Israel verschärft Krieg gegen Gaza und seine eigenen Städte

Am Wochenende verschärfte Israel seine Angriffe auf den Gazastreifen. Neben dem Einsatz von Kampfflugzeugen wurden Panzer und Artillerie an der Grenze zusammengezogen und hunderte Raketen und Granaten abgefeuert. Laut den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) richteten sich die Angriffe gegen mehr als 150 unterirdische Ziele, darunter ein Tunnelnetzwerk im Norden des Gazastreifens.

Angesichts dieses massiven Beschusses mussten die Einwohner der nördlichen Teile des Gazastreifens aus ihren Häusern fliehen und Zuflucht in der Innenstadt von Gaza suchen. Aber auch dort waren sie vor dem Bombardement nicht sicher.

In Gaza-Stadt wurden Augenzeugenberichten zufolge fünf Häuser zerstört. Es gebe zahlreiche Tote und Verschüttete unter den Trümmern. Selbst Krankenhäuser wurden attackiert „Während Israel seinen Luft- und Artilleriebeschuss auf #gaza fortsetzt, sind viele MSF-Mitarbeiter und Patienten gezwungen, aus ihren Häusern in Sicherheit zu fliehen. Die Schäden an unserer Klinik zeigen, dass kein Ort in Gaza sicher ist“, hieß es in einem Tweet der Ärzte ohne Grenzen.

Rauch von einem brennenden Gebäude in Gaza nach israelischen Luftangriffen am 14. Mai 2021 (AP Photo/Hatem Moussa)

Berichten zufolge sollen im Gazastreifen allein am Sonntag 40 Menschen ums Leben getötet worden sein, darunter acht Kinder. Es handelte sich um die bisher heftigste Angriffswelle im aktuellen Konflikt. Insgesamt hat Israel bereits mehr als 1000 Luftangriffe durchgeführt.

Dabei versucht das israelische Militär, die politische Führung der Palästinenser im Gaza-Streifen durch gezielte Tötungen zu eliminieren. Am Sonntag bombardierte die israelische Luftwaffe das Haus von Yahya al-Sinwar, dem Führer des politischen Flügels der Hamas. Am Tag zuvor hatte die israelische Luftwaffe bereits das Haus des stellvertretenden Vorsitzenden des Politbüros der Hamas, Khalil al-Haya, angegriffen. Laut Angaben von Hamas und der Organisation Islamischer Dschihad wurden bereits 20 ihrer Mitglieder getötet.

Am Samstag wurde durch einen gezielten Luftangriff auch ein 14-stöckiges Hochhaus zerstört, in dem die Presseagentur AP ihre Büros hatte. Berichten zufolge waren die Bewohner kurz zuvor telefonisch aufgefordert worden, das Gebäude zu verlassen. „Das ist eine unglaublich beunruhigende Entwicklung“, erklärte AP-Präsident Gary Pruitt am Samstag in New York. „Wir sind nur knapp einem schrecklichen Verlust von Menschenleben entgangen.“

Der katarische TV-Sender Al-Dschasira gab bekannt, dass sich auch sein Büro in dem zerstörten Gebäude befunden habe. Laut der der Korrespondentin des Senders, Youmna al-Sayed, habe die israelische Armee dem Besitzer des Hochhauses lediglich eine Stunde für die Evakuierung gegeben. „Die Zerstörung ist gewaltig“, sagte al-Sayed. „Kein Ort in Gaza scheint jetzt sicher zu sein.“

Israels massiver Angriff auf eine weitgehend schutzlose Bevölkerung hat laut den Gesundheitsbehörden im Gaza-Streifen bereits mehr als 190 Todesopfer gefordert, darunter dutzende Kinder. Dazu kommen über 800 Verwundete.

In Israel wurden zehn Menschen getötet, darunter zwei Kinder und ein Soldat. Die Zahlen verdeutlichen die enorme Überlegenheit von Israels Hightech-Waffenarsenal über die Palästinenser. Die meisten der rund 3.000 primitiven Raketen, die aus dem Gazastreifen abgefeuert wurden, schlugen entweder noch in Gaza selbst ein oder wurden vom israelischen Allwetter-Luftabwehrsystem Iron Dome abgefangen.

Laut den Vereinten Nationen sind durch die Luftangriffe schon bis zum Wochenende mehr als 200 Wohnhäuser und 24 Schulen zerstört oder schwer beschädigt worden. Die Beschädigung von Leitungsnetzen und Stromausfälle bedrohen zudem den bereits beschränkten Zugang zu frischem Wasser und Elektrizität.

Die Vereinigten Staaten und die europäischen Mächte unterstützen Israels Aggression, obwohl sie wissen, dass das Vorgehen einen umfassenden Krieg mit unzähligen Toten auslösen kann.

