Der Angriff auf die Arbeitsplätze bei Siemens Energy spitzt sich zu. Am 9. Juli sind die Gespräche zwischen Unternehmen, IG Metall und Betriebsrat über die Einzelheiten des Arbeitsplatzabbaus in den deutschen Werken gescheitert. Nun sollen die Gespräche in einer Einigungsstelle unter einem „unparteiischen“ Vorsitzenden weitergeführt werden.
Das bedeutet, dass sich IG Metall und Betriebsrat hinter der angeblichen Neutralität des Vorsitzenden der Einigungsstelle verschanzen werden, um die geplanten Entlassungen gegen den Widerstand der Belegschaft durchzusetzen.
Die IG Metall und der Betriebsrat stehen uneingeschränkt auf der Seite des Konzerns und seiner Aktionäre. Seit Jahren unterstützen sie den Stellenabbau bei Siemens. Sie haben alle Maßnahmen mitgetragen, die im Februar zur Entscheidung von Konzernchef Christian Bruch führten, weltweit 7800 der 90.000 Arbeitsplätze abzubauen, davon 3000 in Deutschland.
2020 hatten sie der Abspaltung des Energiebereichs vom Siemens-Gesamtkonzern zugestimmt, obwohl sie genau wussten, dass die Ausgliederung von Siemens Energy der Auftakt zu einem radikalen Konzernumbau auf Kosten der Belegschaft ist.
Kurz bevor der geplante Arbeitsplatzabbau im Januar dieses Jahres öffentlich wurde, unterzeichneten sie die „Zukunftsvereinbarung 2030“, die regelt, wie IG Metall und Betriebsrat den Kahlschlag gemeinsam mit dem Vorstand durchführen. Unter anderem wurde darin die Bildung eine Steuerungsgruppe aus Firma, Gesamtbetriebsrat und IG Metall vereinbart, die eine „tragfähige Lösung“ für den Arbeitsplatzabbau ausarbeitet.
Seither haben die IG Metall und der Betriebsrat die Arbeitsplätze und Errungenschaften der Arbeiter schrittweise ausverkauft. Da die Steuerungsgruppe hinter dem Rücken der Belegschaft tagt und ihre Ergebnisse geheim hält, lassen sich nur aus den Äußerungen von Teilnehmern Rückschlüsse ziehen. Doch diese sind eindeutig.
So berichtete der Tagesspiegel unter Berufung auf die IG Metall: „Alles in allem habe man in den mehrmonatigen Verhandlungen rund 30 Einzelmaßnahmen diskutiert und in vielen Punkten eine Lösung gefunden.“ Welche Einzelmaßnahmen und Lösungen es sind, berichtete die Zeitung nicht.
Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Robert Kensbock sagte dem Handelsblatt, man sei „bei vielen Themen aufeinander zugegangen“. IGM-Sekretär Hagen Reimer, der im Aufsichtsrat von Siemens Energy sitzt, bedauerte nach dem Scheitern der Gespräche, dass man nicht wie in früheren Fällen zu einer „schmerzhaften Kompromisslösung gekommen“ sei.
Die IG Metall hat nicht die geringste Absicht, die Arbeitsplätze bei Siemens Energy zu verteidigen. Sie versucht im Gegenteil, jeden ernsthaften Kampf zu verhindern, und treibt gezielt einen Keil in die Belegschaft. Obwohl neben 750 Stellen in Berlin-Moabit, 700 in Mülheim-Ruhr und mehreren hundert in Erlangen und Görlitz auch 4800 außerhalb Deutschlands betroffen sind, davon 1700 in den USA, tut sie alles, um jede internationale und standortübergreifende Solidarität zu untergraben.
Stattdessen folgt sie dem Sankt-Florian-Prinzip: „Verschon’ mein Haus, zünd’ and’re an!“ Ihre einzige Meinungsverschiedenheit mit dem Konzern, an der die Gespräche schließlich scheiterten, betrifft die Verlagerung eines Teils der Turbinenproduktion von Berlin nach Ungarn.
Zum Abbau von Löhnen, Sozialleistungen und Arbeitsplätzen ist die IG Metall dagegen uneingeschränkt bereit. Sie hat mit Hilfe externer Berater ein eigenes Alternativkonzept ausgearbeitet und versucht jetzt, den Konzern und seine Aktionäre davon zu überzeugen, dass es mehr Profit abwirft als das Konzept des Vorstands.
Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Robert Kensbock hatte sich schon im Februar ausdrücklich zu den Profitansprüchen der Aktionäre bekannt. Auf die Frage, ob er sich darüber ärgere, dass der Kurs der Siemens Energy Aktie nach der Verkündung des Abbaus von 7800 Arbeitsplätzen gestiegen sei, antwortete er der Wirtschaftswoche: „Nein. Dass das Unternehmen so viel Wert ist, ist doch eine gute Nachricht. Natürlich ist Siemens Energy seinen Aktionären verpflichtet.“
Auch Jan Otto, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin, klagte, dass „die Arbeitgeber einen sozialen und gesellschaftlichen Konsens bei der Transformation verweigern“. Sowohl bei Daimler als auch bei Siemens Energy hätten IG Metall und Betriebsräte alternative Wirtschaftskonzepte entwickelt, die Kosteneinsparungen erlaubten.
