Trotz Omikron und Massensterben

Bund und Länder setzen „Profite vor Leben“-Politik fort

„Die aktuelle Entwicklung ist weiter sehr besorgniserregend, die Zahl weiterer schwerer Erkrankungen und Todesfälle wird weiterhin zunehmen und die verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten werden regional überschritten werden. Nur durch eine Intensivierung der kontakt-beschränkenden Maßnahmen und rasche Erhöhung der Impfraten kann die Situation verbessert werden.“ So beschreibt das Robert Koch-Institut (RKI) die aktuelle Corona-Situation in seinem aktuellen Wochenbericht.

Täglich infizieren sich im Schnitt zwischen 50.000 und 60.000 Menschen neu mit dem Virus – mehr als doppelt so viele, wie zu Höchstzeiten der zweiten Welle im vergangenen Winter. Am Freitag meldete das RKI sogar über 70.000 Fälle binnen 24 Stunden. Auch die Zahl der Todesfälle liegt mit um die 500 am Tag auf einem katastrophal hohen Niveau und stieg am Freitag auf insgesamt 105.000 Corona-Tote allein in Deutschland.

Sarg mit einem Corona-Toten in einem Krematorium in Meissen (AP Photo/Markus Schreiber)

Besonders dramatisch ist die Situation an den Krankenhäusern. Die Zahl der intensiv behandelten Corona-Patienten steigt weiter und liegt mittlerweile bei knapp 4.900. Seit Mitte Oktober hat sich diese Zahl mehr als verdreifacht und die deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnt bereits, dass der Höchstwert der zweiten Welle von 5.762 wieder erreicht wird.

Dabei sind bereits jetzt weniger Intensivbetten frei als zu jedem anderen Zeitpunkt der Pandemie. Der Anteil freier Intensivbetten liegt im Bundesdurchschnitt bei nur zehn Prozent, was als Grenzlinie der Reaktionsfähigkeit der Kliniken gilt. Regional sind Kliniken bereits jetzt überlastet. Mehr als 75 Prozent der planbaren Operationen müssen verschoben werden (dazu zählen auch Krebs-OPs) und Corona-Patienten müssen in Krankenhäuser in anderen Bundesländern verlegt werden.

Die Situation bereite ihm Sorgen insbesondere mit Blick auf die Omikron-Variante, warnte der Intensivmediziner und wissenschaftliche Leiter des Divi-Intensivregisters Christian Karagiannidis gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Im Intensivregister waren am Mittwochnachmittag nur noch 921 verfügbare Intensivbetten spezifisch für Covid-19 ausgewiesen.

Ein zentraler Treiber des Infektionsgeschehens sind die Schulen. Die 7-Tage Inzidenz unter den 5- bis 14-Jährigen liegt aktuell bei 1.100. Das heißt, dass sich jede Woche mehr als ein Prozent der Schüler dieser Altersgruppe neu infiziert. Nach Angaben der Kultusministerkonferenz sind aktuell 103.000 Schüler infiziert – mehr als vier mal so viele, wie vor einem Monat. Einer von 40 Schülern war in der vergangenen Woche durch eigene Infektion oder Quarantänemaßnahmen betroffen. Zudem gab es 7.700 Corona- und 4.000 Quarantäne-Fälle bei Lehrkräften. Auch diese Zahl hat sich in einem Monat mehr als vervierfacht.

Umso gefährlicher ist die Situation, da die noch infektiösere Omikron-Variante, die sich weltweit ausbreitet, mittlerweile auch bei Schülern in Deutschland festgestellt wurde. Am Mittwoch wurden an einem Düsseldorfer Gymnasium acht Corona-Fälle gemeldet, wovon bei einem die Omikron-Variante bestätigt wurde. Knapp 50 Kilometer entfernt in Dinslaken wurde ein weiterer Fall bei einem Schüler bestätigt. Im Kreis Kleve mussten zwei Kinder nach einer Infektion mit der Variante ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Alle bislang verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse über Omikron weisen darauf hin, dass es sich um keine „milde“, sondern eine hochansteckende und aggressive Variante handelt. Angesichts schwerer Verläufe mit der Omikron-Variante bei Kindern in Südafrika sei zu befürchten, dass Omikron „nicht harmlos“ ist, warnte der Virologe Christian Drosten am Dienstag bei NDR-Info. „Es könnte sein, dass die Krankheitsschwere nicht nur nicht verringert ist. Es könnte sogar sein, dass sie erschwert wird, die Krankheitsschwere.“