In der vergangenen Woche bekannte sich der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) in einem Interview mit der Bild-Zeitung zum „Selbstverteidigungsrecht Israels“ und fügte dann hinzu: „All das wird, wenn es keine Deeskalation gibt, dazu führen, dass wir mit einer Gewaltspirale konfrontiert werden, die die ganze Region in einen tiefen Konflikt mit viel Gewalt stürzen kann, die weit über die unmittelbare Nachbarschaft hinauswirkt.“ Im gleichen Interview verteidigte er die massiven deutschen Rüstungsexporte an Israel.

Wohl wissend, dass er sich der Unterstützung der imperialistischen Mächte sicher sein kann, verschärft Israel seinen Kriegskurs nach außen und innen. Auf Twitter verkündete Ministerpräsident Benjamin Netanjahu: „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Diese Operation wird fortgesetzt, solange es nötig ist.“

Die IDF haben Pläne für eine Bodenoffensive im Gazastreifen ausgearbeitet, ihre Soldaten angewiesen, sich „auf den Kampf vorzubereiten“, 16.000 Reservisten einberufen und allen Kampfeinheiten den Urlaub gestrichen.

Innerhalb Israels kam es zu beispielloser ethnischer Gewalt. Netanjahus rechtsextreme Verbündete wie Lehava, die rassistische Fußball-Hooligangruppierung La Familia, Otzma Jehudit (Jüdische Stärke) und rechtsextreme Siedlergruppen haben in palästinensischen Stadtvierteln gewütet und brutale Zusammenstöße provoziert, die zu einem Bürgerkrieg führen könnten.

Im Fernsehen und in den sozialen Netzwerken sind erschreckende Videos von jüdischen Lynchmobs zu sehen, die Geschäfte und Autos beschädigen und anzünden und Palästinenser einschüchtern, verprügeln, niederstechen, in ihren Häusern überfallen oder erschießen. Die Polizei hat das Wüten dieser nationalistischen Schläger in vielen Städten und Dörfern geduldet, u.a. in Jerusalem, Lod, Ramle, Nasiriya, Tiberias, Beersheba und Haifa.

Einige der schlimmsten Gewalttaten fanden in Lod statt, einer Stadt mit 80.000 Einwohnern und multireligiöser Bevölkerung, in der am Montag ein Palästinenser erschossen wurde. Die Freilassung der drei mutmaßlichen Mörder provozierte die Palästinenser zu weiteren Unruhen und wütenden Zusammenstößen. Am Mittwochabend riefen die Behörden den Ausnahmezustand aus, verhängten eine Ausgangssperre und mobilisierten bewaffnete Grenzpolizei aus dem besetzten Westjordanland. Die Gewalt ging jedoch ungemindert weiter, und am Donnerstagmorgen wurde ein jüdischer Mann erstochen.

Netanjahu erklärte am Donnerstagabend bei einer Rede in Lod: „Wir führen einen Feldzug an zwei Fronten – im Gazastreifen [und] in Israels Städten.“

Er kündigte an, den Sicherheitskräften freie Hand zu lassen, um die Unruhen im Inland mit Gewalt niederzuschlagen und versicherte ihnen, sie müssten sich keine Sorgen wegen „Untersuchungskommissionen, Ermittlungen und Kontrollen“ machen: „Man muss Gewalt anwenden, um Aufruhr niederzuschlagen, viel Gewalt.“

Netanjahu hat mit einer neuerlichen ethnischen Säuberung nach dem Vorbild von 1947 bis 1949 begonnen. Er erklärte, er erwäge den Einsatz von administrativer Inhaftierung, die im besetzten Westjordanland oft benutzt wird, um Palästinenser für längere Zeit ohne Anklage oder Zugang zu Rechtsanwälten einzusperren. Zusätzlich will er das Militär einsetzen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Er fügte hinzu: „Aktuelle geheimdienstliche Erkenntnisse besagen, dass es in den kommenden Tagen zu einem Anstieg der Gewalt kommen könnte.“

Die israelische Polizei hat den Vizepräsidenten der Islamischen Bewegung in Israel, Kamal al-Khatib, verhaftet, nachdem sie nach der Niederschlagung von Demonstrationen in Nordisrael sein Haus in Galiläa gestürmt hatte. Im Vorfeld von Al-Khatibs Verhaftung hatten er und weitere bekannte Aktivisten nach palästinensischen Angaben Drohbotschaften von israelischen Geheimdienstoffizieren erhalten. Sein Sohn erklärte: „Viele Leute, darunter einflussreiche Demonstranten, haben Textmitteilungen erhalten. Darin hieß es, sie seien in der al-Aqsa-Moschee gesichtet worden, und sie würden zur Rechenschaft gezogen werden.“ Vermutlich haben die Sicherheitsdienste ein GPS-System benutzt, das zur Kontaktverfolgung während der Pandemie entwickelt wurde, um diejenigen zu verfolgen und einzuschüchtern, die sich auf dem Gelände der Moschee aufgehalten haben.

