Perspektive

Die New York Times und die Vertuschung des Putschs vom 6. Januar

Am Sonntag veröffentlichte die New York Times einen Leitartikel mit dem Titel „Jan. 6 Was Worse Than We Knew“ (Der 6. Januar war schlimmer, als wir dachten). Der Artikel stützt sich auf die jüngsten Enthüllungen über die Verschwörung Trumps, das Wahlergebnis von 2020 zu kippen. Im ersten Absatz heißt es: „So schrecklich der Aufruhr am 6. Januar vor dem US-Kapitol auch war, wir wissen jetzt, dass er viel schlimmer war.“

Der Leitartikel basiert auf dem weniger als zwei Wochen zuvor veröffentlichten Buch „Peril“ (Angst) der Washington Post-Journalisten Bob Woodward und Robert Costa. Darin werden die Aussagen hochrangiger US-Kongress- und Militärbeamter dokumentiert, wonach die Ereignisse am 6. Januar ein umfassender Putschversuch waren.

Menschen suchen Schutz in der Galerie des Repräsentantenhauses, während Randalierer versuchen, in die Kammer des Repräsentantenhauses im US-Kapitol einzudringen, Mittwoch, 6. Januar 2021, Washington. (AP Photo/Andrew Harnik)

Laut „Peril“ war der 6. Januar „ein geplanter, koordinierter, synchronisierter Angriff auf das Herz der amerikanischen Demokratie, mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen“. Es handelte sich um „Verrat“ – Worte, die Woodward und Costa General Mark Milley zuschreiben, und um eine versuchte „faschistische Übernahme des Landes“, wie der Vorsitzende des Ausschusses für Streitkräfte im Repräsentantenhaus, Adam Smith, sagte.

Sieben Monate lang haben die Demokratische Partei und die New York Times daran gearbeitet, die Öffentlichkeit über die Ereignisse des 6. Januar mit Chloroform zu vernebeln. Mit der Veröffentlichung des Buches von Woodward und Costa ist es jedoch unmöglich geworden, die Realität der Ereignisse zu leugnen.

Die Behauptung der Times, die Ereignisse des 6. Januar seien „viel schlimmer“ gewesen, als es „in dem Moment den Anschein hatte“, ist ein hinterhältiges Eingeständnis der Unwahrheit ihrer eigenen Bemühungen, Trumps Putschversuch vom 6. Januar herunterzuspielen. Nein, die Ereignisse vom 6. Januar waren nicht schlimmer als die New York Times wusste; sie waren schlimmer als die Times bereit war, öffentlich zuzugeben.

Die Einzelheiten von Woodwards Bericht kamen für die World Socialist Web Site nicht überraschend. Sie hatte bereits im Vorfeld ausführlich vor der Verschwörung gewarnt.

Am 25. September schrieb die World Socialist Web Site: „Donald Trump steuert mit seinem Wahlkampf auf einen Staatsstreich zu. Der US-Präsident hat angekündigt, dass er eine Wahlniederlage nicht hinnehmen wird.“ Und weiter: „Trump führt keinen Wahlkampf. Er betreibt ein Komplott zur Errichtung einer Präsidialdiktatur.“

Die WSWS wiederholte diese Warnungen noch am Vorabend der Wahl. Zwölf Stunden vor dem Aufstand am 6. Januar warnte die WSWS vor dem laufenden Bemühungen, „einen Staatsstreich [zu] inszenieren, um die Wahlergebnisse zu annullieren und eine Präsidialdiktatur aufzubauen.“

Es ist mehr als unglaubhaft, ja unmöglich anzunehmen, dass die Times mit ihren zahllosen Verbindungen zum Staatsapparat nichts von dem Ausmaß von Trumps Verschwörung wusste.

Es gibt zwei Verschwörungen rund um die Ereignisse des 6. Januar. Die erste war Trumps Plan, die Verfassung zu stürzen und sich selbst als Diktator zu installieren. Die zweite ist das anhaltende Bemühen, die Bedeutung des Staatsstreichs herunterzuspielen und zu vertuschen und die Verschwörer vor Strafverfolgung zu schützen.

Selbst nachdem die Times die Schwere der Ereignisse vom 6. Januar zugegeben hat, setzt sie die Vertuschung fort und entwickelt eine Erzählung, in der Trumps Verschwörung auf juristische Formalitäten reduziert wird. Die Times stellt die Ereignisse dieses Tages als das Ergebnis von Schwächen in den amerikanischen Wahlgesetzen dar, im Gegensatz zu einem umfassenden Versuch Trumps, loyale Kräfte – sowohl außerhalb als auch innerhalb des Staates – einzusetzen, um den Kongress gewaltsam zu stürzen und eine Diktatur zu errichten.

Die Times schreibt,

Das Land war Stunden von einer umfassenden Verfassungskrise entfernt – nicht in erster Linie wegen der Gewalt und des Chaos, das Hunderte von Anhängern von Präsident Donald Trump angerichtet haben, sondern wegen der Handlungen von Herrn Trump selbst.

In den Tagen bevor der Mob das Kapitol stürmte, spielte sich ein entsprechender Angriff – diesmal unblutig und mit juristischen Mitteln – die Straße hinunter im Weißen Haus ab. Dort saßen Herr Trump, Vizepräsident Mike Pence und ein Anwalt namens John Eastman im Oval Office zusammen und planten, den Willen des amerikanischen Volkes mit juristischen Taschenspielertricks zu untergraben.

