Am 27. Oktober 2021 wurden die Klagen von Youssef Al Bacheri und Cemaleddin Benli vor dem Arbeitsgericht Frankfurt verhandelt. Beide Kläger sind langjährige Flughafenarbeiter, die der Dienstleister WISAG im Dezember 2020 entlassen hat. Schon am 6. Januar 2021 hatten sie Klage eingereicht. Jetzt – fast zehn Monate später – kamen die Klagen in erster Instanz zur Verhandlung – und wurden prompt abgewiesen.
Der Fall ist ein wichtiges Lehrstück für alle Flughafenarbeiter. Er zeigt exemplarisch, wie skrupellose Konzerne nicht nur mit der Gewerkschaftsbürokratie, der Regierung und den Medien, sondern auch mit der Justiz zusammenarbeiten, um Arbeitsplätze, Löhne und Errungenschaften zu schleifen.
Das WISAG-Imperium mit rund 50.000 Beschäftigten, das dem Frankfurter Oligarchen und Milliardär Claus Wisser (SPD) und seinem Sohn gehört, hat schon in Berlin über Schein-, Leih- und Tochterfirmen brutales Lohndumping betrieben. Vor vier Jahren hat es die Acciona-Bodendienste am Rhein-Main-Flughafen übernommen. Dort hat es die Pandemie genutzt, um Hunderte langgediente Fachkräfte rauszuwerfen und durch billigere Leiharbeiter zu ersetzen. Gleichzeitig werden die Bedingungen für die verbliebenen Arbeiter systematisch verschlechtert. So kam es letzten Freitag zu einem Warnstreik gegen die Halbierung der Sonntagszuschläge für WISAG-Flughafenarbeiter.
In der Verhandlung vom 27. Oktober traten die zwei entlassenen WISAG-Arbeiter Al Bacheri und Benli mit starken Argumenten auf und kämpften für ihr Recht auf Arbeit, während der Vorsitzende Richter und die WISAG-Vertreter sich die Argumente wie Bälle zuspielten.
Den Vorsitz führte Benjamin Borschel, der erst seit sechs Monaten Richter am Arbeitsgericht ist. Für WISAG saß Geschäftsführer Holger Kube im Saal, den die Arbeiter als „rechte Hand von Michael Wisser“ bezeichnen, an seiner Seite Wirtschaftsanwalt Pfeiffer von der Kanzlei Schweibert Leßmann & Partner. Die Kanzlei ist für die „arbeitsrechtliche Begleitung großvolumiger Transaktionen“ bekannt; anders ausgedrückt: Ihre Anwälte liefern den großen Konzernen die juristischen Spitzfindigkeiten, wenn es um Massenentlassungen und andere Angriffe auf die Arbeiter geht.
Von Anfang an führte Richter Borschel die Argumente der Unternehmensseite ins Feld. Er erklärte, dass die Beklagte (WISAG) nun mal beschlossen habe, die Arbeitsbereiche neu zu organisieren, und dass sie dazu eine neue Software zur automatischen Steuerung eingeführt habe, wodurch weniger Mitarbeiter erforderlich seien.
Von der Pandemie als Grund für die Entlassungen war praktisch nicht mehr die Rede, vermutlich weil der Flughafen längst wieder auf Hochtouren läuft. Noch kurz vor der Entlassungswelle im letzten Dezember hatte die WISAG-Geschäftsleitung ihre Entscheidungen ausschließlich mit der Pandemie begründet. Am 11. August 2020 hatte sie über die „massiven Auswirkungen der Pandemie auf den Flugverkehr und damit auch auf die WGS [WISAG Ground Service]“ geschrieben und angekündigt, ihren Personalbestand auf 60 Prozent zu reduzieren.
Jetzt dagegen wurde zur Begründung des Personalabbaus die neue Software angeführt. Wirtschaftsanwalt Pfeiffer behauptete, mit Hilfe einer automatischen Steuerung sei die Arbeit im ACC (Area Control Center) und an der Rampe völlig neu organisiert worden. Geschäftsführer Holger Kube brüstete sich, dass mit dem neuen System bis zu 60 Prozent der Tätigkeiten der Mitarbeiter in den WISAG-Betrieben am Flughafen eingespart werden könnten.