Die Variante habe die „blödeste Kombination“ an Eigenschaften: Immunflucht und Fitnessgewinn – also eine Variante, die den Antikörpern von Geimpften und Genesenen besser entkommt und gleichzeitig ansteckender ist. Die Variante verbreite sich so schnell, dass sie schon ab Januar „unser Problem“ sein werde, so Drosten.

Welche Gefahren von dieser Situation ausgehen, wissen auch die Regierungen, die für die aktuelle Situation verantwortlich sind. Am Mittwoch erklärte der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): „Wir müssen davon ausgehen, dass gerade die Omikron-Variante für Kinder besonders bedrohlich ist – das ist leider so – dass die Omikron-Variante sich nicht nur schneller verbreitet, sondern leider auch Kinder stärker befällt und somit auch zu mehr Krankenhauseinweisungen führen wird.“

Die dramatische Situation und Lauterbachs eigene Aussagen unterstreichen, wie dringend ein harter Lockdown ist, um das Infektionsgeschehen einzudämmen und das Massensterben zu beenden. Die herrschende Klasse lehnt jedoch alle Maßnahmen ab, die in irgendeiner Weise die Profite der großen Unternehmen und der Aktienmärkte gefährden. Die erste Maßnahme der Ampelparteien – noch bevor sie offiziell die Regierungsgeschäfte übernahmen – war die Beendigung der „epidemischen Notlage“ und damit der rechtlichen Grundlage für die notwendigen Maßnahmen. Auch Lauterbach selbst stimmte für die Aufhebung und sprach sich seitdem immer wieder gegen die Schließung von Schulen und Betrieben aus.

Das ist die Maxime aller Bundestags- und Regierungsparteien. Das Bund-Länder-Treffen vom 9. Dezember beschloss keinerlei neue Schutzmaßnahmen und verständigte sich lediglich darauf, die Situation weiter zu evaluieren. Die Kultusministerkonferenz (KMK) sprach sich am Freitag explizit für das Offenhalten der Schulen und Hochschulen aus. „Für die Kultusministerinnen und Kultusminister der Länder hat der kontinuierliche Präsenzunterricht an den Schulen… weiterhin höchste Priorität“, heißt es im offiziellen Beschlussdokument der KMK. Das gleiche gelte für die „Präsenzangebote“ an den Hochschulen.

Auch die jüngsten „Nachbesserungen“ am Infektionsschutzgesetz, die am Freitag im Bundestag verabschiedet wurden, dienen nicht ansatzweise dazu, die Pandemie signifikant einzudämmen. Neben den Betrieben und Schulen dürfen auch Fitnesscenter, Schwimmhallen und Fußballstadien mit bis zu 15.000 Zuschauern ganz unabhängig von der Inzidenz geöffnet bleiben. Lediglich Restaurants, Bars und Clubs sollen durch das novellierte Gesetz wieder geschlossen werden können.

Der Fokus der Maßnahmen liegt auf dem Impfen. So gilt ab Mitte März eine Impfpflicht für das Personal im Gesundheitswesen. Das Impfen ist ein wichtiges Werkzeug zur Bekämpfung der Pandemie und kann, als Teil einer Strategie zur Ausrottung des Virus, große Auswirkungen haben. Als Teil der aktuellen „Profite vor Leben“-Politik kann es jedoch keinen nennenswerten Effekt erzielen, um die Pandemie einzudämmen.