Wir wissen nicht, ob und wie viele Siemens-Energy-Aktien Kensbock und Otto in ihrem Depot haben. Aber Arbeitsplätze lassen sich nicht mit Alternativkonzepten verteidigen, die Kosten senken und die Profite der Aktionäre steigern.
Der Angriff auf die Arbeitsplätze bei Siemens Energy ist Bestandteil einer internationalen Offensive der Konzerne, die sich mit der Corona-Pandemie weiter verschärft hat. Jedes Jahr wächst die Zahl der Milliardäre, während immer mehr Arbeiter ihren Job verlieren oder sich zu Niedriglöhnen durchschlagen müssen. Allein in der deutschen Auto- und Zulieferindustrie stehen mehrere hunderttausend Arbeitsplätze auf dem Spiel.
Dagegen entwickelt sich wachsender Widerstand. Doch überall, wo sich Arbeiter zur Wehr setzen, sind sie neben den Unternehmen auch mit Gewerkschaften konfrontiert, die ihren Kampf sabotieren, isolieren und gemeinsame Front mit den Unternehmen machen.
Beispielhaft ist der Arbeitskampf im amerikanischen Werk von Volvo Trucks, dem viertgrößten Lastwagenhersteller der Welt. Die 3000 Arbeiter in Dublin (Virginia) streiken seit fünf Wochen gegen einen Tarifvertrag, der ihre Arbeitsbedingungen und Löhne erheblich verschlechtern würde. Viermal haben sie bereits mit großer Mehrheit einen Tarifvertrag niedergestimmt, den die amerikanische Schwester der IG Metall, die UAW, vereinbart hatte.
Sie konnten ihren Kampf nur führen, weil sie ein unabhängiges Aktionskomitee, das Volvo Workers Rank-and-File Committee, aufgebaut haben, das sich dem Ausverkauf durch die Gewerkschaft widersetzte, die Arbeiter informierte und internationale Unterstützung mobilisierte. Die World Socialist Web Site hat diese Arbeit unterstützt.
Ähnliche Entwicklungen gibt es auch in anderen Ländern. In Belgien streiken Arbeiter von Volvo Cars gegen eine Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und der Gewerkschaft zur Verlängerung der Arbeitswoche. Im kanadischen Sudbury haben 2450 Bergarbeiter einen von der Gewerkschaft unterstützten Vertrag abgelehnt und streiken seit sechs Wochen. In der Türkei kämpfen tausende Stromarbeiter mit spontanen Streiks gegen Ausverkaufsverträge, denen die Gewerkschaft zugestimmt hat.
In den USA streiken fast 600 Arbeiter des Snack-Herstellers Frito-Lay in Topeka (Kansas), nachdem sie einen vierten von der Gewerkschaft unterstützten Vertrag abgelehnt haben. Weitere Streiks gegen Ausverkaufsverträge der Gewerkschaften führen 460 Amcor-Verpackungsarbeiter in Terre Haute (Indiana), 1300 Arbeiter von Allegheny Technologies (ATI) in mehreren Staaten und 1100 Bergarbeiter in Alabama.
Auch der Kampf gegen den Arbeitsplatzabbau bei Siemens Energy erfordert den Aufbau eines Aktionskomitees, das unabhängig von IG Metall und Betriebsrat ist, von den Arbeitern kontrolliert wird und ihnen gegenüber verantwortlich ist.
Ein solches Komitee muss als erstes fordern, dass alle Verhandlungen öffentlich geführt werden und keine Vereinbarung ohne Zustimmung der Arbeiter getroffen wird. Was sind die „30 Einzelmaßnahmen“, für die die IG Metall und Siemens Energy bereits „eine Lösung gefunden“ haben?
Es muss jeden Arbeitsplatz prinzipiell verteidigen und den Widerstand gegen den Abbau organisieren. Es muss Kontakt zu anderen Siemens-Standorten im In- und Ausland aufnehmen und Unterstützung in der gesamten Arbeiterklasse mobilisieren.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale hat am 1. Mai die Initiative zur Gründung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees ergriffen, um einen Rahmen für neue Formen unabhängiger und demokratischer Kampforganisationen von Arbeitern in Fabriken, Schulen und Betrieben auf internationaler Ebene zu schaffen.
Wir laden die Arbeiter von Siemens Energy ein, über die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und die WSWS Kontakt zur Internationalen Arbeiterallianz aufzunehmen, Wir werden sie beim Aufbau eines Aktionskomitees und dem Knüpfen internationaler Kontakte unterstützen.