Gestern wurde Olaf Scholz mit den Stimmen von SPD, FDP und Grünen zum neuen Bundeskanzler gewählt. Er tritt damit die Nachfolge von Angela Merkel (CDU) an, die das Amt seit 2005 innehatte und mit stehenden Ovationen verabschiedet wurde. Bezeichnenderweise applaudierte auch die Linksfraktion. Wie alle anderen Bundestagsparteien und die Gewerkschaften hat sie Merkels rechte politische Agenda loyal unterstützt.
Scholz und die Ampel werden die Politik des Sozialkahlschlags, der inneren und äußeren Aufrüstung und der Durchseuchungspolitik in der Pandemie aggressiv fortsetzen. Darüber können weder die Blumen der Linkspartei für Scholz noch die Phrasen über eine angebliche „Fortschrittsregierung“ oder ein „Revival der Linken in Europa“ (New York Times) hinwegtäuschen.
Olaf Scholz ist ein rechter bürgerlicher Politiker und personifiziert wie kaum ein anderer die arbeiterfeindliche und militaristische Agenda der vergangenen Jahre. Unter seiner Ägide als Finanzminister wurde der Militärhaushalt um etwa zehn Milliarden Euro erhöht, und im Rahmen der sogenannten Corona-Notpakete wurden hunderte Milliarden den Superreichen, Großunternehmen und Banken ausgehändigt. Die „Profite vor Leben“-Politik, die allein in Deutschland mehr als 100.000 Coronaopfer das Leben gekostet hat, trägt seine Handschrift.
In der Sozial- und Innenpolitik steht Scholz seit jeher für einen strammen Law-and-Order-Kurs. Als Hamburger Innensenator führte er 2001 die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln zur Beweissicherung bei mutmaßlichen Drogendealern ein – eine Maßnahme, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte später als Foltermethode und daher als menschenrechtswidrig verurteilte.
Ab 2002 spielte Scholz dann als SPD-Generalsekretär eine zentrale Rolle bei der arbeiterfeindlichen Agenda-Politik der Schröder-Fischer-Regierung, die Millionen Arbeiter und ihre Familien in bittere Armut stürzte. Anschließend organisierte er als Arbeitsminister im ersten Kabinett Merkel die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre.
Besonders berüchtigt war sein brutales Vorgehen als Erster Bürgermeister von Hamburg gegen die G20-Demonstrationen im Sommer 2017. In einem der größten Polizeiaufmärsche der Nachkriegsgeschichte mobilisierte er über 20.000 Polizisten aus dem ganzen Land, die die Hansestadt in einen regelrechten Polizeistaat verwandelten und brutal gegen die mehrheitlich friedlichen Demonstranten vorgingen. Hunderte jugendliche Demonstranten aus ganz Europa, die nichts anderes taten, als von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch zu machen, werden bis heute juristisch verfolgt und erhielten teilweise drakonische Strafen.
Der Koalitionsvertrag, den die Ampel-Koalitionäre am Montag unterzeichneten, und Scholz‘ Kabinett entsprechen diesem reaktionären Programm. Die World Socialist Web Site hat die Koalition aus SPD, Grünen und FDP bereits in früheren Artikeln als Bündnis von Staat, Finanzkapital und wohlhabenden Mittelschichten gegen die Arbeiterklasse bezeichnet. Die Ministerriege, die gestern von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) ernannt wurde, repräsentiert diese reaktionäre Allianz.
Neuer Finanzminister und damit Nachfolger von Scholz wird der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. Der Führer der verhassten neoliberalen Partei, die als unverblümtes Sprachrohr der Wirtschaft und der Finanzmärkte fungiert, übernimmt die Aufgabe, eine neue Runde von sozialen Angriffen zu überwachen. In ihrem Koalitionsvertrag haben sich die Ampel-Koalitionäre darauf verpflichtet, „die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland [zu] erhöhen“ und die Schuldenbremse zu reaktivieren.
Dabei werden Lindner und die Ampel eng mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten. Der DGB war direkt an der Ausarbeitung des Koalitionsvertrags beteiligt und der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann hatte schon während der Sondierungsgespräche Lobeshymnen auf Lindner und die FDP angestimmt. „Die FDP mit Christian Lindner“ sei „eine andere als die FDP mit Guido Westerwelle und Philipp Rösler“, behauptete er. Ein „Bundesminister Christian Lindner könnte dafür sorgen“, den „Industriestandort Deutschland zu sichern“.
