Dieses Jahr hatte der DGB seine rituelle Maikundgebung unter das nichtssagende Motto „Solidarität ist Zukunft“ gestellt. Dazu meldete sich am Rande der Frankfurter Kundgebung vor der Alten Oper eine besondere Gruppe zu Wort. Im Namen der entlassenen WISAG-Arbeiter sagte Ertugrul Kurnaz: „Das hört sich gut an, aber das kann nur dann stimmen, wenn Solidarität nicht nur etwas für die Zukunft ist, und wenn man aufhört, nur darüber zu sprechen.“
Er wolle einmal „über einen besonderen Kampf auf dem Rhein-Main Flughafen gegen die Massenkündigungen berichten“, fuhr der Flughafenarbeiter fort. Mehrere Teilnehmer und Passanten blieben stehen und hörten interessiert zu. Kurnaz sagte, er könne das, was die Firma WISAG am Flughafen mit den Arbeitern mache, „in simple vier Worte fassen: Sie wurden eingesetzt, ausgebeutet, ausgetrickst und rausgeschmissen.“ Ungewöhnlich sei nur, dass sie es nicht stillschweigend hingenommen hätten. „Wir beugten uns nicht. Wir fingen an, um unsere Arbeitsplätze zu kämpfen. Seit Mitte Dezember letzten Jahres setzen wir unseren Widerstand fort.“
Was den bisher 260 Arbeitern von WISAG passiert sei, sei „nicht außergewöhnlich“, fuhr er fort. „Es passiert zehntausenden Arbeiterinnen und Arbeitern überall in diesem Land (…) Habt ihr nicht gehört, dass Großbetriebe wie Lufthansa, Mercedes und andere sich darauf vorbereiten, bundesweit zehntausende Arbeitsplätze zu vernichten?“ Nicht ohne Grund hätten die WISAG-Arbeiter das Motto gewählt: „Heute wir – morgen ihr“. Sie seien davon überzeugt, dass ihr Widerstand vielen tausenden anderer Arbeiter, denen dasselbe passiere, als Beispiel dienen werde.
Die WISAG-Arbeiter hatten versucht, einen Sprecher auf das offizielle Gewerkschafts-Podium zu schicken, aber das hatten der Frankfurter DGB und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nicht zugelassen. Stattdessen hatten sie den Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) als Sprecher eingeladen. Feldmann ist mit Claus Wisser Senior, dem Oligarchen, Gründer und Besitzer von WISAG, bestens befreundet und hat ihm vor einigen Jahren die Ehrenplakette der Stadt überreicht. Zahlreiche Frankfurter Projekte sind von der Milliardärs-Familie Wisser finanziell abhängig, was zum Teil das Stillschweigen erklärt, mit dem beispielsweise die Frankfurter Rundschau den Kampf der WISAG-Arbeiter bisher bedacht hat.
Ein weiterer Grund für das Verschweigen dieses Arbeitskampfs ist seine Brisanz für die anderen Flughafenbetriebe. Sein Bekanntwerden unter breiteren Arbeiterschichten, von denen sehr viele ebenfalls vor Entlassungen stehen, könnte einen Flächenbrand auslösen. Lufthansa, Fraport und ihre Tochter- und Zulieferbetriebe planen mit Hilfe von Verdi und der anderen Luftverkehrsgewerkschaften die Vernichtung mehrerer Zehntausend Arbeitsplätze. WISAG selbst hat in den letzten Tagen bei ASG, einer für die Kabinenreinigung zuständigen Tochterfirma, bereits 87 weitere Entlassungen angekündigt.
Zu Recht sagte Kurnaz am Samstag: „Es ist eine Tatsache, dass die Pandemie vor allem für Arbeiter längst katastrophale Folgen gebracht hat. Eine neue Katastrophe ist bereits in Vorbereitung.“ Bald werde es bei den Vertragsfirmen zu Massenentlassungen kommen, und sie tricksten Arbeiter und Angestellte ebenfalls aus, um sie noch stärker auszubeuten. Deshalb müssten die Arbeiter zusammenhalten, sagte er unter Beifall. „Weder die Pandemie, noch irgendein anderer Grund darf zur Vernichtung abertausender Arbeitsplätze akzeptiert werden.“
Noch deutlicher sprach es ein anderer Flughafenarbeiter aus, Habip B., der als Lademeister an der Rampe gearbeitet hatte und nach über 20 Jahren ebenfalls von WISAG entlassen worden war. In einem Video für die WSWS hatte er den Aufruf des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) zu ihrer Mayday Online Rallye und zum Aufbau einer Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees unterstützt.
Habip berichtete dort, dass die Arbeiter ein unabhängiges Komitee am Flughafen gegründet hatten, um gegen die Entlassungen zu kämpfen. „Wir haben bisher schon 13 Demos veranstaltet und einen acht Tage langen Hungerstreik durchgeführt.“ Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi habe sie komplett im Stich gelassen. Deshalb hätten sie, die WISAG-Arbeiter, alles selbst organisiert. Er unterstütze den Aufruf zu einer Internationalen Arbeiterallianz, „damit wir Arbeiter als Arbeiterklasse gemeinsam stark kämpfen können, unabhängig von irgendwelchen Gewerkschaften“.
Am gleichen Abend des Ersten Mai wurde in Frankfurt eine alternative Erste-Mai-Demonstration von der Polizei ungewöhnlich brutal angegriffen. Über 3.000 meist junge Teilnehmer waren friedlich von der Alten Oper über die Mainzer Landstraße bis ins Gallus-Viertel gezogen. Vor dem Haus Gallus erklärte die Polizei die behördlich angemeldete Abschlusskundgebung als vorzeitig beendet und griff die Teilnehmer sofort mit Knüppeln und zwei Wasserwerfern an.
In der Hessenschau berichtete am Sonntag eine Vertreterin eines Bündnisses namens „Wer hat der gibt“ über die massive Polizeibrutalität. Die Polizisten seien in die Menge gestürmt und hätten „geknüppelt, geschlagen, getreten und wissentlich schwere Verletzungen in Kauf genommen“. Als Folge seien über zwanzig Teilnehmer verletzt zurückgeblieben, es habe einen „Schädelbasisbruch, mehrere Gehirnerschütterungen, gebrochene Hände und schwere Hämatome und Prellungen“ gegeben.
Die Polizei äußerte sich bis Montagnachmittag nicht offiziell zur Ursache ihrer brutalen Prügelattacke und gab nicht einmal die genaue Zahl der Festnahmen bekannt. Aus Medienberichten ist zu schließen, dass die Polizei ihren Einsatz offenbar mit dem Abfeuern von Pyrotechnik und angeblicher Steinwürfe aus der Demonstration heraus begründen will. Die Wahl des Einsatzorts war indessen eine wirkliche Provokation: Ein Wasserwerfer wurde genau an der Stelle platziert, wo 1985 der Antifaschist Günter Sare von einem Polizei-Wasserwerfer überrollt und getötet worden war.
Dieser Vorfall, nicht der erste dieser Art in letzter Zeit, zeigt die Nervosität der städtischen Behörden und der hinter ihr stehenden Bourgeoisie, die weiß, dass sie einem wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse gegenübersteht. Der Kampf der WISAG-Arbeiter zeigt das beispielhaft.