Wie die Gewerkschaft United Auto Workers am Donnerstagabend ankündigte, hat sie mit Volvo Trucks eine vorläufige Vereinbarung abgeschlossen, obwohl sie nur wenige Tage zuvor erklärt hatte, es gebe keinen nennenswerten Fortschritt bei den Verhandlungen. Diese Ankündigung hatte die UAW in einer Situation verlautbart, in der die Unterstützung für die 3.000 streikenden Volvo-Arbeiter im Werk New River Valley in Dublin (Virginia) weiter zunimmt. In dem Werk wurden bereits zwei von der UAW ausgehandelte Tarifabkommen abgelehnt.
Der neue Präsident der UAW behauptete in einer Erklärung, die von der Gewerkschaftszentrale der UAW International eilig verfasst wurde, das auf sechs Jahre ausgelegte Tarifabkommen beinhalte „beträchtliche Verbesserungen“ für die Volvo-Arbeiter, nannte aber keine Details. Das Gleiche hatte Curry auch über die zwei früheren Tarifabkommen gesagt, die er als Verhandlungsführer ausgehandelt hatte und die von den Arbeitern mit über 90 Prozent abgelehnt wurden.
Die UAW befürchtet eine Rebellion der Arbeiter, wenn ihre Führung den aktuellen Streik vor einer Ratifizierungsabstimmung abbricht, wie Curry es während des früheren 12-tägigen Streiks getan hatte, der am 30. April abrupt beendet worden war. Deshalb kündigte sie eine Fortsetzung des Streiks bis zur geplanten Ratifizierungsabstimmung am 9. Juli an.
Die letzten beiden Deals, die die UAW ausgehandelt hatte, waren von den Arbeitern entschieden zurückgewiesen worden, weil sie nur geringfügige Lohnerhöhungen beinhalteten, die eine Reallohnsenkung bedeutet hätten. Dazu kamen eine deutliche Erhöhung der Eigenbeteiligung bei medizinischer Behandlung für aktive und pensionierte Arbeiter und eine Erhöhung der Arbeitszeit auf zehn Stunden täglich. Zudem wurde das Zwei-Stufen-System beibehalten, das für neue „konkurrierende Arbeiter“ unterdurchschnittliche Löhne festlegt und dem Volvo-Management einen weiteren Anreiz geben würde, ältere und höher bezahlte „Kern“-Arbeiter aus den Werken zu drängen.
Trotz Currys Behauptungen, der neue Deal bedeute „beträchtliche Verbesserungen im Vergleich zu den letzten beiden vorläufigen Vereinbarungen“, zeigen die wenigen bekannten Informationen, dass er sich kaum von den letzten beiden Tarifverträgen unterscheidet. Der Eintrittslohn für Arbeiter, die die schweren Highway-Laster bauen, die für mindestens 170.000 Dollar verkauft werden, läge bei 19,23 Dollar pro Stunde. Erst nach sechs Jahren würde der Arbeiter den Höchstlohn von 30,92 Dollar erreichen.
Nachdem am Donnerstagsabend die ersten Details über den neuen Vertrag durchsickerten, erklärte ein Arbeiter gegenüber der WSWS: „Das sieht jetzt aus wie ein siebenstufiges Lohnsystem. Wie eine aufgemotzte Version des Originals – wie Lippenstift auf einem Schwein.“
Die Volvo Group, die ihren reichen Investoren erst vor kurzem 2,3 Milliarden Dollar Dividenden ausgezahlt hat, ist nicht von ihrem Vorhaben abgerückt, den Arbeitern höhere Kosten für medizinische Versorgung aufzuzwingen. Volvo-Arbeiter posteten im Internet Bilder von dem veröffentlichten Deal, laut denen die Selbstbeteiligung für Behandlungskosten von 200 auf 350 Dollar für Einzelpersonen und von 400 auf 700 für Familien steigen würde. Die Mitversicherung würde von 10 auf 15 Prozent steigen, die maximale Zuzahlung von 750 auf 1.000 Dollar für Einzelpersonen, und von 1.500 auf 2.000 Dollar für Familien. Diese Erhöhungen würden ab dem 1. Januar 2022 in Kraft treten.
Ein anderer Streikteilnehmer erklärte der WSWS: „Das ist eine 85/15-Versicherung plus höhere Zuzahlungen. Zuvor war es eine 90/10-Versicherung.“
Der Streik in dem weltweit größten Volvo-Lastwagenwerk, das auch der einzige Lieferant für den nordamerikanischen Markt ist, dauert seit fast vier Wochen und wirkt sich auch auf die Produktion in anderen Werken aus. Er hat bereits zu vorläufigen Entlassungen wegen Teilemangel in den Mack-Trucks-Fertigungswerken in Macungie (Pennsylvania) und Hagerstown (Maryland) geführt, die ebenfalls zu Volvo gehören.
Noch größere Sorge bereitet sowohl Volvo als auch der UAW, dass die streikenden Arbeiter zunehmend die Versuche der UAW durchbrechen, ihren Kampf zu isolieren und sie durch Aushungern zur Kapitulation zu zwingen.