Der Versuch, Trumps Komplott von dem gewaltsamen Angriff auf das Kapitol zu trennen, ist eine bewusste Fälschung. Tatsächlich waren beide untrennbar miteinander verbunden. Der faschistische Mob, der von Trump und seinen Mitverschwörern aufgehetzt wurde, war nicht zufällig. Trumps Plan war es, unter dem Deckmantel eines „Bürgeraufstandes“ gegen eine angeblich gestohlene Wahl, die Auszählung der Wählerstimmen zu verhindern. Der Angriff auf das Kapitol war der „politische Muskel“ für die Verschwörung.

In der Darstellung der Times war der Putschversuch vom 6. Januar ein legales Manöver, bei dem archaische und schlecht durchdachte Wahlgesetze ausgenutzt wurden. Der Leitartikel zieht eine Parallele zwischen Trumps Staatsstreich und der Wahl von 1876, die als „eine weitere dramatische Auseinandersetzung um die Präsidentschaft“ bezeichnet wird.

Es gibt keine historische Parallele zwischen 1876 und 2020. Die Präsidentschaftswahlen von 1876 waren sowohl bei der Volksabstimmung als auch im Electoral College (Wahlmännergremium) außerordentlich knapp. Sie führte zu einem schäbigen Kompromiss, der zum Ende der Reconstruction und zum Beginn der Jim-Crow-Segregation führte.

Die politische Krise des letzten Jahres war kein „Präsidentschaftsstreit“, sondern ein gewaltsamer Putschversuch. Trumps Behauptungen über Wahlbetrug waren nichts weiter als ein Vorwand, um seine Kräfte zu mobilisieren und die US-Verfassung zu stürzen.

Die Times verdoppelt ihre Vertuschungsbemühungen und schreibt: „Der Plan, die Wahl zu kippen, hatte kaum Aussicht auf Erfolg“. Worauf stützt sich diese Behauptung? Sie steht in direktem Widerspruch zu der Darstellung in „Peril“, aus der hervorgeht, dass Vizepräsident Mike Pence geneigt war, Trumps Putschversuch zu unterstützen, und dass es der Intervention des ehemaligen Vizepräsidenten Dan Quayle, eines ehemaligen Senators aus Pences Heimatstaat, bedurfte, um ihn zum Einlenken zu bewegen.

Hätte Pence Trumps Putschversuch unterstützt und sich geweigert, gegen Trumps Einwände die Nationalgarde zu rufen, hätten sich die Demokraten nicht anders verhalten, als im Jahr 2000, als sie die gestohlene Wahl akzeptiert hatten.

Die anhaltenden Bemühungen der Times, die Bedeutung der Ereignisse vom 6. Januar herunterzuspielen und zu vertuschen, sind untrennbar mit ihrer Weigerung verbunden – zusammen mit dem gesamten politischen Establishment der USA –, die Putschisten zu untersuchen oder strafrechtlich zu verfolgen.

Die juristische Immunität, die den faschistischen Verschwörern gewährt wird, steht in scharfem Kontrast zur bösartigen Verfolgung linker politischer Gegner des politischen Establishments der USA. Im Jahr 1918 wurde der Sozialist Eugene Debs wegen seiner Opposition gegen den Ersten Weltkrieg zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Im Jahr 1941 wurden 18 Mitglieder der trotzkistischen Socialist Workers Party auf der Grundlage des Smith Act zu 12 bis 16 Monaten Gefängnis verurteilt, mit der falschen Begründung, sie hätten sich an einer „aufrührerischen Verschwörung zum Sturz der Regierung der Vereinigten Staaten mit Gewalt und Zwang“ beteiligt. Der Smith Act wurde dann zur Verfolgung von Mitgliedern der stalinistischen Kommunistischen Partei genutzt.

All diese Personen wurden wegen ihrer öffentlichen Äußerungen angeklagt (in einigen Fällen auch für das, was die Gerichte behaupteten, entgegen ihrer öffentlichen Äußerungen) und nicht wegen gewalttätiger Handlungen.

Aber Trump – nachdem er versucht hat, die Verfassung mittels der größten politischen Verschwörung der amerikanischen Geschichte zu stürzen – lebt weiterhin wie ein König auf seinem Anwesen in Mar-a-Lago, wo er seine Kräfte neu gruppiert und zwischen seinen Golfrunden die Rückkehr an die Macht plant. Und Trumps republikanische Mitverschwörer agieren ungestraft, während die Demokraten sie als ihre „Kollegen“ preisen.

Die Demokratische Partei ist weitaus besorgter über den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse gegen die extreme Rechte als über die Gefahren eines faschistischen Putsches. Es ist die gleiche Art von Feigheit, die schon die deutschen Liberalen und Sozialdemokraten angesichts von Hitlers Machtübernahme kennzeichnete.

Und während die faschistischen Putschisten Immunität genießen, ist die riesige Repressionsmaschinerie – einschließlich der Internetzensur – jederzeit bereit, gegen die linke Opposition vorzugehen.

Die Verteidigung demokratischer Rechte in den Vereinigten Staaten kann nicht den Demokraten und dem sklerotischen politischen Establishment überlassen werden. Sie erfordert die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines Kampfs gegen das kapitalistische System, das die Wurzel der sozialen Ungleichheit und der Diktatur darstellt.

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