Amnesty-Bericht enthüllt Rolle der EU bei Massenfolter von Flüchtlingen in Libyen

Am Dienstag veröffentlichte Amnesty International (AI) einen erschütternden Bericht mit dem Titel „Libyens dunkles Netz geheimer Absprachen“ („Libya's Dark Web of Collusion“). Die Menschenrechtsorganisation kommt darin zu dem Schluss, dass die Europäische Union den Aufbau, die Finanzierung und Ausstattung eines riesigen Netzwerks von Gefangenenlagern für Flüchtlinge unterstützt, um sie daran zu hindern, Europa zu erreichen. In diesen Lagern werden Flüchtlinge willkürlich festgehalten, misshandelt, gefoltert, sexuell missbraucht, als Sklaven verkauft und ermordet.

Die schrecklichen Misshandlungen, die in dem Bericht geschildert werden, haben die breite Öffentlichkeit bereits erreicht. Letzten Monat waren in Nordafrika, Frankreich und weltweit Proteste ausgebrochen, nachdem CNN Videos veröffentlichte, auf denen Menschenhändler Flüchtlinge in Libyen als Sklaven verkaufen. Der umfassende Bericht von AI verdeutlicht jedoch nicht nur das enorme Ausmaß dieses barbarischen Gefängnissystems, sondern auch die Tatsache, dass die technische und finanzielle Unterstützung durch die EU dabei die Schlüsselrolle spielt. AI stützt sich dabei auf Regierungsdokumente und dutzende Interviews mit Flüchtlingen.

Der Bericht von AI erwähnt den Nato-Krieg gegen Libyen 2011 zwar kaum, macht aber dennoch deutlich, dass die Ursprünge dieses Gefängnissystems in der Welle imperialistischer Gewalt im Nahen Osten und Afrika und der darauffolgenden weltweiten Flüchtlingskrise liegen. Die Schleuser, die in Libyen Gefangenenlager betreiben, gehören zum größten Teil Milizen an, die im Krieg gegen Gaddafi von der Nato unterstützt wurden und nach der Zerstörung des Regimes das Land übernahmen.

Der Bericht ist eine verheerende Anklage gegen all die „Experten“, Akademiker und pseudolinken Parteien wie die Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich, die International Socialist Organization in den USA, die den Krieg in Libyen als humanitäre Intervention zur Unterstützung einer demokratischen Revolution dargestellt haben. Sie behaupteten, der imperialistische Krieg würde Libyen Demokratie und Freiheit bringen – tatsächlich brachte er Sklaverei, Vergewaltigung und Mord.

AI stützt sich auf Statistiken der Internationalen Organisation für Migration (IOM), laut denen im September 2017 mindestens 416.556 Flüchtlinge in Libyen festsaßen. Von ihnen stammten über 60 Prozent aus der Subsahara, 32 Prozent aus Nordafrika, und sieben Prozent aus Asien und dem Nahen Osten. Die EU arbeitet mit Milizen und Verbrecherbanden zusammen, um die Flüchtlinge in Libyen festzuhalten.

Diese Strategie wurde im Februar 2017 in der Erklärung von Malta festgelegt, in der die EU die Zusammenarbeit Italiens mit libyschen Behörden gegen Flüchtlinge unterstützte und ihre eigene Unterstützung zusagte. Dazu gehörte die Finanzierung, Ausbildung und Bewaffnung von Grenztruppen und der libyschen Küstenwache, um Flüchtlinge an der Ausreise zu hindern. Teil der Strategie war auch die „Verbesserung und Finanzierung“ der so genannten „Empfangszentren“, in denen die Flüchtlinge nach ihrer Ergreifung durch die Küstenwache festgehalten werden. AI erklärt außerdem, die EU habe „Abkommen mit den lokalen Behörden in Libyen und den Anführern von Stämmen und bewaffneten Gruppen getroffen, um diese dazu zu bewegen, den Menschenhandel zu unterbinden.“

Als Folge gehe die Zahl der Flüchtlinge, die aus Libyen abreisen, massiv zurück: „Im ersten Halbjahr 2017 haben insgesamt 83.754 Menschen über den Seeweg Italien erreicht, eine deutliche Steigerung gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2016, für den 70.222 Ankünfte ausgewiesen sind. Allerdings hat sich der Trend danach dramatisch gewandelt: zwischen Juli und November 2017 sind insgesamt 33.288 Flüchtlinge und Migranten in Italien angekommen, 67 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum 2016, in dem 102.786 ankamen.“

Mit Unterstützung der EU werden zehntausende Flüchtlinge in Gefangenenlager geworfen, in denen sie misshandelt, gefoltert und ermordet werden. AI erklärt, momentan würden „etwa 20.000 Flüchtlinge und Migranten in Zentren festgehalten, die normalerweise vom General Directorate for Combating Illegal Migration (DCIM) [eine von der EU finanzierte Abeteilung des libyschen Innenministeriums] verwaltet werden. Da Libyen seit Gaddafis Sturz kein funktionierendes Justizsystem mehr hat, haben Flüchtlinge laut AI „keine formellen administrativen oder juristischen Mittel, um gegen ihre Inhaftierung zu klagen.“