Und das aus einer Reihe von Gründen. Zunächst ist die Ankündigung der Regierung, die Impfkampagne zu beschleunigen, eine einzige Farce. Tatsächlich sind in Deutschland weniger als 70 Prozent zweimal geimpft und damit fast 25 Millionen Menschen ohne jeden Schutz. Erst 18,7 Prozent oder 15.555.364 Menschen erhielten die dringend notwendige Auffrischungsimpfung. Millionen Menschen, die sich verzweifelt um einen Impftermin bemühen, werden auf Grund der unzureichenden Kapazitäten auf Januar oder Februar vertröstet.

Auch die beschlossene Impfpflicht im Gesundheitswesen kommt so spät, dass sie kein Mittel zur Eindämmung der aktuell grassierenden vierten Welle der Pandemie sein wird. Hinzu kommt, dass eine Strategie, die ausschließlich auf das Impfen setzt, die Entstehung neuer, noch ansteckenderer Viren-Mutationen heraufbeschwört. Bereits bei Omikron ist eine dritte Booster-Impfung und eine Anpassung der Impfstoffe notwendig. Hat das Virus freien Lauf, ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine weitere Mutation den Impfschutz komplett aushebeln wird.

Trotzdem wird die „Profite vor Leben“-Politik, die bereits Zehntausende von Menschenleben in Deutschland gekostet hat und viele weitere bedroht, von allen Regierungsparteien und den Gewerkschaften unterstützt und umgesetzt. Sie entspricht im Kern der Agenda der rechtsextremen AfD, die seit langem die Aufhebung der „epidemischen Notlage“ und das Ende aller Lockdownmaßnahmen gefordert hat. Bezeichnenderweise überlassen ihr die etablierten Parteien die Leitung des Gesundheitsausschusses im neuen Bundestag.

Die gefährliche Entwicklung unterstreicht, dass Arbeiter und Jugendliche selbst ins Geschehen eingreifen müssen, um die Pandemie zu bekämpfen. Das Treffen des Netzwerks der Aktionskomitees für sichere Bildung am Mittwoch hat gezeigt, wie der Widerstand gegen die katastrophalen Konsequenzen der offiziellen Corona-Politik wächst. Entscheidend ist nun der Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees in Schulen und Betrieben, die den Kampf für sichere Arbeitsplätze und Bildung und die globale Eliminierung von Covid-19 umsetzen. Dabei müssen die Maßnahmen im Vordergrund stehen, die die WSWS in einer aktuellen Erklärung formuliert hat:

  • Die gesamte nicht-lebensnotwendige Produktion muss sofort eingestellt werden, bis das Coronavirus unter Kontrolle ist. Arbeiter müssen weiterhin ihren Lohn erhalten und – sofern möglich – von zu Hause arbeiten. Sollte das nicht möglich sein, müssen sie eine vollständige Lohnfortzahlung erhalten.
  • Kleine und mittlere Unternehmen sowie Dienstleister müssen eine vollständige Erstattung ihrer Verdienstausfälle erhalten, die durch die vorübergehende Stilllegung der nicht-essentiellen Produktion entstehen.
  • Schließung von Schulen und Unterricht in digitaler Form. Es müssen Milliarden bereitgestellt werden, um jedem Kind und jedem Jugendlichen einen modernen Laptop, Hochgeschwindigkeitsinternet sowie eine sichere und komfortable Lernumgebung zu Hause zu ermöglichen.
  • Das öffentliche Gesundheitssystem muss massiv ausgebaut und mit zehntausenden neuen Kräften gestärkt werden. Jeder, der sich mit dem Coronavirus infiziert hat oder diesem ausgesetzt ist, muss Zugang zu medizinischer Versorgung haben, um die Symptome zu überwachen und sicher in Quarantäne gehen zu können.
  • Es müssen Milliarden bereitgestellt werden, um ein weltweites Impfprogramm einzurichten. Die Verteilung des Impfstoffes muss von Wissenschaftlern und Experten des öffentlichen Gesundheitswesens durchgeführt werden, die dem Auftrag unterstehen, die gesamte Weltbevölkerung zu schützen.
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