Die Regierungen der Europäischen Union (EU) unterstützen die israelische Bombardierung des Gazastreifens. Zugleich greifen sie die demokratischen Grundrechte an, indem sie in europäischen Städten friedliche Proteste zugunsten der Palästinenser verbieten – mit der Verleumdung, die Teilnehmer seien gewalttätige Antisemiten.
Die Kämpfe sind seit der Randale der israelischen Bereitschaftspolizei in der Al-Aqsa-Moschee am vergangenen Wochenende zu einem einseitigen Gemetzel eskaliert. Das israelische Militär bombardiert den Gazastreifen und brüstet sich mit der Ermordung palästinensischer Militärkommandeure, deren einzige Antwort im Abfeuern veralteter Raketen bestand. Bis gestern wurden über 126 Palästinenser getötet, zusammen mit sechs Israelis und einem indischen Staatsbürger. Auch im Westjordanland wurden gestern zehn Palästinenser von israelischen Streitkräften getötet. Doch die EU und ihre Mitgliedsstaaten stellen sich hinter die israelische Regierung und verurteilen die Palästinenser.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab den Ton an, indem sie sich auf Twitter „besorgt“ erklärte. Dann unterstützte sie Israels Vorgehen gegen den Gazastreifen und schrieb: „Ich verurteile die wahllosen Angriffe der Hamas auf Israel. Zivilisten auf allen Seiten müssen geschützt werden. Die Gewalt muss jetzt enden.“ Ähnliche Äußerungen kamen auch aus Berlin und Paris.
Nachdem der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Steffen Seibert, palästinensische „Terroranschläge“ angeprangert und Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ beschworen hatte, veröffentlichte der Elysée-Palast in Paris gestern eine Erklärung. Darin heißt es, der französische Präsident Emmanuel Macron habe mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu telefoniert: „Er übermittelte sein Beileid für die Opfer des Beschusses durch die Hamas und andere Terrorgruppen, die er erneut entschieden verurteilte. Am Jahrestag der Gründung Israels betonte der Präsident seine unerschütterliche Unterstützung für Israels Sicherheit und sein Recht auf Selbstverteidigung.“
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) machte die Hamas für den Konflikt verantwortlich und forderte ein Verbot von Demonstrationen zur Verteidigung des Gazastreifens. Die Hamas habe „die jüngste Eskalation... mutwillig herbeigeführt, indem sie über tausend Raketen auf israelische Städte geschossen hat", sagte er der Bild-Zeitung. Er sagte, pro-palästinensische Demonstrationen müssen verboten werden, „wenn Straftaten zu erwarten sind."
Die EU-Mächte unterstützen die israelische Aggression, obwohl sie wissen, dass sie einen umfassenderen Krieg auslösen könnte.
Am 12. Mai sagte Außenminister Jean-Yves Le Drian vor dem französischen Senat, er sei „sehr besorgt über den Ernst der Situation im Nahen Osten“. Israel hat in diesem Jahr wiederholt Syrien bombardiert und dabei sowohl die syrische Regierung als auch iranische Kräfte angegriffen. Le Drian konstatierte die Gefahr, dass ein regionaler Krieg ausbrechen könnte: „Die anhaltende Spirale der Gewalt in Gaza, Jerusalem, im Westjordanland und in mehreren israelischen Städten droht eine große Eskalation zu provozieren. In weniger als 15 Jahren hat der Gaza-Streifen drei blutige Kriege erlebt. Es muss alles getan werden, um einen vierten zu vermeiden."
Trotzdem unterstützte Le Drian letztlich die israelische Aggression und erklärte: „Frankreich verurteilt auf das Schärfste den Raketen- und Flugkörperbeschuss aus dem Gazastreifen, der auf Jerusalem und mehrere bewohnte Gebiete auf israelischem Gebiet zielt, einschließlich Tel Aviv.“
Ohne Israels weitaus stärkere Bombardierung des Gazastreifens zu verurteilen, versuchte Le Drian zynisch, eine unparteiische Haltung einzunehmen. Er verurteilte Israels Zwangsumsiedlung von Palästinensern aus Ost-Jerusalem und versprach, mit deutschen, ägyptischen und jordanischen Regierungsvertretern zusammenzuarbeiten, um „den Dialog zwischen den Konfliktparteien wieder aufzunehmen, um eine gerechte und dauerhafte Lösung des Konflikts zu erreichen.“ Er rief außerdem dazu auf, das Demonstrationsrecht in Israel zu respektieren.
Die eigene Innenpolitik der EU-Regierungen hat die Scheinheiligkeit von Le Drians Aussagen über die Sorge um demokratische Rechte im Nahen Osten entlarvt. Inmitten der wachsenden Wut der Arbeiterklasse über Polizeibrutalität, soziale Ungleichheit und mehr als eine Million Todesfälle – die durch die böswillige Untätigkeit der EU angesichts der Ausbreitung von Covid-19 verursacht wurden – verbieten Regierungen in ganz Europa Antikriegsdemonstrationen oder drohen damit, sie zu verbieten.
