EU plant Internierungslager für afghanische Flüchtlinge in ganz Zentralasien

Nach dem demütigenden Zusammenbruch des US-Marionettenregimes in Afghanistan am 15. August reisen Vertreter der Europäischen Union (EU) in den Nahen Osten und nach Zentralasien. Während sich der deutsche Außenminister Heiko Maas und der französische Präsident Emmanuel Macron mit Vertretern der regionalen Regierungen trafen, hat die EU für Investitionen in der Region mehr als eine Milliarde Euro zurückgestellt.

Diese Intervention entlarvt die Erklärungen der EU-Mächte über das US-Debakel in Afghanistan als Heuchelei. Sie hatten sich zuvor den Forderungen der US-Medien angeschlossen, dass die Taliban afghanischen Ortskräften, die den amerikanischen und europäischen Besatzungstruppen geholfen hatten, die Flucht vom Kabuler Flughafen erlauben sollten. Während sie sich als Verteidiger der Freizügigkeit der Afghanen inszenieren, arbeiten sie am Aufbau von Lagern in ganz Zentralasien – u.a. im Iran, Pakistan und der Türkei – um Afghanen zu internieren und daran zu hindern, in Europa Asyl zu beantragen.

Afghanische Flüchtlinge in einem Lager des italienischen Roten Kreuzes in Avezzano (Italien) am 31. August 2021 (AP Photo/Andrew Medichini)

Beschlossen wurde der Aufbau von Internierungslagern für Flüchtlinge in den afghanischen Nachbarstaaten am Montagabend auf einer Sondersitzung der EU-Innenminister in Brüssel.

Als Vorbild dient der EU das immense Netzwerk von Lagern in den Mittelmeerstaaten, in denen seit 2011 Millionen Flüchtlinge aus den Nato-Kriegen in Syrien und Libyen leben. Abgesehen von hunderttausenden Flüchtlingen, die in Europa in elenden Internierungslagern wie im griechischen Moria oder auf den spanischen Kanaren festgehalten werden, befinden sich weitere Lager in der Türkei (3,7 Millionen), im Libanon (1,5 Millionen), Jordanien (1,3 Millionen) und in Libyen. Vor allem die von der EU finanzierten Lager in Libyen sind dafür berüchtigt, dass Flüchtlinge dort misshandelt, sexuell missbraucht, ermordet oder als Sklaven verkauft werden.

Die EU-Innenminister legten bei ihrem Gipfeltreffen fest, dass 600 Millionen Euro für den Erhalt und die Wahrung von guten Beziehungen mit den Ländern in der Region vorgesehen sind, die afghanische Flüchtlinge aufnehmen. Im Jahr 2015 hatte die Türkei angesichts von zunehmenden Spannungen mit den EU-Mächten etwa einer Million Flüchtlingen die Weiterreise nach Europa erlaubt. Das erklärte Ziel der Minister bei der Konferenz in Brüssel war es, eine Wiederholung dieser Ereignisse und die Ankunft afghanischer Flüchtlinge in Europa zu verhindern.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer erklärte bei der Ankunft auf dem Gipfel, es sei sehr wichtig, die diplomatischen Bestrebungen zu beschleunigen. Falls sich die Innenminister einigten, erwarte er, dass die Europäische Kommission die Nachbarstaaten Afghanistans kräftig unterstütze, wenn sie afghanische Flüchtlinge aufnehmen. Wenn schnell gehandelt werde, werde sich 2015 nicht wiederholen.

Die Innenminister von Österreich, Dänemark und Tschechien veröffentlichten vor dem Treffen eine gemeinsame Stellungnahme, in der sie erklärten: „Das Wichtigste ist jetzt, die richtige Botschaft in die Region zu senden: Bleibt dort, und wir werden die Region dabei unterstützen, den Leuten zu helfen.“

Der Gipfel veröffentlichte eine „Erklärung zur Situation in Afghanistan“, in der es hieß: „Auf der Grundlage der Lehren, die die EU und ihre Mitgliedsstaaten gezogen haben, sind sie entschlossen zu einem gemeinsamen Handeln, um das Wiederaufkommen unkontrollierter großer Migrationsbewegungen zu verhindern, wie wir sie in der Vergangenheit erlebt haben...“ Vorgeschlagen wurden diplomatische, Bau- und Polizeiinitiativen, um den Betrieb von Internierungslagern der EU in afghanischen Nachbarstaaten wie dem Iran, Pakistan, Usbekistan, Tadschikistan oder der Türkei zu erleichtern.

Weiter hieß es: „Die EU sollte auch die Unterstützung der Länder in der unmittelbaren Nachbarschaft Afghanistans stärken, um sicherzustellen, dass Bedürftige vorrangig dort angemessenen Schutz erhalten. Die Notwendigkeit vereinter und koordinierter externer und interner Kommunikation ist von entscheidender Bedeutung. Es sollten gezielte Informationskampagnen, auch im Online-Umfeld, aufgenommen werden, um die Narrative von Schmugglern zu bekämpfen, die Menschen zu gefährlichen und illegalen Reisen nach Europa ermutigen.“

Die Erklärung bezeichnet die Hilfsgelder der EU offen als „Stärkung der Kapazitäten für das Grenzmanagement“ und erwähnt verstärkte „externe Operationen der EU zum Aufbau von Asylkapazitäten.“ Hinter diesen Euphemismen verbergen sich Pläne, ein europaweites Netzwerk von Grenzpolizeibehörden und Gefangenenlagern für Hunderttausende oder Millionen Menschen zu errichten.