AI zitiert die Zeugenaussagen vieler Flüchtlinge, die aus Lagern in Libyen nach Italien fliehen konnten. Mariam aus Eritrea sagte, die Wachen „waren hart; sie waren ständig betrunken. Eines Tages haben dann vier Somalier versucht zu fliehen. Die Menschenhändler aus Eritrea haben uns gesagt, sie hätten drei von ihnen getötet; der vierte sei im Krankenhaus.“

„Dann schlugen sie die anderen Somalier. [Sie wurden] gefoltert. Man konnte die Schreie hören. Sie benutzten Stromschläge und schlugen sie mit Kalaschnikows.“

Samir aus dem Sudan schilderte, wie er aus dem Nasser-Haftzentrum des DCIM fliehen konnte; seine Freunde hätten es aber nicht geschafft und seien als Schuldknechte verkauft worden: „Der Strom war abgestellt und es gab kein Wasser, also brachte man uns nach draußen, damit wir Wasser holen. Ich und zwei Freunde rannten los; sie schossen auf uns, aber wir waren schnell... Die anderen drei wurden von einem Sudanesen frei gekauft und müssen jetzt bei dem Fabrikbesitzer 4.500 libysche Dinare abarbeiten.“

Ousman aus Gambia schilderte die Zustände in einem Haftzentrum des DCIM in Tripolis: „Ich sah viele Menschen im Gefängnis sterben, entweder weil sie erkrankten oder weil sie geschlagen wurden... Die Wachen waren Libyer, sie haben jeden ohne Grund geschlagen. Bevor man ins Gefängnis kommt, wird man von der Polizei durchsucht und es wird einem alles abgenommen – Geld, Telefon, alles.“ Er fügt hinzu: „Ich habe einen Jungen im Gefängnis gesehen – sie gaben ihm ein Telefon, damit er seine Familie anrufen konnte, und noch während er telefonierte, schlugen sie ihn mit einer Eisenstange auf die Arme und überall... Nach fünf Monaten bin ich zusammen mit anderen entkommen, aber die Wachen haben geschossen und viele wurden getötet. Ich weiß nicht, wie viele getötet wurden, aber ich sah einige von uns fallen und schreien.“

Mohamed, ein Stahlarbeiter aus Bangladesch, der in Libyen lebt, erklärte: „Eines Tages kam eine Gruppe von Libyern in den Laden und sie sagten, sie hätten Arbeit für uns. Drei von uns gingen mit ihnen. Sie selbst waren zu dritt. Wir stiegen mit ihnen ins Auto. Zu mir sagten sie, ich sollte den Kopf runternehmen und mich nicht umsehen; sie wurden aggressiv. Sie brachten uns an einen Ort neben einer Fabrik. Als sie uns reinbrachten, waren da ungefährt 500 Leute. Es war es ein großer Ort voller Menschen... Sie schlugen mich mit einem Metallrohr; mir sind davon die Finger gebrochen [er zeigte deformierte Finger an seiner rechten Hand]. Wegen der Prügel habe ich Probleme mit meinem rechten Bein und meiner Schulter. Einer wurde vor meinen Augen zu Tode geprügelt. Ich blieb dort zwanzig Tage lang. Dann zahlte ich 2.000 US-Dollar, um rauszukommen; meine Freunde schafften es, das Geld zu sammeln.“

Der Nato-Krieg in Libyen und der Zusammenbruch des Landes im Bürgerkrieg sind nachdrückliche Lehren zur reaktionären Rolle des Imperialismus. Die Außenpolitik der EU ist aus dem Libyenkrieg durch und durch kriminalisiert hervorgegangen. Mit den barbarischsten Methoden wird Flüchtlingen das Recht auf Asyl verwehrt. Die EU trägt die Verantwortung für die Folter von Flüchtlingen nicht nur wegen ihrer Unterstützung für die halboffiziellen Gefangenenlager des DCIM in Libyen. Die Marineunterstützung und die Waffenlieferungen an die libysche Küstenwache sowie die Deals der EU mit regionalen oder lokalen Milizen, die die Gefängnisse kontrollieren, spielen ebenfalls eine Schlüsselrolle.

AI erklärt: „Die Unterstützung durch die EU-Mitgliedsstaaten hat die Kapazitäten der libyschen Küstenwache erhöht, wodurch diese auch immer mehr Operationen zum Abfangen von Flüchtlingen durchführen konnte. Im Jahr 2017 wurden bisher 19.452 Menschen von der Küstenwache abgefangen und nach Libyen zurückgebracht. Wenn die libysche Küstenwache Boote auf See abfängt, bringt sie Flüchtlinge und Migranten an die libysche Küste zurück. Danach werden sie routinemäßig in DCIM-Haftzentren überführt.“

AI ging insbesonders auf einen Deal zwischen der ehemaligen Kolonialmacht Italien und dem einflussreichen Warlord Khalifa Haftar ein: „Vertreter der italienischen Regierung diskutierten mit Khalifa Haftar, dem Oberhaupt der selbsternannten Nationalen Armee Libyens, die den Osten des Landes kontrolliert, auch über Maßnahmen zur Begrenzung irregulärer Migrationsbewegungen. Haftar besuchte am 26. September Italien, um sich mit dem italienischen Ministern für Inneres und Verteidigung zu treffen.“

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