Am Donnerstag verbot der französische Innenminister Gérald Darmanin den heutigen Pro-Gaza-Protest in Paris. „Ich habe den Polizeipräfekten gebeten, Demonstrationen am Samstag zu verbieten, die mit den jüngsten Spannungen im Nahen Osten in Verbindung stehen“, twitterte er und fügte hinzu, dass in ganz Frankreich „die Präfekten angewiesen wurden, besonders wachsam und strikt zu sein“. Er wies Frankreichs Polizeipräfekten an, „die Nachrichtendienste zu mobilisieren, [um] diese Bewegungen genau zu verfolgen“ und „jedes Risiko von Unruhen zu antizipieren“.
Die einzige Rechtfertigung, die Darmanin für diesen drastischen Angriff auf die Bürgerrechte gab, war, dass es vor sieben Jahren bei einem pro-palästinensischen Protest in Paris gegen den israelischen Krieg gegen Gaza 2014 zu Gewalt gekommen war.
Die „Vereinigung der Palästinenser in Île-de-France“, die den Pariser Protest organisiert, verurteilte Darmanins Verbot. Ihr Sprecher Walid Atallah sagte: „Indem Frankreich diese Demonstration verbietet, zeigt es seine Komplizenschaft mit dem Staat Israel, der jeden Ausdruck der Solidarität mit den Rechten der Palästinenser, die unter Besatzung, Kolonisierung und Bombardierungen leiden, verbieten will.“
Das Pariser Verwaltungsgericht lehnte einen ersten Einspruch der Vereinigung gegen Darmanins Verbot ab. Der Appell hatte sich an Frankreichs Staatsrat gewandt. Das Gericht hielt den Protestaufruf jedoch aufrecht und stellte fest, dass bereits „zu viele Demonstranten die Reise geplant haben, um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen“.
Die Frankfurter Stadtverwaltung hat eine für heute Nachmittag geplante Kundgebung mehrerer pro-palästinensischer Organisationen in der Innenstadt verboten. Zur Begründung hieß es gestern, Straftaten der Demonstranten könnten die öffentliche Sicherheit gefährden. Stadtrat Markus Frank (CDU) warf den Veranstaltern „antisemitische Aufrufe“ vor.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Derartige Antisemitismusvorwürfe dienen dazu, jeden Protest gegen das mörderische Vorgehen Israels zu unterdrücken.
Die Organisatoren hatten sich vor der Demonstration wiederholt gegen Antisemitismus ausgesprochen, insbesondere nachdem einige Dutzend Menschen vor einer Synagoge in Gelsenkirchen antisemitische Parolen skandiert hatten. In einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung der Gruppe „Palästina Spricht“ heißt es: „Wenn Ihr Juden hasst, habt Ihr nichts bei uns verloren.“ Das offizielle Flugblatt zur Frankfurter Demonstration ruft dazu auf, „ein Zeichen der Solidarität“ zu setzen, „gegen Vertreibung, gegen Landraub, gegen ethnische Säuberung, gegen die andauernde Nakba und für das Rückkehrrecht und für eine offene Gesellschaft für ALLE.“
Doch das hält europäische Politiker und Medien nicht davon ab, jeden Protest gegen die Kriegspolitik Israels als antisemitisch zu denunzieren. Kritik am brutalen Vorgehen der rechten Netanjahu-Regierung hat jedoch nichts mit Antisemitismus zu tun. Im Gegenteil: Die Behauptung, der Bombenterror gegen eine weitgehend wehrlose Bevölkerung sei ein Ausdruck des Judentums, ist selbst ein antisemitisches Argument.
Nichts könnte den reaktionären Charakter der offiziellen Propagandakampagne deutlicher machen als die Tatsache, dass sie in Deutschland von der rechtsextremen AfD angeführt wird, deren Mitglieder die Nazi-Wehrmacht verherrlichen und gegen das Holocaust-Mahnmal in Berlin agitieren.
Es sind nicht die Antikriegsdemonstranten, sondern die EU-Regierungen, die den Antisemitismus fördern. Sie hofieren nicht nur europaweit die extreme Rechte, sondern kollaborieren auch mit offen antisemitischen Kräften, um ihre politischen Ziele zu verfolgen. Dies war insbesondere beim rechtsextremen Putsch in der Ukraine 2014 der Fall, als der damalige deutsche Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) den Führer der faschistischen Svoboda-Partei und notorischen Antisemiten Oleh Tjahnybok in der deutschen Botschaft in Kiew empfing.
Frankreichs Innenminister Darmanin ist ein Sympathisant der rechtsextremen „Action française“ und hat erklärt, dass er keine koscheren Lebensmittel in französischen Supermärkten sehen möchte.
Die Reaktion der EU-Regierungen auf den israelischen Angriff auf Gaza – einschließlich ihres Verbots legitimer öffentlicher Proteste – ist eine ernste politische Warnung. Um ihre Interessen im Inneren und nach außen durchzusetzen, setzen sie zunehmend auf Krieg und Diktatur und zeigen eine faschistische Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leben. Der Krieg kann nur gestoppt werden, indem die enorme Opposition, die unter Arbeitern und Jugendlichen in ganz Europa, den arabischen Ländern und Israel selbst existiert, auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms mobilisiert wird.