Dagegen wandte Klägeranwalt Thilo Allwardt ein, die Gegenseite habe anfangs zur Einführung der neuen Software „vorgetragen, dass die Einführung dieses neuen Systems zu keiner Entlassung führen werde. Aber Arbeiter wurden entlassen, und andere machen stattdessen Überstunden.“
Cemaleddin Benli meldete sich zu Wort und erklärte, dass er seit 37 Jahren am Flughafen arbeite: „Ich habe diese Firma seit 22 Jahren mit aufgebaut, lange bevor WISAG kam.“ Er fügte hinzu: „Ich kenne die Software, sie wurde schon 2019 eingeführt, hat aber nie richtig funktioniert, sondern verursacht bis heute Probleme. Die Mitarbeiter greifen auf ihre privaten Handys, auf Papier und Bleistift zurück und sorgen dafür, dass der Ablauf funktioniert.“
Dem widersprach die Manager-Seite, und Anwalt Pfeiffer beschuldigte die Arbeiter: „Viele Mitarbeiter haben sich gegen das System gesträubt.“ – „Aber jetzt funktioniert es immer besser“, ergänzte Geschäftsführer Kube. Der Beweis dafür sei, dass auch während der verkehrsreichen Monate Juli und August es trotz eines hohen Krankenstandes nur zu fünf Prozent Überstunden gekommen sei.
Ganz nebenbei war so zu vernehmen, dass die Krankheitsquote derzeit bei 28 Prozent der Beschäftigten liegt. In den arbeitsreichen Sommermonaten seien drei von vier Arbeitern krank gewesen. Damit lieferte Kube ungewollt ein weiteres drastisches Bild für die Schinderei, die bei WISAG am Flughafen vorherrscht.
Es war Benli, der die Arbeitsbedingungen konkreter schilderte. Er wies darauf hin, dass es oftmals darum gehe, nicht bloß Cargo-Maschinen sondern auch PAX-Maschinen zu beladen. Das bedeutet: Frachtstücke in Passagiermaschinen sicher zu verladen. „Das kann eine Person allein unmöglich stemmen.“
Als Kube behauptete, dass das heute zwei Beschäftigte pro Schicht alleine schaffen würden, wies Benli darauf hin, dass sie nicht nur Überstunden machen, sondern WISAG zusätzlich mehrere Leihfirmen eingesetzt hat.
Empört warf Kube ein: „Gerade unter den Leiharbeitern war der Krankenstand hoch!“ Darauf Benli: „Das ist doch klar: Ein Lademeister geht mit einem Leiharbeiter raus und muss um die 200 Koffer und Gepäckstücke bewältigen. Natürlich ist der Mann am nächsten Tag kaputt.“
Youssef Al Bacheri hörte sich die ganze Verhandlung ruhig an, meldete sich gegen Ende zu Wort und sagte: „Ich bin entsetzt und schockiert. Das stimmt ja alles nicht, was hier behauptet wird.“ Zu der neuen Software sagte er: „Auf dem Papier sieht es vielleicht schön aus, aber in der Realität funktioniert es nicht.“
Im Versuch, die Belastungen seiner Arbeit bei Wind und Wetter deutlich zu machen, sagte Al Bacheri: „Als Ramp Controller habe ich zu 80 Prozent im Außendienst gearbeitet, während der Supervisor noch nie mit mir draußen aktiv war.“ Es wäre leicht möglich gewesen, ihm eine andere Tätigkeit im Betrieb anzubieten, anstatt ihn zu entlassen. „Ich habe einen Vertrag als Flugzeugabfertiger und habe zusätzlich den Schein für Ramp Controlling gemacht. Warum wurde mir keine Tätigkeit als Abfertiger angeboten?“