Am Donnerstag verteilten Arbeiter des Mack-Truck-Fertigungswerks in Macungie einen Offenen Brief des Aktionskomitees der Volvo-Arbeiter, in dem die Arbeiter dazu aufgerufen wurden, nicht mit Teilen zu arbeiten, die von Streikbrechern in dem Werk in Virginia hergestellt wurden und sie stattdessen bei einem gemeinsamen Streik zu unterstützen. Berichten zufolge haben mehrere Arbeiter Vertreter der UAW-Niederlassung 677 wegen dem miserablen Streikgeld von 275 Dollar pro Tag und dem völligen Schweigen der Gewerkschaften über den Streik herausgefordert.
Die UAW informiert die Arbeiter nicht über den Streik, weil sie befürchtet, dass sie die Streikenden bei Volvo unterstützen und ihre eigenen Aktionskomitees gründen werden, um die jahrzehntelangen Zugeständnisse der UAW rückgängig zu machen. Am Mittwoch unterstützten Autoarbeiter im Stellantis-Lastwagenwerk in Warren, einem Vorort von Detroit, begeistert die streikenden Arbeiter während einer Aktion des WSWS Autoworker Newsletter.
Mehr als drei Wochen nach Beginn des Streiks hatte die UAW International keinen einzigen Artikel darüber auf ihrer Website oder Facebook-Seite veröffentlicht. Erstmals erwähnt wurde er am Donnerstabend durch einen Artikel mit der Schlagzeile: „Streikende Volvo Truck-Arbeiter in Dublin (Virginia) handeln vorläufige Vereinbarung mit großen Verbesserungen aus.“
Curry und der Rest der hochbezahlten Firmenmarionetten in der UAW haben Angst, dass die Militanz und Entschlossenheit der Volvo-Arbeiter Nachahmer findet.
Die Zustände in den Autowerken in Detroit und anderen Industriestädten sind an einem Siedepunkt angekommen, nachdem während der Pandemie zahllose Arbeiter gestorben sind oder infiziert wurden. Die Konzerne haben durch obligatorische Sechs- und Siebentagewochen, Zehn- oder Zwölfstundentage und die brutale Ausbeutung von Teilzeitarbeitern Milliarden gescheffelt. Anfang der Woche stimmte die UAW der Abschaffung der Maskenpflicht in den Fabriken zu, damit die Unternehmen zwei weitere Stunden Produktionszeit herausholen können.
In Currys aktueller Erklärung zu dem Deal spricht er mehrfach von dem „gewählten Verhandlungskomitee“, das den Deal mit Volvo ausgehandelt hat. Damit soll der wachsende Einfluss des Volvo Workers Rank-and-File Committee eingedämmt werden, das sich zur wahren Stimme und Führung der streikenden Arbeiter entwickelt und sich für die Vereinigung aller Autoarbeiter in einem gemeinsamen Kampf eingesetzt hat.
Ein Mitglied des Komitees erklärte gegenüber der WSWS: „Die Oberen in der UAW-Führung kümmern sich um sich selbst, aber nicht um uns. Die Arbeiter bei Mack wurden im Dunkeln gelassen, genau wie wir. Aber wir haben es satt und beginnen, unsere unabhängigen Aktionskomitees auszuweiten. Wenn wir diese Komitees in andere Werke bringen und die Arbeiter dazu bringen, miteinander zu reden, können wir die korrupten UAW-Funktionäre loswerden. Curry spricht von ,Transparenz‘, aber er hat in vier Wochen nur zwei Erklärungen über die Verhandlungen veröffentlicht, und die enthielten nur Propaganda, aber keine Tatsachen.
Auf Streikposten haben wir uns gedacht, dass sie sich noch vor dem Wochenende irgendetwas einfallen lassen würden, vielleicht um Currys Machtübernahme zu feiern. Wir brauchen mindestens eine Woche, um den ganzen Vertrag zu studieren, und dann müssen wir bei einer Versammlung darüber diskutieren. Dieser Deal ist so weit von dem entfernt, was wir brauchen, deshalb werden wir wieder dagegen stimmen. Wenn man einen Anwalt zahlt, damit er einen bei einem Prozess vertritt, und er tut das nicht, dann feuert man ihn. Genau das müssen wir auch mit der UAW machen.“
Ein anderes Mitglied des Aktionskomitees erklärte: „Die Arbeiter werden mit allen Mitteln dafür kämpfen, dass die Gewerkschaft statt der ,Highlights‘ das ganze Dokument veröffentlicht. Sie wollen, dass wir es erst ratifizieren, damit sie hinterher andere Punkte ,beratschlagen‘ können.
Es ist großartig, dass uns die Arbeiter in Macungie und Hagerstown unterstützen wollen. Sie sollten ihre eigenen Aktionskomitees gründen. Andernfalls würden Volvo und die UAW durchkommen, und das wäre sehr schlecht für uns alle. Wenn alle die Arbeit niederlegen, würde Volvo das wirklich wehtun.“