Mit Marco Buschmann übernimmt ein weiterer rechter FDP-Vertreter das Justizministerium. Er ist offener Befürworter der Durchseuchungspolitik. Als die Ampel im November die „epidemische Notlage“ offiziell beendete, jubelte er auf Twitter: „Wir haben Maßnahmen wie Lockdowns, pauschale Schul- und Betriebsschließungen oder Ausgangssperren aus dem Gesetz gestrichen. Diese können nicht mehr angewendet werden.“
Die Ernennung von Karl Lauterbach (SPD) zum neuen Gesundheitsminister hat die WSWS bereits kommentiert. Der zugelassene Arzt und Experte für Epidemiologie ist das Feigenblatt für die aggressive „Profite vor Leben“-Politik, die Lauterbach trotz seiner wiederholten öffentlichen Warnungen voll mitträgt. Im November stimmte er im Bundestag für die Beendigung der „epidemischen Notlage“. Nach seiner Ernennung zum Minister schloss er unmittelbar notwendige Lockdown-Maßnahmen explizit aus.
Mit der Sozialdemokratin Christine Lamprecht zieht die bisherige Justizministerin als neue Verteidigungsministerin ins Kabinett Scholz ein. Bereits bei ihrer Vorstellung am Montag ließ sie keine Zweifel daran, dass unter ihrer Ägide die Rückkehr des deutschen Militarismus weiter vorangetrieben wird. „Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben es verdient, dass wir ihnen mit Anerkennung und mit Respekt begegnen, und ich möchte da ausdrücklich die Reservisten mit einbeziehen“, erklärte sie. Wichtig sei eine entsprechende Ausstattung, wofür das Beschaffungswesen modernisiert werden müsse.
Die Grünen werden mit ihren beiden Parteivorsitzenden Robert Habeck (Vizekanzler und Minister für Wirtschaft und Klimaschutz) und Annalena Baerbock (Außenministerin) eine zentrale Rolle dabei spielen, die rechte und militaristische Ausrichtung der neuen Regierung voranzutreiben. Baerbock stellte bereits vor ihrer Ernennung in einem Interview mit der taz klar, dass das Auswärtige Amt unter ihrer Führung den US-Kriegskurs gegen China und Russland voll unterstützen wird. Sie stellte sich explizit hinter die nukleare Teilhabe und forderte die Beschaffung neuer atomwaffenfähiger Kampfflugzeuge für die Bundeswehr.
Die restlichen Minister und Ministerinnen – Hubertus Heil (SPD), Arbeit und Soziales; Nancy Faeser (SPD), Inneres und Heimat; Cem Özdemir (Grüne), Landwirtschaft; Anne Spiegel (Grüne), Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Volker Wissing (FDP), Digitales und Verkehr; Steffi Lemke (Grüne), Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz; Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bildung und Forschung; Svenja Schulze (SPD), Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; Klara Geywitz (SPD), Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und Wolfgang Schmidt (SPD) als Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Kanzleramtes – passen in dieses Bild. Die WSWS wird in den nächsten Tagen weitere Portraits veröffentlichen.
Vor vier Jahren machte die Große Koalition die AfD zur offiziellen Oppositionsführerin. Anschließend übernahm sie weitgehend das Programm der extremen Rechten und integrierte sie in die parlamentarische Arbeit. Dieser Prozess schreitet unter der Ampel weiter voran. Die etablierten Parteien überlassen der AfD vier Bundestagsausschüsse, darunter den wichtigen Innenausschuss und den Gesundheitsausschuss.
Arbeiter und Jugendliche müssen das als Warnung verstehen. Um die Durchseuchungspolitik fortzusetzen und die wachsende Opposition zu unterdrücken, stärkt die Ampel bewusst rechte und faschistische Kräfte. Dabei kann sie sich auch auf die Unterstützung der Linkspartei verlassen. Der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch überreichte Scholz nach seiner Wahl Blumen und schrieb auf Twitter: „Ich wünsche #Bundeskanzler Olaf Scholz und seinem Kabinett kluge Entscheidungen für die Menschen in unserem Land.“
Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) ist die einzige Partei, die der Ampel von links mit einem sozialistischen Programm entgegentritt. Ende November hielt sie ihren Parteitag ab und verabschiedete eine wichtige Resolution mit dem Titel „Die Covid-19 Pandemie, die Rückkehr des Klassenkampfs und die Aufgaben der Sozialistischen Gleichheitspartei“. Darin heißt es:
Die Arbeiterklasse wird unweigerlich in Konflikt mit der Ampel und allen Bundestagsparteien geraten. Die SGP hat die Arbeiterklasse auf diese Auseinandersetzung politisch vorbereitet. Im Wahlkampf sind wir der Allparteienkoalition entschieden entgegengetreten und haben als einzige Partei für ein internationales, sozialistisches Programm gekämpft.
In unserem Wahlaufruf haben wir betont: „Kein gesellschaftliches Problem kann gelöst werden, ohne die Banken und Konzerne zu enteignen und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse zu stellen. Ihre Gewinne und Vermögen müssen beschlagnahmt und die Billionen, die ihnen im letzten Jahr zur Verfügung gestellt wurden, zurückgeholt werden. Die Weltwirtschaft muss auf der Grundlage eines wissenschaftlichen und rationalen Plans neu organisiert werden.“
Nach der Amtsübernahme von Scholz und der Ampel ist dieses Programm von entscheidender Bedeutung.
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