Benli bestätigte: „WISAG hat 50.000 Mitarbeiter. Warum haben sie uns nicht in andere Tätigkeitsfelder versetzt, solange die Flaute war, so dass wir jetzt wieder eingesetzt werden können?“ Er fügte hinzu: „Jedes Haus hat tragende Wände, und wir, die erfahrenen Arbeiter, waren die tragenden Wände dieser Firma. Uns rauszuschmeißen war der größte Fehler, den WISAG gemacht hat.“
Zuletzt versuchte der WISAG-Rechtsanwalt noch, sich hinter dem Betriebsrat zu verschanzen: „Es wurde ja mit dem Betriebsrat ein Sozialplan ausgearbeitet.“ Darauf entgegnete spontan Al Bacheri: „Über den Betriebsrat brauchen wir überhaupt nicht zu sprechen. Der Betriebsrat steckt mit der Geschäftsleitung unter einer Decke.“
Darauf wandte sich der Richter direkt an einen Kläger und sagte: „Herr Benli, ich habe viele WISAG-Verfahren. Ich sehe, dass Sie sich wirklich in der Firma sehr gut auskennen. Aber die Aufgabe dieser Kammer ist es, die rechtliche Seite zu würdigen.“ Die Beklagte habe vorgebracht, dass sie den Betrieb einschränken möchte. Das sei eine „unternehmerische Entscheidung“. Kurz darauf war die Sitzung beendet.
Ganz ähnlich hatten schon die Politiker der Landesregierung in Wiesbaden argumentiert, die als Anteilseigner des Rhein-Main-Flughafens die Aufsichtspflicht hat. Die Arbeiter hatten 1000 Unterschriften für ihre Wiedereinstellung gesammelt und am 16. März 2021 die Regierungspolitiker und Abgeordneten in Wiesbaden direkt mit dem Problem ihrer Entlassung konfrontiert. Daraufhin hatte Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne), der auch stellvertretender Ministerpräsident ist, in der Sitzung ausdrücklich erklärt: „Es wäre verfehlt, wenn sich die Landesregierung in diese geschäftspolitischen Entscheidungen einmischen würde.“
Das Gericht wies die Klagen von Al Bacheri und Benli noch am selben Abend nach geheimer Beratung ab. Es verkündete die Entscheidung „in Abwesenheit der Parteien und ihrer Vertreter“, wie es in einer kurzen Niederschrift heißt. Die Begründung für das Urteil steht noch aus.
Das Urteil zeigt erneut den Klassencharakter der Justiz. Die schönen Phrasen über soziale Marktwirtschaft, Sozialpartnerschaft und Interessenausgleich lösen sich in Luft auf und die Paragraphen über Kündigungsschutz erweisen sich als nichtig, wenn sie den Profitinteressen eines skrupellosen Konzerns im Wege stehen. Arbeiter wie Benli, der hochqualifiziert und erfahren ist, 37 Jahre lang am Flughafen und 22 Jahre in dieser Firma gearbeitet und sein ganzes Leben für diese Arbeit geopfert hat, werden mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten rausgeschmissen – mit dem Segen des Gerichts.
Fast gleichzeitig mit dem Urteil traf beim Klägeranwalt ein neues Schreiben der Wirtschaftskanzlei ein, das die klagenden Arbeiter schlicht erpresst. Es bietet gekündigten ACC Disponenten, Lademeisteragenten, Lademeistern und Busfahrern, die gegen ihre Entlassung geklagt haben und in der ersten Instanz unterlegen sind, 50 Prozent der ursprünglich angebotenen Abfindungssumme an, wenn sie auf eine Revision in der 2. Instanz verzichten. Im Falle Benlis seien dies 13.793,50 Euro – das wären 392,80 Euro für jedes Jahr, das er am Frankfurter Flughafen gearbeitet hat!