Der Vizepräsident der Europäischen Kommission Margaritis Schinas erklärte gegenüber der Financial Times, die EU habe genug Geld für solche Pläne: „Wir sind am Beginn des Haushaltsjahres, wir müssen nicht die letzten Mittel zusammenkratzen wie im Jahr 2015. Ich glaube, Geld wird nicht das Problem sein.“

Der abrupte Zusammenbruch des US-Marionettenregimes hat gezeigt, dass die Reaktion der imperialistischen Mächte auf die stalinistische Auflösung der Sowjetunion 1991 genauso gescheitert ist wie der zwanzig Jahre andauernde Nato-Krieg in Afghanistan. Washington hat 30 Jahre lang Länder im Nahen Osten und Zentralasien überfallen, um durch seine militärische Hegemonie seinen immer stärkeren wirtschaftlichen Niedergang auszugleichen. Diese Kriege haben Millionen Menschenleben und Billionen Dollar gekostet und außerdem die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst – 82,4 Millionen Menschen sind in dieser Zeit aus ihrer Heimat geflohen.

In diesem Zeitraum, und vor allem seit der Flüchtlingskrise von 2015, haben die europäischen imperialistischen Mächte noch offener faschistische- und Polizeistaatsmaßnahmen umgesetzt. Die Flüchtlingskrise ereignete sich vor dem Hintergrund einer europaweiten Welle von Terroranschlägen islamistischer Netzwerke, die von den Nato-Mächten in Libyen und Syrien als Stellvertreter benutzt wurden. Flüchtlinge in Massen im Mittelmeer ertrinken zu lassen oder in Lagern zu internieren, in denen sie geschlagen und misshandelt werden, ging einher mit dem Schüren von faschistischen und flüchtlingsfeindlichen Stimmungen in den Sicherheitskräften und dem ganzen Staatsapparat durch die herrschende Elite.

Angesichts des Debakels der USA in Zentralasien und der Ablehnung des imperialistischen Militarismus unter Arbeitern auf der ganzen Welt verschärfen die EU-Mächte ihre flüchtlingsfeindliche Politik. Bundesaußenminister Heiko Maas war einen Tag vor dem Treffen der Innenminister zu einer Reise in die Türkei, nach Usbekistan, Tadschikistan, Pakistan und Katar aufgebrochen. Zuvor sprach er über die strategischen Erwägungen und das Streben nach Einfluss, die die Grundlage der Migrationspolitik der EU bilden.

Maas nannte als Ziele seiner Reise eine „koordinierte und internationale Herangehensweise an die Taliban. Unsere Unterstützungsangebote an die Nachbarstaaten bei der Bewältigung der humanitären und wirtschaftlichen Folgen ist ebenfalls Teil davon. Es ist in unserem Interesse, sicherzustellen, dass der Zusammenbruch Afghanistans nicht die ganze Region destabilisiert.“

Der französische Präsident Emmanuel Macron äußerte sich vor seiner Reise zu Verhandlungen in den Irak in einem Interview mit dem Journal du Dimanche ähnlich und ging auch auf das Debakel der USA und die Flüchtlinge ein. Er forderte, Frankreich vor „großen, unregelmäßigen Migrantenströmen“ zu schützen und erklärte: „Laut dem UN-Flüchtlingskommissar leben bereits 850.000 afghanische Flüchtlinge im Iran und 1,5 Millionen in Pakistan. Und der tadschikische Präsident, mit dem ich vor zwei Tagen gesprochen habe, erklärte mir, an seiner Grenze herrsche Druck.“

Macron erklärte, „massiv gesteigerte finanzielle Beiträge“ seien „unsere Pflicht und die einzige Möglichkeit, um unvermeidliche Bevölkerungsbewegungen zu verhindern.“ Implizit kritisierte er die USA auch für ihren Rückzug aus Afghanistan und forderte Washington auf, einen Beitrag zum Etat für die Gefangenenlager zu leisten: „Wir müssen dieses Thema multilateralisieren, und die USA müssen ihren Teil dazu beitragen. Sie fühlen vielleicht keinen Druck durch Migration, aber sie sind nicht unbeteiligt an der Entscheidung, die sie ausgelöst hat.“

In Wirklichkeit hat das Debakel des Nato-Krieges in Afghanistan auf historische Weise die Natur des Imperialismus und die Notwendigkeit aufgezeigt, ihn aus dem Nahen Osten und Zentralasien zu vertreiben. Auch die imperialistischen EU-Mächte sind keine Alternative zu Washington. Ihre Pläne, die Nato-Einheiten in Afghanistan durch ein regionales Netzwerk von durch die EU finanzierten Gefangenenlagern zu ersetzen, sind zutiefst reaktionär und verdienen es, von den Arbeitern in ganz Europa und der Welt abgelehnt zu werden. Stattdessen müssen Arbeiter die Freizügigkeit und das Recht der Afghanen und aller Menschen verteidigen, zu reisen, zu leben und zu arbeiten, wo sie wollen.

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