Zeitgleich haben zivilgesellschaftliche Gruppen und Aktivisten die Sorge geäußert, dass die Social-Media-Plattformen Instagram, Facebook und Twitter palästinensische Nutzer zum Schweigen bringen. So wurden mehrere Posts über die verschärften Spannungen in Scheich Dscharrah gelöscht und ihre Accounts gesperrt. Instagram sprach zwar von einem weit verbreiteten technischen Problem, doch die Aktivistin Mona Shtaya von der Organisation 7amleh, die sich auf die digitalen Rechte von Palästinensern fokussiert, erklärte gegenüber Middle East Eye, es handele sich um eine systematische Kampagne, palästinensische Inhalte aus den sozialen Netzwerken zu entfernen. Sie erklärte, die Zahl der Anfragen der israelischen Cybereinheit an die Social-Media-Konzerne zur Unterdrückung von Palästinensern sei jedes Jahr angestiegen. Weiter erklärte sie: „Im Jahr 2019 hat die israelische Cybereinheit 19.606 Anfragen an die Social-Media-Unternehmen geschickt, um Inhalte entfernen zu lassen.“

Der eskalierende Krieg im Gazastreifen hat wütende Proteste im Westjordanland ausgelöst. Dort haben IDF-Soldaten seit Montag mindestens 14 Palästinenser getötet, teilweise bei gewalttätigen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften, andere wurden wegen des Verdachts auf „Terrorismus“ erschossen.

Auch an den Grenzen zu Jordanien und dem Libanon kam es zu Zwischenfällen. Israel erklärte, seine Panzer hätten Warnschüsse auf Aufrührer abgefeuert, von denen einige Flaggen der Hisbollah geschwenkt und die israelische Grenze überschritten hätten. Der Libanon bestätigte, dass die IDF einen Demonstranten mit einer palästinensischen Flagge getötet und einen weiteren verwundet haben. Zuvor hatte der Libanon drei Gad-Raketen abgefeuert, die ins Meer fielen, ohne etwas zu treffen. Dies unterstreicht die Gefahr des Aufbrechens einer weiteren Kriegsfront.

Tausende Jordanier sind mit Autos und Bussen an die Grenze zu Israel gereist, um ihre Solidarität mit den Palästinensern zu demonstrieren – deutlich mehr als während der letzten drei Kriege Israels im Gazastreifen. Sie forderten die jordanische Regierung auf, die Grenze zu öffnen, an der seit den Angriffen auf Betende in der al-Aqsa-Moschee während des Ramadans das Sicherheitsaufgebot verschärft wurde. Die Bereitschaftspolizei hinderte sie jedoch daran, die Grenze zu erreichen. Auch vor der israelischen Botschaft in der jordanischen Hauptstadt Amman kam es zu mehrtägigen Protesten, die sich zu einer der größten Demonstrationen in der Region entwickelten. Die Regierung wurde aufgefordert, den Friedensvertrag mit Israel zu kündigen, die israelische Botschaft zu schließen und den Gasvertrag mit Israel zu beenden.

Das Vorgehen des Staates hat unter jüdischen Israelis Opposition hervorgerufen. Hunderte jüdische Einwohner haben gemeinsam mit den Palästinensern in Jerusalem und benachbarten Städten gegen die drohenden Räumungen in Scheich Dscharrah protestiert, israelische Gewalt und die anhaltende Besetzung palästinensischer Territorien verurteilt und einen sofortigen Waffenstillstand gefordert.

Weltweit kam es am Wochenende zu Demonstrationen gegen Israels Krieg gegen Gaza. Am Samstag fand ein internationaler Protesttag zur Unterstützung der Palästinenser statt. In London, Berlin, Paris, Madrid und weiteren europäischen Städten gingen jeweils Tausende auf die Straßen.

Unter den Regierenden löst die wachsende Opposition gegen Krieg und Unterdrückung Nervosität aus. So lies der französische Innenminister Gerald Darmanin die Protestveranstaltungen in Paris zu verbieten und mobilisierte tausende von schwerbewaffneten Polizisten. In Deutschland versuchen Politik und Medien jeden Protest gegen die israelische Kriegspolitik als antisemitisch zu kriminalisieren. In Frankfurt hob das Verwaltungsgericht erst in letzter Minute ein zuvor durch die Stadt verhängtes Demonstrationsverbot auf. In vielen Städten ging die Polizei mit Gewalt gegen Protestierende vor und es kam zu Festnahmen.

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