Dieser Abfindungsbetrag, heißt es in dem Schreiben, reduziere sich mit jedem abgelaufenen Monat um jeweils 10 Prozentpunkte: „Nach einem Monat würde demnach noch eine Abfindung von 40 Prozent des ursprünglichen Angebots gezahlt, nach zwei Monaten sind es nur noch 30 Prozent etc. Sobald allerdings Berufung eingelegt wird, wird das Angebot nicht mehr aufrechterhalten.“
Vor dem Gerichtsgebäude sagte Al Bacheri der WSWS: „Ich war wirklich schockiert über die Aussagen im Gericht, denn sie stimmen einfach nicht. Das Gericht muss doch normalerweise eine wirkliche Kontrolle vornehmen. Aber diese Leute sind nicht aktiv vor Ort. Die Realität, die wir erleben, ist ganz anders. Sie haben die eigenen Mitarbeiter entlassen und dafür Leiharbeiter eingestellt.“
Und weiter: „Schon die Kurzarbeit war ein Betrug. Wir hatten Kurzarbeit, aber Leute mussten dennoch erscheinen. Auch dieses Jahr hätten sie die Kurzarbeit bis zum 31. Dezember verlängern können, aber das hat die Firma nicht gemacht. Sie wollten keine Kurzarbeit, sie wollten einfach nur Mitarbeiter abschieben; sie wollten uns einfach loswerden. Mit der Pandemie haben sie die Möglichkeit gefunden, Mitarbeiter abzuservieren.“
Über die Arbeit berichtete Al Bacheri: „Ich habe es oft erlebt. Die Mitarbeiter gehen vom Flieger und können ihre Arme nicht mehr heben. Die sind kaputt. Ich habe es erlebt, dass Arbeiter Krämpfe hatten und nicht mehr konnten. Manche liegen im Flieger drin, und ein Kollege hält ihnen die Beine hoch, weil sie so schlimme Krämpfe haben und sich nicht bewegen können. Dann steht die Arbeit auch still. Dann kommen Verspätungen zustande.“
Ein Arbeiter kommentierte: „Man sollte solche Leute [wie den Geschäftsführer Kube und seinen Anwalt Pfeiffer] nur einen Tag lang draußen an das Band stellen und einmal selbst die Koffer laden lassen, damit sie sehen, wie das ist.“
Und ein anderer: „Das Problem ist, dass der Betriebsrat mit der Firma unter einer Decke steckt, das hat man am Sozialplan und an den Kündigungen gesehen. Der Betriebsrat hat keinen Einspruch erhoben, obwohl der Sozialplan wirklich unter aller Sau war. Wenn die überhaupt was tun, dann immer nur, nachdem wir uns heftig mit ihnen gezofft haben.“
Das Urteil vom 27. Oktober und die anderen Frankfurter Urteile gegen entlassene WISAG-Arbeiter zeigen, dass sich diese im Kampf gegen ihre Ausbeuter nicht auf die Gerichte und auf bürgerliche Politiker verlassen dürfen, sondern den Kampf in die eigenen Hände nehmen müssen. In der ganzen Belegschaft gärt es, und unzählige Arbeiter sind wütend und kampfbereit. Das hat auch der jüngste Warnstreik am Freitag, den 29. Oktober, klar gezeigt.
Die Gewerkschaften Verdi und IG Bau, die ihre Vertreter in allen Aufsichtsräten haben, verhandeln weiter und beschränken sich auf kurze Warnstreiks, um Dampf abzulassen, ohne die Profite zu gefährden. Sie weigern sich, alle Flughafenarbeiter gemeinsam zu mobilisieren und die Entlassenen zu verteidigen.
Vor einem Jahr haben sich die entlassenen WISAG-Arbeiter zusammengeschlossen, um sich gemeinsam zur Wehr zu setzen. Jetzt ist es an der Zeit, in allen WISAG-Betrieben und überall am Flughafen unabhängige Aktionskomitees zu organisieren, damit Arbeiter über die Grenzen aller Konzerne und Länder hinweg gemeinsam den Kampf gegen Ausbeuterbetriebe wie WISAG, gegen alle Entlassungen und gegen das bankrotte kapitalistische System aufnehmen können.
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