nato-Fähigkeitsziele zu erreichen“.
Wie schon Merkel und die neue Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen drohte auch Scholz Russland. „Lassen Sie mich – sollten es noch nicht alle verstanden haben – hier wiederholen, was meine Amtsvorgängerin gesagt hat,“ sagte Scholz. „Jede Verletzung territorialer Integrität wird einen hohen Preis haben.“ Außenministerin Baerbock wies am selben Tag zwei russische Diplomaten aus Deutschland aus.
Gleichzeitig forderte Scholz Moskau zum „konstruktiven Dialog“ auf. „Das darf aber nicht missverstanden werden als eine neue deutsche Ostpolitik,“ fügte er hinzu. Die Ostpolitik von Willy Brandt hatte Anfang der 1970er Jahre die „Entspannung“ mit der Sowjetunion eingeleitet. Scholz beschuldigte Russland, es habe mit der Annexion der Krim die Prinzipien des Völkerrechts und der europäischen Friedensordnung schwerwiegend verletzt.
Auch gegenüber China wollten Deutschland und Europa ihre Interessen „selbstbewusst und engagiert vertreten“, fuhr Scholz fort. Man werde die „Augen nicht verschließen vor der kritischen Menschenrechtslage und Verstöße gegen universelle Normen beim Namen nennen“.
Scholz bot China „einen fairen wirtschaftlichen Wettbewerb zu beiderseitigem Nutzen an, mit gleichen Spielregeln für alle“ und drohte gleichzeitig, die Muskeln spielen zu lassen: „Wir nutzen die Stärke eines geeinten Europas und des Binnenmarkts, um für faire Wettbewerbsbedingungen für unsere Unternehmen einzutreten und auch global den Wettbewerb aufzunehmen.“ Wichtigster Partner seien hierbei die Vereinigten Staaten, die – was Scholz nicht sagte – einen Krieg gegen China vorbereiten.
Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) ist die einzige Partei, die der Ampel mit einem sozialistischen Programm entgegentritt. In ihrer Parteitagsresolution von Ende November heißt es:
Die Arbeiterklasse wird unweigerlich in Konflikt mit der Ampel und allen Bundestagsparteien geraten. Die SGP hat die Arbeiterklasse auf diese Auseinandersetzung politisch vorbereitet. Im Wahlkampf sind wir der Allparteienkoalition entschieden entgegengetreten und haben als einzige Partei für ein internationales, sozialistisches Programm gekämpft.
In unserem Wahlaufruf haben wir betont: „Kein gesellschaftliches Problem kann gelöst werden, ohne die Banken und Konzerne zu enteignen und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse zu stellen. Ihre Gewinne und Vermögen müssen beschlagnahmt und die Billionen, die ihnen im letzten Jahr zur Verfügung gestellt wurden, zurückgeholt werden. Die Weltwirtschaft muss auf der Grundlage eines wissenschaftlichen und rationalen Plans neu organisiert werden.
Im Konflikt der Arbeiterklasse mit der Ampel, der sich unweigerlich anbahnt, gewinnt dieses Programm entscheidende Bedeutung.